
Wie die richtige Kommunikation über Nutzen versus Risiken gelingt
Bericht:
Dr. Felicitas Witte
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Geht es um das Thema Hormone in den Wechseljahren, kommt man sich vor wie in dem Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“. In der Komödie von 1993 mit Bill Murray und Andie MacDowell ist der mies gelaunte Wetteransager Phil Connors in einer Zeitschleife gefangen und erlebt immer wieder den gleichen Tag. So ähnlich ist es auch mit der Hormontherapie in den Wechseljahren. Alle paar Jahre kommen neue Studien heraus, die vor mehr Risiken warnen und die Hormone verteufeln, und kurze Zeit später werden andere Studien publiziert, die die Hormone wieder rehabilitieren. Was am Ende bleibt, ist Unsicherheit. Was soll man seinen Patientinnen empfehlen?
Neue US-Empfehlungen wenig hilfreich
Nun gab es wieder eine Publikation, die dann natürlich wieder postwendend kritisiert wurde. Diesmal ging es darum, ob die Hormone das Risiko für chronische Krankheiten senken, und zwar koronare Herzkrankheit, Osteoporose oder Krebs. Die US Preventive Services Task Force (USPSTF), ein unabhängiges Expertengremium, das systematisch die Studienlage zu präventiven Maßnahmen überprüft, hatte im November 2022 im JAMA ihre überarbeitete Empfehlung zur postmenopausalen Hormontherapie veröffentlicht.1 Das Fazit: Die USPSTF rät sowohl von kombinierten Östrogen-Gestagen-Hormonpräparaten als auch von alleiniger Östrogengabe im Falle einer Hysterektomie zur reinen Prävention chronischer nicht übertragbarer Erkrankungen ab. Zwar gab es Hinweise, dass die kombinierte Hormontherapie das Risiko für Frakturen, Diabetes, Darmkrebs etwas senkt und dass es mit alleiniger Östrogengabe etwas seltener zu Frakturen, Darm- und Brustkrebs kommt. Doch die negativen Effekte – erhöhtes Risiko für Brustkrebs bei der kombinierten Gabe und bei beiden Formen, wenn oral appliziert, für Schlaganfall, Thromboembolien, Gallenblasen-erkrankungen und Harninkontinenz – überwiege, sodass sich die Experten gegen die Empfehlung einer Hormontherapie aus rein präventiven Gründen ausgesprochen haben. In der Märzausgabe des JAMA hagelte es dann Kritik.2 Die USPSTF-Experten hätten seit der letzten Empfehlung von 2017 zu wenige neuere Studien herangezogen, die den Hormonen positive Effekte in der Primärprävention bescheinigt hätten. Und die USPSTF-Experten hätten zu wenig das Alter der Studienteilnehmerinnen berücksichtigt, denn wenn eine Frau die Hormone vor dem 60. Lebensjahr nimmt beziehungsweise innert zehn Jahren nach der Menopause, hat sie ein geringeres kardiovaskuläres Risiko.3
„Die Empfehlungen der USPSTF sind für die Praxis wenig hilfreich, weil sie viel zu einseitig sind“, sagt Prof. Petra Stute, Stv. Chefärztin Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin in der Universitätsklinik für Frauenheilkunde im Inselspital Bern. „Dass die Hormone vielen Frauen Erleichterung bringen, gut wirken und auch gut vertragen werden, wenn man sie sorgsam verschreibt, geht völlig unter.“ Abgesehen davon habe sie noch nie eine Patientin gesehen, die sie nach Hormonen gefragt habe, um chronischen Krankheiten vorzubeugen. „Die Beschwerden stehen im Vordergrund, und die Frauen wollen eine wirksame Behandlung. An zweiter Stelle kommen dann die Bedenken wegen der Nebenwirkungen – und hier natürlich in erster Linie Brustkrebs.“ Es ist verständlich, dass Frauen unsicher sind wegen einer Hormontherapie. Schließlich bescheinigte eine Studie der Women’s Health Initiative im Jahr 2002 den Präparaten ein erhöhtes Risiko für Brustkrebs und kardiovaskuläre Ereignisse. Erst Jahre später kam heraus, dass die Studie nicht differenziert genug oder sogar falsch interpretiert wurde. Als Folge stehen noch heute viele Frauen einer Hormontherapie skeptisch gegenüber. „Dagegen helfen nur klare Zahlen, verständlich erklärt“, sagt Petra Stute.
