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Arterielle Hypertonie – ein interdisziplinäres Thema
Leading Opinions
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10.05.2018
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<p class="article-intro">Ob durch die Brille des Neurologen, in den Augen des Endokrinologen oder aus Sicht des Schlafmediziners: Der Blutdruck geht alle etwas an. Und so füllten die interdisziplinären Vorträge den Hörsaal am 13. Zürcher Hypertonietag bis auf den letzten Platz.</p>
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<p class="article-content"><p>Die arterielle Hypertonie ist ein bekannter Risikofaktor für die Atherosklerose und das Auftreten kardio- und zerebrovaskulärer Erkrankungen. Daneben ist vor allem die schlecht eingestellte Hypertonie eine der Hauptursachen zerebraler Mikroangiopathien, deren direkte Folge zerebrale Ischämien und Blutungen sein können, wobei das Auftreten von Ischämien im Vordergrund steht. «Das klinische Korrelat zerebraler Ischämien sind fokalneurologische Defizite», sagte PD Dr. med. Nils Peters vom Universitätsspital Basel. Typischerweise findet man im MRI der Betroffenen sog. «white matter lesions ». «Diese sind vor allem deshalb von Bedeutung, weil sie mit dem Alter zunehmen », so der Neurologe. In einer älteren Studie mit 3000 Personen mit einem Durchschnittsalter von 75 Jahren, die weder einen Schlaganfall noch eine TIA in der Vorgeschichte hatten, fanden sich bei 96 % der Studienteilnehmer im MRI Hinweise auf «white matter lesions».<sup>1</sup> Eine aktuelle Studie konnte nun zeigen, dass das Fortschreiten der mikroangiopathischen Ischämien zu einer Abnahme der weissen Substanz und einer Gehirnatrophie führte und mit einer Zunahme von Gangstörungen bei älteren Menschen assoziiert war.<sup>2</sup> «Das Auftreten mikroangiopathischer Ischämien ist zudem die häufigste Ursache für eine subkortikale Demenz, eine Unterform der vaskulären Demenz», sagte Peters. Diese führt vor allem zu Störungen der Exekutivfunktionen und weniger der mnestischen Funktionen und lässt sich daher gut von der Alzheimer- Demenz unterscheiden. Die Behandlung der Hypertonie als des wichtigsten modifizierbaren Risikofaktors für zerebrovaskuläre Erkrankungen spielt aus Sicht des Neurologen sowohl in der Primär- als auch in der Sekundärprävention eine wichtige Rolle, um das Risiko für körperliche Behinderungen und kognitive Einschränkungen zu minimieren. «Die kognitiven Folgen werden oftmals vergessen, weil initial die körperlichen Behinderungen im Vordergrund stehen», so der Referent. Er erinnerte daran, dass einer von zehn Patienten nach einem Schlaganfall und jeder Dritte nach einem Schlaganfallrezidiv ein demenzielles Syndrom entwickelt.</p> <h2>Hypertonie und Schlafstörungen</h2> <p>Spätestens seit der Einführung der 24h-Blutdruckmessung weiss man, dass der Blutdruck nicht konstant ist, sondern zirkadianen Schwankungen unterliegt: mit höheren Werten am Tag und niedrigeren in der Nacht. Das nächtliche Absinken des Blutdrucks hat dazu geführt, dass der Begriff «Dipping» definiert wurde. Ein physiologisches Dipping liegt vor, wenn die nächtlichen Blutdruckwerte 10–20 % unter dem tagsüber gemessenen Blutdruck liegen. «Diese zirkadianen Schwankungen finden sich auch bei unbehandelten Hypertonikern, allerdings auf einem höheren Niveau», sagte PD Dr. med. Philipp Valko von der neurologischen Klinik am USZ. Wenn in der 24h-Blutdruckmessung das Dipping fehlt, ist dies hingegen auffällig. In diesen Fällen sollte immer an die Möglichkeit einer Schlafstörung gedacht werden. Der wichtigste Auslöser eines «Non-Dipping» ist das obstruktive Schlaf- Apnoe-Syndrom (OSAS). «Die Betroffenen können aufgrund der Apnoen im Minutentakt aufwachen, ohne dass sie etwas davon bemerken», so der Neurologe.