Der OnkoZert-Zertifizierungsprozess – Erfahrungen aus Innsbruck
Autor:
Priv.-Doz. Dr. Volker Schartinger
Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde
Tirol Kliniken
Medizinische Universität Innsbruck
Sie sind bereits registriert?
Loggen Sie sich mit Ihrem Universimed-Benutzerkonto ein:
Sie sind noch nicht registriert?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos auf universimed.com und erhalten Sie Zugang zu allen Artikeln, bewerten Sie Inhalte und speichern Sie interessante Beiträge in Ihrem persönlichen Bereich
zum späteren Lesen. Ihre Registrierung ist für alle Unversimed-Portale gültig. (inkl. allgemeineplus.at & med-Diplom.at)
Die Qualitätssicherung in der onkologischen Versorgung gewinnt zunehmend an Bedeutung. Auch in der Kopf-Hals-Onkologie ist die Behandlung an zertifizierten Zentren inzwischen in Leitlinien verankert, da sich dieser Umstand in Studien als ein mitentscheidender Faktor für den Therapieerfolg erwiesen hat.
Keypoints
-
In Leitlinien wird bereits die multidisziplinäre Versorgung von Patienten in Einrichtungen gefordert, die die Zertifizierungsvorgaben der Deutschen Krebsgesellschaft erfüllen.
-
OnkoZert betreut als unabhängiges Institut im Auftrag der Deutschen Krebsgesellschaft das Zertifizierungssystem zur Überprüfung von Organkrebszentren und onkologischen Zentren.
-
Europaweit sind bereits 1700 Zentren vor allem in Deutschland nach diesem System zertifiziert.
-
Eine Zertifizierung als Kopf-Hals-Tumor-Zentrum ist nur durch HNO und MKG gemeinsam möglich.
Qualitätssicherung als zentrales Element moderner Onkologie
Die Einführung strukturierter Qualitätsmanagementsysteme nach internationalen Standards – allen voran die internationale Norm für Qualitätsmanagementsysteme DIN EN ISO 9001:2015 – bietet hierfür eine verlässliche Grundlage. Diese Norm unterstützt Organisationen bei der Steigerung ihrer Leistungsfähigkeit und der Etablierung kontinuierlicher Verbesserungsprozesse. Da allgemeine Qualitätsmanagementsysteme jedoch die spezifischen Anforderungen der Krebsmedizin nur teilweise abbilden, wurden ergänzende onkologische Zertifizierungssysteme entwickelt, die eine strukturierte, interdisziplinäre Versorgung sicherstellen.
OnkoZert als umfassendes Zertifizierungssystem
Vor diesem Hintergrund hat sich auch in Österreich der OnkoZert-Zertifizierungsprozess etabliert – ein System, in dem ein unabhängiges Institut im Auftrag der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) das Zertifizierungssystem zur Überprüfung von Organkrebs- und onkologischen Zentren betreut. Im Unterschied zu anderen Zertifizierungsmodellen deckt OnkoZert die gesamte onkologische Versorgungsbreite ab und bietet somit allen onkologisch tätigen Kliniken die Möglichkeit einer Zertifizierung.
Das Zertifizierungsverfahren erlaubt sowohl die Zertifizierung eigenständiger Organkrebszentren als auch deren Integration in bereits bestehende DKG-zertifizierte onkologische Zentren. Für die alleinige Zertifizierung als Kopf-Hals-Tumor-Zentrum sind mehrere Voraussetzungen zwingend zu erfüllen: eine bettenführende hämatoonkologische Klinik, ein bereits zertifiziertes Organkrebszentrum am Standort sowie Kompetenzen in Querschnittsfächern wie Psychoonkologie, Palliativmedizin etc.
Europaweit betreut OnkoZert derzeit rd. 1700 zertifizierte Krebszentren, überwiegend in Deutschland, wo mittlerweile eine nahezu flächendeckende Versorgung besteht. Die auf oncomap.de verfügbare Darstellung bietet eine Übersicht über die an einem Standort zertifizierten Zentren samt Kooperationspartnern.
