
Adipositaschirurgie: Verfahren, Langzeitprobleme, Nachbetreuung
Autor*innen:
OÄ Dr. Theresa Kampl
Chirurgische Abteilung
Landesklinikum Hollabrunn
OA Dr. Philipp Beckerhinn
Chirurgische Abteilung
Landesklinikum Hollabrunn
Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Adipositas- und Metabolische Chirurgie (ÖGAMC)
Korrespondenz:
OÄ Dr. Theresa Kampl
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Angesichts steigender Zahlen übergewichtiger und fettleibiger Menschen spricht die WHO im aktuellen Europäischen Bericht 2022 von einer epidemischen Entwicklung.1 Neben der Morbidität des Einzelnen sind auch die gesundheitsökonomischen Folgen immens. Die metabolisch-bariatrische Chirurgie ist derzeit die effektivste Therapieoption,2 weltweit nimmtdie Zahl dieser Eingriffe daher zu. Ärzt*innen aller Fachrichtungen sind mit Patient*innen nach übergewichtschirurgischen Operationen konfrontiert;sie sollten Komplikationen daher rechtzeitig erkennen und entsprechend reagieren können.
Keypoints
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Die metabolisch-bariatrische Chirurgie ist die derzeit effektivste Therapieoption in Hinblick auf Gewichtsreduktion, Stoffwechsellage, Komorbiditäten und Lebensqualität.
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Die häufigsten Verfahren sind der Roux-Y-Magenbypass, der Omega-Loop-Bypass und die Schlauchmagenresektion.
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Eine lebenslange, strukturierte Nachsorge ist erforderlich, um mögliche Langzeitkomplikationen wie Anastomosenulzera, innere Hernien oder das Dumpingsyndrom rechtzeitig zu erkennen.
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Die konsequente, adäquate Supplementierung ist obligat. Auf die ausreichende Versorgung mit Eisen, Vitamin B 12, Folsäure und fettlöslichen Vitaminen ist zu achten.
Adipositas ist als chronische, wiederkehrende und fortschreitende Erkrankung zu betrachten,3 die häufig zum Wegbereiter für das metabolische Syndrom wird. Neben arterieller Hypertonie, Dyslipidämie und Diabetes mellitus Typ 2 sind auch Fettleberhepatitis, Schlafapnoe, muskuloskelettale Beschwerden, Depressionen und die Entstehung maligner Erkrankungen mit Adipositas assoziiert. Sie reduzieren Lebensqualität und Lebenszeit. Aktuellen Meldungen der WHO zufolge sind in Europa 63% der Männer, 54% der Frauen und 25% der Jugendlichen von Übergewicht betroffen.1
Die metabolische Chirurgie ist konservativen Therapieverfahren in Hinblick auf Gewichtsreduktion, Verbesserung von Komorbiditäten und Lebensqualität signifikant überlegen.2 Ein übergewichtschirurgischer Eingriff ist ab einem BMI >40kg/m2 oder aber bei einem BMI >35kg/m2 mit vorhandenen Begleiterkrankungen indiziert. Es konnte eine deutliche Besserung der Stoffwechsellage nach metabolischen Eingriffen nachgewiesen werden.4 Komplexe hormonelle Veränderungen in Gastrointestinaltrakt, Gehirn, Fett-, Muskel- und Lebergewebe sind die Folge. GLP-1 („glucagon-like peptide 1“) wird vermehrt exprimiert, auch Ghrelin, Leptin, PYY (Peptid YY) oder GIP („gastric inhibitory polypeptide“) zeigen messbare Veränderungen. Die Glukoneogenese nimmt ab, das Sättigungsgefühl steigt. Durch die vermehrte Verfügbarkeit von Gallesalzen wird auch das Mikrobiom positiv beeinflusst.2
Die Remissionswahrscheinlichkeit nach einem übergewichtschirurgischen Eingriff liegt für Typ-2-Diabetes bei 76%, für Schlafapnoe bei 83% und für arterielle Hypertonie bei 61%.5 Diabetische Spätschäden lassen sich um 54% reduzieren, kardiovaskuläre Ereignisse um 37%. Nach 20-jährigem Beobachtungszeitraum zeigt sich bei operierten Patient*innen die Mortalität um ein Drittel reduziert.6 Gesundheitsökonomisch betrachtet lassen sich eine Kostenersparnis von mehr als 24000€ pro operiertem Patienten/operierter Patientin und ein Zugewinn von 39 Monaten an guter Lebensqualität erzielen.7
Verfahren (Abb. 1)
Bevor die Covid-19-Pandemie eine drastische Reduktion sämtlicher Elektiveingriffe erzwang, wurden in Österreich im Jahr 2018 laut IFSO-Bericht von 2019 3174 bariatrische Operationen durchgeführt. In 81% der Fälle wurde ein Bypassverfahren (Roux-Y oder Omega Loop) gewählt, 12% fielen auf Schlauchmagenresektionen. International sind diese mit 58% vor den Bypassoperationen mit 35% führend.8 Magenband (LAGB), „vertical banded gastroplasty“ (VBG), biliopankreatische Diversion (BPD), „single anastomosis sleeve ileal bypass“ (SASI), „single anastomosis duodenal-ileal bypass“ (SADI-S) oder Gastroplikation sowie endoskopische Verfahren zählen derzeit nicht mehr oder noch nicht zu den Standardverfahren. Gute Evidenz liegt für den Schlauchmagen und den Roux-Y-Magenbypass vor.