<br /> Wie eine ältere Untersuchung zeigte, kommt es während der Apnoephasen zunächst zu einer Abnahme und anschliessend zu einem starken Anstieg der Sympathikusaktivität und infolgedessen zu Blutdruckschwankungen.<sup>3</sup> «Diese repetitiven Sympathikusaktivierungen sind, so nimmt man an, verantwortlich für das erhöhte kardiovaskuläre Risiko von Patienten mit einem OSAS», erklärte der Referent.<br /> Eine effektive Therapie, um den Apnoe- Hypopnoe-Index und den arteriellen Blutdruck bei OSAS-Patienten zu reduzieren, ist die therapeutische CPAP-Behandlung.<sup>4</sup></p> <p>Wie man heute weiss, ist die Behandlung des nächtlich erhöhten Blutdrucks ganz besonders wichtig.<sup>5</sup> «Die nächtliche Hypertonie ist im Vergleich zur Hypertonie während des Tages der stärkere Prädiktor für kardiovaskuläre Ereignisse», sagte Valko. Zur häufig gestellten Frage, ob man die Antihypertensiva am Abend verabreichen sollte, meinte Prof. Dr. med. Paolo Suter von der Klinik für Innere Medizin am USZ: «Mit Ausnahme der Betablocker, die einen negativen Einfluss auf die Melatoninsynthese haben, können alle Antihypertensiva am Abend gegeben werden. Wichtig ist, dass der Blutdruck in der Nacht nicht zu stark absinkt. Um das zu kontrollieren, benötigt man ein 24-Stunden- Profil.»</p> <h2>Diabetes und Hypertonie: Sweet News</h2> <p>Es waren die Zunahme von Todesfällen unter der intensiven Blutzuckerkontrolle in der ACCORD-Studie (2011) und das erhöhte kardiovaskuläre (CV) Risiko unter bestimmten Antidiabetika, beispielsweise Rosiglitazon (2007), die die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA veranlassten, Studien über das CV Outcome zum Beweis der Sicherheit neuer Antidiabetika zu verlangen.<sup>6</sup> «Bis 2015 waren unsere Ansprüche an die Antidiabetika niedrig», sagte Dr. med. Gurpreet Anand, Oberärztin an der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Klinische Ernährung am USZ. Von einem neuen Antidiabetikum wurde erwartet, dass es den Blutzucker effektiv senkt und bezüglich der CV Wirkung neutral ist. Umso überraschter sei man von den Ergebnissen der EMPA- REG-OUTCOME-Studie gewesen.<sup>7</sup> Diese hatte gezeigt, dass das relative Risiko für schwere CV Ereignisse – vor allem Todesfälle – bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und einem hohen CV Risiko durch die Einnahme des SGLT2-Inhibitors (SGLT2-I) Empagliflozin im Vergleich zu Placebo signifikant reduziert werden konnte (HR: 0,86; p=0,04). Die Behandlung mit Empagliflozin hatte zudem einen positiven Einfluss auf die Niereninsuffizienz und reduzierte die Häufigkeit Herzinsuffizienz- bedingter Hospitalisationen.<sup>1, 8</sup> «Die positiven kardiovaskulären und renalen Effekte von Canagliflozin in der CANVAS-Studie<sup>9</sup> weisen darauf hin, dass es sich wahrscheinlich um einen Klasseneffekt der SGLT2-Inhibitoren handelt», sagte Anand.