
Präzisionsmedizin – die Medizin der Zukunft?
Autoren:
Univ.-Prof. Dr. Peter Ferencia
Univ.-Prof. Dr. Markus Müllerb
aAbteilung Gastroenterologie und Hepatologie Universitätsklinik für Innere Medizin III
Medizinische Universität Wien
bRektor der Medizinischen Universität Wien
E-Mail: peter.ferenci@meduniwien.ac.at
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Dies ist ein Bericht über einen Vortrag im Rahmen des Fortbildungskurses der ÖGGH, den ich für Prof. Müller, der verhindert war, gehalten habe. Ich habe von ihm Unterlagen zur Vorbereitung erhalten, unter anderem sein Interview in der Österreichischen Ärztezeitung (Müller M., Interview: Forschung ist kein Zufall. ÖÄZ Nr. 18 /25.9.2021). Dieser Bericht basiert auf Teilen des Interviews.
Die Medizin wird sich in den nächsten zehn bis 20 Jahren sehr stark ändern. Die Berufsbilder werden sich aufgrund der Entwicklungen der molekularen und digitalen Forschung völlig modifizieren. Der „Deep Medicine“-Ansatz – also die Entlastung der Ärzte durch künstliche Intelligenz und ein neues Verhältnis von Patient und Arzt – wird die Medizin nachhaltig prägen. In den USA gibt es bereits „hospitals without patients“. Beispielsweise sind viele dermatologische oder ophthalmologische Leistungen heute bereits extramural abrufbar.
Die Präzisionsmedizin erweckt die Hoffnung auf eine maßgeschneiderte Therapie für jeden Patienten basierend auf individuellen Faktoren. Der Präzisionsmedizin liegt der Reduktionismus zugrunde. Die Medizin hat seit den alten Griechen (Säftelehre) große Veränderungen erfahren. Lange herrschte die Erfahrungsmedizin (Empirie). Die Idee, den menschlichen Körper auf immer kleineren Ebenen zu verstehen, treibt die Medizin. Sie ist das Programm der Medizin seit zumindest 300 Jahren. Auf die „empirische“ Medizin folgte die „stratifizierte“, z.B. mit der Zeit der großen kardiologischen Studien, der Statine und ACE-Hemmer, und auf diese wiederum folgte die „personalisierte“.
Wenn man sich die Medizin der letzten Jahrhunderte vor Augen hält, hat dieser Ansatz der Reduktion phänomenal gewirkt. Man hat sich vom Großen bis zum immer Kleineren durchgearbeitet: vom Gesamtorganismus über die Organe, Zellen bis hin zu den Molekülen. Dadurch ist es gelungen, auf immer kleineren Ebenen ein immer tieferes Wissen zu erlangen.
Das erste „HumaneGenom“-Projekt wurde vor 21 Jahren vorgestellt. Davon haben viele behauptet, dass es überhaupt nichts bringe. Aber die Entschlüsselung des humanen Genoms hat unser Verständnis der Genetik und der Pathophysiologie revolutioniert. Die Mendel’sche Erblehre ist zwar nach wie vor die Basis, erklärt aber nur eingeschränkt die moderne Interpretation der Vererbung. Diese ist die Basis für eine Wissensexplosion, die wegweisend für viele neue Therapien war – also z.B. in der gesamten Hämatologie und Onkologie oder in der Entzündungsforschung. All diese Errungenschaften waren nur möglich, weil man versucht hat, das Problem auf einer immer kleineren Ebene zu verstehen. Durch Gensequenzierung und die Molekularbiologie ist man schrittweise weg vom „Onesizefitsall“-Prinzip hin zu einem viel differenzierteren Bild vom kranken Menschen gekommen (Abb. 1).
Präzisionsmedizin oder personalisierte Medizin?
Präzisionsmedizin basiert auf vier Ebenen: Zunächst braucht man dafür Hochdurchsatzverfahren auf molekularbiologischer Ebene, wie Sequenzierung, Transgenomics, Proteomics oder Biobanken zur Diagnostik. Auf deren Basis können Therapien entwickelt werden. In der Forschung kommen reduzierte Modelle wie humane Organoide dazu. Zum klinischen Einsatz der Präzisionsmedizin braucht man natürlich mehrere, unterschiedlich wirkende Therapien, um gezielt wählen zu können. Und schließlich braucht es eine ethische und gesellschaftliche Betrachtung der Präzisionsmedizin.
