© Getty Images/iStockphoto

Interview

„Niederlassungswillige Allgemeinmediziner sind Mangelware“

<p class="article-intro">Dr. Christian Euler traf zwei junge Kollegen, die bei ihm ihre Lehrpraxis absolviert hatten, und sprach mit ihnen über Zukunftsperspektiven. Beide sind ambitionierte Allgemeinmediziner, beide führen noch keine eigene Praxis.</p> <hr /> <p class="article-content"><p><strong>Allgemeinmediziner mit Berufserfahrung sind an vielen Orten &Ouml;sterreichs gesucht. Ihr beide k&ouml;nntet sofort in einer allgemeinmedizinischen Kassenpraxis beginnen. Warum tut ihr es nicht?</strong></p> <p><strong>Elisabeth S.:</strong> Ich bin momentan mit meiner beruflichen Situation rundum zufrieden. Wenige Wochen nachdem ich meinen Turnus als Lehrpraktikantin beendet hatte, ging ich in Mutterschutz. Nach einigen Monaten der ausschlie&szlig;lichen Mutterschaft habe ich Ordinationsvertretungen gemacht, zun&auml;chst nur an Wochenenden, da war mein Mann zu Hause, sp&auml;ter auch werktags. Ich habe von Anfang an meine Familie als Teil meines Lebensumfeldes gesehen, in das ich meine berufliche T&auml;tigkeit einpassen will. In dieses Umfeld haben wir auch unser Haus gebaut. Die &ouml;rtliche Gebundenheit ist nat&uuml;rlich f&uuml;r viele m&ouml;gliche offene Stellen ein Ausschlusskriterium.</p> <p><strong>Boris H.:</strong> Mein Start war faktisch gleich, meine letzte Turnusstation waren Lehrpraxismonate, schon in dieser Zeit nahm ich an den Diensteinteilungstreffen teil und wurde als potenzieller Vertreter von den Kollegen ungeduldig erwartet. Dementsprechend rasch wurde ich in den ganz normalen Wahnsinn des Landarztalltags hineingerissen. Mein Terminkalender war voll und auch f&uuml;r die letzten freien Tage kamen Anfragen. Ich habe mich am Heimatort meiner Frau orientiert und vor allem &Auml;rzte hier im Seewinkel vertreten. Auch wir wurden Eltern, die Karenzzeit meiner Frau hat eine klare Rollenzuweisung gebracht. Sie war bei unserer Tochter und ich habe faktisch ununterbrochen gearbeitet. Es war sicher nicht nur ihr bevorstehender Wiedereintritt ins Berufsleben, der meine Frau veranlasste, ernste Warnungen, meine 70 bis 80 Arbeitswochenstunden betreffend, zu deponieren. Sie war es auch, die mich auf freie Stellen bei der Wiener Polizei aufmerksam machte. So vollzog ich eine radikale Wendung zu vierzig geregelten Wochenstunden als Polizeiarzt.</p> <p><strong>Du bist ja ein sehr engagierter, kurativ t&auml;tiger Kollege gewesen. Inwiefern unterscheiden sich die Arbeitsanforderungen als Polizeiarzt von deiner fr&uuml;heren T&auml;tigkeit?</strong></p> <p><strong>Boris H.:</strong> Die jetzige T&auml;tigkeit erweitert meinen Horizont sehr. Aspekte der allgemeinen Sicherheit, gesetzliche Rahmenbedingungen, die Drogenproblematik in jedweder Form, Verkehrssicherheit, auch kurative Herausforderungen, allerdings nicht mit dem Ziel einer Patientenbegleitung, sondern einer f&uuml;r den Patienten vorteilhaften Weichenstellung in krisenhafter Situation z&auml;hlen zu meinen Aufgaben. Au&szlig;erdem mache ich berufsbegleitend den Physikatskurs, eine Ausbildung, die mir jedenfalls auch in Zukunft Sicherheit geben wird.<br /> Ergibt sich etwas Verlockendes, werden wir es in der Familie &uuml;berlegen. Ich habe mich ja schon einmal um eine Praxis im Seewinkel beworben, bin aber nicht zum Zug gekommen. Auch wir haben Hausbaupl&auml;ne im Heimatort meiner Frau, auch das wird ein wichtiges Kriterium.