Die Verfahrenswahl soll unter Berücksichtigung von Alter, BMI, Geschlecht, Komorbiditäten, Adhärenz und Beruf getroffen werden.2 Sämtliche Eingriffe werden routinemäßig laparoskopisch durchgeführt. Die Krankenhausaufenthaltsdauer liegt in Österreich bei etwa vier Tagen.8
Schlauchmagen („sleeve gastrectomy“; SG)
Die große Magenkurvatur wird inklusive Fundus entlang eines Bougies mit einem Staplergerät, beginnend etwa vier bis sechs Zentimeter kranial des Pylorus, bis zum His’schen Winkel reseziert. Es resultiert ein kleinkurvaturseitiger Magenschlauch. Der Übergewichtsverlust beträgt nach fünf Jahren etwa 50%.2
Die Letalität liegt in Zentren bei 0,3%, die perioperative Morbidität wird mit 7–8% angegeben. Operationsspezifische Komplikationen sind Fisteln der Klammernahtreihe, Abszesse oder Nachblutungen.2 In Langzeitbeobachtungen kommt es jedoch bei 51% der Patient*innen zur Konversion in einen Magenbypass aufgrund erneuter Gewichtszunahme oder Entstehung einer gastroösophagealen Refluxerkrankung (GERD).9
Roux-Y-Magenbypass (RYGB)
Der proximale Magenbypass wurde bereits 1967 von Mason und Ito beschrieben und wird heute in der Regel laparoskopisch modifiziert nach Wittgrove durchgeführt.10 Es wird ein kleiner Magenpouch gebildet, dann erfolgt die Rekonstruktion nach Roux-Y. Die biliopankreatische Schlinge wird mit 50–80cm ausgemessen, die alimentäre Schlinge meist auf 150–200cm festgelegt. Variationen, zum Beispiel bei superobesen Patient*innen (BMI >50kg/m2), sind möglich. Es empfiehlt sich der Verschluss der Mesenterialschlitze zur Prävention innerer Hernien. Nach fünf Jahren ist mit einem Übergewichtsverlust von 60–65% zu rechnen.2 Der RYGB stellt auch die Therapie der Wahl einer GERD bei Adipositas dar.
Die Mortalität wird in der Literatur mit 0,38–0,72% angegeben, die perioperative Morbidität beträgt bis zu 21%. Operationsspezifische Komplikationen sind Nachblutungen, Anastomoseninsuffizienzen und Abszesse.2
Omega-Loop-Magenbypass (syn. Mini-Bypass, Einanastomosenbypass; OAGB)
Der OAGB wurde 1997 von Rutledge beschrieben.11 Ähnlich dem RYGB wird ein kleinkurvaturseitiger, aber längerer Magenpouch gebildet. Die biliopankreatische Schlinge wird mit 150–200cm bemessen, auf die Anlage einer Fußpunktanastomose wird verzichtet. Nach fünf Jahren beträgt der Übergewichtsverlust 72–77%.2
Morbidität und Mortalität entsprechen im Wesentlichen den Angaben nach RYGB, allerdings bestehen Bedenken hinsichtlich eines potenziellen biliären Refluxes.2
Langzeitprobleme
Anastomosenulkus
Nach einer Magenbypassoperation sind 1–16% der Patient*innen von einem Anastomosenulkus betroffen.12 Dieses kann schon bald, aber auch erst Jahre postoperativ auftreten. Die Ursachen sind multifaktoriell. Neben der Einnahme nichtsteroidaler Antirheumatika, Nikotin- und Alkoholabusus begünstigt auch liegendes Nahtmaterial die Ulkusentstehung. Eine H.-pylori-Infektion sollte präoperativ ausgeschlossen bzw. eradiziert werden.
Klinisch präsentieren sich die Patient*innen mit Übelkeit, Erbrechen, epigastrischen Schmerzen oder einer gastrointestinalen Blutung. Die konservative Therapie mit Protonenpumpenhemmern und diätologischer Beratung ist zu 95% erfolgreich, bei rezidivierendem oder therapierefraktärem Ulkus kann die Anastomosen-Neuanlage erwogen werden. Die Perforation ist ein chirurgischer Notfall.
