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Update

Akute Hepatitis unbekannter Ätiologie bei Kindern

Mitte Februar dieses Jahres hatten britische Gesundheitsbehörden eine ungewöhnliche Häufung von Hepatitiden bei Kindern gemeldet. Auffällig war, dass bei keinem der Kinder die Hepatitisviren A bis E nachgewiesen werden konnten. Seitdem wird fieberhaft nach der Ursache dieser Erkrankung gesucht. Eine rezent veröffentlichte britische Publikation liefert eine mögliche Erklärung.

Weltweit wurden bis Ende Juli 2022 rund 1010 Fälle von Non-A–E-Hepatitis in 35 Staaten registriert. In Europa wurden mit Stand 28. Juli insgesamt 508 Fälle an das European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) gemeldet, davon 6 aus Österreich.1 76,6% dieser europäischen Kinder waren 5 Jahre alt oder jünger, bisher waren 3 Todesfälle zu beklagen, 22 Kinder erhielten eine Lebertransplantation.

Kompetenzzentrum in Innsbruck für Lebertransplantationen

In Österreich werden nur an der Universitätsklinik Innsbruck Transplantationen bei Kindern mit Lebendspenden durchgeführt. Für den „worst case“ einer Lebertransplantation infolge dieser Non-A–E- Hepatitis berichtet Univ.-Prof. Dr. Thomas Müller, Universitätsklinik für Pädiatrie I in Innsbruck, Positives: In den vergangenen zehn Jahren haben die Ärzte kein einziges Kind bei der Operation oder unmittelbar danach verloren, die internationale Überlebensrate nach einem Jahr beträgt bei Kindern mehr als 90%. Jährlich werden in Innsbruck zwischen 7 und 15 Lebertransplantationen bei Kindern mit ausgezeichneter Prognose durchgeführt, erklärte Müller im Interview anlässlich der neuen Erkenntnisse britischer Forscher zur Hepatitis unbekannter Ätiologie bei Kindern, die Ende Juli publiziert wurden (siehe Infobox 1).2, 3

Infobox 1

Steckt das Virus AAV2 hinter den Hepatitiden?

Ein Virus, das normalerweise keine schweren Erkrankungen auslöst und sich im menschlichen Körper nicht vermehren kann, könnte für die mysteriösen Hepatitiserkrankungen bei Kindern verantwortlich sein: Zwei britische Forscherteams der Universität Glasgow und des University College London publizierten Ende Juli, dass sie die kompletten Genome des Adeno-assoziierten Virus 2 (AAV2) in Leber und Blut von jungen Patienten nachgewiesen haben.2, 3 Auch zwei Helferviren wurden identifiziert, ebenso ein spezifisches HLA-Allel (HLA-DRB1*0401), welches die Prädisposition bedingen könnte.

Genom sequenziert

Die beiden Forscherteams konnten AAV2 mittels metagenomischer Sequenzierung nachweisen. Dazu wird in einer Gewebe- oder Blutprobe die gesamte Erbsubstanz sequenziert und danach darauf untersucht, ob sie von Viren stammt. Das Team um Prof. Dr. Emma Thomson vom MRC Centre for Virus Research in Glasgow führte die Methode an neun der ersten Patienten durch, die seit dem 14. März in einer Kinderklinik in Behandlung waren. In allen neun Plasmaproben und in allen vier Leberbiopsien wurde das komplette Genom von AAV2 detektiert, während die Tests bei 12 Kindern mit anderen Infektionen und 33 Kindern mit einer Hepatitis anderer Genese negativ waren.

Dr. Sofia Morfopoulou vom Institute of Child Health am University College London untersuchte mit derselben Technik fünf Kinder nach einer Lebertransplantation und elf Kinder mit leichteren Infektionen. Die AAV2-DNA war in allen Leberbiopsien und in zehn von elf Plasmaproben enthalten. Der Erreger konnte bisher nicht per Elektronenmikroskop sichtbar gemacht werden, ebenso fehlt der experimentelle Beweis für eine Übertragung. Dennoch spricht angesichts dieser Erkenntnisse einiges dafür, dass AAV2 der (Mit-)Auslöser sein könnte.

Koinfektion notwendig

Zudem wiesen die schottischen Virologen auch eine gleichzeitige Infektion mit humanen Adenoviren (HAdV) der Spezies C und F bei 6 Kindern und mit dem humanen Herpesvirus 6B (HHV6B) bei drei Kindern nach. HHV6B ist als Erreger des Exanthema subitum bekannt, eines an sich harmlosen Drei-Tage-Fiebers. Das DNA-Virus AAV2 zählt zu den Dependoparvoviren, die sich nicht ohne fremde Hilfe replizieren können. Daher ist eine Koinfektion mit anderen Viren notwendig, wobei HAdV und HHV6B zu den bekannten Helferviren zählen. Nach Einschätzung von Thomson kommt HAdV am ehesten dafür infrage, den Weg für eine Infektion der Leberzellen mit AAV2 geebnet zu haben. Die direkte Beteiligung von SARS-CoV-2 schließen die britischen Forscher aus, ebenso eine Infektion mit Adenoviren vom Typ F41.2,3,5

In Österreich wurden bislang sechs Fälle an das ECDC gemeldet (Stand 28. Juli). Haben Sie in Innsbruck bereits Kinder mit akuter Hepatitis unbekannter Ätiologie behandelt?

