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State of the Art – Operationen des unteren Gastrointestinaltraktes bei Obstipation
Leading Opinions
Autor:
Prof. Dr. med. Franc Hetzer
Korrespondierender Autor<br> Chirurgische Klinik<br> Spital Linth<br> Gasterstrasse 25<br> 8730 Uznach<br> E-Mail: franc.hetzer@spital-linth.ch<br> Co-Autor: OA Patrik Tiefenthaler<br> Chirurgische Klinik<br> Spital Linth
30
Min. Lesezeit
20.10.2016
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<p class="article-intro">Die chronische Obstipation ist eine häufige Störung des Verdauungstraktes. Etwa 15 % der westlichen Bevölkerung leiden darunter. Kinder und Jugendliche sind etwas weniger betroffen (2–8 % ). Etwa 30 % der Bevölkerung über 65 Jahre klagen in epidemiologischen Untersuchungen über Obstipationsbeschwerden. Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer.<sup>1</sup> In den Rom-III-Kriterien sind die Symptome, welche eine chronische Obstipation definieren, festgehalten worden.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Die chronische Obstipation ist sehr häufig und ihre Ursache ist entweder im Kolon oder am Beckenboden zu suchen.</li> <li>Die chirurgische Behandlung der Obstipation wurde in den letzten Jahren durch eine Vielfalt von neuen Techniken bereichert, nichtsdestotrotz ist die Indikation sehr sorgfältig und restriktiv zu stellen.</li> <li>Erst nach Ausschöpfen aller konservativen Therapieoptionen sollte ein chirurgisches Verfahren diskutiert werden.</li> <li>Die nicht resezierenden, minimal invasiven Verfahren, wie die sakrale Nervenstimulation oder die laparoskopische ventrale Rektopexie, sollten in erster Priorität evaluiert werden.</li> </ul> </div> <p>In diesem Artikel werden vor allem funktionelle Störungen im Bereich des unteren Gastrointestinaltraktes (GI-Traktes) besprochen. Ausgenommen sind Obstipationen im Rahmen anderer Grunderkrankungen (z.B. Parkinsonsyndrom, Hypothyreose etc.) und medikamenteninduzierte Obstipationen (Opiate, Antiallergika etc.). Letztere sind in der Regel auch nicht chirurgisch behandelbar. Differenzialdiagnostisch muss zudem immer an ein Reizdarmsyndrom gedacht werden, welches ebenfalls keinen Chirurgen braucht. Die chronische Entleerungsstörung des unteren GI-Traktes kann in 3 Gruppen eingeteilt werden:<br /> <br /><strong> 1. Funktionelle Störungen</strong><br /> a) Beckenboden (Anismus, Spastik)<br /> b) Kolon und Rektum (idiopathische Inertia recti, gestörte autonome Innervation, «slow transit obstipation»)<br /> <br /><strong> 2. Morphologisch-organische Störungen</strong><br /> a) Beckenboden (Myopathie des Musculus internus, anorektale Stenosen, Analfissur)<br /> b) Kolon und Rektum (postoperative Inertia recti, Morbus Hirschsprung, Rektozele, Rektumprolaps, obstruierende Tumoren)<br /> <br /><strong> 3. Kombination aus 1 und 2</strong><br /> Bei der Anamnese kann schon gut zwischen Kolonpassage- und Beckenbodenstörungen differenziert werden. Während Druck- und Blähungsgefühl eher auf eine gestörte Kolonpassage hinweisen, ist die inkomplette Stuhlentleerung das Symptom einer Beckenbodendysfunktion. Die klinische Untersuchung sollte einen proktologischen Status und die Beurteilung der vorderen und mittleren Beckenorgane beinhalten. Zusätzliche Untersuchungen sind symptomorientiert und beinhalten in der Regel die Messung der Kolontransitzeit, Endosonografie und eine Manometrie. In der Diagnostik und auch in der Therapie der Beckenbodenproblematik hat sich das «magnetic resonance imaging» (MRI), insbesondere die dynamische MRI-Defäkografie, in den letzten Jahren als grosse Hilfe erwiesen. Zur Erfassung des Schweregrades der Entleerungsstörung haben sich verschiedene Scores bewährt, u.a. der Cleveland Clinic Obstipation Score<sup>2</sup>, der Longo ODS Score<sup>3</sup> und Knowles-Eccersley-Scott Symptom (KESS)<sup>4</sup>.