Nutzen und Risiken mit Bildern erklären
Ideen, wie es in der Sprechstunde gelingt, Frauen mit menopausalen Beschwerden die Nutzen und Risiken einer Hormontherapie zu verdeutlichen, hat Dr. Erik Rifkin im Sommer 2022 publiziert. Rifkin ist Wissenschafter an der School of Public Health, Johns Hopkins University in Baltimore.4 Er schlägt für die Verdeutlichung die Zeichnung eines Theaters vor – das kann sich jede Frau vorstellen. Im Theater sitzen 1000 Frauen mit Hitzewallungen, repräsentiert durch weiße Sitze. Nehmen diese 1000 Frauen Hormone ein, werden sich bei bis zu 900 von ihnen die Hitzewallungen deutlich bessern – 900 Sitze sind in der Grafik lila gefärbt (Abb. 1a und 1b). „So kann die Frau auf einen Blick sehen, wie vielen Frauen es damit besser geht“, erklärt Stute. Dies muss man dann natürlich abwägen gegen das Brustkrebsrisiko. Wichtig sei zunächst einmal zu erklären, dass Frauen per se ein Risiko haben, Brustkrebs zu bekommen – völlig unabhängig von einer Hormontherapie, sagt Stute. „Eigentlich ist das ja allgemein bekannt, aber immer wieder erlebe ich Patientinnen, die meinen, es würde nur durch die Hormone erhöht.“ Die Wahrscheinlichkeit, Brustkrebs zu bekommen, hängt vom Alter ab. Im Alter zwischen 50 und 54 Jahren beträgt das 5-Jahres-Risiko 1,40%. Das bedeutet: 14 von 1000 Frauen zwischen 50 und 54 werden innerhalb der nächsten fünf Jahre an Brustkrebs erkranken. Im Alter zwischen 55 und 59 sind es ebenfalls 14 von 1000, zwischen 60 und 64 Jahren 17 von 1000 und zwischen 65 und 69 Jahren 20 von 1000.5 Basierend auf den Neuerkrankungsraten in Europa und den USA wird geschätzt, dass, wenn 1000 Frauen zwischen 50 und 70 Jahren 13 Jahre Hormone nehmen, zehn Frauen mehr Brustkrebs bekommen, als das ohne die Hormone der Fall gewesen wäre.6,7 Im Theater sind dann also zehn Plätze lila gefärbt, was dem erhöhten Risiko in 13 Jahren entspricht (Abb. 2). In der „Women’s Health Initiative“-Studie wurde eine Risikozunahme von 26% verzeichnet.8,9 Auf 1000 Frauen bezogen, erkranken dann innerhalb eines Jahres nicht drei, sondern 3,8 Frauen an Brustkrebs, das heißt eine mehr. Im Theater ist das also ein lila Platz. „Hier muss allein die Frau entscheiden, wie sie Vor- und Nachteile – also die jeweils gefärbten Plätze – gewichtet“, sagt Stute. „Für die eine ist schon ein lila Nebenwirkungs-Stuhl zu viel, der anderen wären auch 50 egal, weil sie so sehr unter ihren Symptomen leidet.“
Abb. 1a und 1b: Nehmen 1000 Frauen mit vasomotorischen Beschwerden (weiße Plätze im Theater links) Hormone, bessern sich bei 900 von ihnen die Symptome deutlich (lila Plätze im Theater rechts). Nach Rifkin E4
Abb. 2: Mit einer Hormontherapie bekommen 10 von 1000 Frauen innerhalb von 13 Jahren zusätzlich Brustkrebs. Nach Rifkin E4
Risiko abhängig von Präparat und Dauer
Eine Östrogen-Monotherapie ging in manchen Studien mit einem etwas geringeren Risiko für Brustkrebs einher, in anderen aber auch mit einem höheren, so dass sich keine eindeutige Aussage treffen lässt. Östrogene vaginal appliziert können die systemischen Östrogenspiegel kurzfristig ansteigen lassen. Bisher gibt es aber keine Hinweise darauf, dass eine vaginale Östrogentherapie das Brustkrebsrisiko erhöht. Abgesehen von der Anwendungsart spielen auch die Zusammensetzung der Hormonpräparate und die Anwendungsdauer eine Rolle. So liegen beispielsweise Hinweise vor, dass eine Östrogen-Gestagentherapie mit Progesteron/Dydrogesteron zu einer stärkeren Steigerung des Risikos führt, wenn die Frau die Hormone länger als acht Jahre nimmt, im Vergleich zu einer Behandlungsdauer von fünf Jahren und kürzer.10 Ähnlich wie mit dem Brustkrebsrisiko lassen sich auch die anderen Nebenwirkungen der Hormontherapie visualisieren. So erhöht eine orale Östrogentherapie das Risiko für venöse thromboembolische Ereignisse auf das Doppelte. Während eines Zeitraums von zehn Jahren bekommen zwei von 1000 Frauen im Alter von 50 bis 60 Jahren eine Lungenembolie. Mit Hormontherapie sind es dann also vier von 1000. Im Theater bedeutet das: vier lila Sitze unter den 1000 weißen statt zwei lila Sitze.