T. Müller: In Innsbruck haben wir bisher kein Kind behandelt, ich war in vier Verdachtsfällen aus Wien und Graz involviert, bei drei Kindern wurde eine Leberbiopsie durchgeführt. Alle drei Kinder wurden erfolgreich mit Steroiden behandelt. Bei keinem der Patienten war eine Lebertransplantation notwendig.

Welche typische Symptomatik bzw. welche auffälligen Laborparameter konnten bei betroffenen Kindern festgestellt werden? Worauf sollte bei Verdachtsfällen geachtet werden?

T. Müller: Typisch ist ein Beginn mit unspezifischen gastrointestinalen Symptomen wie Bauchschmerzen, Übelkeit, Durchfall, die länger andauern und mit überdurchschnittlichem Krankheitsgefühl verbunden sind. Durch die Awareness aufgrund der bekanntgewordenen Hepatitisfälle wird man mehr Laborwerte untersuchen, als es bisher der Fall bei unkomplizierter Gastroenteritis war – mit Leberwerten, Bilirubin und Blutgerinnung. Letztere ist wichtig, weil sie über die Funktionsleistung der Leber Auskunft gibt. Die Leberenzyme sind bei Virusinfekten im Sinne einer Begleithepatitis öfter leicht bis moderat erhöht, ohne dass das Grund zur Besorgnis wäre. Nun sollte man im Akutfall die erhöhten Transaminasen in regelmäßigen Intervallen kontrollieren, bis sie sich vollständig normalisiert haben. Sollte das Kind einen Ikterus aufweisen, ist der Fall ohnehin klar und eine weiterführende hepatologische Abklärung ist notwendig.

Es gibt mehrere Hypothesen zur Ätiologie der Non-A–E-Hepatitis, die u.a. Covid-19-Infektionen, Adeno-assoziiertes Virus 2 (AAV2) und auch genetische Faktoren berücksichtigen. Wie lautet denn Ihre Ansicht dazu?

T. Müller: Was man mit ziemlicher Sicherheit ausschließen kann, ist eine Übertragung durch Haustiere wie Hunde und Katzen oder Umweltfaktoren, z.B. eine toxische Komponente. Dagegen spricht das weltweit gleichzeitige Auftreten der Erkrankung.

Die betroffenen Kinder aus den beiden aktuellen Studien aus Schottland und England haben einen spezifischen HLA-Typ, HLA-DRB1*0401, der in der nordeuropäischen Bevölkerung etwas häufiger auftritt. Aufgrund der relativ niedrigen Fallzahlen liegt eine genetische Prädisposition nahe. Die Frage, die noch offen ist: Welches Virus ist ursächlich beteiligt? Der erste Verdacht ging relativ schnell in Richtigung Adenoviren. Allerdings wurde eine akute Virushepatitis bald als unwahrscheinlich angesehen, weil in den PCR-Untersuchungen in Leberbiopsien keine Viren nachgewiesen werden konnten. Auch bei den drei österreichischen Fällen mit Leberbiopsie waren PCR-Unterscuchungen bezüglich hepatotroper Viren negativ. Daher waren auch wir in Österreich sehr früh der Auffassung, dass es sich um ein autoimmunologisches Phänomen nach einer vorausgegangenen Virusinfektion handeln dürfte, konkret um eine serogenative, durch CD-8-Zellen vermittelte Autoimmunhepatitis. Dass die Erkrankung sehr schnell und effektiv auf eine Steroidtherapie – im Gegensatz zu Virostatika – anspricht, bestätigt diese Annahme.

Wie beurteilen Sie die aktuellen Erkenntnisse britischer Forscher?

T. Müller: In den kürzlich publizierten Erkenntnissen einer schottischen2 und einer englischen3 Forschungsgruppe steht eine Drei-Säulen-Hypothese im Mittelpunkt: zum einen die bereits erwähnte genetische Prädisposition, zum zweiten das angesprochene Adeno-assoziierte Virus 2, das AAV2, und ein weiteres Virus, da man weiß, dass sich dieses Virus im Menschen nicht replizieren kann. Das bedeutet, es braucht eine Koinfektion – bekanntermaßen entweder mit Adenovirusstämmen oder humanen Herpesviren. Petter Brodin4 hatte diese Koinfektionshypothese schon früh mit SARS-CoV-2- und Adenoviren aufgestellt, siekonnte allerdings bisher noch nicht experimentell bestätigt werden. Jetzt geht es darum, wer es als Erster schafft, herauszufinden, welches Antigen die CD-8-Zellen in der Leber stimuliert. Ist es Virus 1 oder ist es Virus 2 bzw. eine Kombination aus beiden? Und auch SARS-CoV-2 ist nicht vom Tisch. Die Evidenz dafür ist derzeit virologisch schwach, epidemiologisch stark.

