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Status quo in Graz 2024

„Der Bereich pulmonale Hypertonie wird weiterhin ein starker Teil unserer Abteilung sein“

Vor rund einem Jahr ging ein Aufschrei durch die Medien: Die Grazer Lungenabteilung sollte geschlossen bzw. massiv reduziert werden. Was seitdem passiertist und wie der Stand der Dinge heute ist, erzählt uns Univ.-Prof. Dr. Horst Olschewski, der bis Ende April knapp 20 Jahre lang die Grazer Lungenabteilung geleitet hat.

Im April letzten Jahres haben wir über den Status quo in Graz gesprochen. Was ist seither passiert? Wie ist die momentane Situation der Grazer Pulmologie?

H. Olschewski: Die Abteilung lebt. Das ist vielleicht die wichtigste Botschaft. Kürzlich wurden uns von der Verwaltung unsere Leistungszahlen in Form der LKF-(leistungsorientierte Krankenanstaltenfinanzierung)-Punkte vorgelegt. Mit dem 1.April 2023 wurden die Pulmologiestation und die RCU geschlossen, was natürlich merkbare Auswirkungen auf die Leistungszahlen hatte. Wir haben eine Million LKF-Punkte weniger erwirtschaftet als im Jahr zuvor – das ist schon erheblich. Auf der anderen Seite haben wir in der Ambulanz ungefähr eine Million LKF-Punkte mehr erwirtschaftet als im Vorjahr. Mit anderen Worten: Die Schließung der Station hat einfach zu einer Verlagerung aus dem stationären in den ambulanten Bereich geführt.

Ist das gut?

H. Olschewski: Nein. Denn wenn jetzt ein Patient mit respiratorischem Versagen kommt, können wir ihm kein Angebot machen. Wir haben keinen einzigen Beatmungsplatz.

Was passiert mit diesen Patienten?

H. Olschewski: Das Komische ist, dass die gar nicht kommen. Das ist ein Umstand, den ich nicht verstehe und den mir auch keiner erklären kann. Diese Patienten standen früher dauernd vor unserer Tür und wir hatten unsere Mühe, sie aufzunehmen, durchzuschleusen und für die Heimbeatmung einzuschulen.

Das bedeutet, dass diese Patienten mit der Rettung gleich woanders hingebracht werden?

H. Olschewski: Ganz offensichtlich. Zum einen werden Patienten von vornherein nicht zu unserem Klinikum gefahren, sondern in andere Häuser, wo freie Intensivkapazitäten gemeldet sind. Zum anderen werden wir für Patienten, die hier auf der Intensivstation der Inneren Medizin oder der Anästhesie sind und Probleme mit der Entwöhnung von der Beatmung (Weaning) haben, gar nicht erst angefragt, weil jeder weiß, dass wir keine Betten haben. Die Patienten gehen dann direkt auf eine externe RCU, nach Enzenbach, nach Leoben oder an kirchliche Häuser, sofern dort genügend Beatmungskapazität bereitsteht.

Hat das Auswirkungen auf die Ausbildung Ihrer Assistenzärzte?

H. Olschewski: Leider ja. Wir können das nur dadurch kompensieren, dass wir intensiv mit unserer medizinischen Intensivstation zusammenarbeiten. Und wir haben eine Vereinbarung, dass unsere Mitarbeiter zur Ausbildung dort regelmäßig hin rotieren. Es ist aber natürlich nicht das Gleiche wie früher, als die jungen Kollegen auf unserer eigenen RCU für diese spezielle pneumologische Klientel ausgebildet wurden. Gerade das Weaning und das Einschulen schwerkranker Patienten, damit sie zu Hause zurechtkommen, werden auf unserer Internistischen Intensivstation ja nur selten durchgeführt.

Wie hat sich die Situation in der Pflege weiterentwickelt? Das war ja auch ein großes Problem.

H. Olschewski: Damals ging es um circa 15 Vollzeitäquivalente in der Pflege von der RCU und um weitere 11 Stellen von der Normalstation. Diese Pflegekräfte wurden von der Pulmologie abgezogen und auf andere klinische Abteilungen verteilt. Als Reaktion darauf haben – speziell vom Personal der RCU – viele Pflegekräfte gekündigt. Dadurch sind unserem Klinikum im Endeffekt 13 wertvolle Mitarbeiter verloren gegangen. Entsprechend gibt es noch mehr unbesetzte Stellen als zuvor – und wer weg ist, der ist erstmal weg.

