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Gerinnungsmanagement bei KHK mit und ohne Vorhofflimmern
Jatros
30
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13.12.2018
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<p class="article-intro">Beim Gerinnungsmanagement hat sich in den letzten Jahren viel getan. Dennoch sind noch nicht alle praxisrelevanten Aspekte geklärt. So gibt es durchaus Unterschiede in diversen Leitlinien, die Auswirkungen auf die Vorgangsweise haben. Im Gespräch mit Prim. Univ.-Prof. Dr. Kurt Huber, Vorstand der kardiologischen Abteilung im Wilhelminenspital, werden die aktuell gesicherten Ergebnisse deutlich gemacht, aber auch jene Punkte aufgezeigt, bei denen Behandler gefordert sind bzw. es noch hakt. Last, but not least sind auch spannende Studien in den Startlöchern, die einige Fragen beantworten können.</p>
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<p class="article-content"><p><strong>Sehr geehrter Herr Prof. Huber, wie ist der aktuelle Stand zum Gerinnungsmanagement bei KHK bei Patienten ohne Vorhofflimmern? <br />K. Huber:</strong> Der aktuelle Stand des Gerinnungsmanagements ist in den rezenten Leitlinien der Europäischen Herzgesellschaft abgebildet, die sich bei Patienten ohne Vorhofflimmern im Wesentlichen nicht verändert haben. Diese Leitlinien wurden zuletzt 2018 im Rahmen des ESC- Kongresses in München in einem Update der Revaskularisationsleitlinien bestätigt.</p> <p><strong>Und wie steht es um Patienten mit Vorhofflimmern? <br />K. Huber:</strong> Patienten mit Vorhofflimmern, die gleichzeitig einen Stent benötigen, egal ob dieser Stent geplant ist und bei stabilen Patienten eingebaut wird oder ob er im Zuge eines akuten Koronarsyndroms gelegt wird, sind Patienten, die bei Vorhofflimmern sowohl eine Antikoagulation benötigen, wenn ihr CHA<sub>2</sub>DS<sub>2</sub>-VASc-Score 2 oder höher ist, als auch eine duale Antiplättchentherapie, wenn sie einen Stent erhalten. Bei diesen Patienten wurde bisher im Krankenhaus eine Tripeltherapie bestehend aus Aspirin, Clopidogrel plus einen parenteralen Antikoagulans durchgeführt. Es gibt zwei Studien, die zeigen, dass man bei diesen Patienten, wenn sie ein hohes Blutungsrisiko aufweisen, ab der Entlassung aus dem Krankenhaus auf eine duale Therapie setzen kann, die aus Clopidogrel und einem NOAK besteht. Getestet in dieser Indikation sind Rivaroxaban 15mg, wobei unter bestimmten Voraussetzungen eine Dosisreduktion auf 10mg möglich ist, und Dabigatran in den beiden Dosierungen 2x 110mg oder 2x 150mg täglich. Der Unterschied zwischen den beiden Dosierungen von Dabigatran ist, dass die höhere Dosis mit einer geringeren Neigung zu ischämischen Ereignissen, allerdings mit einer etwas erhöhten Blutungsneigung verbunden ist, die jedoch noch immer signifikant niedriger als die Blutungsneigung bei einer Dreifachtherapie ist. Es bleibt also dem behandelnden Kardiologen überlassen, für den individuellen Patienten festzulegen, ob eine duale Therapie durchgeführt wird – und da obliegt ihm auch die Entscheidung, mit welchem NOAK – oder ob für eine gewisse Zeit eine Tripeltherapie durchgeführt wird.</p> <p><strong>Welchen Stellenwert hat die Tripeltherapie heute noch aus Ihrer Sicht? <br />K. Huber:</strong> Die Tripeltherapie wird in erster Linie bei Patienten eingesetzt, die ein sehr hohes Ischämierisiko haben. Als Beispiel kann man Patienten nennen, die mehrere Stents bekommen, bei denen die Stents in proximalen Bifurkationen liegen oder im linken Hauptstamm eingesetzt werden, die rezidivierende Infarkte in der Vorgeschichte haben. Hier besteht die Überlegung, dass man bei einem akzeptablen Blutungsrisiko 1 bis 3 Monate (in Einzelfällen bis 6 Monate) eine Tripeltherapie durchführt.