
Empfängnisverhütung – „who cares“?
Autorinnen:
Ao. Univ.-Prof. Dr. Beate Wimmer-Puchinger
Lena Seywald, BSc
Wimmer-Puchinger Strategic Health Consulting
Wien
E-Mail: office@wimmer-puchinger.at
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Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft sind äußerst beglückende, einschneidende, lebensverändernde und daher fundamentale Lebensereignisse. Diese Veränderung der Lebenssituation kann jedoch nur dann langfristig als beglückend und bereichernd erlebt werden, wenn sie gewünscht, gewollt, existenziell machbar ist und auch in den sozialen und emotionalen Komponenten für die jeweils betroffene Frau oder das Paar passt. Daher sind Empfängnisverhütung und somit auch die Planung einer Mutterschaft/Elternschaft ein grundlegendes Recht der Selbstbestimmung der Frau.1–5 Eine Grundbedingung dafür ist jedoch das Wissen über die weibliche Fertilität.
Aktuelle Zahlen, Daten und Fakten
Eine aktuelle Befragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZGA)6 von 6000 Personen im Alter von 14 bis 17 Jahren zeigt, dass Eltern sowie Freunde die wichtigsten Ansprechpartner sind, wenn es um das Thema Sexualität geht. Bei Mädchen ist die Mutter mit 61%, der Vater mit 9% erste Anlaufstelle, bei Buben mit 30% die Mutter und mit 39% der Vater. Bei Jugendlichen aus dem Migrationsmilieu sind Lehrkräfte eine wichtige Aufklärungsinstanz, da deren Eltern deutlich seltener zur Aufklärung befragt werden. Weniger wichtig sind Lehrkräfte bei Jugendlichen mit niedrigerem (angestrebtem) Schulabschluss. Dabei bräuchten gerade diese Jugendlichen mehr Unterstützung, da ihre Eltern deutlich seltener zur Sexualaufklärung verfügbar sind. Insbesondere bei Jugendlichen mit muslimischer Religionszugehörigkeit und/oder enger konfessioneller Bindung sind zudem auch Beratungsstellen beliebte Anlaufstellen.
Als wichtigste Quelle wird der Schulunterricht genannt, dicht gefolgt von Gesprächen und dem Internet, das als wichtige Auskunftsquelle im Langzeittrend steigt. Um die 80% suchen über Google nach Aufklärung, 20% nutzen Wikipedia und YouTube.
Die Studie zeigt in puncto Verhütung beim ersten Mal einen positiven Langzeittrend. Zu den Gründen der Nicht-Verhütung zählen ein junges Alter bis 14 Jahre, flüchtige Bekanntschaften, ein niedrigeres Bildungsniveau sowie enge Verbundenheit zu einer Glaubensgemeinschaft. Kondom und Pille zählen nach wie vor zu den meistgenutzten Verhütungsmitteln unter jungen Erwachsenen. Nur eine:r von zehn Befragten setzt auf eine andere Art der Verhütung.
