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Kleine Mikroorganismen ganz groß

Das Mikrobiom des weiblichen Urogenitaltrakts

Seit einigen Jahren hat das Interesse am menschlichen Mikrobiom und damit an seiner Rolle zur Beibehaltung der Gesundheit, aber auch bei der Entstehung von Krankheiten stark zugenommen. Die Erkenntnisse aus der Mikrobiomforschung könnten in Zukunft auch im Bereich der Urogynäkologie neue Wege zur Prävention und Behandlung von Harnwegsinfektionen eröffnen.

Das Mikrobiom wird definiert als eine Zusammensetzung aus verschiedenen Mikroorganismen (Bakterien, Pilze etc.) und dem sogenannten „theatre of activity“. Dazu zählen strukturelle Elemente (Proteine, Lipide, Polysaccharide) sowie strukturelle DNA/RNA, Viren, Phagen und mikrobielle Metaboliten.1

Der menschliche Körper beherbergt Schätzungen zufolge etwa 1,3-mal mehr mikrobielle als körpereigene Zellen. So wiegen Mikroben im Darm durchschnittlich etwa 1kg und jeder Erwachsene scheidet im Laufe eines Jahres etwa sein eigenes Gewicht in Form von Bakterien aus. Auf der Haut einer Person gibt es in etwa so viele Mikroorganismen wie Menschen auf der Erde. Das Mikrobiom ist spezifisch an die jeweilige Umgebung angepasst.

Aufgaben des Mikrobioms

Zu den Aufgaben des Mikrobioms zählen der Umsatz von Stoffen, der Auf- und Abbau verschiedener Substanzen, die Gewinnung von Energie für das eigene Wachstum, die Produktion von kurzkettigen Fettsäuren und Vitaminen, die Regulation des Immunsystems, die Entfernung von Giftstoffen und der Schutz vor Infektionen. Das Ziel ist ein Gleichgewicht zwischen den Mikroben und den Körperzellen, kann dieses nicht aufrechterhalten werden, kommt es zu einer Dysbiose.

Einflussfaktoren

Verschiedene Einflussfaktoren können das Mikrobiom beeinflussen. Dazu gehören beispielsweise das Alter, die Einnahme von Medikamenten, Krankheiten, sportliche Betätigung, der Wohnort bzw. die individuelle Umgebung, der Geburtsmodus und ob man gestillt wurde.

Im Erwachsenenleben stellt die Ernährung den größten Faktor dar, die Aufnahme von Ballaststoffen sowie der Anteil von Zucker und Fetten spiegeln sich in der Zusammensetzung des Mikrobioms stark wieder.

Ein gesundes Mikrobiom ist üblicherweise sehr stabil, nur durch starke Einflüsse kann es zu einer Neustrukturierung kommen. Die Fähigkeit, sich neu zu strukturieren, ist für das Mikrobiom von immenser Bedeutung. Als Beispiel ist hier eine dauerhafte Umstellung der Ernährungsgewohnheiten bzw. der Umgebung anzuführen (z.B. Europa vs. Asien). Ohne diese Anpassungsfähigkeit des Mikrobioms würde es zu gesundheitlichen Folgen, wie z.B. Vitaminmangelzuständen, kommen. Die Flexibilität hat aber auch Nachteile: Vor allem im Rahmen von Erkrankungen kann sich das Mikrobiom an diese anpassen und sie unter Umständen auch unterstützen bzw. stabilisieren. Die so entstandenen Dysbiosen sind oft sehr schwierig zu behandeln.

Mikrobiomanalyse vs. kultivierungsbasierte Diagnostik

Mikrobiomanalysen sind technisch sehr anspruchsvoll und können daher nur in spezialisierten Laboren durchgeführt werden. Aus einer Probe (z.B. Harn oder Stuhl) wird die DNA der darin befindlichen Mikroben extrahiert und im Anschluss amplifiziert und sequenziert. Diese Sequenzstücke werden mithilfe von bioinformatischer Unterstützung interpretiert. Durch eine Mikrobiomanalyse können auch unkultivierbare Mikroben, wie z.B. langsam wachsende Anaerobier, sowie polymikrobielle Infektionen detektiert werden. Im Vergleich zur kultivierungsbasierten Diagnostik, bei der die Probe auf ein selektives Nährmedium aufgetragen wird, ist sie relativ schnell, es ist allerdings nicht möglich, eine Aussage über die Lebensfähigkeit der Mikroorganismen oder über Antibiotikaresistenzen zu treffen.

Das Mikrobiom der Harnblase

Durch die Lokalisierung der Harnwege nahe der Vaginalhöhle bzw. dem Darmausgang findet man in der Mikrobiomanalyse sehr häufig Signaturen von Mikroben aus diesen Bereichen. So teilt sich das Mikrobiom des Harntrakts ca. 62,5% mit den Spezies des Darms und 32% mit den Spezies der Vagina.2 Auch eine perfekte Hygiene verhindert diesen Austausch nicht und das Vorhandensein von Mikroben aus anderen Körperbereichen im Harntrakt ist nicht gleichzusetzen mit dem Vorliegen einer Infektion – hier ist die Anzahl ausschlaggebend (Abb. 1).

