© Michael Schröckenfuchs

67. Österreichischer HNO-Kongress: Fallbeispiel aus der Tauchmedizin

„Oxygen ear“ – das „Sauerstoffohr“

Werden beim Tauchen Dekompressionsstopps mit Sauerstoff durchgeführt, ist das gesamte Mittelohr mit Sauerstoff ausgefüllt. Noch Stunden nach dem Tauchgang wird dieser Sauerstoff resorbiert und metabolisiert. Erfolgt dabei kein regelmäßiger Druckausgleich zum Mittelohr, bildet sich ein Unterdruck, der heftige Schmerzen verursacht.

Keypoints

  • „Oxygen ear“ oder „middle ear oxygen resorption syndrome“ bildet sich Stunden nachdem hochprozentiger Sauerstoff unter Druck geatmet wurde.

  • Der Sauerstoff im Mittelohr wird metabolisiert und resorbiert.

  • Erfolgt nicht regelmäßig ein Druckausgleich zum Mittelohr, können heftige Ohrenschmerzen entstehen.

  • Differenzialdiagnose ist das Mittelohrbarotrauma, das unmittelbar bei gestörtem Druckausgleich auftritt.

  • Zur Therapie werden abschwellende Nasentropfen, Analgetika und physika-lischer Druckausgleich empfohlen.

Sporttaucher verwenden bei Tauchgängen in ihren Flaschen nicht Sauerstoff, sondern Pressluft. Diese auf 200bar komprimierte Luft besteht grob aus 78% Stickstoff, 21% Sauerstoff, 1% Edelgasen und diversen anderen Bestandteilen. Beim Abtauchen nimmt der Umgebungsdruck pro 10m Tiefe um 1bar zu. Die Bestandteile der Atemluft sättigen sich unterschiedlich schnell in unserem Körper. Stark durchblutete Organe wie Lunge und Leber sättigen rasch auf. Knochen und Bindegewebe hingegen sind schwächer durchblutet und sättigen langsam auf. Paul Bert (1833–1886) erkannte als Erster, dass der im Gewebe gesättigte Stickstoff die Dekompressionskrankheit (Taucherkrankheit, Caissonkrankheit) auslöst.

Einige physikalische Gesetze beschreiben das Verhalten von Gasen unter Druck. Zum Beispiel das Gesetz von Henry: Die Menge eines in Flüssigkeit gelösten Gases steht in direktem Verhältnis zum Partialdruck des Gases über der Flüssigkeit. Robert Boyle (1627–1692) hat festgestellt, dass sich Gase unter Druck in Flüssigkeiten lösen und es bei plötzlicher Druckentlastung zur Bildung von Gasblasen in der Flüssigkeit kommt. Albert Bühlmann (1923–1994) hat Gewebssättigungsmodelle errechnet, die auch heute noch in gängigen Tauchcomputern verwendet werden.

Taucher müssen den beim Abtauchen im Gewebe gelösten Stickstoff durch langsames Auftauchen wieder abatmen. Dabei soll es zu einer möglichst geringen Blasenbildung kommen. Sporttauchgänge sind Nullzeittauchgänge. Das bedeutet, der Taucher kann ohne einen zwingenden Dekompressionsstopp jederzeit langsam auftauchen. Bei Tauchreisen werden oft bis zu vier Tauchgänge an einem Tag durchgeführt. Um das Tauchen sicherer zu machen, wird der Stickstoffanteil durch Zugabe von Sauerstoff reduziert. Dieses Gasgemisch nennt man Nitrox oder „enriched air nitrox“ (EAN); es hat einen Sauerstoffgehalt von meist 32%. Dadurch sind die Tauchgänge zwar in der Tiefe beschränkt, aber die Nullzeit verlängert sich deutlich. Sporttaucher bekommen kaum ein „oxygen ear“, außer sie brauchen eine Druckkammerbehandlung.

Im Unterschied zum Sporttauchen sind technische Tauchgänge meist lange und tiefe Tauchgänge, die zwingend beim Auftauchen mehrere Stopps (Dekompressionsstopps) vorgeben. Um den Stickstoff besser abatmen zu können, werden 50%iger und 100%iger Sauerstoff als Dekompressionsgase verwendet. 50% Sauerstoff kann ab 21m Tiefe bis zur Oberfläche geatmet werden. Reinen Sauerstoff 100% sollte man nur bis zu einer Tiefe von 6m atmen!

