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Spitalsärzte kritisieren Gesundheitsakte
DAM
Autor:
Dr. Wolfgang Geppert
E-Mail: geppert@aon.at
30
Min. Lesezeit
13.07.2017
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<p class="article-intro">Zahlreiche DAM-Leser reagierten auf meinen Beitrag „Eine Kammer genügt“ mit Zustimmung. Insbesondere die unkoordinierte Öffentlichkeitsarbeit unserer Standesvertretung steht bei den Kollegen in der Kritik. Auch wenn die Fusion aller zehn Ärztekammern derzeit leider noch eine Vision ist, sollte wenigstens die Österreichische Ärztekammer (ÖÄK) zum alleinigen Sprachrohr für bundesweite Themen aufgewertet werden. Nichts liegt näher, als mit ELGA den Einstieg in einen geordneten Außenauftritt zu wagen.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Die Elektronische Gesundheitsakte (ELGA) betrifft bundesweit alle Ärzte, egal ob angestellt oder niedergelassen. Presseauftritte der Bundesländervertretungen, wie etwa der Wiener oder der Niederösterreichischen Kammer, in Sachen ELGA sollten vermieden werden. Geht es um besagtes Thema, hätten nun immer drei Kollegen nebeneinander auf dem Podium einer Pressekonferenz Platz zu nehmen: der ÖÄK-Präsident und die Bundeskurienobmänner für die angestellten und die niedergelassenen Ärzte. Ein Solo-Auftritt des Bundeskurienobmanns der Angestellten, wie in diesem Beitrag ausführlich beschrieben, würde sich damit erübrigen. Bei derartigen „Alleingängen“ steht der leise Verdacht im Raum, nicht anwesende Kammer-Verantwortungsträger seien anderer Ansicht. Leider ist das auch immer wieder der Fall. Aus diesem Grund sollten im Vorfeld bindende Beschlüsse der entsprechenden Gremien gefasst werden. So wäre zu verhindern, dass vielleicht schon drei Tage nach dem Presseauftritt ein Länderkammer-Chef die Argumente des ÖÄK-Triumvirats abschwächt oder gar konterkariert. Nach außen getragene Meinungsvielfalt mag ein Markenzeichen der Wiener Grünen sein (siehe Heumarkt-Turm), in der ärztlichen Standesvertretung hat sie nichts verloren.</p> <h2>Niedrige Wahlbeteiligung als Zeichen der Unzufriedenheit?</h2> <p>Die aktuellen Urnengänge in den Bundesländern erbrachten katastrophal niedrige Wahlbeteiligungen. Mehr als die Hälfte der Zwangsmitglieder fühlten sich nicht ausreichend motiviert, ihre Stimme abzugeben. So schritten etwa in Niederösterreich nur 41,6 % der 7607 Wahlberechtigten zur Urne. Bei den niederösterreichischen Turnusärzten waren es gar nur 25 % . Den absoluten Tiefpunkt in Sachen Wahlbeteiligung lieferte die Ärztekammer unseres westlichsten Bundeslandes. Nur 39 % der insgesamt 1592 wahlberechtigten Vorarlberger gaben diesmal ihre Stimme ab. Der Urnengang im Ländle war eine reine Farce. Auf dem Stimmzettel fand sich, gleichlautend für Niedergelassene und Angestellte, lediglich eine einzige Liste. Erinnerungen an den ehemaligen Ostblock werden wach! Mit derartigen Wahlen tauchen unsere Standesvertreter in eine Parallelwelt ab. Sie fühlen sich trotzdem berufen, für die gesamte Ärzteschaft zu sprechen. Das demokratiepolitische Feingefühl scheint verloren gegangen zu sein. Woher nehmen Kammerfunktionäre die Gewissheit, die schweigende Mehrheit auf ihrer Seite zu haben? Eine derart schwache Legitimation mag vielleicht für die Führung der Österreichischen Hochschülerschaft genügen, für eine kraftvolle Vertretung der Ärzte ist sie nicht ausreichend. Die Ursachen für die Unzufriedenheit mit der Standesführung sind vielfältig. Als ein Grund kann die chaotische Haltung gegenüber ELGA genannt werden.