Auch das synthetische Hormon Tibolon kann vasomotorische Symptome lindern. Es ist ein Prodrug, dessen Metaboliten östrogene, gestagene und androgene Effekte haben. Es wirkt besser als Placebo, aber schlechter als Östrogene und Gestagene. Tibolon erhöht bei Frauen ohne Brustkrebs in der Vorgeschichte nicht das Risiko für Brustkrebs. Bei Frauen mit Brustkrebs in der Vorgeschichte war Tibolon allerdings mit einem erhöhten Risiko verbunden. Tibolon erhöhte das Risiko für Schlaganfälle nur in einer Studie, in der Frauen zwischen 60 und 85 Jahren mit Osteoporose Tibolon zur Reduktion des Frakturrisikos erhalten hatten. Das Risiko für Herzinfarkt oder venöse Thromboembolien war in keiner Studie mit Tibolon erhöht. Neun Studien untersuchten das Risiko für Endometriumkarzinom unter Tibolon. Das Risiko war nicht signifikant erhöht.11
Die Spirale mit Levonorgestrel dürfte eigentlich zu keinem erhöhten Brustkrebsrisiko führen, denn das Gestagen sollte systemisch kaum aufgenommen werden. Trotzdem hat eine Metaanalyse ein erhöhtes Brustkrebsrisiko ergeben.12 Allerdings lässt diese Studie methodisch zu wünschen übrig.13 Unter anderem haben die Autoren vier Studien mit überlappenden Daten aus dem gleichen Register eingeschlossen und Kohortenstudien und Fall-Kontroll-Studien zusammen ausgewertet – beides kann das Ergebnis beeinflussen. Eine frühere Metaanalyse hatte auch kein erhöhtes Brustkrebsrisiko gezeigt.14 Abgesehen davon hätten die Autoren der Metaanalyse nicht genügend die Charakteristika der Frauen erfasst, die die Spirale bekommen hatten, sagt Stute. „Vielleicht waren das überzufällig häufig adipöse Frauen, die per se ein erhöhtes Mammakarzinomrisiko haben.“ Zudem wurde auch nicht erfasst, ob die Frauen zusätzlich eine Hormontherapie genommen hatten.
Nicht vergessen: andere Risikofaktoren
Bei der Kommunikation mit der Patientin darf man aber auch die anderen Risikofaktoren nicht außer Acht lassen. So steigt beispielsweise das Brustkrebsrisiko um 17%, wenn eine Frau übergewichtig ist. Für 1000 Frauen zwischen 50 und 60 Jahren wären das während fünf Jahren vier Fälle mit Brustkrebs mehr; im Falle von Adipositas sogar zehn Fälle mehr. Und 35 bis 44 g Alkohol pro Tag würde acht Frauen mehr an Brustkrebs erkranken lassen, mehr als 44 g elf Frauen mehr.15 Zur Erinnerung: 14 g Alkohol sind 330 ml Bier oder 150 ml Wein.
Petra Stute geht in der Praxis so vor: Sie erfasst Symptome und Leidensdruck der Patientin mittels Fragebögen, klärt sie über Benefit und Risiken auf und lässt die Frau entscheiden. Wird eine Hormontherapie gewünscht, startet sie mit einer geringen Dosis, bestellt die Patientin nach einem Monat wieder ein und erhöht allenfalls die Dosis oder wechselt auf ein anderes Präparat. Schwierig ist zu sagen, wie lange die Frau die Hormone nehmen muss. „Man sollte jährlich eine Standortbestimmung machen“, sagt sie. „Hat die Frau gar keine Wallungen mehr, kann man versuchen, die Dosis zu reduzieren.“ Die meisten Frauen bräuchten die Hormone aber jahrelang.
Literatur:
1 US Preventive Services Task Force: JAMA 2022; 328: 1740-46 2 JAMA 2023; 329: 940-43 3 Boardman HM et al.: Cochrane Database Syst Rev 2015; (3): CD002229. doi:10.1002/14651858.CD002229.pub4 4 Rifkin E: Cancer J 2022; 28: 246-53 5 Collaborative Group on Hormonal Factors in Breast Cancer: Lancet 2019; 394: 1159-68 6 Collaborative Group on Hormonal Factors in Breast Cancer: Lancet 1997; 350: 1047-59 7 Shapiro S et al.: J Fam Plann Reprod Health Care 2011; 37: 103-9 8 Rossouw JE et al.: JAMA 2002; 288: 321-33 9 Shapiro S: Climacteric 2003; 6: 302-10 10 Fournier A et al.: Breast Cancer Res Treat 2014; 145: 535-43 11 Formoso G et al.: Cochrane Database Syst Rev 2016; 10: CD008536 12 Conz L et al.: Acta Obstet Gynecol Scand 2020; 99: 970-82 13 Silva FR et al.: Acta Obstet Gynecol Scand 2021; 100: 363-4 14 Dominick S et al.: Cochrane Database Syst Rev 2015: CD007245 15 Marsden J, Pedder H: Post Reprod Health 2020; 26: 126-35