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Epikardiale und mikrovaskuläre koronare Herzkrankheit

Kardiale Funktionsdiagnostik

Was verstehen wir unter Funktionsdiagnostik, wann benötigen wir sie und was ist ihr Stellenwert? Sind im Zeitalter des Koronar-CT eine Ergometrie oder Bildgebungen wie Stress-Echo, -MR oder -Szintigrafie überhaupt noch notwendig?

Keypoints

  • Die Ergometrie dient neben der Erhebung von Risikofaktoren als essenzielle Eingangsuntersuchung, um damit die weitere Abklärung festzulegen.

  • Die Myokardperfusion kann unter Ruhebedingungen auch noch bei einer 90%igen epikardialen Koronargefäßstenose aufrechterhalten werden.

  • Die Funktionsdiagnostik untersucht, ob unter Belastung Ischämie induziert wird, und kann hämodynamisch relevante Stenose demaskieren.

  • Neben der Bestimmung der Größe und Lokalisation des Ischämieareals liegt der große Vorteil der Imaging-Methoden darin, dass Aussagen über die Myokardvitalität getroffen werden können.

  • Die koronare Flussreserve als unabhängiger prognostischer Parameter spiegelt bei blandenbzw. sanierten epikardialen Koronarien eine mikrovaskuläre KHK wider, die mit erhöhter kardialer Ereignisrate assoziiert ist.

Was verstehen wir unter kardialer Funktionsdiagnostik?

Die Funktionsdiagnostik dient der Detektion von Ischämie, die durch eine Belastung induziert wird. Während die Durchblutung des Myokards in Ruhe bei einer 90%igen epikardialen Koronargefäßstenose noch aufrechterhalten werden kann, führt diese Stenose unter Belastung zur Ischämie. Die einfachste Form, sie zu erfassen, ist eine genaue Anamnese. Die typische belastungsabhängige Angina pectoris, aber auch die Dyspnoe, die unter Belastung auftritt, können bereits auf eine koronare Herzkrankheit (KHK) hinweisend sein.

Stellenwert der Ergometrie

Etwas genauer, aber immer noch mit einer relativ geringen Sensitivität und Spezifität, erlaubt uns die Ergometrie die Leistungsfähigkeit, die Beschwerden (Angina pectoris, Dyspnoe, Schwindel), zusätzlich aber auch das Blutdruckverhalten, eventuell auftretende Rhythmusstörungen und ST-Streckenveränderungen bei Belastung zu beurteilen. Die Ergometrie ist daher eine sehr hilfreiche Methode, einen Patienten (neben der Erhebung seiner Risikofaktoren) in seiner klinischen Vortestwahrscheinlichkeit einzustufen und damit die weitere Abklärung (falls notwendig) festzulegen. Die Ergometrie ist demzufolge als essenzielle Eingangsuntersuchung zu sehen und aus dem kardiologischen Alltag nicht wegzudenken. Sie dient darüberhinaus beim chronischen koronaren Syndromals Verlaufskontrolle und hat somit einen hohen Stellenwert zur klinischen Einschätzung von KHK-Patienten. Einschränkend muss allerdings beachtet werden, dass bei niedriger Leistungsfähigkeit die Sensitivität abnimmt und die Methode stark an Aussagekraftverliert.