Der Unterschied der Präzisionsmedizin zur personalisierten Medizin ist unscharf. Der Ausdruck „personalisierte Medizin“ ist irreführend, weil er individuelle Personalisierung voraussetzt. Es gibt tatsächlich Einzelfälle einer personalisierten Therapie wie die CAR-T-Zelltherapie. Die Präzisionsmedizin ist nicht auf ein Einzelindividuum gerichtet, sondern auf eine kleine Gruppe, die für ihre Krankheit eine sehr zielgerichtete Therapie erhält. Das ist das große Programm der Medizin und es wird uns sicher noch die nächsten Jahrzehnte beschäftigen. Die Vision ist die Vereinigung der molekularen Präzisionsmedizin mit der digitalen „Deep Medicine“. Darunter versteht man den breiten Einsatz der „artificial intelligence“ – heute schon Tatsache in der Labormedizin, der Pathologie und Radiologie.
Parallel zur Präzisionsmedizin wird es immer die empirische Medizin geben. Es ist also keine „Allesoder nichts“-Frage, sondern eine Frage der Graduierung und des optimalen Wirkungsgrades. Ich denke, dasssich in vielen Therapiedomänen – allen voran in der Onkologie – der Fortschritt der letzten Jahre nochmals stärker durchsetzen wird und das große Ziel, maligne Tumorerkrankungen noch besser als bisher in den Griff zu bekommen, umgesetzt wird.
Präzisionsmedizin an der MedUni Wien
An der Medizinischen Universität Wien wird die Präzisionsmedizin weiter ausgebaut. Ab etwa 2025 stehen uns zwei neue Zentren für Präzisionsmedizin, Translational Medicine und vermutlich auch für Technologietransfer auf insgesamt rund 30000 Quadratmetern am AKH-Campus zur Verfügung. Die Methodologie wird weiter entwickelt unter Einsatz modernster Technologie der Datenanalyse oder Hochdurchsequenzierungssatzverfahren wie Next-Generation Sequencing (NGS).
Präzisionsmedizin in der Praxis: Beispiel Hepatitis C
Die Anwendungsgebiete der Präzisionsmedizin sind vielfältig und in ihren Möglichkeiten noch nicht erforscht. Um Medikamente zielgerichtet einsetzen zu können, braucht man gute prädiktive Biomarker, die den Kreis jener Patienten einengen, die eine besondere Therapieform benötigen. Durch „Big Data“-Analyse kann man dann eventuelle genetische Faktoren erkennen.
Die rasche Bewältigung der Hepatitis-C-Thematik ist ein gutes Beispiel. Die ersten verfügbaren Therapien mit Interferon und Ribavirin waren sehr belastend und nur ein Drittel der Patienten hat darauf angesprochen. Daher hat man nach Voraussagefaktoren gesucht, um die Patienten besser behandeln zu können. So ein Voraussagefaktor war der starke Abfall der Viruskonzentration innerhalb der ersten 24 Stunden, das wurde zur Grundlage der „response-guided therapy“. Knapp danach zeigte eine große genomweite Assoziationsstudie (GWAS-Studie), dass sich die schnellen Responder von den Nonrespondern durch eine Variante des IL28B-Gens unterschieden. Die Bestimmung dieser Genvariante hat jahrelang die antivirale Therapie vereinfacht. Aber dann kann der nächste große Fortschritt, die Einführung der direkt wirkenden antiviralen Substanzen (DAA), mit denen praktisch alle Patienten geheilt werden können, also sind diese Prädiktoren Geschichte.
Ausblick
Man hat heute die Möglichkeit, DNA-Sequenzen zu verändern. Die Gentherapie ist erst in ihren Anfängen. In China wurde erstmals mit CRISPR-Cas9 eine viel kritisierte nichtsomatische Intervention beim CCR5-Rezeptor durchgeführt. Die Keimbahn-DNA von Embryonen wurde mit CRISPR-Cas9 verändert, um sie gegen HIV immun zu machen. Damit werden empfindliche ethische und gesellschaftliche Entwicklungen berührt.
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