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„Amino acid profiling“ zeigt Herz-Kreislauf-Erkrankungsrisiko
Jatros
Autor:
Univ.-Prof. Dr. Harald Mangge
Supplierender Leiter des Klinischen Instituts für Medizinische und Chemische Labordiagnostik (KIMCL), Medizinische Universität Graz<br> E-Mail: harald.mangge@klinikum-graz.at <br> <a href="http://www.nanoathero.eu">www.nanoathero.eu</a><br> <a href="http://www.biotechmedgraz.at/en/">www.biotechmedgraz.at/en/</a>
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07.07.2016
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<p class="article-intro">Aminosäuren sind zentrale Bausteine des Lebens und bilden die Proteine. Sie werden entweder über die Nahrung aufgenommen oder über den Stoffwechsel synthetisiert. Sie lassen Haare und Knochen entstehen, sind maßgeblich an der Ausbildung von Körpergewebe beteiligt oder auch an der Zusammensetzung von Enzymen und Hormonen. Aktuell sind 22 Aminosäuren bekannt, die in unterschiedlichen Sequenzen zu unzähligen Proteinen verknüpft werden können. Unsere Gruppe konnte nun im Rahmen einer prospektiven Studie die Bedeutung von Aminosäuren in der Beurteilung eines frühen kardiovaskulären Risikos zeigen.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>„Branched chain amino acids“ (BCAA) werden direkt in den Muskelzellen verstoffwechselt und fördern dort die Synthese und Einlagerung von Proteinen.</li> <li>Erhöhte BCAA-Spiegel des Blutes im Jugendalter sind mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen assoziiert.</li> <li>Individualisiertes „BCAA-Profiling“ kann zur labordiagnostischen Risikoabschätzung späterer Erkrankungen des menschlichen Organismus dienen.</li> <li>Vorsicht ist geboten bei hoch dosierten langfristigen Leucin-Gaben in Form von Nahrungsergänzungsmitteln.</li> </ul> </div> <h2>Aminosäuren</h2> <p>Aminosäuren haben zahlreiche Stoffwechselfunktionen und sind Ausgangssubstanz für wichtige Biomoleküle wie Carnitin, Kreatin, Glutathion, Purine, Pyrimidine, Phospolipide und Gallensäuren. Sie sind Vorstufen von Neurotransmittern und Hormonen und haben stoffwechselregulierende Eigenschaften. Bestimmte Aminosäuren wie Alanin, Glutamin und Leucin werden zur Energiegewinnung herangezogen. Insbesondere Leucin aktiviert Signalproteine, welche die Zellteilung regulieren und zum Aufbau von neuem Muskelgewebe führen. Viele Neurotransmitter sind Aminosäuren. Tryptophan ist die Ausgangssubstanz für die Bildung von Serotonin und Melatonin. Mithilfe von Serin entsteht Acetylcholin, ein Botenstoff für die Gedächtnisbildung und Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit. Arginin ist die Ausgangssubstanz für die Synthese von Stickoxid (NO). <br />Aminosäuren werden vor allem auch als essenzielle Bausteine zur Gewährleistung einer ausreichenden Immunkompetenz des menschlichen Körpers benötigt. Die NO-Bildung von Arginin stellt einen unverzichtbaren Bestandteil in der Erregerbekämpfung dar. Glutamin ist ein lebensnotwendiges Nährsubstrat für die sich schnell teilenden Zellen des Immunsystems. Lang anhaltender Stress führt häufig zu einer Glutaminverarmung des Organismus und in weiterer Folge zu einer geringeren Belastbarkeit des Immunsystems. Glycin hat antientzündliche und hepatoprotektive Eigenschaften und ist ebenso wie Cystein ein wesentlicher Bestandteil des Glutathionmoleküls, welches die Zellen vor oxidativem Stress schützt und an zahlreichen Stoffwechselprozessen des menschlichen Körpers beteiligt ist.