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Facts zu thorakalen Aortenerkrankungen
Jatros
Autor:
Dr. Julia Dumfarth, PhD
Universitätsklinik für Herzchirurgie<br> Medizinische Universität Innsbruck<br> E-Mail: julia.dumfarth@i-med.ac.at
30
Min. Lesezeit
31.05.2017
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<p class="article-intro">Die Prävalenz von Erkrankungen der thorakalen Aorta liegt bei 5–10 pro 100 000 Personen/Jahr. Aufgrund des symptomlosen bis symptomarmen Verlaufes und des Fehlens eines Screeningprogramms werden diese Erkrankungen oft erst diagnostiziert, wenn eine lebensbedrohliche Komplikation auftritt. Daher werden thorakale Aortenerkrankungen oft als „silent killer“ bezeichnet. Bildgebende Verfahren wie eine transthorakale Echokardiografie, eine Computer- oder Magnetresonanztomografie stellen die einzigen diagnostischen Werkzeuge dar.</p>
<hr />
<p class="article-content"><h2>Anatomie und Dimensionen der thorakalen Aorta</h2> <p>Die thorakale Aorta wird in der Regel in vier Abschnitte eingeteilt, die anatomisch klar begrenzt werden (Abb. 1):<br /> <em>Aortenwurzel:</em> Bereich zwischen Aortenanulus und sinutubulärem Übergang<br /> <em>Aorta ascendens:</em> Bereich zwischen sinutubulärem Übergang bis vor dem Ostium des Truncus brachiocephalicus<br /> <em>Aortenbogen:</em> Bereich zwischen Truncus brachiocephalicus und Arteria subclavia sinistra<br /> <em>Aorta descendens:</em> Bereich distal der Arteria subclavia sinistra und Diaphragma</p> <p>Der Durchmesser der Aortensegmente hängt von Alter, Geschlecht und Körperoberfläche ab. Für jeden Abschnitt wurden Normalbereiche definiert:<br /> <em>Aorta ascendens:</em> 30–35mm<br /> <em>Aortenbogen:</em> 25–32mm<br /> <em>Aorta descendens:</em> 20–25mm<br /> Sind diese Werte mindestens um das 1,5-Fache erhöht, spricht man von einem Aortenaneurysma.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Kardio_1702_Weblinks_ka1702-seite42_abb1.jpg" alt="" width="685" height="800" /></p> <h2>Erkrankungen der thorakalen Aorta</h2> <p>Die pathologische Erweiterung der thorakalen Aorta – das thorakale Aortenaneurysma – stellt die häufigste Pathologie dar. Basierend auf epidemiologischen Studien konnte gezeigt werden, dass es bei einem maximalen Durchmesser von 60mm im Bereich der Aorta ascendens bzw. 70mm im Bereich der Aorta descendens zu einem exorbitanten Anstieg des Risikos für Komplikationen kommt (Abb. 2).<sup>1</sup> Die Aortendissektion (Disruption der Media) oder das intramurale Hämatom stellen lebensbedrohliche Komplikationen dar, die zu einer Ruptur der Aorta und somit zum Tode führen können. Risikofaktoren für thorakale Aortenerkrankungen ergeben sich vor allem aus Faktoren, die zur Erhöhung der Wandspannung führen. So stellen Hypertonus und Nikotinabusus wichtige Risikofaktoren dar. Auch inflammatorische Bedingungen (Takayasu-Arteriitis, Riesenzellarteriitis, . . .) können die Entwicklung von thorakalen Aortopathien begünstigen.</p> <p>Einen immer höheren Stellenwert nehmen genetische Ursachen ein. So kommen thorakale Aortenerkrankungen vor allem bei Patienten mit angeborenen Bindegewebserkrankungen (z.B. Marfan-Syndrom, Ehlers-Danlos-Syndrom, . . .) vor. Die häufigste Klappenanomalie, die bikuspide Aortenklappe, wird ebenfalls mit Aneurysmen im Bereich der Aortenwurzel oder der Aorta ascendens in Assoziation gebracht. Basierend auf epidemiologischen Studien an Familien mit gehäuftem Auftritt von Aortenerkrankungen konnte gezeigt werden, dass jeder fünfte Patient mit einer thorakalen Aortopathie einen Familienangehörigen mit gleichem Erkrankungsmuster hat.