</p> <h2>Kritik des Bundeskurienobmanns der angestellten Ärzte</h2> <p>Ende März lud Dr. Harald Mayer, Vizepräsident der ÖÄK und Obmann der Bundeskurie Angestellte Ärzte, zu einer Pressekonferenz mit dem Titel „Rückblick auf ein Jahr ELGA im Spital“. Den Journalisten wurde eine 6-seitige Presseinformation in die Hand gedrückt. An dem ausführlichen Text muss tagelang gearbeitet worden sein. Mit einer Akribie sondergleichen wurden die Schwachstellen der Akte aufgelistet. Allein der Überschrift „Kritik an ELGA“ folgten drei DIN-A4-Seiten. Alle Details hier wiederzugeben würde den Rahmen dieser Ausführungen sprengen. Besonderen Unmut zeigte der Bundeskurienobmann über das Recht der Patienten, gewisse Befunde aus ELGA ausblenden zu lassen. Für ihn gebe es nur eine Lösung: Entweder man gebe alle Daten an oder man steige komplett aus ELGA aus. Dass Ärzten die Patientendaten nur selektiv zur Verfügung gestellt würden, so Mayer, gehe gar nicht. Für das angesprochene Patientenrecht gibt es eine klare Bezeichnung: „situativer Widerspruch“. Das ELGA-Gesetz gilt seit Anfang 2013. Seit Jänner 2014 ist das „ELGA-Handbuch“, erschienen im Manz-Verlag, im Handel. Die drei Autoren, unter anderem Sektionschef Dr. Clemens Martin Auer, handeln darin den rechtlichen Hintergrund der Akte ab. In Hülle und Fülle werden Praxisbeispiele dargelegt, obwohl die Akte zum Zeitpunkt der Erstellung noch ein theoretisches Gebilde war. In besagtem Handbuch kann jedermann ab Seite 78 Details zu den Widerspruchsrechten nachlesen.</p> <h2>Opt-out-Möglichkeiten seit 5 Jahren im Gesetz festgeschrieben</h2> <p>Das im ELGA-Gesetz eingebettete Gesundheitstelematikgesetz (GTelG 2012) lässt keine Unklarheiten aufkommen. Laut diesen Vorgaben hat jeder an ELGA teilnehmende Patient das Recht auf drei verschiedene Opt-out-Möglichkeiten: generellen Widerspruch (§15 Abs. 2 GTelG 2012), partiellen Widerspruch (§15 Abs. 2 GTelG 2012) und situativen Widerspruch (§16 Abs. 1 Z2 GTelG 2012).<br /> Der generelle Widerspruch bedarf keiner zusätzlichen Erläuterung. Bei der partiellen Form handelt es sich um die Möglichkeit, an bestimmten ELGA-Anwendungen, etwa der E-Medikation, nicht teilzunehmen. Vom situativen Opt-out wird dann gesprochen, wenn der Patient die ELGA-Teilnahme nur für einen bestimmten Behandlungsfall verweigert. Im Rahmen der E-Medikation bedeutet der situative Widerspruch z.B. das vom Teilnehmer gewünschte Ausblenden eines gewissen Präparates. Für die Kassenpraxis besonders erschwerend ist der Umstand, dass der Arzt als sogenannter Gesundheitsdienstanbieter (GDA) gezwungen ist, den Patienten über die Möglichkeit des Ausblendens an Ort und Stelle zu informieren. Dem ELGA-Teilnehmer wird in dieser Angelegenheit komplette Unwissenheit zugestanden. Es versteht sich von selbst, dass die, was das Praxisleben betrifft, ahnungslosen ELGA-Erfinder den GDA die Verpflichtung auferlegen, besagte Aufklärung auch zu dokumentieren.