Der Weg zur Zertifizierung – Erfahrungen aus Innsbruck
An der Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde der Tirol Kliniken/Medizinischen Universität Innsbruck wurde der Zertifizierungsprozess 2024 eingeleitet (Abb.1). Ausgangspunkt war eine erste Anfrage bei OnkoZert, um den strukturellen und administrativen Aufwand einschätzen zu können.
Da in Innsbruck zwar ein zertifiziertes Hautkrebszentrum, jedoch kein onkologisches Zentrum bestand, musste der Weg über ein eigenständiges Kopf-Hals-Tumor-Zentrum gewählt werden. Einer Strukturbewertung folgte der Antrag auf Einleitung des Zertifizierungsverfahrens. Anschließend wurde der weitere Zertifizierungsablauf zeitlich abgestimmt und ein Audit-termin festgelegt.
Acht Wochen vor diesem Termin muss eine Reihe von Unterlagen eingereicht werden. Als alleiniges Kopf-Hals-Tumor-Zentrum müssen sowohl ein Erhebungsbogen für das onkologische Zentrum als auch für das Kopf-Hals-Tumor-Zentrum ausgefüllt werden. Diese sind zwar nach Kapitel im Wesentlichen gleich aufgebaut, aber in weiten Teilen ausführlicher ist hier der Erhebungsbogen für das onkologische Zentrum.
In diesen Erhebungsbögen werden folgende Kapitel behandelt: allgemeine Angaben zum Zentrum, organspezifische Diagnostik, Radiologie, Nuklearmedizin, operative Onkologie, medikamentöse/internistische Onkologie, Radioonkologie, Pathologie, Palliativversorgung und Hospizarbeit sowie Tumordokumentation und Ergebnisqualität. Weiters müssen einmal pro Jahr die Erhebungsbögen der Querschnittsfächer Radioonkologie und Pathologie gemeinsam für alle am Standort vorhandenen Zentren eingereicht werden. Dies erfolgt durch das Zentrum mit dem frühesten Audittermin im Kalenderjahr. Alle diese Erhebungsbögen sind Word-Dokumente.
Ein weiteres zentrales Dokument bildet das Excel-basierte „Datenblatt Kopf-Hals-Tumor-Zentren“, in dem die Fallzahlen (Anzahl der Primärfälle aufgeteilt nach Stadium und Lokalisation sowie Rezidive), Anzahl der rekonstruktiven Verfahren, Studien, Anzahl der Tumorresektionen pro Operateur sowie die definierten Kennzahlen (Tab.1) abgefragt werden. Zähler, Nenner und Soll-Vorgabe dieser Kennzahlen sind im Tabellenblatt angegeben. Abweichungen müssen begründet werden. Diese Kennzahlen betreffen unter anderem die Tumorboardvorstellungen, supportive Therapie (psychoonkologisches Screening, Beratungsquote für Sozialarbeit), Anzahl von R0-Resektionen und Revisionen, Vollständigkeit pathologischer Befundberichte, die korrekte Durchführung von Staging-Untersuchungen, die Einhaltung der Indikationsstellung für Strahlen- und Chemotherapien sowie prätherapeutische Maßnahmen wie zahnärztliche Untersuchungen vor Radiotherapie. Neu aufgenommen wurden optionale Kennzahlen für das Oro- und Hypopharynxkarzinom und neu ist auch der Fokus auf einen zeitnahen Beginn der postoperativen Radio-/Radiochemotherapie bei allen Tumorentitäten, der innerhalb von 42 Tagen nach Operation sein sollte. Die Auswertung dieser Parameter erlaubt eine objektive Einschätzung der Behandlungsqualität und einen Vergleich mit anderen Zentren.