Bildgebung –Imaging-Methoden

Unter Funktionsdiagnostik im engeren Sinne werden die sog. Imaging-Methoden (Echo, MR, Szintigrafie) verstanden, die üblicherweise unter Ruhebedingungen und unter Belastungsbedingungen erfolgen.Sie sollten dann eingesetzt werden, wenn die Aussagekraft der Koronar-CT nicht mehr ausreichend hoch ist, also wenn von einem hohen Verkalkungsgrad aufgrund einer fortgeschrittenen Atherosklerose ausgegangen werden muss, oder wenn ein inkonklusiver koronarer CT-Befund (CAD-RADS 3) oder eine koronarangiografisch fraglich signifikante Stenose vorliegen bzw. bei bereits bekannter KHK die hämodynamische Wirksamkeit einerKoronargefäßstenose gefragt ist. Das Prinzip der Funktionsdiagnostik ist, dass unter Belastung Ischämie induziert wird, um eine hämodynamisch signifikante Stenose zu demaskieren bzw. zu identifizieren (Abb. 1). Tatsächlich kann die Durchblutung des Myokards in Ruhe auch bei einer 90%igen epikardialen Koronargefäßstenose noch aufrechterhalten werden. Unter Belastung ist dies aber nicht mehr möglich und es kommt zur Ischämie. Die Belastung kann prinzipiell wiederum ergometrisch, vorzugsweise jedoch pharmakologisch erfolgen. Hier stehen die Vasodilatatoren Dipyridamol, Adenosin und Regadenoson an erster Stelle, gefolgt von Dobutamin, einem Beta-Mimetikum. Je nach Imaging-Methode zeigt sich die Ischämie durch Auftreten einer Perfusionsstörung oder durch das Auftreten von Wandbewegungsstörungen bzw. durch den Abfall der linksventrikulären Auswurfleistung unter Belastungsbedingungen.

Abb. 1: Prinzip des Stresstests

Aussagekraft der Bildgebung

Die heute zur Verfügung stehenden Imaging-Methoden (Echo, MR, Szintigrafie) sind in ihrer Aussagekraft im Wesentlichen gleichwertig und sollten je nach Verfügbarkeit und Expertise gewählt werden. Der große Vorteil all dieser Methoden ist, dass neben der Größe und Lokalisation des Ischämieareals auch über die Myokardvitalität eine Aussage getroffen werden kann. Beide Informationen sind wichtige prognostische Parameter hinsichtlich kardiovaskulärer Ereignisrate (MACE) und kardiovaskulären Todes.

Mikrovaskuläre KHK

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Abb. 2: Nichtinvasive Blutflussmessung (N-13-NH3-PET): koronare Flussreserve (CFR) = Stressfluss/Restfluss. Normbereich CFR >2,0

Abb. 3: Schematische Darstellung des Koronarbaums bei epikardialer KHK

Abb. 4: Schematische Darstellung des Koronarbaums bei mikrovaskulärer KHK

Besonders hervorgehoben werden sollte die Positronen-Emissions-Tomografie (PET; Abb. 2). Diese szintigrafische Methode hat den Vorteil, aufgrund ihrer hohen Auflösung Myokardperfusion zu messen und zu quantifizieren (Blutfluss in ml/min/g), wobei hier die gesamte myokardiale Perfusion von epikardial bis mikrovaskulär erfasst wird. Damit kann auch die koronare Flussreserve (CFR) als Verhältnis von Blutfluss unter Stress zu Blutfluss unter Ruhebedingungen berechnet werden. Eine CFR unter 2 wird als pathologisch eingestuft. Mehrere Studien konnten zeigen, dass die visuelle Analyse und die quantitative Analyse derselben PET-Untersuchung als zwei unabhängige Prädiktoren hinsichtlich kardialer Ereignisse und kardialen Todes zu sehen sind. So konnte gezeigt werden, dass eine reduzierte CFR auch nach koronarer Intervention mit einer erhöhten kardialen Ereignisrate assoziiert ist. Eine reduzierte CFR bei gleichzeitignicht stenosierenden epikardialen Koronarien istbesonders häufig beiFrauen, aber auch bei bereits sanierten Koronarien bei Frauen und Männern als Korrelat für Angina pectoris gefunden worden (Abb. 3 u.4). Die mikrovaskuläre koronare Herzkrankheit ist aus heutiger Sicht nur durch maximal optimierte medikamentöse Therapie (OMT) zu behandeln. Der genaue Stellenwert der mikrovaskulären KHK ist heute noch ungewiss, er dürfte aber zumindest eine Erklärung sein für die negativen Ergebnisse der letzten großen Interventionsstudien (COURAGE, ISCHEMIA, REVIVED), in denen die perkutane koronare Intervention (PCI) + OMT der medikamentösen Therapie alleine (OMT) gegenübergestellt wurden.

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