Fehlbildungen beleuchtet am Beispiel von OHVIRA
Autorin:
Dr.med. Larissa Greive
Klinik für Gynäkologie & GeburtshilfeSpital Wil
Spitalregion Fürstenland Toggenburg
und
Ostschweizer Kinderspital
St. Gallen
E-Mail: larissa.greive@icloud.com
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Das OHVIRA-Syndrom, auch bekannt als Herlyn-Werner-Wunderlich-Syndrom, ist eine seltene angeborene Anomalie des weiblichen Genitaltrakts. Es ist durch einen Uterus didelphys, eine Hemivagina und eine ipsilaterale renale Agenesie gekennzeichnet. Die Symptome umfassen starke Menstruationsschmerzen und wiederkehrende Infektionen.
Das Akronym «OHVIRA» steht für «obliterated hemivagina and ipsilateral renal agenesis», mitunter wird das Syndrom auch nach den Erstbeschreibern als «Herlyn-Werner-Wunderlich-Syndrom» (HWWS) bezeichnet. Mit einer Prävalenz von 0,1–3,8% tritt das Syndrom eher selten auf, weltweit sind nur um die 100 Fallberichte veröffentlicht. Durch eine Fehlanlage der Müller’schen Gänge kommt es zu der typischen Assoziation von renalen und genitalen Veränderungen. Die Klassifikation sollte nach ESHRE oder nach VCUAM («vagina, cervix, uterus, adnex-associated malformation») erfolgen. Je stärker die Veränderungen ausgeprägt sind, desto höher ist die numerische Bezeichnung, die Klassifikationen unterscheiden sich geringfügig. Durch die Klassifikation können die Fehlbildungen exakt und nachvollziehbar beschrieben werden (Tab. 1).1
Tab. 1: Klassifikation von Anomalien des weiblichen Genitaltrakts (modifiziert nach Grimzibis GF et al.)1
Fallbeispiele
Die Symptome treten typischerweise in der Adoleszenz, kurz nach Eintritt der Menarche, auf.
Die Mädchen haben eine zunehmende Dysmenorrhö bis zu persistierenden Unterbauchschmerzen aufgrund der zunehmenden Stauung des Menstruationsblutes in der verschlossenen Vaginalhälfte und im Uterushorn, einem resultierenden Hämatokolpos.
Zur Diagnostik wird die abdominale Sonografie des kleinen Beckens bei gefüllter Harnblase inkl. ableitender Harnwege eingesetzt. In ausgewählten Fällen kommt ergänzend eine MR-Untersuchung infrage. Eine operative Therapie mit Resektion des longitudinalen Vaginalseptums kann meist die Beschwerden rasch bessern. Wegen der Assoziation mit renalen Fehlbildungen ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit wichtig. Assoziierte Fehlbildungen können häufig erst ab einer gewissen Reife des inneren Genitals festgestellt werden, weshalb ein besonderes Augenmerk auf die Zeit zwischen der Thelarche und der Menarche gelenkt werden sollte.2 Hierzu folgen nun einige Fallbeispiele:
Fall 1
Abb. 1: Sonografie: Hämatometra
Ein 14-jähriges Mädchen stellte sich in der Verlaufskontrolle bei Nierenagenesie vor. Die letzte Kontrolle hatte vor 1,5 Jahren stattgefunden. Seit der Menarche vor acht Monaten traten zunehmende Schmerzen auf. Sonografisch konnte neu ein Uterus didelphys mit Hämatokolpos/-metra dargestellt werden (Abb. 1). In der operativen Intervention wölbte sich rechtsseitig die Vaginalwand hervor, nach Inzision entleerte sich reichlich altblutiges Sekret. Das longitudinale Septum wurde reseziert. Postoperativ zeigte sich sonografisch ein unauffälliger Uterus didelphys und die Dysmenorrhö sistierte vorübergehend. Ein Tampongebrauch ist problemlos möglich, aber bei dem Mädchen bleibt eine gewisse Unsicherheit mit jeder Menstruation und bezüglich der gewünschten Sexualität.
Fall 2
Abb. 2: Laparoskopie mit Uterus didelphys, rechtes Horn Hämatometra
Notfallmässige Vorstellung eines 12-jährigen Mädchens mit rechtsseitigen Unterbauchschmerzen. Letzte Periode vor vier Wochen, seit der Menarche unregelmässige Blutungen. Bei klinischem V.a. Appendizitis ohne erhöhte Infektwerte erfolgte eine Sonografie mit Nachweis einer verdickten Appendix und als Zufallsbefund eines Hämatokolpos/einer Hämatometra mit Hämatosalpinx sowie einer Nierenagenesie rechts mit kompensatorisch vergrösserter Einzelniere links. Neben der Resektion des Vaginalseptums wurde eine Laparoskopie mit Appendektomie durchgeführt (Abb. 2).
Der postoperative Verlauf gestaltete sich komplikationslos. In der Nachbetreuung zeigten sich eine normale Nierenfunktion und ein regelrechter Abfluss des Menstruationsbluts.