<br /> Vor jeder chirurgischen Therapie der Obstipation steht eine konservative probatorische Therapie von mindestens 4 bis 8 Wochen. Vermehrte körperliche Aktivität, diätetische Massnahmen und Training des gastrokolischen Reflexes (Toilettentraining/Suppositorien) können schon in vielen Fällen Erleichterung bringen. Laxanzien sind entsprechend der zugrunde liegenden Störung zu wählen (Füll- und Quellstoffe, stimulierende Laxanzien oder osmotisch wirkende Laxanzien). Beckenbodentraining (inkl. Biofeedback) hat vor allem bei der Outlet-Symptomatik (ohne morphologisches Substrat) seinen festen Platz, z.B. beim Anismus.</p> <h2><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Innere_1605_Weblinks_seite54.jpg" alt="" width="" height="" /> Operative Verfahren</h2> <p><strong>Chronische idiopathische Obstipation («slow transit obstipation»)</strong><br /> Während bis vor wenigen Jahren die Resektion des Kolons die einzige Möglichkeit war, die Transitzeit zu verkürzen, kann dies heute auch durch die sakrale Neuromodulation (SNS) erreicht werden. Dinning et al konnten zeigen, dass durch die Stimulation spinaler und supraspinaler Zentren die Anzahl und die Amplitude propulsiver Kontraktionen des Kolons steigernd beeinflusst werden.<sup>5</sup> Die Wirksamkeit dieser Neuromodulation kann gut in einem 2- bis 3-wöchigen Test mit einem externen Stimulator vorausgesagt werden. Wenn die Testphase eine klinische Verbesserung von mehr als 50 % erreicht, kann in einem zweiten Schritt ein permanenter Darmschrittmacher implantiert werden (Abb. 2). In einer Metaanalyse von Thomas et al wird über eine Erfolgsrate von bis zu 80 % berichtet.<sup>6</sup> Deshalb und weil das Verfahren wenig invasiv und nicht resezierend ist, sollte es vor jeder erweiterten Kolonresektion ernsthaft in Erwägung gezogen werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Innere_1605_Weblinks_seite55_1.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <p>Erst bei einer negativen SNS-Testung ist ein resezierendes Verfahren mit dem Patienten zu diskutieren. Hier hat sich die Kolektomie mit ileorektaler Anastomose der Kolonsegmentresektion gegenüber als überlegen erwiesen.<sup>7</sup> Nur bei Verdacht auf ein isoliertes Megasigmoid (mit rezidivierendem Sigmavolvulus) kann eine Segmentresektion indiziert sein. Die totale Kolektomie (im englischen Sprachraum: subtotale Kolektomie) wird heute minimal invasiv vorgenommen und erbringt bei einer strikten Indikationsstellung zufriedenstellende funktionelle Resultate. Die Patienten weisen in der Regel eine Stuhlfrequenz von 2 bis 4 pro Tag auf. Im Langzeitverlauf sind jedoch Briden und innere Hernien nicht selten.<br /> <br /><strong> Beckenbodensenkungen</strong><br /> Handelt es sich bei der Beckenbodenstörung vor allem um eine strukturelle Veränderung des hinteren Kompartimentes (Rektozele, Intussuszeption), stehen heute wenig invasive Verfahren zur Verfügung, wie z.B. «stapled transanal rectal resection» (STARR)<sup>9</sup> oder «stapled transanal rectal resection» mit Contour Transtar (Transtar)<sup>10</sup>.<br /> Mittels verschiedener Klammergeräte (Rundkopfstapler oder gebogene Klammergeräte) kann transanal eine Vollwandresektion vorgenommen werden und dadurch ein innerer oder äusserer Vorfall effektiv entfernt werden. Im selben Eingriff wird die häufig mit dem inneren Prolaps vergesellschaftete Rektozele mitentfernt (Abb. 3). Da dieses Resektionsverfahren zu einer passageren Verkleinerung des Rektumvolumens führt, beschreiben die Patienten postoperativ (6–9 Monate) eine Drangsymptomatik. Wichtig ist, vor einer chirurgischen Therapie jeglicher Outlet-Symptomatik eine sorgfältige Abklärung von Sphinkterdefekten vorzunehmen. Bei einer okkulten Schliessmuskelschwäche ist die Indikation für eine chirurgische Therapie sehr vorsichtig zu stellen. Im ungünstigsten Fall wird eine Outlet-Symptomatik mit Obstipation in eine schwere Inkontinenz transformiert. Rektozelen sind fast physiologisch vorhanden und brauchen in der Regel keine Chirurgie. Die isolierte, symptomatische Rektozele ist selten und kann transanal reseziert werden. Der Defekt wird entweder geklammert oder vernäht (innerer Delorme). Gynäkologen führen bei gleicher Indikationsstellung in dieser Situation eine Kolporrhaphie durch, ohne zu resezieren.