</p> <h2>Aminosäurenmetabolismus</h2> <p>Aminosäuren sowie ihre daraus aufgebauten Peptide und Proteine unterscheiden sich prinzipiell von den anderen Substanzklassen des menschlichen Körpers. Im Gegensatz zu den für die Energieversorgung wichtigen Kohlenhydraten und Lipiden werden weder Aminosäuren noch Peptide oder Proteine in Körperdepots als Vorrat gespeichert. Der Gesamtbestand an Aminosäuren im menschlichen Körper unterliegt daher einem sehr dynamischen Gleichgewicht zwischen Zufuhr und Verbrauch. Insbesondere die essenziellen Aminosäuren (Isoleucin, Leucin, Lysin, Methionin, Phenylalanin, Threonin, Tryptophan, Valin) kann der humane Stoffwechsel entweder überhaupt nicht oder nicht in ausreichendem Maße synthetisieren. Sie müssen daher mit der Nahrung aufgenommen werden. <br />Aus den Nahrungsproteinen werden nach Hydrolyse die Aminosäuren im Dünndarm resorbiert, wobei in erster Linie Einzelaminosäuren, aber zum Teil auch Di- oder Tripeptide resorbiert werden. Der Leber kommt hierbei in der Kon­stanthaltung der Aminosäurenversorgung über das Blut eine zentrale Bedeutung zu. Vorwiegend durch oxidative Prozesse metabolisiert sie die über die Nahrung aufgenommenen Aminosäuren in dem Maße, dass sich im Blut weder die Gesamtkonzentration noch das Aminosäurenprofil, d.h. die prozentualen Anteile der einzelnen Aminosäuren am Gesamtgehalt, ändern. Somit ist das Aminosäurenverteilungsmuster im Blut erstaunlich konstant und beinhaltet Informationen über metabolische „Reaktionsreflexe“, die bisher zu wenig in der Interpretation von Krankheits-(Risiko-)Konstellationen berücksichtigt wurden.</p> <h2>Verzweigtkettige Aminosäuren: spezieller Stoffwechselweg und Muskelenergie</h2> <p>Der Stoffwechselweg der sogenannten verzweigtkettigen Aminosäuren („bran­ched chain amino acids“, BCAA), welche aus den drei essenziellen Aminosäuren Leucin, Isoleucin und Valin bestehen, unterscheidet sich wesentlich von den übrigen Aminosäuren. Die BCAA werden nicht in der Leber, sondern direkt in den Muskelzellen verstoffwechselt. BCAA sind am Aufbau fast aller Proteine beteiligt und bilden ca. 35 % des Muskelgewebes des menschlichen Körpers. Sie tragen maßgeblich zum Transport von Stickstoff und Energie zwischen Muskulatur und Leber bei und werden für den Energiestoffwechsel benötigt. <br />Unter den BCAA nimmt Leucin physiologisch eine besondere Stellung ein. Es dient nicht nur als Substrat für die Muskelproteinsynthese, sondern ist sogar ein direktes und sehr starkes Stimulans der Proteinsynthese. Diese Wirkung wird über einen speziellen Rezeptor der Muskelzellen, welcher m-TOR („mammalian target of rapamycin“) genannt wird, vermittelt. Wird m-TOR stimuliert, erhält die Muskulatur den Befehl, Eiweiß aufzubauen und stärker zu werden. Es han­delt sich bei m-TOR um ein für das Überleben, Wachstum und die Proliferation von Zellen wichtiges Enzym, das eine Phosphatgruppe zu mehreren anderen Proteinen und Enzymen hinzufügt und damit den Beginn einer Kaskade von Signalwegen im Körper bildet. Leucin steht in direkter Interaktion mit dem m-TOR-System.<sup>1</sup> <br />Der Körper benötigt die verzweigtketti­gen Aminosäuren, um die während großer Belastungen (z.B. Sport) verbrauchten Aminosäuren Glutamin und Alanin wieder zu synthetisieren und auf diese Weise einen Eiweiß abbauenden Zustand im Körper zu vermeiden. Bei einem Überangebot werden die BCAA jedoch in Glukose bzw. Glykogen umgewandelt. In zahlreichen Studien wurde beobachtet, dass erhöhte BCAA-Konzentrationen im Blut sehr eng mit der Insulinresistenz bzw. der Entwicklung eines Diabetes assoziiert sind.