Gestiegene Lebenserwartung dank neuer Therapien
Bericht:
Dr. Corina Ringsell
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Assoc.-Prof PD Dr. Karoline Gleixner und Ao. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang R. Sperr, beide Universitätsklinik für Innere Medizin I, Medizinische Universität Wien/AKH Wien, leiteten durch die Fortbildungsveranstaltung, die neue Entwicklungen im weiten Feld der Leukämien beleuchtete.
Akute myeloische Leukämie (AML)
Prof. Wolfgang Sperr eröffnete den Abend mit aktuellen Entwicklungen bei der AML. Dabei ging er zunächst auf die Änderung der WHO-Klassifikation ein, durch die bei den meisten genetisch definierten AML-Formen die Blastenzahl in der Diagnostik keine Rolle mehr spielt.1 Für das weitere Vorgehen sind laut Sperr Faktoren wie Alter, Allgemeinzustand und Komorbiditäten der Betroffenen relevant.2 Anhand solcher Faktoren können sie in „fit für Induktion und Stammzelltransplantation (SZT)“, „fit für Induktion, aber nicht für SZT“, „unfit“ und „gebrechlich“eingeteilt werden.3
Freuen sich über einen gelungenen Fortbildungsabend (v.l.n.r.): Prof. Alexander Hauswirth, Prof. Karoline Gleixner, Prof. Wolfgang Sperr
Ebenso wichtig sind krankheitsbezogene Parameter, etwa vorherige hämatologische Malignome, Karyotyp und molekulare Marker. Die ELN-Klassifikation auf Basis der zytogenetischen und molekularen Befunde gibt Hinweise darauf, wie intensiv eine Therapie erfolgen sollte. So kann bei einem günstigen Risikoprofil eine Chemotherapie ausreichen, während bei einem ungünstigen Profil eine SZT nötig ist. AML-Formen, die weder in die eine noch in die andere Kategorie passen, bilden die Gruppe „intermediäres Risiko“.4 Sperr wies darauf hin, dass Diagnostik und Klassifizierung zeitaufwendig sind und nicht sofort eine Therapie eingeleitet werden kann. Dies habe aber keinen Einfluss auf das Gesamtüberleben, betonte er.5,6
Die Standard-Induktionstherapie nach dem 7+3-Schema besteht aus Cytarabin und einem Anthrazyklin. Je nach molekulargenetischem Befund können zusätzliche Wirkstoffe eingesetzt werden, beispielsweise ein Tyrosinkinase-Inhibitor (TKI) beim Vorliegen einer FLT3-Mutation. Derzeit sind Midostaurin und Quizartinib verfügbar.7,8 Bei CD33-positiver AML wird die Hinzunahme von Gemtuzumab Ozogamicin (GO) empfohlen.3,9
Die einzige kurative Therapie der rezidivierten und/oder refraktären AML ist die allogene SZT.3 Hier habe sich gezeigt, dass es nicht notwendig ist, vor der SZT eine Komplettremission (CR) zu erreichen,10 sagte Sperr. Die Prognose werde vielmehr durch das genetische AML-Risiko nach ELN (p<0,0001), das Alter der Patient:innen (p=0,001) und eventuelle Komorbiditäten (p=0,046) bestimmt.11
Akute lymphatische Leukämie (ALL)
Assoc.-Prof. PD Dr. Alexander W. Hauswirth, Universitätsklinik für Innere Medizin I, Medizinische Universität Wien/AKH Wien, ging der Frage nach, ob bei der Philadelphia-positiven B-ALL (Ph-pos. B-ALL) eine Chemotherapie-freie Behandlung möglich ist. Über Jahrzehnte sei die Hochdosis-Chemotherapie nach dem GMALL-Protokoll Standard für alle ALL-Formen gewesen, sagte er. Mit einer Behandlungsdauer von etwa 52 Wochen für Induktion, Risikostratifizierungen sowie Konsilidierung sei es aber sehr kompliziert und zeitaufwendig. Bei Patient:innen mit minimaler Resterkrankung (MRD) nach Abschluss der Therapie könne die Behandlung sogar noch länger dauern, so Hauswirth. Dies sei nicht nur wegen der wiederholten stationären Aufenthalte sehr belastend, sondern auch aufgrund der Nebenwirkungen der Therapie. Die Alternative, Hyper-CVAD, beinhalte ebenfalls eine Hochdosis-Chemotherapie, verzichte aber auf die Risikostratifizierungen, abgesehen von der MRD-Bestimmung, so Hauswirth.