Das Zertifizierungsverfahren
Nach der Einreichung erfolgen eine Plausibilitätsprüfung durch OnkoZert und eine Bewertung der Erhebungsbögen durch das Auditteam. Die Rückfragen sind innerhalb einer Frist zu klären und die eingereichten Unterlagen allenfalls zu überarbeiten. Anschließend wird ein Audit vor Ort durchgeführt, das etwa eineinhalb Tage dauert. Im Rahmen dieses Audits werden Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität überprüft, Kooperationspartner befragt, interdisziplinäre Abläufe beobachtet und Dokumentationen stichprobenartig kontrolliert. Sollte in dem abschließenden Auditbericht eine Zertifizierung empfohlen werden, entscheidet eine Kommission im Umlaufverfahren.
Ein wesentliches Merkmal des Zertifizierungsprozesses ist die enge interdisziplinäre Zusammenarbeit. Neben HNO und MKG-Chirurgie sind typischerweise Radioonkologie, Pathologie und Hämatoonkologie sehr zentral beteiligt. Gerade die Kooperation zwischen HNO und MKG ist im Rahmen eines zertifizierten Kopf-Hals-Tumor-Zentrums zwingend notwendig, da eine alleinige Zertifizierung als HNO- oder MKG-Klinik nicht möglich ist. Eine Mehrstandortigkeit ist grundsätzlich möglich, jedoch dürfen die Kliniken nicht mehr als 45km (90km per Sonderentscheid) voneinander entfernt sein. In Innsbruck war diese notwendige Zusammenarbeit bereits strukturell verankert, allen voran durch das gemeinsame Tumorboard. Neu etabliert wurden gemeinsame Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen (M&M-Konferenzen) sowie Qualitätszirkel. Auch logopädische, psychoonkologische und ernährungsmedizinische Angebote, die Einbindung der Pflege, Sozialarbeit und Nachsorgepartner sowie die strukturierte Tumordokumentation wurden entsprechend verbessert und überprüft. Diese Tumordokumentation bildet die Basis für kontinuierliche Qualitätsmessung und wissenschaftliche Auswertung. Langfristig ist der Einsatz eines kommerziellen Tumordokumentationssystems vorgeschrieben, während im Rahmen der Erstzertifizierung Tabellenlösungen verwendet werden konnten.
Erste Erfahrungen und Fazit
Der organisatorische Aufwand einer OnkoZert-Zertifizierung ist nicht zu unterschätzen und hängt entschieden von bereits vorhandenen Strukturen ab. Dennoch überwiegen die Vorteile: Der strukturierte Prozess fördert Transparenz, Qualitätsbewusstsein und Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Disziplinen. Die enge Verzahnung von HNO und MKG sowie die konsequente Einbindung aller relevanten Partner stellen sicher, dass die Patient:innen von einer ganzheitlichen, qualitätsgesicherten Versorgung profitieren. Insgesamt stellt der OnkoZert-Zertifizierungsprozess ein effektives Instrument dar, um Qualität in der onkologischen Versorgung messbar, vergleichbar und kontinuierlich verbesserbar zu machen.
Literatur:
beim Verfasser
Das könnte Sie auch interessieren:
Die „Dorsal preservation“-Septorhinoplastik: ein Überblick
In den letzten Jahren hat die Renaissance der „Dorsal preservation“-Septorhinoplastik immer mehr begeisterte Anhänger gefunden. Das Aufgreifen dieser alten Technik und ihre Modifikation ...
„Die HNO hat glücklicherweise keine Nachwuchsprobleme“
Prim. Prof. Dr. Fabian Sommer hat am 1. November 2024 die Leitung der Abteilung für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde in Feldkirch, Vorarlbergs einziger HNO-Abteilung, übernommen. Im ...
Österreichs HNO-Abteilungen: Teil 5
Und wieder möchten wir – als offizielles Medium der Österreichischen HNO-Gesellschaft – den heimischen HNO-Abteilungen die Möglichkeit geben, sich selbst vorzustellen sowie ihre ...