Fall 3
Abb. 3: Intraoperativer Befund bei Laparoskopie
Gynäkologisches Konsil zu einem 15-jährigen Mädchenbei zunehmender Dysmenorrhö drei Jahre nach der Menarche. Eine nephrologische Betreuung findet seit einigen Jahren wegen Doppelanlage der Niere rechts und linker Beckenniere statt. Sonografisch neu ist der V.a. Uterus didelphys, die Beckenniere links konnte nicht vom Ovar abgegrenzt werden. In der ergänzenden MR-Untersuchung bestätigte sich ein Uterus bicornis, unicollis mit nicht kommunizierendem linkem Uterushorn und Hämatosalpinx mit Endometriom (Abb. 3) sowie eine Nierenagenesie links. Operativ erfolgte eine Hemihysterektomie und Salpingektomie links mit Enukleation des Endometrioms links.
Diese Situation trifft die Mädchen in einer sehr vulnerablen Phase, der Pubertät, mit all ihren Veränderungen. In der Pubertät treten neben den hormonellen auch viele physische und psychische Veränderungen auf. Das Selbstwertgefühl und das Identitätsgefühl bezüglich des eigenen Körpers entwickeln sich. Ausserdem werden erste Erfahrungen mit der Sexualität gemacht. Die beschriebenen Fälle können starken Einfluss auf die langfristige Entwicklung der jungen Frauen haben und sie sollten eng begleitet werden, damit es nicht zu einem sozialen Rückzug kommt. Ein Hämatokolpos oder eine Hämatometra begünstigen die Ausbildung einer Endometriose und damit die Persistenz einer Dysmenorrhö, was weiterhin zu Unsicherheiten führt. Mittelfristig ist eine gute Transition mit Übergabe des konkreten Verlaufs für eine multidisziplinäre, kontinuierliche Zusammenarbeit erforderlich. So spielt die Kenntnis über die uterine Doppelanlage zur Durchführung von zwei getrennten Pap-Abstrichen eine zentrale Rolle.
Longitudinale Vaginalsepten können partiell oder komplett vorkommen. Eine Arbeit von Zhu et al. arbeitet retrospektiv 79 Fälle mit HWWS in Peking zwischen 1986 und 2013 auf und kommt zum Schluss, dass in der Klassifikation eine Untergruppe 1 für das Vorliegen eines komplett verschlossenen Vaginalseptums und eine Untergruppe 2 mit inkomplettem Verschluss unterschieden werden müssen. Es wird deutlich, dass sich der Zeitpunkt der Diagnose und die Morbidität in den Untergruppen unterscheiden.
Die Untergruppe 1 bildet frühzeitig einen Hämatokolpos aus und zeigt rasch eine starke Dysmenorrhö mit Assoziation zu Endometriose. In der Untergruppe 2 kommt es weniger oft zu einem Hämatokolpos, aber häufiger zu akuten Infektionen bei einer deutlich verzögerten Diagnosestellung.3
Fall 4
Im diesem Fall ist initial vermutlich nur ein partieller Verschluss vorgelegen, da die Vorstellung erst im Alter von 23 Jahren mit einer «pelvic inflammatory disease» (PID) erfolgte.4 In der klinischen Untersuchung wurde eine Schwellung in der Vaginalwand getastet und ein Portio-Hebe-Schiebeschmerz als Zeichen der Infektion bestätigt. Sonografisch konnte ein Uterus didelphys mit einseitigem Hämatokolpos dargestellt werden Das Vaginalseptum wurde operativ reseziert, wobei sich viel Pus entleerte. Die Rekonvaleszenz trat unter antibiotischer Therapie innerhalb weniger Tage ein. Zwei Jahre später wurde die Patientin spontan schwanger und brachte in der 39. SSW einen gesunden Jungen per II° Sectio caesarea nach frustraner Geburtseinleitung zur Welt.
Der Fall zeigt die gute Prognose für eine Schwangerschaft und Geburt. In der Arbeit von Zhu et al. wurden 85% der Patientinnen nach operativer Intervention schwanger.3 Aber es kommt auch zu einer höheren Prävalenz von Aborten, vorzeitigem Blasensprung, Frühgeburtlichkeit und persistierenden Beckenendlagen bei Uterus didelphys. Es bedarf aber in der Regel keiner elektiven Sectio-Entbindung, sondern eine Spontangeburt kann angestrebt werden.
Fazit
Die Kenntnis über ein OHVIRA-Syndrom und eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit bei renalen oder genitalen Malformationen sind unerlässlich.
Literatur:
1 Grimbizis GF et al.: The ESHRE/ESGE consensus on the classification of female genital tract congenital anomalies. Hum Reprod 2013; 28(8): 2032-44 2 Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG): S2k-Leitlinie Weibliche genitale Fehlbildungen. AWMF-Registernummer 015-052; online verfügbar unter https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/015-052 (zuletzt aufgerufen am 29.7.2024) 3 Zhu L et al.: New classification of Herlyn-Werner-Wunderlich Syndrome. Chin Med J (Engl) 2015; 128(2): 222-5 4 Chan YY et al.: Reproductive outcomes in women with congenital uterine anomalies: a systematic review. Ultrasound Obstet Gynecol 2011; 38(4): 371-82
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