Mittlerweile halten neue Therapien wie Small Molecules und Antikörpertherapien vermehrt Einzug in die Erstlinienbehandlung. Eine davon ist der bispezifische Antikörper Blinatumomab. Er ist gegen das vor allem auf den Tumorzellen exprimierte Oberflächenantigen CD19 gerichtet und aktiviert CD3-positive T-Zellen, die dann gezielt die Tumorzellen zerstören.12 Eine weitere Option ist das CD22-Antikörper-Wirkstoff-Konjugat (ADC) Inotuzumab Ozogamicin.13
Bei der Ph-pos. B-ALL kommt es zu einer Translokation t(9;22). Das dadurch entstehende onkogene BCR::ABL1-Fusionsgen codiert für eine Rezeptortyrosinkinase, die zur unkontrollierten Proliferation und fehlerhaften Apoptosesteuerung der Zelle führt.14 Hier setzt die Therapie mit TKI an, beginnend mit Imatinib bis zu den neueren Substanzen wie Dasatinib oder Ponatinib.15 TKI werden inzwischen laut Hauswirth auch als Erhaltungstherapie nach Transplantation eingesetzt. Ein Problem der TKI-Therapie sei jedoch, dass es innerhalb kurzer Zeit zu Resistenzen kommen kann, die eine Anpassung der Behandlung erfordern.16
Aktuell werde ein nahezu Chemotherapie-freies Protokoll mit Ponatinib plus Blinatumomab eingesetzt. Lediglich eine intrathekale Chemotherapie sei nötig, um ZNS-Metastasen vorzubeugen, erklärte Hauswirth. Die Ergebnisse seien vielversprechend: 95% der Patient:innen erreichten eine CR, 98% seien MRD-negativ.17 Der Vorteil dieses Protokolls: Nach der dreiwöchigen stationären Induktion erfolgt die weitere Therapie ambulant. Allerdings gebe es auch innerhalb der Ph-pos. B-ALL unterschiedliche Risikogruppen, vor allem, wenn außer BCR::ABL1 weitere Mutationen auftreten. Daber sei für das Monitoring immer ein Next-Generation-Sequencing (NGS) erforderlich, betonte er.
Chronische lymphatische Leukämie(CLL)
Univ.-Prof. Dr. Dr. Philipp B. Staber, Universitätsklinik für Innere Medizin I, Medizinische Universität Wien/AKH Wien, trug Aktuelles zur CLL vor. Zunächst gab er einen Überblick über die Entstehung, Diagnostik und Stadieneinteilung der Krankheit. Für die Diagnostik sind nur ein Blutbild und eine Immunphänotypisierung für den Nachweis der Marker CD5, CD19, CD23 und seltener CD20 erforderlich. Bei einer Lymphozytenzahl von >5000/µl im peripheren Blut liegt eine CLL vor.18 Bei <5000/µl plus Lymphknoten-/Milzvergrößerung und Anämie spricht man von einem kleinzelligen lymphozytischen Lymphom (SLL), ohne Lymphknoten-/Milzvergrößerung und Anämie von einer monoklonalen B-Zell-Lymphozytose (MBL).18 Wichtig ist darüber hinaus, ob eine IGHV-Mutation vorliegt, da dies für die Prognose und die Therapie eine Rolle spielt.19
Die Stadieneinteilung der CLL erfolgt anhand von Thrombozytenzahl, Hämoglobinwert und betroffenen Lymphknotenregionen in drei Stadien (A, B, C). Bei Hämoglobinwerten <10/dl und Thrombopenie (<100000/μl) liegt das fortgeschrittene Stadium C vor, das immer eine Therapieindikation ist.20,21 Eine CLL der Stadien A und B wird nur dann behandelt, wenn sie Symptome verursacht.21 Eine asymptomatische CLL im Frühstadium zu behandeln hat keinen Vorteil.22
Staber ging außerdem auf die Veränderungen ein, die eine CLL im Krankheitsverlauf und unter der Therapie durchmacht. So verändern auch die eingesetzten Medikamente beispielsweise das zytogenetische Profil der Krankheit.23,24 Die Hauptkomplikation der CLL und ihrer Therapie ist eine Beeinträchtigung des Immunsystems, weshalb Infektionen bei CLL-Patient:innen die häufigsten Todesursachen sind.
Die Therapie erfolge inzwischen nahezu ausschließlich mit zielgerichten Medikamenten wie BTK-Inhibitoren, Bcl2-Inhibitoren oder monoklonalen Antikörpern.19 Die Chemoimmuntherapie sei fast vollständig verschwunden, erklärte Staber. Zwar sei die CLL derzeit nicht heilbar, aber gut zu behandeln. Die Prognose der meisten Patient:innen sei sehr gut, betonte er.
Chronische myeloische Leukämie(CML)
Den Vortragsabend beschloss Prof. Karoline Gleixner mit der Antwort auf die Frage, ob die CML eine „langweilige“ Krankheit geworden sei. Dies sei natürlich nicht der Fall, obwohl die 5-Jahres-Überlebensrate erfreulicherweise von 38% in den 1980er-Jahren auf 96% im Zeitraum von 2012 bis 2022 gestiegen sei,25so Gleixner.Die meisten Patient:innen hätten inzwischen eine Lebenserwartung, die sich nicht von Gesunden unterscheide.
