
Paradigmenwechsel in der Behandlung der Herzinsuffizienz
Autor:
Priv.-Doz. Dr. Bernhard Jäger
3. Medizinische Abteilung mit Kardiologie,
Klinik Ottakring
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Die neuen ESC-Richtlinien zur Behandlung der Herzinsuffizienz (HI) mit reduzierter Pumpfunktion empfehlen eine frühzeitige Kombination von Betablocker, ACE-Hemmer bzw. Sacubitril/Valsartan, Mineralokortikoid-Rezeptorantagonist und SGLT2-Hemmer. Diese Substanzen bilden die 4 Säulen der modernen Herzinsuffizienztherapie und werden als gleichberechtigte Erstlinientherapie verstanden.
Keypoints
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Die neuen Richtlinien empfehlen eine frühzeitige Kombination der 4 Säulen der Herzinsuffizienztherapie.
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Dadurch sollen Patienten nach einer Episode der kardialen Dekompensation schneller diese lebenswichtigen Therapien erhalten.
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Die regelmäßige Nachsorge mit weiterer Dosissteigerung ist für die Prognose unerlässlich.
Kaum eine medizinische Fachdisziplin stützt sich auf eine derart solide empirische Datenlage wie die Kardiologie im Bereich der Behandlung von Herzinsuffizienz mit reduzierter Pumpfunktion (HFrEF). So konnte in den letzten etwa 30 Jahren eine Vielzahl positiver Endpunktstudien zur Behandlung der HFrEF verzeichnet werden. Zunächst zeigten große, randomisierte Untersuchungen aus den späten 1980er-Jahren den prognoseverbessernden Effekt von ACE-Hemmern, in den 1990er- und 2000er-Jahren folgte dann der Nachweis für Betablocker, Angiotensin-Rezeptorblocker (ARB) und Mineralokortikoid-Rezeptorantagonisten (MRA). Diese Substanzklassen bilden seither das Rückgrat der Herzinsuffizienztherapie. In der jüngeren Vergangenheit wurde für weitere Wirkstoffe eine Prognoseverbesserung bei HFrEF gezeigt, allen voran der Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitor (ARNI) Sacubitril/Valsartan und die SGLT2-Hemmer (SGLT2-I) Empagliflozin und Dapagliflozin, zudem Ivabradin, Vericiguat oder Omecamtiv-Mecarbil.
Stufenschema zur Therapiesteigerung
Die bis heuer gültigen ESC-Richtlinien von 2016 zur Behandlung von Patienten mit HFrEF folgen strikt der Evidenz aus klinischen Studien und sehen einen Stufenplan mit schrittweiser Verordnung der einzelnen Medikamentenklassen vor: Nach Auftitration der Basismedikation (ACE-Hemmer plus Betablocker) soll evaluiert werden, ob der Patient weiterhin symptomatisch bzw. die linksventrikuläre Auswurffraktion weiterhin deutlich reduziert ist (<35%).1 Ist dies der Fall, wird die Basistherapie zunächst um einen MRA erweitert und schließlich – erst bei weiterhin unzureichendem Therapieerfolg – um Sacubitril/Valsartan und/oder Ivabradin. Wie erwähnt, folgt dieses Stufenschema dem Studiendesign der Zulassungsstudien, welche die jeweils neue Substanz zusätzlich („on-top“) zur Standardtherapie untersuchten.
Nachteile der schrittweisen Therapie
Ein Nachteil dieses Vorgehens besteht darin, dass nicht alle Patienten in den Genuss der besten Behandlung kommen. Entsprechend einer Netzwerk-Metaanalyse randomisierter Studien war der positive Effekt auf die kardiovaskuläre Mortalität und die Rate der Hospitalisierung wegen HI dann am größten, wenn Patienten eine Kombinationstherapie aus drei oder vier Substanzen erhielten.2 Weiters wird regelmäßig der Zeitaufwand kritisiert, welchen es für die schrittweise Dosissteigerung braucht. So kann es viele Wochen dauern, bis die Basistherapie (bestehend aus ACE-Hemmer plus Betablocker) so weit hochtitriert ist, dass eine weitere Substanz hinzugefügt werden kann. In dieser Zeit wird dem Patienten eine potenziell lebensverlängernde Therapie vorenthalten, was nicht zu rechtfertigen ist, wenn man bedenkt, dass gerade in den ersten Wochen nach Spitalsentlassung die Mortalität bis zu 6-fach erhöht ist.3 Auf den Punkt gebracht: Die verzögerte Erweiterung um eine Substanzklasse erhöht die Mortalität bei Patienten mit HI.4
Neues Schema mit frühzeitiger Kombination
Die heuer präsentierten, neuen europäischen Richtlinien zur pharmakologischen Behandlung der HFrEF sehen nun einen Paradigmenwechsel vor. Die ESC empfiehlt erstmalig initial bzw frühzeitig mit folgenden vier Medikamentenklassen zu starten: ACE-Hemmer bzw. ARNI, Betablocker, SGLT2-I und MRA. Diese Substanzen gelten von nun an als die 4 Säulen der modernen HI-Therapie und werden als gleichberechtigte Erstlinientherapie verstanden. Vom sequenziellen Stufenschema der vorangegangenen Richtlinien wurde abgegangen. Entsprechend sollen die Wirkstoffklassen bereits kombiniert werden, auch wenn die Zieldosis einer einzelnen Substanz noch nicht erreicht wurde. Neu ist somit, dass bereits bei ACE-Hemmer-naiven Patienten ein ARNI zum Einsatz kommen soll (Klasse- I-B-Empfehlung) und der Einsatz von Dapagliflozin oder Empagliflozin frühzeitig empfohlen wird, um das Risiko für eine Rehospitalisierung oder Tod zu verhindern (Klasse-I-A-Empfehlung).