Inwieweit hat das Auswirkungen auf die Versorgung von z.B. COPD-Patienten, die wegen Exazerbationen kommen?

H. Olschewski: Sie sprechen einen wunden Punkt an! Für Patienten, die eine Beatmungstherapie benötigen, haben wir überhaupt kein Behandlungsangebot. Aber auch für Patienten, die nur eine, sagen wir, weniger dramatische Exazerbation haben, aber einen stationären Aufenthalt benötigen, haben wir in aller Regel kein Bett, denn uns stehen nur noch zwölf Betten zur Verfügung. Diese zwölf Betten reichen knapp für den Bedarf aus, den wir aus der stark frequentierten Ambulanz für Lungenkrebs, pulmonale Hypertonie, interstitielle Lungenkrankheiten und dekompensierende Patienten aller Art generieren.

Wissen Sie, wie die Pläne für die Zukunft aussehen? Gibt es Bestrebungen, wieder zum alten Status zurückzukehren?

H. Olschewski: Diese Frage habe ich der obersten Instanz, dem Landesgesundheitsrat, auch gestellt und der hat mir gesagt: „Grazer Patienten haben kein Recht darauf, in Graz behandelt zu werden. Die kann man genauso nach Enzenbach oder nach Leoben schicken. Dort ist ausreichend Kapazität vorhanden, damit ist die Versorgung gesichert.“ Davon abgesehen gibt es die Aussage, man bemühe sich, die Stationen wieder zu eröffnen, die Schließung sei eine vorübergehende Maßnahme. Ich sehe allerdings bisher keine konkreten Aktivitäten in diese Richtung.

Können Sie einschätzen, warum gerade in einer Landeshauptstadt reduziert wurde und nicht in der Peripherie?

H. Olschewski: Das entzieht sich meiner Kenntnis. Ich denke aber, dass es viel mit der Pflegestruktur zu tun hat, denn wo fehlen eigentlich die Pflegekräfte? Die Pflegekräfte fehlen in Graz. Das Leben hier ist teurer als in den umliegenden Orten, Pflegekräfte verdienen nicht so viel. Der Pflegekräftemangel war bzw. ist ja nicht nur ein Problem der pulmologischen Station – auf der gesamten Inneren Medizin können an die 30% der Betten nicht bespielt werden, weil das Pflegepersonal fehlt. Die peripheren Krankenhäuser haben genügend Pflegepersonal, aber da fehlen oft die Ärzte. Das ist eine Schieflage, die ein enormes Ausmaß hat und die im Endeffekt die Erklärung dafür ist, warum die Engpässe genau dort sind, wo sie sind. Es gibt aber sicherlich Ursachen dafür, warum sich diese massive Schieflage entwickeln konnte. Das ist wahrscheinlich auf der politischen Ebene zu sehen, aber dazu bekommt man von den Verantwortlichen keine konkreten Aussagen. Der KAGES-Vorstand hat mitgeteilt, er habe die Vorgabe, dass kein peripheres Krankenhaus geschlossen werden darf. Um diese Vorgabe zu erfüllen, muss er bei den begrenzten Ressourcen gewiss gezielte Maßnahmen setzen. Mit anderen Worten: Er muss am Zentralkrankenhaus sparen.

Das heißt, es wird alles so bleiben, wie es jetzt ist?

H. Olschewski: Nein, ich hoffe nicht! Unser ärztlicher Direktor hat meinem Nachfolger, Prof. Dr. Nikolaus Kneidinger aus München, so hater es mirerzählt,versprochen, dass man alle Anstrengungen unternehmen wird, die Pulmostation und die RCU wieder zu eröffnen. Er hat allerdings kein Datum genannt. Ich bin nun mittlerweile erfahren genug, um zu wissen, was so eine Aussage bedeutet. Ich habe auch einige Dinge versprochen bekommen und dann war immer keine Priorität bzw. kein Geld dafür da. Also hoffe ich, dass es meinem Nachfolger diesbezüglich besser gehen wird und dass die Zusage bald umgesetzt wird.