</p> <p><strong>Wo seid ihr jetzt ans&auml;ssig?</strong></p> <p><strong>Boris H.:</strong> Momentan wohnen wir in Wien, mit gutem Kinderbetreuungsangebot. Zus&auml;tzlich k&ouml;nnen wir im Seewinkel eine Wohnung im Haus der Schwiegereltern nutzen, weshalb es derzeit keinen Ver&auml;nderungsdruck gibt.</p> <p><strong>Elisabeth S.:</strong> So ist es auch bei mir. Augenblicklich vertrete ich durchschnittlich zwei Wochen im Monat, der eine oder andere Einzeltag kommt noch dazu, au&szlig;erdem bin ich Betriebs&auml;rztin bei der Wirtschaftskammer in Eisenstadt, was ich auch sehr flexibel gestalten kann. Meine Kinder f&uuml;hlen sich im Ort in den Betreuungseinrichtungen wohl und meine Eltern, speziell meine Mutter, geben uns absolute Betreuungssicherheit. Ich wei&szlig;, dass ich deutlich mehr verdienen k&ouml;nnte, die stressarme Koexistenz von Kindern und Beruf ist mir aber mehr wert. Ich bin prinzipiell f&uuml;r Ver&auml;nderungen offen, habe aber derzeit absolut kein Bed&uuml;rfnis, etwas an der aktuellen Situation zu ver&auml;ndern.</p> <p><strong>Wie gef&auml;llt euch beiden die T&auml;tigkeit als Landarzt? W&auml;re ein Versorgungszentrum in der Stadt auch eine Option f&uuml;r euch?</strong></p> <p><strong>Boris H.:</strong> Ich w&uuml;rde nur am Land Allgemeinmediziner sein wollen. Versorgungszentren werden meiner Meinung nach Ambulanzbetriebe mit deutlich eingeschr&auml;nkter freier Gestaltungsm&ouml;glichkeit sein. Also aus heutiger Sicht: nein.</p> <p><strong>Elisabeth S.:</strong> F&uuml;r mich k&auml;me eine Ordination ausschlie&szlig;lich zu zweit infrage. Ich erlebe dieses Einzelk&auml;mpfertum bei jeder Vertretung wieder. Der mehr als erholungsbed&uuml;rftige Ordinationsinhaber rettet sich in ein paar Tage Urlaub, dann geht er es wieder alleine an. Keiner nimmt sich jemanden dazu, obwohl er es dadurch jeden Tag komfortabler h&auml;tte. Doch wenn ich mich umsehe, fehlen mir die potenziellen Partner f&uuml;r eine gemeinsame Ordination. Auch hier gilt: Niederlassungswillige Allgemeinmediziner sind Mangelware.</p> <p><strong>Was haltet ihr von dem Vorschlag, verwaiste Landpraxen von Spitals&auml;rzten versorgen zu lassen? Denkt ihr, Spitals&auml;rzte sind ger&uuml;stet f&uuml;r die allgemeinmedizinische Praxis?</strong></p> <p><strong>Elisabeth S.:</strong> Ohne Lehrpraxismonate h&auml;tte ich mir keine Vertretungst&auml;tigkeit zugetraut.</p> <p><strong>Boris H.:</strong> Auch f&uuml;r mich waren es die lehrreichsten Monate in &bdquo;angewandter Medizin&ldquo;.</p> <p><strong>Wie zufrieden seid ihr mit eurer jetzigen Berufssituation?</strong></p> <p><strong>Elisabeth S.:</strong> Meine jetzige Berufsaus&uuml;bung kommt meiner Vorstellung von &bdquo;&Auml;rztin sein&ldquo; sehr nahe. Es ist gut m&ouml;glich, dass ich mich in einigen Jahren beruflich ver&auml;ndern werde, es ist aber sehr beruhigend, dass ich eine Ver&auml;nderung nicht herbeisehne, im Gegenteil.</p> <p><strong>Boris H.:</strong> Auch ich bin derzeit gerne bei der Polizei und ohne Weiteres auch noch l&auml;nger. Ich habe die bequeme Sicherheit, auf sich bietende Chancen reagieren zu k&ouml;nnen.</p> <p><strong>Ich w&uuml;nsche euch weiterhin einen erf&uuml;llenden Berufsalltag. M&ouml;ge er noch viele angenehme &Uuml;berraschungen f&uuml;r euch bereit haben.</strong></p></p>
Back to top