Vorteile des neuen Schemas
Durch das Abgehen vom strikten Stufenschema kann die Therapie für den jeweiligen Patienten flexibler und individueller als bisher gestaltet werden. Die neue Richtlinie ermöglicht es nun, bei HFrEF-Patienten frühzeitig eine Kombinationstherapie zu verordnen und diese bereits während der Index-Hospitalisierung zu starten. Einerseits ist vielfach belegt, dass eine allgemein unzureichende Adhärenz zur HFrEF-Medikation besteht und Patienten nicht die angestrebten Zieldosen erreichen.5 Andererseits zeigen Registerdaten, dass Medikamente, mit denen nicht im initialen Aufenthalt nach kardialer Dekompensation begonnen wurde, seltener nachträglich verordnet werden.6 Mit anderen Worten: Zumeist verbleiben die Patienten für viele Monate auf der während des Spitalaufenthalts etablierten Therapie, ohne dass eine weitere Dosissteigerung oder Therapieerweiterung bei Folgekontrollen erfolgt. Diese Erkenntnis spricht klar für die bereits initiale Kombination aus mehreren Substanzklassen.
Kritikpunkte am neuen Schema
Mit den neuen Richtlinien verlässt die ESC jene Strategie, die für viele Jahre selbstverständlich schien: Es wurden Therapien empfohlen, welche auf fundierter empirischer Basis standen bzw. welche an einer ausreichenden Patientenzahl erprobt waren. Nun wird mit der Kombinationstherapie aus ARNI plus SGLT2-I eine Behandlung empfohlen, welche in den Zulassungsstudien EMPEROR-Reduced und DAPA-HF an nicht einmal 600 Patienten getestet wurde.7 Diese limitierte Fallzahl stellt die gegenwärtig einzige Erfahrung aus randomisierten, kontrollierten Studien dar, welche für die Kombination aus ARNI plus SGLT2-I vorliegt. Dennoch ist die Entscheidung der ESC, diese Medikamentenkombination zu empfehlen, aus oben genannten Gründen nachvollziehbar.
Zusammenfassung und Beurteilung
In den neuen ESC-Richtlinien zur Therapie der HFrEF wird das bisher empfohlene Schema der schrittweisen bzw. stufenweisen Erweiterung um Wirkstoffklassen verlassen. Stattdessen sollen frühzeitig 4 Substanzen (ACE-Hemmer bzw. ARNI, Betablocker, SGLT2-I und MRA) in Kombination etabliert werden, auch ohne dass zuvor die jeweiligen Zieldosen erreicht wurden. Dies erscheint zweckmäßig, wenn man Registerdaten in Betracht zieht, welche zeigen dass
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eine Kombinationstherapie mit besserem Überleben assoziiert ist,
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eine rasche Therapiesteigerung nach Dekompensation die Rehospitalisierungsrate reduzieren kann und
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Therapien, welche während des initialen Krankenhausaufenthalts begonnen wurden, im weiteren Verlauf nur unzureichend gesteigert bzw. ausgebaut werden. Die regelmäßige Nachsorge mit weiterer Dosissteigerung ist für die Prognose jedenfalls unerlässlich..
Literatur:
1 Ponikowski P et al.: Eur Heart J 2016; 37(27): 2129-200 2 Komajda M et al.: Eur J Heart Fail 2018; 20(9): 1315-22 3 Marti CN et al.: Circ Heart Fail 2013; 6(5): 1095-101 4 Zaman S et al.: Eur J Heart Fail 2017; 19(11): 1401-9 5 Maggioni AP et al.: Eur J Heart Fail 2013; 15(7): 808-17 6 Crespo-Leiro MG et al.: Eur J Heart Fail 2016; 18(6): 613-25 7 Herbst A et al.: J Geriatr Cardiol 2020; 17(11): 728-732