<sup>2, 3</sup></p> <h2>Blutprofil verzweigtkettiger Aminosäuren deutet auf Krankheitsrisiko hin</h2> <p>Eine Grazer Forschungsgruppe unter der Leitung von Harald Mangge überprüfte in einer großen prospektiven Studie, ob durch Veränderungen der Aminosäurespiegel im menschlichen Blut eventuelle Risiken von Erkrankungen, insbesondere Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, erkannt werden können. Dazu wurden 650 junge Erwachsene mit unterschiedlichem Body-Mass-Index (BMI; normalgewichtig, übergewichtig, adipös) und verschiedenartigen kardiometabolischen Ausgangswerten (Blutdruck, Glukose, Insulinresistenz, Triglyzeride, Cholesterin) in Hinblick auf ihr Aminosäuren­profil untersucht. Am Aufbau des Studiendesigns und der analytischen Bestimmung mittels Massenspektrometrie waren Sieglinde Zelzer und Andreas Meinitzer maßgeblich beteiligt.<sup>4</sup> <br />Es konnte gezeigt werden, dass die Serumspiegel von Valin und insbesondere von Leucin bei metabolisch ungesunden Normalgewichtigen und metabolisch ungesunden adipösen Probandinnen und Probanden bereits im jugendlichen Alter erhöht sind. Die metabolische Gesundheit wurde durch einen Score basierend auf Blutdruck, Blutfett und Blutzuckerverteilung ermittelt. Bestimmte Veränderungen im Profil des Aminosäurenstoffwechsels deuten somit auf eine individuelle Stoffwechselsituation hin, die wahrscheinlich spätere Erkrankungen des menschlichen Organismus begünstigt. Die Ergebnisse unserer Studie unterstreichen damit die Wichtigkeit der verzweigtkettigen Aminosäuren bei der Beurteilung des frühen kardiovaskulären Risikos.</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p><strong>Risikodynamik bereits im Jugendalter ablesbar</strong><br />Aminosäuren sind nicht nur lebensnotwendige Bausteine des menschlichen Körpers, sondern bilden in ihrer Verteilung und Konzentration im menschlichen Blut eine Art Fingerabdruck ­einer individuell bestimmten Risikodynamik. Dies kann zukünftig für diagnostische als auch therapeutische Zwecke von Bedeutung sein. Besonders bemerkenswert ist, dass die von der Grazer Forschergruppe beobachteten Risikoprofile unabhängig vom Ernährungszustand bestehen und schon im Jugendalter feststellbar sind. Das kann für zukünftige präventive Maßnahmen eine Grundlage bilden. Jedenfalls sind langfristig durchgeführte „Kuren“ mit hoch dosierten Leucin-hältigen Nahrungsergänzungsmitteln, wie sie in zahlreichen Fitness- und Body-Building-Ratgebern zwecks Muskelaufbau propagiert werden, aus dem Blickwinkel unserer Forschungsergebnisse kritisch zu betrachten.</p> </div></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Wolfson RL et al: Sestrin2 is a leucine sensor for the mTORC1 pathway. Science 2016; 351(6268): 43-8 <br /><strong>2</strong> Newgard CB: Interplay between lipids and branched-chain amino acids in development of insulin resistance. Cell Metab 2012; 15(5): 606-14 <br /><strong>3</strong> Newgard CB et al: A branched-chain amino acid-related metabolic signature that differentiates obese and lean humans and contributes to insulin resistance. Cell Metab 2009; 9(4): 311-26 <br /><strong>4</strong> Mangge H et al: Branched-chain amino acids are ­associated with cardiometabolic risk profiles found ­already in lean, overweight and obese young. J Nutr Biochem 2016; 32: 123-7</p>
</div>
</p>