Qualitätsgesicherte Sex-Education für eine positive, gesunde Sexualität und Partnerschaft
Sexualpädagogische Programme teilen sich in drei Kategorien: 1. Enthaltsamkeitsprogramme, 2. eine umfassende Sexualaufklärung, die neben Enthaltsamkeit auch andere Optionen der Schwangerschaftsprävention bespricht, sowie 3. eine ganzheitliche Sexualaufklärung, die zwischen Heranwachsen und persönlicher Entwicklung einen größeren Zusammenhang herstellt. Die ersten zwei Kategorien sind vor allem in den USA verbreitet, während die dritte Kategorie europäische Programme definiert.7
Sexualpädagogische Programme sind weltweit noch immer in vielen Ländern und Communities – religiös und gesellschaftspolitisch bedingt – auf Enthaltsamkeit fokussiert. Aus vielen Studien geht eindeutig hervor, dass Enthaltsamkeitsprogramme keine besondere Wirksamkeit zeigen, während ganzheitliche Sexualaufklärung hilft, die Rate ungewollter Schwangerschaften zu reduzieren.8 Die „International Planned Parenthood Federation“, IPPF, inkludiert folgende Grundsätze in die Definition der ganzheitlichen Sexualaufklärung:
„Comprehensive sexuality education seeks to equip young people with the knowledge, skills, attitudes and values they need to determine and enjoy their sexuality – physically and emotionally, individually and in relationships. It views ‚sexuality‘ holistically and within the context of emotional and social development. It recognizes that information alone is not enough. Young people need to be given the opportunity to acquire essential life skills and develop positive attitudes and values.“9
Die WHO hat basierend auf diesen Grundsätzen einen Leitfaden veröffentlicht, der klare Vorgaben macht, wann welche Themen relevant sind und daher besprochen werden sollten.7
Laut einem Bericht der Europäischen Kommission ist Österreich Vorreiter in der Sexualpädagogik.10 2015 wurde etwa ein Grundsatzerlass der Sexualpädagogik veröffentlicht, an dem viele Expertinnen und Experten – u.a. Ao. Univ.-Prof.in Dr.in Wimmer-Puchinger in der Position als Frauengesundheitsbeauftragte – mitgearbeitet haben.11 Doch kommt das, was auf dem Papier steht, auch bei den Jugendlichen in der Schule an?
Beispiele unzureichender Aufklärung findet man zuhauf – selbst Frauen, und das quer durch alle Altersgruppen, wissen zu wenig über das weibliche Genital Bescheid (Abb. 1).12 Obwohl seit dem 16. Jahrhundert an der Klitoris geforscht wird, beschrieben und bebilderten Fachbücher die Ergebnisse lange Zeit unzureichend und teilweise falsch.13 Unwissenheit, fehlende Aufklärung und fehlleitende Intimideale führen heute zu steigender Unzufriedenheit mit den eigenen Genitalien und so zu einer immer größeren Nachfrage nach kosmetischen Intimkorrekturen.14
Abb. 1: Viele Frauen haben nur unzureichendes Wissen über ihre Geschlechtsorgane. Nach Nappi RE et al.12
Ungewollte Schwangerschaften
Daten des Guttmacher-Institutes zeigen, dass der Anteil ungeplanter Schwangerschaften und daraus folgender Schwangerschaftsabbrüche in den vergangenen 30 Jahren in Europa um die Hälfte reduziert werden konnte – von 76 auf 36%. Wohlhabende Länder mit liberaler Gesetzgebung wie z.B. die Niederlande weisen demzufolge heute die niedrigsten Abbruchraten auf. Speziell für Holland nennt die Heinrich-Böll-Stiftung als Grund die umfassende Aufklärung und den einfachen Zugang zu Verhütungsmitteln.16
Leider gibt es keine genauen Daten über die ungeplanten Schwangerschaften und Abbrüche in Österreich. Der Durchschnittvon ungeplanten Schwangerschaften in Westeuropa lag zuletzt bei 24%. 38% davon enden in einem Schwangerschaftsabbruch.15 Für Österreich bekannt ist allerdings, wie viele Geburten auf einer ungeplanten Schwangerschaft basieren. Diese Zahl liegt für Frauen bei 14% und für Männer bei 20%. Zum Vergleich: In osteuropäischen Ländern resultieren rund 30% aller Geburten aus ungewollten Schwangerschaften.17