Wie sieht die Therapie der betroffenen Kinder aus bzw. von welchen Faktoren hängt sie ab?

T. Müller: Bei persistierenden hohenLeberwerten und spätestens bei Anzeichen eines Ikterus würde ich zum Ausschluss einer anderen Erkrankung zu einer Leberbiopsie mit Untersuchung auf CD-8-Zellen raten. Ist der Nachweis von CD8-positiven T-Zellen gegeben und eine aktive Virusreplikation mittels PCR formal ausgeschlossen, sollte unmittelbar mit einer Cortisontherapie begonnen werden. Erfahrungsgemäß sprechen die Kinder sehr schnell auf diese Behandlung an, im Fall eines Wiener Kindes haben sich die Leber- bzw. Billirubinwerte innerhalb von 24 Stunden halbiert.

Wie aufwendig ist eine Lebertransplantation bei Kindern? Wie häufig wird sie durchgeführt, bei welchen Indikationen, und wie ist die Prognose?

T. Müller: In Österreich werden pro Jahr zwischen 7 und 15 Lebertransplantationen bei Kindern durchgeführt. Zu den Indikationen in den ersten zwei Lebensjahren zählen hauptsächlich cholestatische Erkrankungen wie die Gallengangatresie, wenn es nach einer Operation nach Kasai nicht zu einem ausreichenden Gallenfluss kommt. Ab dem dritten Lebensjahr sind es hauptsächlich angeborene Stoffwechselerkrankungen wie der Morbus Wilson. Die Prognose für Kinder nach einer Lebertransplantation ist ausgezeichnet. International ist die Ein-Jahres-Überlebensrate in allen Altersgruppen mehr als 90%. Auch die Lebensqualität ist gut: Wir haben gerade ein Kind mit Morbus Wilson für eine akute Lebertransplantation gelistet. Wenn alles gut verläuft, muss der Bub in einem Jahr nur noch ein Medikament einnehmen und alle drei Monate zur medizinischen Kontrolle.

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Historische Parallelen

In den Wintermonaten der Jahre 1921 und 1922 wurden in mehreren US-Bundesstaaten sporadische Fälle von Hepatitis bei Kindern festgestellt, wobei der Ikterus auf eine Lebererkrankung hinwies. Der Gesundheitsinspektor Huntington
Williams beschrieb damals eine Zunahme der Zahl solcher Fälle bei Kleinkindern im Staat New York. Bei der Analyse von 700 Betroffenen wurden ähnliche Merkmale wie bei den aktuellen Fällen festgestellt: Fieber mit mehrtägiger Anorexie,
Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen, Verstopfung, lehmfarbener Stuhl und mit Galle gefärbter Urin – ein Zustand, der drei Tage bis eine Woche lang andauerte, gefolgt von einem Rückgang der Symptome und dem Auftreten einer Gelbsucht, die sich über mehrere Wochen zurückbildete. Bei fünf Patienten kam es zu einem tödlichen Leberversagen. Damals wurde die Hypothese aufgestellt, dass diese Fälle mit der Influenzapandemie im Jahr 1918 zusammenhängen könnten.6, 7

1 https://www.ecdc.europa.eu/en/hepatitis/joint-weekly-hepatitis-unknown-origin-children-surveillance-bulletin ; Stand: 28.Juli 2022, zuletzt abgerufen am 23.8.2022 2 Thomson E et al.: Adeno-associated virus 2 infection in children with non-A-E hepatitis. medRxiv 2022 Preprint; doi: 10.1101/2022.07.19.22277425 3 Morfopoulou S et al.: Genomic investigations of acute hepatitis of unknown aetiology in children. medRxiv 2022 Preprint; doi: 10.1101/ 2022.07.28.22277963 4 Brodin P, Arditi M: Severe acute hepatitis in children: investigate SARS-CoV-2 superantigens. Lancet Gastroenterol Hepatol 2022; 7(7): 594-5 5 https://www.ucl.ac.uk/child-health/news/2022/jul/hepatitis-cases-children-linked-adeno-associated-virus-aav2; zuletzt abgerufen am 8.8.2022 6 Kelly DA, Stamataki Z: Sudden onset hepatitis in children. Nat Rev Gastroenterol Hepatol 2022; 1-2 7 Williams H: Epidemic jaundice in New York State, 1921–1922. JAMA 1923; 80: 532-4

Unser Gesprächspartner:

Univ.-Prof. Mag. Dr. Thomas Müller
Direktor der Universitätsklinik für Pädiatrie I
Medizinische Universität Innsbruck
E-Mail: thomas.mueller@i-med.ac.at

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