</p> <p>Betrachten wir Patienten mit hohem Blutungsrisiko, fällt die Entscheidung eigentlich nur zwischen einer Dreifachtherapie für einen Monat oder einer dualen Therapie ab Entlassung. Interessant ist, dass sich in diesem Punkt die europäischen Leitlinien, die in einem Positionspapier festgeschrieben wurden, und die nordamerikanischen Leitlinien, die ebenfalls in einem Positionspapier rezent festgeschrieben wurden, unterscheiden. Die Amerikaner sagen: Jeder Patient mit erhöhtem Blutungsrisiko erhält ab Entlassung eine duale Therapie und nach denjenigen, die eine längere Tripeltherapie benötigen, muss aktiv gesucht werden. Die europäischen Richtlinien sehen die Tripeltherapie als primäre Therapie und legen fest, dass – wo immer dies möglich ist – eine Tripeltherapie gegeben werden sollte, beispielsweise aus Angst vor Stentthrombosen, aber in Fällen, in denen eine sehr hohe Blutungsneigung vorliegt, ab Entlassung eine duale Therapie gegeben werden sollte. Diese Unterschiede werden mit Sicherheit noch diskutiert werden.</p> <p><strong>Nach dem Fortschritt im letzten Jahrzehnt stehen wir vor einem therapeutischen Status quo – wie könnte es in der Forschung weitergehen? <br />K. Huber:</strong> Im Hinblick auf die derzeit laufenden Forschungsprojekte wird sich an der grundsätzlichen Therapie nicht unmittelbar etwas ändern. Es gibt jedoch durchaus Interessantes im Detail, weitere Fortschritte dürften aber noch auf sich warten lassen, da die Forschung oft noch am Anfang steht.</p> <p>So haben wir zum Beispiel den intravenösen ADP-Rezeptor-Blocker Cangrelor, der laut den aktuellen Leitlinien dann eingesetzt werden soll, wenn Patienten mit einem akuten Koronarsyndrom nicht mit einem oralen ADP-Rezeptorblocker vorbehandelt sind. Dies wird auch umgesetzt, auch wenn es noch nicht allzu viele Patienten betrifft. Hier könnte der nächste Schritt sein, dass man bei Patienten, die erst sehr kurz vor der Katheterintervention die Vorbehandlung erhalten haben, also etwa innerhalb einer Stunde davor, ebenfalls Cangrelor i.v. einsetzt. Man weiß heute, dass nach einer oder auch nach zwei Stunden bei ca. 50 % der Patienten, die mit oralen ADP-Rezeptor-Blockern vorbehandelt sind, noch keine optimale Plättchenhemmung am Kathetertisch besteht. Dazu werden Studien durchgeführt, aber endgültige Ergebnisse gibt es noch nicht.</p> <p>Es gibt auch Bestrebungen, subkutane ADP-Rezeptor-Blocker und subkutane Glykoprotein- IIb/IIIa-Inhibitoren zu entwickeln. Diese Substanzen würden sehr rasch wirken, ähnlich wie ein intravenöser ADP-Rezeptor-Blocker oder ein intravenöser Glykoprotein-IIb/IIIa-Inhibitor. Diese Substanzen befinden sich derzeit aber erst in Phase-I- und -II-Studien und sind noch weit weg vom klinischen Einsatz. Ebenso gibt es Überlegungen, auf der Antikoagulationsseite andere Bereiche innerhalb der Koagulationskaskade zu hemmen. <br />Derzeit haben wir die Möglichkeit der Hemmung am Faktor X oder auch am Thrombin, am Faktor IIA, aber es kann sein, dass sich in Zukunft auch andere Bereiche des Gerinnungssystems hemmen lassen. Es gibt auch eine Verbindung zwischen der Gerinnungsaktivierung und der Plättchenaktivierung über die sogenannten PAR-1- und PAR-4-Rezeptoren. Eine Substanz mit sehr langer Halbwertszeit, Vorapaxar, wurde ja bereits getestet. Sie wird aber nicht in allen Ländern auf den Markt kommen, weil sie nur für eine ganz eng umschriebene Gruppe von Hochrisikopatienten, die ein niedriges Blutungsrisiko haben, infrage kommt und weil aufgrund der langen Halbwertszeit der Substanz im Fall des Falles auch die Problematik besteht, was bei Blutungskomplikationen zu tun ist.</p> <p><strong>Wo sind in der nächsten Zeit spannende Entwicklungen und Studienergebnisse in Aussicht?<br /></strong><strong>K. Huber:</strong> Es wird Subgruppenanalysen zur GLOBAL-LEADER-Studie geben, bei denen sich vielleicht doch herauskristallisiert, bei welchen Patienten sich eine frühzeitige Reduktion einer dualen Therapie, sprich von Ticagrelor + Aspirin auf Ticagrelor alleine, besonders günstig ausgewirkt hat. Die Gesamtstudie war hier ja eher neutral.</p> <p>Außerdem warten wir noch auf die Resultate der TWILIGHT-Studie, die etwas Ähnliches untersucht hat. Bei dieser Studie wurde aber nicht nach einem Monat die duale Therapie auf eine Monotherapie reduziert, sondern erst nach drei Monaten. Beim Studiendesign ging man davon aus, dass man länger eine optimierte Antiplättchentherapie braucht, bevor man auf die Monotherapie zurückgeht. Beide sind sehr interessante Studien, welche die klinische Routine in Zukunft beeinflussen könnten.</p> <p><strong>Vielen Dank für das Gespräch!</strong></p></p>
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