Weltweit sind um die 64% aller Schwangerschaften ungeplant. Von diesen werden ca 61% vorzeitig beendet. Gründe dafür findet man in der Benachteiligung von Frauen, sexueller Gewalt, Armut, dem mangelnden Zugang zu Verhütungsmitteln sowie Krisen und Konflikten.18 Im Hinblick auf Teenagerschwangerschaften sind ein früher Beginn sexueller Aktivität, unzureichendes Wissen und Aufklärung sowie sozioökonomische Benachteiligung und Gewalt auschlaggebend für eine ungeplante Schwangerschaft.19
Die Einstellung zu einer ungeplanten Schwangerschaft verändert sich dabei mit steigendem Alter. Während 80% der 14-Jährigen sagen, dass dies eine Katastrophe wäre, teilen im Alter von 25 Jahren nur noch 30% diese Meinung. Umgekehrt steigt der allgemeine Kinderwunsch mit der Zeit. Während mit 14 der Anteil der Unentschiedenen noch bei 23% liegt, sind es unter den 25-Jährigen nur mehr 9% Unentschlossene. Der Anteil derjenigen, die keine Kinder möchten, liegt hingegen bei allen Altersgruppen bei 10%.6
Die psychische Dimension
Schwangerschaft und Geburt stellen für Frauen eine besonders vulnerable Phase dar. Vor allem im ersten Trimester stellen für werdende Mütter körperliche, psychische und soziale Veränderungen eine besondere Belastung dar. Ein Gefühl einer hochgradigen Ambivalenz ist gut verständlich, da die Veränderung Konsequenzen für das Privat- und Berufsleben hat.20 Diese normative Ambivalenz tritt besonders bei ungewollten Schwangerschaften verstärkt auf.21
Das Wechselbad der Gefühle bei ungeplanten Schwangerschaften bereitet Stress, vor allem belastend ist die Zeit vor der Entscheidung, ob das Kind behalten wird. Sobald der Abbruch durchgeführt wurde, fühlen sich Frauen zwar traurig, aber befreit. Dies steht im Gegensatz zum Mythos des Post-Abortion-Syndroms, laut dem Frauen nach einem Abbruch an einer Gruppe von Symptomen, ähnlich einer PTSD, leiden. Bis zum heutigen Zeitpunkt konnte die Forschung aber keine Belege dafür liefern. Die Beweislage deutet eher darauf hin, dass die gefühlte Belastung nach einem durchgeführten Schwangerschaftsabbruch ebenso hoch ist wie bei einer Fortsetzung der Schwangerschaft. Gründe für eine erhöhte mentale Belastung nach einem Abbruch stehen im Zusammenhang mit psychischen Vorerkrankungen, Druck von außen, ungünstigen Umständen, einer geringen sozialen Unterstützung oder einer weit fortgeschrittenen Schwangerschaft.22
Starke Belege für ein erhöhtes Risiko durch Komplikationen, Krankheiten und psychische Belastungen findet man allerdings bei Frauen, denen ein Schwangerschaftsabbruch verwehrt wurde. Ein verwehrter Abbruch hat zudem nicht nur Auswirkungen auf die Schwangere selbst, sondern auch auf das ungeborene Kind und bereits existierende Kinder.23
Fazit
Empfängnisverhütung ist wichtig, um Frauen einen selbstbestimmten Alltag zu erlauben. Damit Frauen wie Männer das verstehen, muss es endlich auch in Österreich eine ganzheitliche flächendeckende Sexualaufklärung für Jugendliche aller Bildungsstufen sowie niederschwellige „sexual health literacy“ für Erwachsene geben. Dies sollte durch Aufklärungsgespräche mit Gynäkolog:innen und Allgemeinmediziner:innen unterstützt werden. Ferner muss endlich ein Qualitätssiegel für anbietende Vereine verpflichtend werden.24 Zusätzlich sollte der Zugang zu Verhütungsmitteln niederschwellig gestaltet sein, um die Barrieren zu einem gesunden Sexualverhalten zu minimieren.