<br /> Bei der oben geschilderten Presseveranstaltung fiel jedoch vor allem das Fehlen jeglicher Konsequenz aus der geäußerten Kritik auf. Einem Spitzenvertreter der Ärztekammer stehen hier nur zwei Möglichkeiten zur Auswahl: entweder zähneknirschend diesen bürokratischen Wahnsinn mitzutragen oder aber die ersatzlose Abschaffung zu fordern und anzukündigen: Geschehe diese Gesetzesänderung nicht, werde die komplette Ärzteschaft die ELGA-Mitarbeit einstellen.</p> <h2>Warnungen des Hausärzteverbandes missachtet</h2> <p>Es darf daran erinnert werden, dass allen voran Repräsentanten des Österreichischen Hausärzteverbandes (ÖHV) vor Beschlusswerdung des besagten Gesetzes Alarm geschlagen haben. Mittels zahlreicher Veranstaltungen und Presseaussendungen wurde unter anderem die Möglichkeit des Ausblendens einzelner Befunde und Medikamente scharf kritisiert. Eine unvollständige Akte dieser Art trage mehr zu Verwirrung denn zu exakter Befunderhebung bei. Bei jeder Krankenhausaufnahme mutieren Ärzte zu Kriminalbeamten, welche in akribischer Kleinarbeit Ausgeblendetes an die Oberfläche befördern müssen. Anstatt von Anfang an diesem bürokratischen Unding eine klare Absage zu erteilen, versuchten Kammerfunktionäre damals auf Zeitgewinn zu spielen. Tenor: „Bis diese Bestimmung schlagend wird, rinnt noch viel Wasser die Donau hinunter.“ Klare Worte des ÖÄK-Präsidiums wären vonnöten gewesen. Ein wirksamer Widerstand ging im Wirrwarr der Wortmeldungen von zehn Ärztekammern unter. Die Palette der Wortspender erstreckte sich von den Kammerpräsidenten bis zu diversen EDV-Referenten. Selbst jeder dritte Funktionär aus der vierten Reihe fühlte sich damals berufen, seine persönliche Ansicht über ELGA in die Öffentlichkeit zu tragen. Die ELGA-Macher klatschten sich vor Freude in die Hände. Meinungsvielfalt der unnötigsten Art ebnete ihnen den Weg zu einer „anwenderfeindlichen“ Akte.</p> <h2>Steiermark-Präsident: „E-Medikation gescheitert!“</h2> <p>Mitte Mai stellte sich die neu gewählte Spitze der Ärztekammer Steiermark den Fragen der „Kleinen Zeitung“. Präsident Dr. Herwig Lindner wurde vom Interviewer unter anderem nach der Zukunft von ELGA und der E-Medikation gefragt. Bei ELGA müssten Tempo und Umfang einmal stimmen. Die E-Medikation wäre miserabel vorbereitet worden – und sei aus seiner Sicht gescheitert, so die Antwort Lindners. Schon ein paar Tage zuvor ging ein anderer Ärztevertreter aus der Steiermark mit seiner Kritik an die Öffentlichkeit: Dr. Karlheinz Kornhäusl, Sprecher der Spitalsärzte des Bundeslandes, bemängelte unter anderem das Fehlen einer Suchfunktion. Unzählige Dokumente im PDF-Format würden einfach aneinandergereiht. Im Augenblick, so Kornhäusl, schaue ELGA wie eine PDF-Müllhalde aus. Eine abschließende Zusammenfassung überlasse ich dem schon mehrfach erwähnten Kammerfunktionär aus Oberösterreich Dr. Harald Mayer im Originalton: „Wir sind derzeit weit weg davon, dass uns diese Elektronik helfen kann. Sie nimmt uns Zeit weg, die wir gerne wieder für die Patienten hätten, für die Behandlung und das Gespräch.“</p></p>
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