<br /> Die vorteilhafte Wirkung der SGLT2- Hemmer auf Herz und Niere ist neben einer moderaten HbA<sub>1c</sub>-Senkung auf eine Blutdruckabnahme und Gewichtsreduktion zurückzuführen. Die Gewichtsabnahme ist das Resultat einer unabhängig vom Blutzuckerspiegel induzierten Glukosurie und einer vermehrten Natrium- und Wasserausscheidung. Zu den potenziellen Mechanismen, die zu einer Blutdruckabnahme führen, gehören eine erhöhte renale Salzsensitivität, neurohormonelle und direkte vaskuläre Effekte der SGLT2-Hemmer sowie die Abnahme der renalen Fettakkumulation und -inflammation. Die pleiotropen Effekte, die mit einer Abnahme der CV Ereignisse assoziiert sind, wurden in einem Beitrag mit dem Titel «Unsweetening the heart» zusammengefasst, der Ende 2017 im «American Journal of Hypertension» erschienen ist (Abb. 1).<sup>10</sup> Bezüglich des Auftretens zerebrovaskulärer Ereignisse unter der Behandlung mit SGLT2-I sind die bislang verfügbaren Daten widersprüchlich. Auch das Risiko für nicht tödliche Myokardinfarkte konnte in den Studien nicht reduziert werden. Diese Ergebnisse haben zu der Vermutung geführt, dass die atherosklerotischen Prozesse unbeeinflusst und dass andere, zum Teil unbekannte Mechanismen für die vorteilhafte Wirkung der SGLT2-I verantwortlich sind. Unabhängig von den neuen Antidiabetika gilt in der Diabetesbehandlung auch weiterhin, dass sich das Auftreten von makrovaskulären Komplikationen nur durch eine langfristige glykämische Kontrolle beeinflussen lässt. Während für die Behandlung von Hochrisikopatienten eine Behandlung mit SGLT2-I in Erwägung gezogen werden sollte, ist die Situation bei jüngeren Patienten mit einem neu diagnostizierten Typ-2-Diabetes unklar. In die Outcome-Studien EMPA-REG OUTCOME und CANVAS wurden Hochrisikopatienten eingeschlossen. «Bei jungen Patienten wäre ich etwas zurückhaltend», so die Spezialistin.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Innere_1802_Weblinks_lo_innere_medizin_1802_s44_abb1.jpg" alt="" width="1419" height="1220" /></p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: 13. Zürcher Hypertonietag, 18. Januar 2018, Zürich
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Longstreth WT Jr et al.: Clinical correlates of white matter findings on cranial magnetic resonance imaging of 3301 elderly people. The cardiovascular health study. Stroke 1996; 27: 1274-82 <strong>2</strong> van der Holst HM et al.: White matter changes and gait decline in cerebral small vessel disease. Neuroimage Clin 2017; 17: 731-38 <strong>3</strong> Somers VK et al.: Sympathetic neural mechanisms in obstructive sleep apnea. J Clin Invest 1995; 96: 1897-904 <strong>4</strong> Becker HF et al.: Effect of nasal continuous positive airway pressure treatment on blood pressure in patients with obstructive sleep apnea. Circulation 2003; 107: 68-73 <strong>5</strong> Fagard RH et al.: Daytime and nighttime blood pressure as predictors of death and cause-specific cardiovascular events in hypertension. Hypertension 2008; 51: 55-61 <strong>6</strong> ACCORD Study Group: Long-term effects of intensive glucose lowering on cardiovascular outcomes. N Engl J Med 2011; 364: 818-28 <strong>7</strong> Zinman B et al.: Empagliflozin, cardiovascular outcomes, and mortality in type 2 diabetes. N Engl J Med 2015; 373: 2117-28 <strong>8</strong> Fitchett D et al.: Heart failure outcomes with empagliflozin in patients with type 2 diabetes at high cardiovascular risk: results of the EMPA-REG OUTCOME<sup>®</sup> trial. Eur Heart J 2016; 37: 1526-34 <strong>9</strong> Neal B et al.: Canagliflozin and cardiovascular and renal events in type 2 diabetes. N Engl J Med 2017; 377: 644-57 <strong>10</strong> Pioli MR et al.: Unsweetening the heart: possible pleiotropic effects of SGLT2 inhibitors on cardio and cerebrovascular alterations in resistant hypertensive subjects. Am J Hypertens 2018; 31: 274-80</p>
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