
©
Getty Images/iStockphoto
Marathon nach Herzinfarkt? Der Freizeitsportler mit KHK
Jatros
Autor:
Prim. Assoc. Prof. Dr. Andrea Podolsky
Institut für Präventiv- und<br> Angewandte Sportmedizin<br> Landesklinikum Krems<br> E-Mail: andrea.podolsky@krems.lknoe.at
30
Min. Lesezeit
20.09.2018
Weiterempfehlen
<p class="article-intro">Sport mit moderater Intensität wird gegen das Fortschreiten atherosklerotischer Erkrankungen empfohlen. Doch wie ist vorzugehen wenn sich Freizeitsportler gerne wieder anstrengen möchten? Strikte Risikofaktorenkontrolle, eine State-of-the-art Leistungsdiagnostik und die Aufklärung über Nutzen-Risiko- Verhältnis sind Basis der weiteren Betreuung.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Regelmäßige körperliche Aktivität und trainingsbasierte Rehabilitationsprogramme nach akuten Koronarereignissen, nach Revaskularisation oder für Patienten mit Herzinsuffizienz werden mit höchster Evidenz (1A) empfohlen.</li> <li>Anstrengende körperliche Belastung erhöht passager das Risiko für einen kardiovaskulären Zwischenfall. Dieses ist für körperlich inaktive Menschen am höchsten, bleibt aber auch für Aktive mit manifester KHK immer erhöht.</li> <li>Für das Verhindern des Fortschreitens der KHK spielt striktes Risikofaktorenmanagement eine entscheidende Rolle. Dafür nötige medikamentöse Therapien können durch Training nicht ersetzt werden.</li> <li>Bei Wunsch nach Wiederaufnahme ambitionierter körperlicher Aktivität werden eine sportmedizinische Leistungsevaluierung, Herzultraschalluntersuchung und eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung mit dem Betroffenen empfohlen.</li> </ul> </div> <p>Regelmäßige körperliche Aktivität reduziert das Risiko einer koronaren Herzerkrankung, da zahlreiche Risikofaktoren positiv beeinflusst werden. Daher wird allen Menschen primär- und sekundärpräventiv moderate körperliche Aktivität mit bester Evidenz und höchstem Grad (IA) empfohlen.<sup>1–3</sup> Anstrengende körperliche Belastung erhöht jedoch passager das Risiko für einen kardiovaskulären Zwischenfall.<sup>4–6</sup> Freizeitsportler, die vor Bekanntwerden ihrer koronaren Herzerkrankung (KHK) regelmäßig aktiv waren, wollen auf gewohnte Aktivitäten dennoch nicht verzichten und wünschen sich Beratung bezüglich der Wiederaufnahme ihrer sportlichen Aktivitäten.<br /> Freizeitsport wird in diesem Artikel als Sport definiert, der in der Freizeit ausgeübt wird und im Gegensatz zum professionellen Sport nicht dazu dient, Geld oder Güter durch körperliche Leistung zu erwerben. Freizeitsportler üben ihren Sport mit oder ohne Wettkampfambitionen aus. Umfänge und Belastungsintensitäten können dabei breit gestreut sein, ebenso wie das Fitnessniveau und die „Risikofaktorenkarriere“ der Ausübenden. In der Praxis wird Freizeitsport oft mit „nicht anstrengend“ und Leistungssport mit „anstrengend“ assoziiert. Patienten wird daher simpel geraten, in Zukunft keinen Leistungssport mehr zu betreiben, was einen zu breiten Interpretationsspielraum offenlässt und damit für Betroffene unbefriedigend ist.</p> <h2>Ist Freizeitsport anstrengend?