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Innere_1605_Weblinks_seite55_2.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <p>Beschränkt sich die Beckenbodensenkung nicht nur auf das hintere Kompartiment, ist sie z.B. mit einer grossen Enterozele oder einem Scheidenvorfall vergesellschaftet, hat sich heute die laparoskopische anteriore Netzrektopexie nach D’Hoore bewährt.<sup>10</sup> Bei diesem in der Regel minimal invasiv vorgenommenen Verfahren wird das Rektum nur geringfügig und nervenschonend rechtsseitig mobilisiert und mit einem Kunststoffnetzstreifen nach kranial gezogen. Das Netz wird distal am tiefen Rektum an der Vorderwand mit Einzelknopfnähten und proximal rechts vom rektosigmoidalen Übergang am Promontorium fixiert (Abb. 4). Damit kann ein Rektumprolaps aufgehoben werden, über dem ausgespannten Netzstreifen wird das Peritoneum lateral beidseits verschlossen und damit der Douglas-Pouch obliteriert. So können die Enterozele und Sigmoidozele verhindert werden. Bei gleichzeitigem Vaginalprolaps wird der hintere Fornix an den Netzstreifen fixiert und damit das Septum rectovaginale rekonstruiert. Die dadurch erreichte Korrektur der Beckenanatomie führt zu sehr guten funktionellen Ergebnissen. Eine Resektion des Rektosigmoids ist nicht mehr notwendig, wie dies zum Teil noch in älteren Studien der Rektumprolaps-Chirurgie empfohlen wurde. Da das Kunststoffnetz relativ spannungsarm auf das Rektum fixiert wird und es den Darm nicht teilweise oder vollständig umfasst, sind Netzarrosionen sehr selten (4 % ). Zurzeit werden neue biologische Netze (Kollagen) getestet, um die Netzkomplikationen im Langzeitverlauf noch weiter senken zu können. Als Ultima Ratio bleibt immer noch das Stoma, wobei bei einer gastrointestinalen Motilitätsstörung eher ein Ileostoma, bei einer Beckenauslassstörung eher ein Kolostoma angelegt werden sollte.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Innere_1605_Weblinks_seite56.jpg" alt="" width="376" height="786" /></p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Suares NC et al: Prevalence of, and risk factors for, chronic idiopathic constipation in the community: systematic review and meta-analysis. Am J Gastroenterol 2011; 106: 1582-91<strong> 2</strong> Agachan F et al: A constipation scoring system to simplify evaluation and management of constipated patients. Dis Colon Rectum 1996; 39: 681-5 <strong>3</strong> Whitehead WE et al: Report of an international workshop on management of constipation. Gastroenterol Int 1991; 4: 99-113 <strong>4</strong> Knowles CH et al: Linear discriminant analysis of symptoms in patients with chronic constipation: validation of a new scoring system (KESS). Dis Colon Rectum 2000; 43: 1419-26 <strong>5</strong> Dinning PG et al: Sacral nerve stimulation induces pan-colonic propagating pressure waves and increases defecation frequency in patients with slow-transit constipation. Colorectal Dis 2007; 9: 123-32 <strong>6</strong> Thomas GP et al: Sacral nerve stimulation for constipation. Br J Surg 2013; 100: 174-81 <strong>7</strong> Wong SW et al: Slow-transit constipation: evaluation and treatment. ANZ J Surg 2007; 77: 320-8 <strong>8</strong> Boccasanta P et al: New trends in the surgical treatment of outlet obstruction: clinical and functional results of two novel transanal stapled techniques from a randomised controlled trial. Int J Colorectal Dis 2004; 19: 359-69 <strong>9</strong> Lenisa L et al: STARR with Contour Transtar: prospective multicentre European study. Colorectal Dis 2009; 11: 821-7 <strong>10</strong> D’Hoore A et al: Long-term outcome of laparoscopic ventral rectopexy for total rectal prolapse. Br J Surg 2004; 91: 1500-5<br /><br /></p>
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