Wenn Sauerstoff toxisch ist

Ein kleiner Steckbrief zum Sauerstoff: Er besitzt die Ordnungszahl 8 und liegt frei meist als kovalentes Homodimer (O2) vor. Sauerstoff ist farb-, geschmack- und geruchlos, brennt nicht, fördert aber die Verbrennung. Fast alle organischen Lebewesen brauchen ihn.

Doch Sauerstoff ist für den Menschen besonders unter Druck auch toxisch. Der Paul-Bert-Effekt beschreibt die Neurotoxizität: Tinnitus, Tunnelblick, Übelkeit, Schwindel, Angst, Sauerstoffkrampf (führt im Wasser dann oft zum Ertrinken). Die Sauerstofftoxizität wird mit einer ZNS-Clock eingeschätzt (maximal 100% in 24 Stunden). Die Lungentoxizität wird in OTU („oxygen tolerance units“; max. 850 OTU/ 24 Stunden) gemessen. Symptome der pulmonalen Toxizität (Lorraine-Smith-Effekt): Husten, Brennen der Atemwege, Kurzatmigkeit, Atemnot.

Beim technischen Tauchen werden die Tauchgänge minutiös geplant. Die Grundzeit bestimmt die Anzahl, Dauer und Tiefe der Dekompressionsstopps. Es wird die Menge der Atemgase und Dekogase vor dem Tauchgang exakt berechnet. Trotzdem kommt es manchmal zu unerwarteten Beschwerden.

Fallbeispiel

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Abb. 1: Beim Tauchgang im Attersee

Robert K., 35 Jahre alt, ein erfahrener Taucher mit über 1000 Tauchgängen, taucht am Nachmittag, 16Uhr, im Attersee mit seinem Buddy auf 65m für 15 Minuten (Abb. 1,2). Der Tauchgang verläuft wie geplant und ohne Besonderheiten. Kein Problem mit dem Druckausgleich. In der Nacht bekommt er in beiden Ohren heftige Schmerzen. Ein Blick mit dem Otoskop in den Gehörgang zeigt auf beiden Seiten ein massiv eingezogenes Trommelfell und einen leicht blutigen Paukenerguss beidseits, wie bei einem Barotrauma.Kein Schnupfen, keine Halsschmerzen. Diagnose: „Oxygen ear“ auf beiden Seiten.

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Abb. 2: Protokoll eines technischen Tauchgangs auf 65m mit Trimix 18/45 – 18% Sauerstoff, 45% Helium (um Stickstoffanteil zu reduzieren), Rest ist Pressluft. Es wird eine genaue Runtime festgelegt – zu welcher bestimmten Tauchzeit man in welcher Tiefe sein sollte. Sauerstofftoxizität und Gasvolumina werden exakt berechnet

Werden Dekompressionsstopps mit Sauerstoff durchgeführt, ist das ganze Mittelohr mit Sauerstoff ausgefüllt. Stunden nach dem Tauchgang wird dieser Sauerstoff aber resorbiert und metabolisiert. Erfolgt nicht regelmäßig Druckausgleich zum Mittelohr (z.B. im Schlaf), so bildet sich ein Unterdruck, der dem Bild eines Barotraumas entspricht. Daher kommt auch der Name „middle ear oxygen resorption syndrome“.

Dieses Phänomen wurde anfänglich bei Druckkammerbehandlungen nach Tauchunfällen vereinzelt beobachtet. Gibt es bei der Druckkammerbehandlung oder beim Tauchen Probleme mit dem Druckausgleich, spricht man jedoch von einem Mittelohrbarotrauma (MBT), auch wenn man reinen Sauerstoff geatmet hat.

Es ist jedoch eigenartig, dass dieses Phänomen nur beim Ohr und nicht bei den Nasennebenhöhlen beschrieben wurde. Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass das Ohr embryologisch aus den ersten beiden Kiemenbögen entstanden ist und die Mittelohrschleimhaut anders aufgebaut ist als die Schleimhaut von Nasennebenhöhlen. Dies bedarf weiterer Grundlagenforschung. Die Nasennebenhöhlen entstehen aus der Riechgrube und sind mit Flimmerepithel ausgekleidet.

Therapie

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Abb. 3: Therapie mit earbreeze FOX

Zur Therapie verwendet man abschwellende Nasentropfen, Analgetika (NSAR) und nun auch den neu entwickelten earbreeze FOX (Abb.3), der den Druckausgleich wesentlich verbessert. Vorbeugend kann nach der O2-Dekompression noch ein weiterer fakultativer „airbreak“ gemacht werden – so ist das Mittelohr wieder gut mit Luft gefüllt und man beugt einem „oxygen ear“ vor.

beim Verfasser

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