Abb.1: Risikofaktoren für die Entwicklung einer Harnwegsinfektion im Hinblick auf die Veränderungen des Mikrobioms (modifiziert nach Perrez-Carrasco et al.)2

Die fünf häufigsten Spezies des weiblichen Urinmikrobioms sind Lactobacillus spp., Corynebacterium spp., Staphylococcus spp., Streptococcus spp. und Prevotella spp.Ein gesunder Harntrakt wird bei Frauen durch einen ph-Wert zwischen 4,6 und 7,0 und das reichliche Vorkommen von Laktobazillen charaktisiert. Äußere Einflüsse wie das Alter, Einnahme von Antibiotika, hormonelle Dysbalancen, Infektionen der Vulva oder Vagina etc. können das natürliche Ökosystem zerstören und zu Infektionen führen, welche sich wiederum durch einen höheren ph-Wert und weniger Laktobazillen auszeichnen. Zudem findet man häufiger Bakterien wie E. coli, Enterokokken, Staphylokokken und Gardnerellen.

In einer Studie von Hae Woong C et al. wurde Katheterharn von Frauen mit akuten und rezidivierenden Harnwegsinfektionen genauer analysiert. Während bei akuten Infektionen Pseudomonas spp., Acinetobacter spp. und Enterobacteriaceae spp. vorherrschend waren, waren es bei rezidivierenden Harnwegsinfekten Sphingomonas spp., Staphylococcus spp., Streptococcus spp. sowie Rothia spp.3

Das perinatale Mikrobiom

Häufig liegt der Fokus der Mikrobiomforschung auf dem Kind, dabei stellt die Schwangerschaft einen außergewöhnlichen Zustand dar, in dessen Rahmen sich das Mikrobiom der Mutter verändert, sich an die Umständeanpasst und eine optimale Umgebung für denFötus und für eine spätere Laktation schafft. Die Hormonumstellung, die Veränderungen des Immunsystems, die Umstellung des Lebensstils und der Ernährungsgewohnheiten – all dies hat deutliche Effekte auf die Zusammensetzung des Mikrobioms.

Was aber passiert nach der Geburt? Um dieser Frage nachzugehen, hat man in einer rezenten Studie das Mikrobiom von Müttern kurz vor und nach der Geburt anhand von Proben aus dem Mund, dem Harn, aus der Vagina und dem Stuhl mit dem einer Kontrollgruppe verglichen. Während in der Vaginalhöhle vor der Geburt und bei der Kontrollgruppe Lactobacillus dominant war, war einen Monat nach der Geburt die Dominanz von Lactobacillus komplett verschwunden. Auch im Harn war diese Verschiebung des Mikrobioms nachweisbar: Lactobacillus war fast vollständig zurückgedrängt, stattdessen waren Streptokokken, Gardnerellen, Prevotellen etc. voherrschend.4

Da die Studie keine späteren Follow-ups beinhaltete, ist zum jetzigen Zeitpunkt unklar, wie lange diese Dysbiose nach der Geburt anhält.

Zukunft der Mikrobiomanalyse

Um zu untersuchen, ob die Mikrobiomanalyse die kultivierungsbasierte Diagnostik in Zukunft unterstützen könnte, vergleicht man aktuell am Diagnostik- und Forschungsinstitut für Hygiene, Mikrobiologie und Umweltmedizin in Graz Mikrobiomanalysen, Flowzytometrie und die klassische Kultivierungsdiagnostik von Harnproben miteinander. Erste, unveröffentlichte Ergebnisse könnten darauf hindeuten, dass Mikrobiomanalysen in Zukunft vielleicht eine vielversprechende unterstützende Methode zur Diagnostik von Harnwegsinfektionen sind.

Moissl-Eichinger C: „Das Mikrobiom und Harnwegsinfektionen“. Vortrag am Gynäkologie Update Refresher, 14. März 2024

1 Berg G et al.: Microbiome definition re-visited: old concepts and new challenges. Microbiome 2020; 8(1): 103 2 Perrez-Carrasco V et al.: Urinary microbiome: Yin and yang of the urinary tract. Front Cell Infect Microbiol 2021; 11: 617002 3 Hae Woong C at al.: Microbiome in urological diseases: Axis crosstalk and bladder disorders. Investig Clin Urol; 64(2): 126-39 4 Neumann C et al.: The dynamics of the female microbiome: Unveiling abrupt changes of microbial domains across body sites from preconception to perinatal phase. bioRxiv preprint; https://doi.org/10.1101/2023.0

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