Literatur:
1 Sexual Rights Initiative: Sexual Rights. Verfügbar unter https://www.sexualrightsinitiative.org/sexual-rights ; zuletzt aufgerufen am 20.2.2024 2 United Nations: Transforming pur world: the 2030 Agenda for Sustainable Development. Verfügbar unter https://sdgs.un.org/2030agenda ; zuletzt aufgerufen am 20.2.2024 3 United Nations General Assembly: Convention on the elimination of all forms of discrimination against women. UN General Assembly 1979; verfügbar unter https://www.ohchr.org/en/instruments-mechanisms/instruments/convention-elimination-all-forms-discrimination-against-women ; zuletzt aufgerufen am 20.2.2024 4 United Nations General Assembly: Sexual and reproductive health and rights. Verfügbar unter https://www.ohchr.org/en/women/sexual-and-reproductive-health-and-rights ; zuletzt aufgerufen am 20.2.2024 5 World Health Organisation (WHO): Sexual and reproductive health and research (SRH). Verfügbar unter https://www.who.int/teams/sexual-and-reproductive-health-and-research/key-areas-of-work/sexual-health/defining-sexual-health ; zuletzt aufgerufen am 20.2.2024 6 Scharmanski S, Hessling A: Sexualaufklärung junger Menschen in Deutschland. Ergebnisse der repräsentativen Wiederholungsbefragung „Jugendsexualität“. J Health Monit 2022; 7(2): 23-41 7 PWHO, BZgA: Standards für Sexualaufklärung. Verfügbar unter https://www.bzga-whocc.de/publikationen/standards-fuer-sexualaufklaerung/; zuletzt aufgerufen am 20.2.2024 8 Rodriguez E: These abstinence-only states have the highest rates of teen pregnancy; verfügbar unter https://www.innerbody.com/abstinence-only-states-have-highest-rates-teen-pregnancy-stds ; zuletzt aufgerufen am 20.2.2024 9 Braeken D et al.: A definition of comprehensive sexuality education. In: IPPF Framework for Comprehensive Sexuality Education (CSE); London 2006 (Updated 2010): 6 10 Picken N: Sexuality education across the European Union – An overview. European Commission Directorate-General for Employment, Social Affairs and Inclusionv 2020 11 Bundesministerion für Bildung und Frauen (BMBF): Grundsatzerlass Sexualpädagogik, Rundschreiben Nr. 11/2015 (2015) 12 Nappi RE et al.: Attitudes, perceptions and knowledge about the vagina: the International Vagina Dialogue Survey. Contraception 2006; 73(5): 493-500 13 Langosch N: Auf der Suche nach der Klitoris. Spektrum.de 2021; verfügbar unter https://www.spektrum.de/news/weibliche-sexualitaet-auf-der-suche-nach-der-klitoris/1951363 ; zuletzt aufgerufen am 20.2.2024 14 Borkenhagen A et al.: Intimchirurgie: Ein gefährlicher Trend. Dtsch Arztebl 2009; 106(11); A-500/B-430/C-416 15 Guttmacher Institute: Unintended pregnancy and abortion in Europe. Guttmacher Institute 2022; verfügbar unter https://www.guttmacher.org/fact-sheet/unintended-pregnancy-and-abortion-europe ; zuletzt aufgerufen am 20.2.2024 16 Bundeszentrale für politische Bildung: Zwischen legal und verboten: Abtreibungen in Europa. kurz&knapp 2016; verfügbar unter https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/228817/zwischen-legal-und-verboten-abtreibungen-in-europa/ ; zuletzt aufgerufen am 20.2.2024 17 Brzozowska Z et al.: Didn‘t plan one but got one: Unintended and sooner-than-intended parents in the East and the West of Europe. Eur J Popul 2021; 37(3): 727-67 18 Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA): Weltbevölkerungsbericht 2022 – Verborgenes sehen – Die Krise der unbeabsichtigten Schwangerschaften. UNFPA 2022; verfügbar unter https://oegf.at/wp-content/uploads/2022/06/UNFPA-Weltbevoelkerungsbricht_2022.pdf ; zuletzt aufgerufen am 20.2.2024 19 Graf J: Teenagerschwangerschaft. Gynäkologie + Geburtshilfe: 2023; 28(2): 22-5 20 Reiner-Lawugger V: Postpartale Depression – was tun? Das Wiener Modell. In: Wimmer-Puchinger B, Riecher-Rössler A (Hg.): Postpartale Depression: Von der Forschung zur Praxis. Springer 2006; 119-26 21 Dorn A, Rohde A: Krisen in der Schwangerschaft. Kohlhammer 2021
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