</h2> <p>Wie sehr sich jemand bei Ausübung seines Sports anstrengt, hängt von individuellen Präferenzen, der Art des Sportes, der Bewegungserfahrung des Einzelnen und der Regelmäßigkeit der Sportausübung ab. Hohe Belastungsintensitäten können vom Sportler bzw. der Sportlerin bewusst angestrebt werden, wie zum Beispiel bei Teilnahme an Marathonläufen, Radrennen oder Outdoorabenteuern. Sie können aber auch „unabsichtlich“ entstehen, wenn Aktivitäten früherer Zeiten wieder aufgenommen werden, als die körperliche Leistungsfähigkeit noch besser war und Sportausübung kein Problem dargestellt hat, nun aber aufgrund von Erkrankung und reduzierter Kondition zu einer erhöhten relativen Belastung führt. Als Beispiele seien Bergtouren oder Radausfahrten in der Freundesgruppe genannt, aber auch Teilnahme an Spielsportarten wie Fußball, Tennis, etc. Auch Umgebungsbedingungen, wie Hitze, Kälte, hohe Luftfeuchtigkeit oder Höhe, können die Belastung erhöhen. Der Wunsch der Patienten nach Wiederaufnahme ihres Sports ist meist groß und stellt einen wichtigen Teil ihrer Lebensqualität dar. Da diesbezüglich die Datenlage noch unzureichend ist, ist die Wiederaufnahme der Aktivität eine Herausforderung für die ärztliche Beratung.</p> <h2>Ist Anstrengung riskant?</h2> <p>Das Risiko, durch körperliche Anstrengung einen kardiovaskulären Zwischenfall (Myokardinfarkt, Insult, Arrhythmie-induzierter plötzlicher Herztod) zu erleiden, ist für Menschen am höchsten, die nie körperlich aktiv waren.<sup>4</sup> Regelmäßigkeit der Sportausübung und gute körperliche Fitness reduzieren das Risiko, dennoch bleibt dieses für Patienten mit manifester KHK erhöht.<sup>4, 6, 7</sup> Bei Personen über 35 Jahre ist die atherosklerotische Herzerkrankung die häufigste Ursache für einen belastungsinduzierten plötzlichen Herztod. Männer sind deutlich häufiger betroffen als Frauen (Verhältnis 10:1).<sup>8, 9</sup> Als Mechanismen werden diskutiert: spontane koronare Plaquerupturen, stenosebedingt primäres Missverhältnis zwischen Sauerstoffangebot und erhöhtem Bedarf infolge erhöhter Wandspannung, katecholamininduzierte gesteigerte Thrombozytenaggregation, Elektrolytdysbalancen, die ein verändertes Depolarisationsverhalten bedingen, und Rhythmusstörungen aus Narben oder Myokardfibrosen.<sup>6, 10</sup> Bei etwa der Hälfte aller Männer und postmenopausalen Frauen, aber nur einem Drittel der prämenopausalen Frauen, stellen der akute Myokardinfarkt oder der plötzliche Herztod die Erstmanifestation der KHK dar.<sup>11</sup><br /> Dass das Risiko eines kardiovaskulären plötzlichen Herztods oder nicht tödlichen Zwischenfalls bei Zustand nach Myokardinfarkt in den Folgejahren erhöht bleibt, zeigt ein schwedisches Register, das 108 315 Patienten mit einem Index-Myokardinfarkt zwischen 2006 und 2011 verfolgt hat. Zehn Prozent der Betroffenen verstarben nach dem Ereignis, knapp 20 % erlitten im ersten Jahr einen nicht tödlichen Reinfarkt, Insult oder einen Herz- Kreislauf-Tod, weitere 20 % in den vier Folgejahren. Das kumulative Risiko für jüngere Patienten mit niedrigerem Risikofaktorenprofil war etwa halb so hoch, aber dennoch klinisch relevant.<sup>12</sup> Meist verantwortlich dafür ist ein Fortschreiten der atherosklerotischen Erkrankung, was die Wichtigkeit einer adäquaten Sekundärprävention unterstreicht.<sup>13</sup> Eine das Risiko modifizierende Rolle spielt die Linksventrikelfunktion: je schlechter, desto höher das Risiko. Besonders jüngere Herzinsuffizienzpatienten <60 Jahren haben ein hohes Risiko für arrhythmogenen plötzlichen Herztod.