<sup>2</sup> In der letzten Dekade gelang es, eine Vielzahl von Mutationen zu identifizieren, die als die Gruppe der familiären thorakalen Aortopathien zusammengefasst wird.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Kardio_1702_Weblinks_ka1702-seite42_abb2.jpg" alt="" width="1417" height="820" /></p> <h2>Marker und assoziierte Erkrankungen für thorakale Aortopathien</h2> <p>Erkenntnisse aus humangenetischen Studien zu thorakalen Aortenerkrankungen und die Tatsache, dass Aortopathien familiär gehäuft auftreten, verdeutlichen die Bedeutung einer genauen Erhebung der Familienanamnese. Neben positiven Stammbäumen konnten in den letzten Jahren aber auch Erkrankungen oder Merkmale identifiziert werden, die im Umgang mit Patienten mit thorakalen Aortopathien als „red flags“ ins Auge stechen sollten.</p> <ul> <li>Aneurysmen im Bereich der abdominellen Aorta wie auch intrakranielle Aneurysmen</li> <li>Bikuspide Aortenklappe</li> <li>Anomalien im Bereich des Aortenbogens – vor allem boviner Aortenbogen</li> <li>Arteriitis temporalis</li> <li>Nierenzysten</li> <li>Positives Daumenzeichen</li> </ul> <h2>Operative Sanierung von thorakalen Aortopathien</h2> <p>Die Indikation zur operativen Sanierung ergibt sich aus der Art der thorakalen Aortenerkrankung, bei Aneurysmen aus dem maximalen Durchmesser des Aortensegmentes und den klinischen Umständen oder Beschwerden des Patienten. Das akute Aortensyndrom – Dissektion, intramurales Hämatom oder gedeckte Ruptur – stellt eine Klasse-I-Indikation zur dringlichen chirurgischen Sanierung dar.<sup>3</sup> Bei den asymptomatischen Ascendensaneurysmen ergibt sich eine Klasse-I-Indikation zur chirurgischen Sanierung bei Vorliegen folgender Kriterien:<sup>4</sup></p> <ul> <li>Maximaler Querdurchmesser von ≥55mm</li> <li>Wachstumsrate der Aorta ascendens >5mm/Jahr</li> <li>Patienten mit Indikation zur chirurgischen Sanierung der Aortenklappe ab einem maximalen Querdurchmesser der Aorta ascendens oder der Aortenwurzel von 45mm</li> <li>Bei Patienten mit Marfan-Syndrom oder anderen genetisch getriggerten Grunderkrankungen sollte bei einem Durchmesser von 40–50mm die Indikation zur chirurgischen Sanierung evaluiert werden.</li> </ul> <p>Da der maximale Querdurchmesser und die Körperoberfläche von Patienten in Bezug auf das jährliche Rupturrisiko in Beziehung zueinander stehen, sollte bei jeder einzelnen Einschätzung eines Patienten mit einem thorakalen Aortenaneurysma der „aortic size index“ eingesetzt werden.<sup>5</sup></p> <h2>Aufgaben einer Spezialambulanz für thorakale Aortenerkrankungen</h2> <p>Die Etablierung einer Spezialambulanz für thorakale Aortenerkrankungen hat sich an vielen universitären Standorten durchgesetzt. Aufgrund der Komplexität der Erkrankung und der teilweise sehr schwierigen Indikationsstellung zur konservativen oder operativen Therapie stellt eine Spezialambulanz in der Regel eine professionelle Plattform für Zuweiser dar. Neben der Empfehlung der optimalen Therapie zählt zu den Aufgaben einer Spezialambulanz auch die jahrelange Begleitung von Patienten mit einer konservativen Therapie. So wachsen die Erkenntnisse über den natürlichen Verlauf der Erkrankung mit jedem Patientenkontakt und revolutionieren möglicherweise eines Tages die derzeit geltenden Guidelines.