© A. Bauer, Innsbruck

„Es gibt viel Neues zu KI, Digitalisierung und interventioneller Kardiologie“

Anlässlich des Kardiologie-Kongresses Innsbruck sprach JATROS Kardiologie & Gefäßmedizin mit Prof. Axel Bauer, Vorstand der Klinik für Kardiologie in Innsbruck. Die Themen waren künstliche Intelligenz, Digitalisierung und Neues in der interventionellen Kardiologie.

Künstlicher Intelligenz und Digitalisierung war eine Session beim Kardiologie-Kongress Innsbruck gewidmet. Welche Chancen sehen Sie durch den Einsatz?

A. Bauer: Ein Themenkomplex, von dem ich viel erwarte, sind eine bessere Diagnose, Prädiktion und Therapiesteuerung. Daten können durch künstliche Intelligenz anders ausgewertet werden als bisher. Wir gewinnen neue, zusätzliche und unabhängige Information. So wurde beispielsweise bereits gezeigt, dass man in einem Sinusrhythmus-EKG mittels künstlicher Intelligenz erkennen kann, ob im Vorfeld Vorhofflimmern bestanden hat oder nicht. Das wäre eine deutliche Erweiterung unserer Möglichkeiten. Gleichzeitig gibt es viele Unwägbarkeiten. So wissen wir nicht, welche therapeutischen Konsequenzen daraus folgen. Ergibt sich hieraus die Indikation zur Blutverdünnung? Ist durch KI erkanntes Vorhofflimmern gleichzusetzen mit klinischem Vorhofflimmern? Sicherlich benötigt man weitere Studien. Dieser neue Ansatz verspricht jedoch sehr viel Potenzial. Ein weiterer Bereich, in dem die Digitalisierung zum Tragen kommen könnte, ist die Telemedizin, also die Diagnose und Therapie weg von der Arztpraxis oder dem Krankenhaus hin zu den Patientinnen und Patienten. Ein Beispiel ist das Screening auf Vorhofflimmern, welches auch ältere Menschen mit einem Smartphone zu Hause machen können. Dies könnte ein Paradigmen-Shift in der Medizin darstellen.

Wo liegt der Zeithorizont für den realen Einsatz?

A. Bauer: Ich schätze, dass es noch 5 bis 10 Jahre dauert, bis wir substanzielle Veränderungen, also z.B. auf KI basierende Behandlungspfade, erleben werden. Erst werden klinische Studien benötigt, die in die Leitlinien Eingang finden müssen. Auf der anderen Seite werden viele kleinere Veränderungen durch Digitalisierung schleichend in unseren Alltag eingehen. Für mich steht außer Frage, dass ein großer Umbruch bevorsteht.

Was gibt es Neues in Ihrem Spezialgebiet, der interventionellen Kardiologie?

A. Bauer: Im Rahmen des ACC wurde im Bereich struktureller Herzerkrankungen die DEDICATE-Studie präsentiert. Sie ist eine wichtige industrieunabhängige Studie, die Patienten mit hochgradiger Aortenklappenstenose und niedrigem bis mittlerem OP-Risiko zur TAVI gegen die chirurgische Therapie randomisiert hat. Im Einjahres-Follow-up hat die TAVI sehr gut abgeschnitten. Die Studie war zum Nachweis einer Nichtunterlegenheit ausgelegt und hat dieses Ziel mehr als erreicht. Es zeigten sich nach TAVI weniger Todesfälle und Schlaganfälle, wobei man abwarten sollte, wie die Ergebnisse in 5 und 10 Jahren aussehen. Mich hat in dieser Studie die hohe Ereignisrate im chirurgischen Arm überrascht. Die Ergebnisse unserer chirurgischen Kollegen in Innsbruck sind in einem vergleichbaren Kollektiv besser, wenngleich Quervergleiche immer problematisch sind. Summa summarum ist die Studie ein weiterer Beleg für die Effektivität der TAVI-Therapie. Voraussichtlich wird sich diese Studie auch in den neuen ESC-Leitlinien 2024 niederschlagen. Bei strukturellen Herzerkrankungen werden wir künftig den interventionellen Klappenersatz der Mitralklappe und Trikuspidalklappe erleben, wobei aufgrund der komplexeren Anatomie nicht alle Patientinnen hierfür infrage kommen werden. So sehen wir beispielsweise bei der Evoque-Trikuspidalklappe eine starke Selektion geeigneter Patienten.

