Stillen nach Gestationsdiabetes: Schutz für Mutter und Kind
Autorin:
Verena Heu, BSc MAS MSC nutr. med. IBCLC
Ernährungsmedizinische Beratung – Kinder und Jugendliche
Uniklinikum Salzburg
Landeskrankenhaus
E-Mail: v.heu@salk.at
Die Betreuung von Frauen mit Gestationsdiabetes sowie Frauen mit Diabetes mellitus Typ1 (T1D) nimmt in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung zu. Hier gilt es vorerst die aktuen Folgen eines schlechten Managements in der Prävention in den Vordergrund zu stellen. Das Risiko für einen Diabetes mellitus Typ2 (T2D) ist bei Müttern nach der Entbindung 7-fach erhöht. Zukünftig sollte es daher hier für die Sekundärprävention mehr Platz in der Betreuung sowohl vor als auch nach der Geburt des Kindes geben, denn Stillen schützt!
Keypoints
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Stillen nach Gestationsdiabetes bzw. bei T1D schützt Mutter und Kind.
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Die Stillvorbereitung muss präpartal erfolgen (inkl. der Übergabe eines Merkblatts an die werdenden Eltern).
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Stillen/Pumpen ist 10–12x in 24 Stunden postpartal unerlässlich.
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Stillen muss interdisziplinär unterstützt werden.
Bereits 2013 und 2016 wurde im Lancet dazu aufgerufen, die Möglichkeiten des Stillens und der Muttermilch auszuschöpfen. Es können dadurch statistisch errechnet 823000 kindliche und 20000 mütterliche Todesfälle jährlich verhindert werden. Die bereits bekannten Schutzeffekte des Stillens für Mutter und Kind sind hinlänglich belegt. Stillen kann bei Frauen mit einem Gestationsdiabetes das Risiko, einen Diabetes zu entwickeln, senken: Wird weniger als 3Monate lang oder gar nicht gestillt, beträgt das Risiko, innert 15 Jahren einen T2D zu entwickeln, 72%, bei einer Stilldauer von mehr als 3Monaten sinkt das Risiko auf 42%. Das erhöhte Prolaktin während der Stillzeit ist bei der hepatischen Insulinsensitivität involviert und zeigt positive Wirkung auf Betazellen. Es fördert die Proliferation und minimiert die Apoptose. Der erhöhte Energieverbrauch während der Stillzeit (ca. 500 kcal täglich) trägt zur Gewichtsreduktion nach der Entbindung bei.
Prä- und postnatale Stillberatung
Eine präpartale Stillvisite kann für eine realistische Erwartungshaltung der Mutter sorgen und soll (nicht nur bei Gestationsdiabetes, im besten Falle auch bei T1D oder schwerem Übergewicht) auf eventuelle Herausforderungen, wie eine verzögerte initiale Brustdrüsenschwellung (früher Milcheinschuss), vorbereiten. Die präpartale Kolostrummassage ist evidenzbasiert ab der 37. Schwangerschaftswoche möglich, eine Stillberatung durch IBCLC (International Board Certified Lactation Consultant) oder betreuende Nachsorgehebammen können dabei begleiten und unterstützen. Dies ermöglicht den laut AWMF-Leitlinie geforderten Ernährungsstart des Babys nach spätestens 30 Minuten. Generell erhält die Mutter die Information, dass Kolostrum bereits im letzten Drittel der Schwangerschaft vorhanden ist und ein vorzeitiger Wehenbeginn nicht zu erwarten ist. Sie bekommt grundlegend die Anleitung zur Brustmassage und Kolostrumgewinnung. Durchgeführt werden kann die Massage 1–2x täglich ab der 37. oder 38. Schwangerschaftswoche für 5–10 Minuten pro Brust. Aufgefangen werden kann das Kolostrum – oder liebevoll benannt das flüssige Gold – mit Spritzen (Einwegspritzen aus Polypropylen oder Polyethylen, mit Namen und Gewinnungsdatum beschriftet), die dann gut verschlossen tiefgekühlt werden und vom Partner/der Partnerin mit zur Entbindung in die Klinik transportiert werden. Dort muss die Kolostrumprobe sofort weitergekühlt werden bis zur Verwendung. Diese Vorbereitung kann eine Zufütterung mittels Formula-Nahrung vermeiden helfen.
Vorbestehender T1D
Bei einem vorbestehenden T1D ist nach Stillbeginn evtl. ein reduzierter Insulinbedarf (bis zu 25%) zu beachten, ebenso wie ein erhöhtes Risiko für Soorinfektionen und Milchstau. Nächtliche Kohlenhydratgaben bei der Mutter im Sinne zusätzlicher Mahlzeiten sind laut aktueller Datenlage zur Hypoglykämieprävention nicht nötig. Wie für alle stillende Frauen ist ein gesunder Lebensstil, der ausreichend Bewegung und regelmäßige sowie ausgewogene Mahlzeiten beinhaltet, empfohlen. Spezielle Empfehlungen zur Vermeidung von Koliken beim Baby sind nicht einzuhalten, Alkohol und Nikotin sind zu meiden.
Fazit
Die WHO (World Health Organization)empfiehlt das ausschließliche Stillen für die ersten sechs Lebensmonate und ergänzend bis zum zweiten Lebensjahr oder darüber hinaus. Dies gilt selbstverständlich auch für Mütter nach Gestationsdiabetes oder mit T1D.
Abb. 1: Ernährungspyramide für Schwangerschaft und Stillzeit (Quelle: Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz)
Zusammenfassend kann gesagt werden: Je öfter die werdende diabetische Mutter aus dem interdisziplinär betreuenden Team (aus Ärzt:innen, Pflegepersonal, Diätolog:innen, Hebammen, Stillberatenden) über die Bedeutung des Stillens für sich selbst und ihr Baby aufgeklärt wird, desto eher wird mit guter Unterstützung im Wochenbett ein guter Stillstart möglich sein.
Literatur:
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