</p> <p>Mithilfe unterschiedlicher Kooperationen ist es im Rahmen eines Kontaktes in der Spezialambulanz möglich, weiterführende diagnostische Schritte zu setzen. So wird etwa an der Medizinischen Universität Innsbruck in Kooperation mit der Sektion der Humangenetik eine Gen-Panel- Analyse angeboten, die eine Vielzahl an Mutationen untersucht (Tab. 1). Da es sich bei dieser Untersuchung um ein sehr teures Verfahren handelt, wird die Indikation zur genetischen Abklärung derzeit noch auf folgende Indikationen beschränkt:</p> <ul> <li>Erkrankung im jungen Alter ohne erkennbares Risikoprofil</li> <li>Gehäuftes Auftreten innerhalb einer Familie</li> <li>Erkrankung mehrerer Segmente des arteriellen Gefäßsystems</li> <li>Verdacht auf syndromale Erkrankung aufgrund des Phänotyps</li> <li>Frauen mit peripartalen/postpartalen Aortenerkrankungen oder Komplikationen</li> </ul> <p>Neben dem Angebot der optimalen Therapieplanung und weitergehenden Diagnostik stellt die lebenslange Betreuung von Patienten mit komplexen Aortopathien, genetischen Grunderkrankungen und Dissektionen ein Kernaufgabengebiet der Spezialambulanz dar. Ziel muss es sein, Patienten bestmöglich zu betreuen, einen optimalen Therapieplan zu entwickeln und die Patienten postoperativ längerfristig zu kontrollieren, um eine weitere Progression der Erkrankung zu verhindern sowie ein Therapieversagen und Langzeitkomplikationen früh zu erkennen. Durch die enge Kooperation mit unseren Zuweisern wird es möglich, Patienten und deren Familien eine optimale medizinische Betreuung anzubieten und eine bedrohliche Grunderkrankung in eine behandelbare Erkrankung umzuwandeln.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Kardio_1702_Weblinks_ka1702-seite43_tab1.jpg" alt="" width="1419" height="1118" /></p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Elefteriades JA, Farkas EA: Thoracic aortic aneurysm clinically pertinent controversies and uncertainties. J Am Coll Cardiol 2010; 55(9): 841-57 <strong>2</strong> Albornoz G et al: Familial thoracic aortic aneurysms and dissections – incidence, modes of inheritance, and phenotypic patterns. Ann Thorac Surg 2006; 82(4): 1400-5 <strong>3</strong> Erbel R et al: 2014 ESC Guidelines on the diagnosis and treatment of aortic diseases: document covering acute and chronic aortic diseases of the thoracic and abdominal aorta of the adult. The Task Force for the Diagnosis and Treatment of Aortic Diseases of the European Society of Cardiology (ESC). Eur Heart J 2014; 35(41): 2873-2926 <strong>4</strong> Hiratzka LF et al: 2010 ACCF/ AHA/AATS/ACR/ASA/SCA/SCAI/SIR/STS/SVM Guidelines for the diagnosis and management of patients with thoracic aortic disease. A Report of the American College of Cardiology Foundation/American Heart Association Task Force on Practice Guidelines, American Association for Thoracic Surgery, American College of Radiology, American Stroke Association, Society of Cardiovascular Anesthesiologists, Society for Cardiovascular Angiography and Interventions, Society of Interventional Radiology, Society of Thoracic Surgeons, and Society for Vascular Medicine. J Am Coll Cardiol 2010; 55(14): e27-e129 <strong>5</strong> qDavies RR et al: Novel measurement of relative aortic size predicts rupture of thoracic aortic aneurysms. Ann Thorac Surg 2006; 81(1): 169-77</p>
</div>
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