Sie verabschieden sich ja nun in den Ruhestand. Mit welchen Gefühlen verlassen Sie die Abteilung?

H. Olschewski: Es sind gemischte Gefühle. Ich bin wirklich sehr traurig, dass die Patientenversorgung durch unsere Abteilung momentan nicht so stattfinden kann, wie ich mir das gewünscht hätte. Denn trotz aller wissenschaftlichen Anstrengungen und Erfolge kommt es im Endeffekt darauf an, dass man eine gute Patientenbetreuung macht. Gut ist, dass die Stimmung in der Abteilung nicht gekippt ist. Ich hoffe, das bleibt so! Die Motivation ist hoch. In der Ambulanz wird wirklich unter schwierigen Bedingungen hart gearbeitet. Dieser enorme Umsatz in dem beengten Raum verlangt allen viel ab. Man muss wirklich zusammenrücken, man muss optimieren, wo man nur kann, aber es läuft.

Zum Glück ist uns im Bereich der Pflege nicht das ganze Personal abhandengekommen. Unsere Verwaltung hat verstanden, dass der vermehrte Bedarf im ambulanten Bereich auch vermehrt Personal braucht.Das erfahrene Pflegepersonal und das technische Personal vom Schlaflabor und der Ambulanz sind noch da und durch ehemalige Pflegepersonen der Pulmostation aufgestockt worden – damit bleibt wenigstens ein Teil der Expertise und Erfahrung bei uns und geht nicht einfach verloren. Von den Pflegepersonen, die unser Haus verlassen haben, würden einige gern wieder zurückkommen, sobald die Pulmostation und die RCU öffnen. Das erfüllt mich mit Hoffnung!

Und wenn ich so zurückblicke auf die Zeit, ist alles in allem doch vieles gelungen. Man muss ja auch einmal betrachten, unter welchen Bedingungen die klinische Abteilung gestartet hat. Ich bin am 2.Jänner 2005 gekommen und hatte schon den Eindruck, ich bin in einer pneumologischen Diaspora gelandet. Es gab keine Intensivmedizin im Bereich der Pneumologie, keiner der vorhandenen Ärzte hatte nennenswerte intensivmedizinische Erfahrung. Man hat kein Pleuramanagement betrieben, wir hatten kein Schlaflabor … Aber wir haben uns – sehr erfolgreich – Stück für Stück entwickelt, sowohl klinisch als auch wissenschaftlich.

Werden Sie sich jetzt komplett in die Pension verabschieden oder weiterhin in der Forschung aktiv sein? Sie sind ja der stellvertretende Direktor des Ludwig Boltzmann Instituts für Lungengefäßforschung.

H. Olschewski: Das Ludwig Boltzmann Institut läuft nach 14 Jahren maximaler Förderungsdauer aus, das ist in diesem Juni. Die PH-Forschung hat bei uns keinerlei Einbruch verzeichnet und das erwarte ich auch nicht in Zukunft. Prof. Kovacs, aktueller Past-Präsident der ÖGP, bleibt an unserer Abteilung und wird den PH-Bereich weiter leiten. Wir konnten unsere PH-Patienten alle einwandfrei weiterversorgen – die Rechtsherzkatheterkapazität ist nicht eingeschränkt und läuft auf hohem Niveau. Mehrere Kollegen sind derzeit in den USA, um dort spezielle Techniken zu lernen, und werden bald wieder zurück sein, einer war für zwei Jahre an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Ich denke, die PH-Versorgung und -Forschung wird weiterhin ein starker Bereich unserer Abteilung sein.

Ich bin mit Ende April von meiner klinischen Position als Abteilungsleiter zugunsten von meinem Nachfolger Prof. Kneidinger zurückgetreten. Mit 1.Mai hat er die Geschäfte übernommen und ich wünsche ihm viel Glück dabei! Bis zum 30.September bin ich hier noch angestellt und werde mich der Forschung, dem Nachwuchs und der Lehre widmen – danach ist noch alles offen. Und natürlich werde ich Prof. Kneidinger unterstützen, wo ich kann, denn es liegt ja in meinem Interesse, dass die Abteilung gedeiht. Und so wie ich ihn kennengelernt habe, wird das funktionieren – er ist ein guter Arzt und Kommunikator. The future is bright!

Vielen Dank für das Gespräch!
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