<sup>14</sup></p> <h2>Medikamentöse Therapie</h2> <p>Duale Plättchenhemmung (DAPT) nach PCI, Statintherapie generell, Betablocker, ACE-Inhibitoren/ARBs und MRAs bei Herzinsuffizienz mit verminderter Auswurffraktion (LVEF =40 % ) sind Standard in der Therapie der KHK.<sup>3, 15</sup> Eine stringente Risikofaktorenkontrolle ist ein wichtiger Teil der Therapie. Davon sind Sporttreibende nicht ausgenommen. Wirkungen und Nebenwirkungen der Medikation müssen eingehend besprochen werden. Wegen des erhöhten Blutungsrisikos sollten in der Zeit bis zum Absetzen der DAPT Sportarten mit erhöhtem Verletzungsrisiko nicht ausgeübt werden. Muskuläre Symptome sind ein wesentlicher Faktor für die Beendigung einer Statintherapie durch Patienten. Man nimmt an, dass bei einem großen Teil der angegebenen Beschwerden ein Noceboeffekt eine Rolle spielt.<sup>16</sup> Bei gesunden Erwachsenen verminderte sich im Rahmen einer doppelblind randomisierten Studie die körperliche Aktivität, unabhängig davon, ob 80mg Atorvastatin oder Placebo für 6 Monate eingenommen wurde.<sup>17</sup> Die vorliegende Evidenz bestätigt ein bei Weitem positives Nutzen-Risiko- Verhältnis der Statintherapie bei atherosklerotischen Erkrankungen. PCSK9- Inhibitoren bleiben derzeit einer kleinen Minderheit vorbehalten, ihre Rolle bei Sporttreibenden kann daher vorerst nicht beurteilt werden.</p> <h2>Leistungsdiagnostik</h2> <p>Um die Belastungsverträglichkeit zu testen, wird ein symptomlimitierter Belastungstest empfohlen.<sup>18, 19</sup> Richtig durchgeführt, nämlich bis zur Ausschöpfung der kardiovaskulären, ventilatorischen und/ oder muskulären Reserven, ergeben sich daraus wertvolle Informationen zu Leistungsfähigkeit, Herzfrequenz- und Blutdruckregulation sowie EKG-Veränderungen, Prognose und Trainingssteuerung. Die Belastung muss nur dann vorzeitig abgebrochen werden, wenn Symptome, Regulationsstörungen, Zeichen einer Ischämie oder der elektrischen Instabilität auftreten. Das Belastungsinkrement sollte so gewählt werden, dass die Ausbelastung in etwa 10 Minuten erreicht wird, wofür man die Belastbarkeit durch Erheben einer detaillierten sportmedizinischen Anamnese vorab abschätzen muss.<sup>20, 21</sup></p> <h2>Empfehlungen zur Aktivität</h2> <p>Als Basisbewegung werden körperlich aktiver Lebensstil und Ausdaueraktivität im Umfang von 150 Minuten pro Woche mit moderater Intensität (3–6 MET) oder 75 Minuten pro Woche mit höherer Intensität (>6 MET) empfohlen. Zusätzlich gilt, dass bessere Fitness und höhere Bewegungsumfänge weitere gesundheitliche Vorteile bringen. Inaktiven Personen und jenen mit eingeschränkter Leistungsfähigkeit wird geraten, überhaupt aktiv zu werden und die Aktivität an ihre Möglichkeiten anzupassen.<sup>22</sup> Eine trainingsbasierte Rehabilitation wird Patienten nach einem kardiovaskulären Ereignis, nach Revaskularisation und bei Herzinsuffizienz mit höchstem Evidenzgrad empfohlen.<sup>2</sup><br /><br /> Allgemeine und nach wie vor gültige Empfehlungen zur Gestaltung einer Aktivitätseinheit sind der Europäischen Guideline (Tab. 1) zu entnehmen.