Im Bereich der interventionellen Therapie des chronischen Koronarsyndroms wurde auf dem ACC mit dem PREVENT-Trial eine Arbeit präsentiert und im Lancet publiziert, dieeinen Paradigmen-Shift einläuten könnte. In der Studie ließen sich durch präventives Stenting von Hochrisikoplaques, die durch intrakoronare Bildgebung identifiziert wurden, MACE-Endpunkte reduzieren. Bestätigt sich dieses Ergebnis in weiteren Studien, wäre das ein neuer Therapieansatz beim chronischen Koronarsyndrom, denn derzeit besteht die Indikation für ein Stenting bei stabilen Läsionen nur dann, wenn diese hämodynamisch relevant sind. Noch sind viele Fragen offen, wie etwa zur optimalen Bildgebung – in der Studie wurde präferenziell IVUS verwendet. Von allen evaluierten Läsionen wurden ca. 50%, ein relativ hoher Anteil, als vulnerabel eingestuft – das sollte präziser werden. Die neueste Generation der CT-Geräte könnte uns in die Lage versetzen, Hochrisikoplaques mit hohem Rupturrisiko nichtinvasiv zu erkennen.

Gibt es weitere spannende Entwicklungen in interventioneller Hinsicht?

A. Bauer:Die auf dem ACC präsentierte DanGer-Shock-Studie zeigte für den Einsatz des Impella-Systems, einesmechanischen Unterstützungssystems beim kardiogenen Schock, erstmals ein positives Ergebnis. Caveats sind die sehr lange Rekrutierung über 11 Jahre und die vergleichsweise geringe Fallzahl von 360 Patienten. Die Patienten waren stark selektioniert. Offensichtlich hat diese Selektion Sinn gemacht. Bedeutsam ist, dass komatöse Patienten nach Reanimation ausgeschlossen wurden. Daher sind die Ergebnisse bei Weitem nicht auf alle Formen des kardiogenen Schocks übertragbar.

Interessant war auch die ORBITA-COSMIC-Studie, die ebenfalls auf dem ACC präsentiert wurde. In dieser Studie wurde ein Sinus-Reducer bei Patienten mit therapierefraktärer Angina pectoris randomisiert und Sham-kontrolliert eingesetzt. Die Patienten und die behandelnden Ärzte wussten also nicht, ob das System implantiert ist oder nicht. Dies ist methodisch sehr wertvoll. Für den primären Symptomendpunkt konnte ein positiver Effekt gezeigt werden, wenngleich in der Myokardperfusion kein Korrelat hierfür gefunden wurde. Auch wir setzen das Device in Innsbruck bei sehr ausgewählten Patienten ein.

Bedeutsam ist auch die SMART-Studie, welche die optimale TAVI-Klappenauswahl bei Patientinnen und Patienten mit kleinen Anuli untersucht hat. Dies betrifft in der Regel Frauen. Es wurden das selbstexpandierende supraanuläre Evolut-Device mit dem ballonexpandierenden intraanulären SAPIEN-Device verglichen. Wie zu erwarten, ergab sich für das supraanuläre Device ein Vorteil für den Endpunkt „Klappendysfunktion“, was sich jedoch nicht im klinischen Endpunkt „Tod, Schlaganfall oder erneute Krankenhauseinweisung wegen Herzinsuffizienz“ niederschlug. Hier gab es keine signifikanten Unterschiede, allerdings war die Studie mit einem Auswertungszeit von einem Jahr auch nicht darauf ausgelegt. Spannend wird hier die Nachbeobachtung nach 5 Jahren sein.

Wie ist die Versorgungssituation in Innsbruck und Tirol?

A. Bauer: Wir sind gut aufgestellt, haben viel zu tun und bieten eine sehr gute flächendeckende Versorgung für jeden Tiroler an. Wir versorgen auch Patienten aus Vorarlberg und Südtirol mit bestimmten Eingriffen, die dort nicht angeboten werden. Sehr gut funktioniert das Tiroler Infarkt-Netzwerk. Durch ein hervorragendes Rettungswesen können alle Hezinfarktpatienten schnell ins Zentrum gebracht werden. Ich halte eine zentrale Herzkatheterversorgung für einen qualitativ bedeutsamen Vorteil durch das Bündeln von Ressourcen und die hohe Expertise vor Ort mit sehr erfahrenen Leuten. Daher ist die Infarktversorgung in Tirol wie auch in anderen Regionen und Ländern wie etwa Dänemark, die eine zentrale Versorgung betreiben, sehr gut. Was die Behandlung der chronischen koronaren Herzerkrankung angeht, so erwarte ich deutliche Verbesserungen der nichtinvasiven Bildgebung, insbesondere des CTs. Rein diagnostische Herzkathereingriffe werden seltener. Die freiwerdenden Ressourcen können dann bei einer immer älter werdenden Bevölkerung in komplexere Interventionen investiert werden.

Eine persönliche Frage zum Schluss: Was sind Ihre Interessen abseits der Kardiologie?

A. Bauer: Ich bin vor Kurzem das dritte Mal Vater geworden. Meine Tochter hat meine volle Aufmerksamkeit. Das ist sehr schön und ich freue mich sehr. Was mich an Innsbruck fasziniert und was ich mit meiner Familie gut und gern nütze, sind die Natur und die Berge.

Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Tochter und vielen Dank für das Interview!
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