Oft sei die CML ein Zufallsbefund, sagte Gleixner. Obwohl die Diagnose anhand der Identifikation des auslösenden Onkogens in aller Regel eindeutig ist, ist ein sorgsames diagnostisches Work-up unerlässlich. Typisch seien eine ausgeprägte Leukozytose mit Linksverschiebung, Eosinophilie und Basophilie.25 Essenziell ist der Nachweis von BCR::ABL1 mittels RT-PCR. Darüber hinaus gehören Blutbild, Laborparameter, um Komorbiditäten zu erfassen, und eine Bildgebung zum diagnostischen Vorgehen. Ein NGS kann sinnvoll sein, um weitere genetische Aberrationen zu erfassen, die in 20–30% der Fälle auftreten.25
Laut der aktuellen WHO-Klassifikation wird die CML eingeteilt in die chronische Phase (<20% Blasten in Blut und Knochenmark) und die Blastenphase (≥20% Blasten, extramedulläre Blastenproliferation, Lymphoblasten im Blut oder Knochenmark).1 Hochrisikoindikatoren in der chronischen Phase sind unter anderem: hoher ELTS-Score, 10–19% Blasten, Blutbasophile ≥20%, zusätzliche chromosomale Aberrationen und komplex aberranter Karyotyp.1 Die Erstlinientherapie erfolgt mit TKI. In Österreich sind dafür Imatinib, Dasatinib, Nilotinib und Bosutinibzugelassen.25 Die Wahl der Therapie hänge unter anderem von Alter, Komorbiditäten und Risikoprofil der Patient:innen sowie dem Nebenwirkungsprofil der TKI ab. Unter Umständen sollte bei fitten Patient:innen mit Hochrisikofaktoren entweder mit einem TKI der zweiten Generation begonnen oder frühzeitig nach einem Stammzellspender gesucht werden, sagte Gleixner.
Das Monitoring erfolgt durch die quantitative Messung von BCR::ABL1.25 Wichtig ist dabei, dass innerhalb drei, sechs und zwölf Monaten bestimmte „Meilensteine“ erreicht werden. So sollte die BCR::ABL1-Last nach drei Monaten <10% liegen, nach sechs Monaten <1% und nach zwölf Monaten <0,1%. Werden diese Werte nicht erreicht, muss nach der Ursache gesucht und ggf. die Therapie umgestellt werden.25
Kommt es zu einem Rezidiv oder fehlendem Ansprechen, bietet sich für die Zweitlinientherapie Ponatinib an. Es kann auch bei BCR::ABL1-T315I-Mutationen eingesetzt werden, die eine der häufigsten Ursachen für das Therapieversagen von TKI der ersten und zweiten Generation sind. Eine weitere Option ist Asciminib, das ein STAMP-Inhibitor ist und somit einen anderen Wirkmechanismus hat und nicht an die ATP-Tasche bindet.25
Innerhalb von zehn Jahren nach Ausbruch der CML geht sie bei 5–10% der Patient:innen in die Blastenphase über. Diese entspricht in 70% der Fälle einer AML, in 30% einer ALL, aber mit schlechterer Prognose, da BCR::ABL1 erhalten bleibt. Die einzige kurative Therapie ist eine Kombinationschemotherapie plus TKI oder TKI plus Antikörpertherapie und dann so rasch wie möglich eine allogene SZT anzustreben, betonte Gleixner.25
Literatur:
1 Khoury JD et al.: Leukemia 2022; 36(7): 1703-19 2 Graf I et al.: Am J Hematol 2023; 98(2): 290-9 3 Onkopedia-Leitlinie „Akute Myeloische Leukämie (AML)“. Stand September 2025 4 Döhner H et al.: Blood 2022; 140(12): 1345-77 5 Baden D et al.: Haematologica 2024; 109(8): 2469-77 6 Röllig C et al.: Blood 2020; 136(7): 823-30 7 Stone RM et al.: N Engl J Med 2017; 377(5): 454-64 8 Erba HP et al.: Lancet 2023; 401(10388): 1571-83 9 Hills RK et al.: Lancet Oncol 2014; 15(9): 986-96 10 Stelljes M et al.: Lancet Haematol 2024; 11(5): e324-35 11 Stelljes M et al.: Blood 2025; blood.2025028730 12 Topp MS et al.: Blood 2010; 116(21): 174 13 Shor B et al.: Mol Immunol 2015; 67(2 Pt A): 107-16 14 Kim JC et al.: Nat Genet 2023; 55: 1186-97 15 Raza MZ et al.: Crit Rev Oncol Hematol 2025; 213: 104806 16 Rousselot P et al.: Blood 2016; 128(6): 774-82 17 Kantarjian H et al.: J Clin Oncol 2024; 42(36): 4246-51 18 Rawstron AC et al.: N Engl J Med 2008; 359(6): 575-83 19 Onkopedia-Leitlinie „Chronische Lymphatische Leukämie (CLL)“. Stand September 2025 20 Binet JL et al.: Cancer 1981; 48(1): 198-206 21 Hallek M et al.: Blood 2018; 131(25): 2745-60 22 Langerbeins P et al.: Blood 2022; 139(2): 177-87 23 Bosch F Dalla-Favera R: Nat Rev Clin Oncol 2019; 16(11): 684-701 24 Nagler A, Wu CJ: Blood 2023; 141(4): 369-79 25 Onkopedia-Leitlinie „Chronische Myeloische Leukämie (CML)“. Stand Juni 2025
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