<sup>18</sup> Während in den bisher gültigen Guidelines von 2006 Patienten mit KHK nur Sportarten mit niedriger statischer und dynamischer Belastung empfohlen wurden (Gehen, Billard, Darts, Minigolf, etc.), wurden 2015 in den USA neuere Empfehlungen publiziert, die in der Praxis besser anwendbar sind (Tab. 2).<sup>18, 19</sup> Die schlechte Datenlage zu diesem Thema stellt weiterhin ein Problem dar.<br /> Da in Österreich Bergsport gerne und von vielen ausgeübt wird, soll ergänzend noch auf aktuelle Empfehlungen dazu hingewiesen werden (Tab. 3).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Kardio_1803_Weblinks_s9_tab1.jpg" alt="" width="1419" height="1014" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Kardio_1803_Weblinks_s9_tab2.jpg" alt="" width="1419" height="1864" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Kardio_1803_Weblinks_s9_tab3.jpg" alt="" width="1419" height="1415" /></p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Sesso HD et al.: The Harvard Alumni Health Study. Circulation 2000; 102: 975-80 <strong>2</strong> Piepoli MF et al.: Eur Heart J 2016; 37: 2315-81 <strong>3</strong> Task Force Members et al.: Eur Heart J 2013; 34: 2949-3003 <strong>4</strong> Thompson PD et al.: Circulation 2007; 115: 2358-68 <strong>5</strong> von Klot S et al.: Eur Heart J 2008; 29: 1881-8 <strong>6</strong> Albert CM et al.: N Engl J Med 2000; 343: 1355-61 <strong>7</strong> Myers J et al.: N Engl J Med 2002; 346: 793-801 <strong>8</strong> Corrado D et al.: Eur Heart J 2011; 32: 934-44 <strong>9</strong> Landry CH et al.: N Engl J Med 2017; 377: 1943-53 <strong>10</strong> Burke AP et al.: JAMA 1999; 281: 921-6 <strong>11</strong> Wilson PWF et al.: Epidemiology of coronary heart disease. UpToDate<sup>®</sup>, Wolters Kluwer; letzter Zugriff: 7. Aug. 2018 <strong>12</strong> Jernberg T et al.: Eur Heart J 2015; 36: 1163-70 <strong>13</strong> Silber S et al.: Lancet 2011; 377: 1241-7 <strong>14</strong> Chatterjee NA et al.: JAMA Cardiol 2018; 3: 591-600 <strong>15</strong> Ibanez B et al.: Eur Heart J 2018; 39: 119-77 <strong>16</strong> Mach F et al.: Eur Heart J 2018; 39: 2526-39 <strong>17</strong> Panza GA et al.: Med Sci Sports Exerc 2016; 48: 1-6 <strong>18</strong> ESCSGoS Cardiology: Eur J Cardiovasc Prev Rehabil 2006; 13: 137-49 <strong>19</strong> Thompson PD et al.: Circulation 2015; 132: 310-4 <strong>20</strong> Wonisch M et al.: Journal für Kardiologie 2008; 15: 3-17 <strong>21</strong> Mezzani A: Ann Am Thorac Soc 2017; 14: S3-S11 <strong>22</strong> Garber CE et al.: Med Sci Sports Exerc 2011; 43: 1334-59 <strong>23</strong> Parati G et al.: Eur Heart J 2018; 39: 1546-54</p>
</div>
</p>
Das könnte Sie auch interessieren:
ESC-Guideline zur Behandlung von Herzvitien bei Erwachsenen
Kinder, die mit kongenitalen Herzvitien geboren werden, erreichen mittlerweile zu mehr 90% das Erwachsenenalter. Mit dem Update ihrer Leitlinie zum Management kongenitaler Vitien bei ...
ESC gibt umfassende Empfehlung für den Sport
Seit wenigen Tagen ist die erste Leitlinie der ESC zu den Themen Sportkardiologie und Training für Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen verfügbar. Sie empfiehlt Training für ...
Labormedizinische Fallstricke bei kardialen Markern
Bei Schädigung oder Stress des Herzmuskels werden kardiale Marker in den Blutkreislauf freigesetzt. Ihre labormedizinische Bestimmung spielt eine Schlüsselrolle in der Diagnostik, ...