Anastomosenstenose
Die Inzidenz von Strikturen an der Gastrojejunostomie wird mit 2–31% angegeben.12 Zumeist treten diese in den ersten drei postoperativen Monaten auf, ein Zusammenhang mit der technischen Ausführung der Anastomose (Handnaht, Circular- oder Linearstapler) wird diskutiert. Übelkeit, Erbrechen und Schluckstörungen sind typische Symptome, Therapie der Wahl ist die endoskopische Ballondilatation.
Innere Hernien
Mit einer Inzidenz von 0,5–9% sind innere Hernien die häufigste Ursache einer intestinalen Obstruktion nach Magenbypass.12 Laparoskopisch erfolgt der Jejunumhochzug in der Regel antekolisch, sodass es zur Ausbildung typischer Bruchpforten im Mesenterium kommt. Es wird die Brolin- von der Petersen-Hernie unterschieden. Klinisch reicht das Bild von rezidivierenden postprandialen, meist linksseitigen Bauchschmerzen bis hin zum akuten Abdomen mit dem Vollbild eines Ileus. In der Computertomografie findet sich durch die Drehung der Mesenterialgefäße um die Längsachse ein sogenanntes „Whirl-Sign“ (Abb. 2), allerdings werden falsch negative radiologische Befunde in 20–40% beschrieben.12
Bei klinischem Verdacht auf eine innereHernie soll daher die diagnostische Laparoskopie erfolgen, um die drohende Darmischämie zu vermeiden. Nach Reposition des Dünndarms werden die Mesenterialschlitze vernäht. Unübersichtliche Verhältnisse können die Laparotomie erforderlich machen, bei fortgeschrittener Darmischämie oder Infarzierung muss die Teilresektion erfolgen.
Dumping-Syndrom
Das Postgastrektomiesyndrom ist aus der klassischen Magenchirurgie bekannt. Beim Frühdumping, etwa 15–30 Minuten nach einer Mahlzeit, führt die rasche Entleerung des hyperosmolaren Nahrungsbreis ins Jejunum zum erhöhten Vagotonus. Das Spätdumping tritt 1–3 Stunden postprandial auf. Die rasche Glukoseanflutung führt hierbei zur verstärkten Ausschüttung von GLP-1 und Insulin, was eine Hypoglykämie zur Folge hat. Die Patient*innen berichten Übelkeit, Bauchkrämpfe, Schwitzen, Palpitationen, Unruhe oder allgemeine Schwäche. Die reflektorische Hypotension kann bis zur Synkope führen. Zumeist gelingt es, die Symptome mit diätologischen Maßnahmen zu beherrschen. In seltenen Fällen sind Medikamente wie Anticholinergika oder Acarbose erforderlich.
Nachsorge
Adipositas ist eine chronische Erkrankung. Patient*innen nach metabolisch-bariatrischen Operationen brauchen lebenslange, strukturierte Nachsorge.2 Postoperative Kontrollen erfassen den Gewichtsverlauf, die Lebensqualität und laborchemische Parameter. Langzeitprobleme müssen rechtzeitig erkannt, dieMedikation der Begleiterkrankungen mussangepasst werden.
Mangelerscheinungen nach Adipositaschirurgie sind häufig, die konsequente Supplementierung mit einem geeigneten Multivitaminpräparat nach einem malabsorptiven Eingriff ist obligat. Allerdings weisen große Teile der Allgemeinbevölkerung verminderte Vitamin-D-Werte oder einen Eisenmangel auf, sodass Screening und Ausgleich von Mangelzuständen bereits präoperativ erfolgen müssen. Postoperativ zeigen 30–51% der Patient*innen nach einem Magenbypass verminderte Eisen- oder Vitamin-B-12-Werte. Eiweißmangelzustände sind bei den heute üblichen Operationstechniken mit <1% nur selten zu verzeichnen.13 Besonderes Augenmerk gilt in der postoperativen Nachsorge der Versorgung mit Eisen, Vitamin B12, Folsäure und den fettlöslichen Vitaminen A, D, E und K.
Nachsorgetermine sollten in den ersten zwei Jahren nach metabolischer Operation alle drei bis sechs Monate erfolgen, danach zumindest in jährlichen Abständen.2
Literatur:
1 WHO: WHO European Regional Obesity Report 2022. https://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/353747/ 9789289057738-eng.pdf?sequence=1&isAllowed=y; zuletzt aufgerufen am 1.7.2022 2 Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie: S3-Leitlinie: Chirurgie der Adipositas und metabolischer Erkrankungen, 2018; AWMF-Register Nr. 088-001 3 Bray GA et al.: Obesity: a chronic relapsing progressive disease process. A position statement of the World Obesity Federation. Obes Rev 2017; 18(7): 715-23 4 Schauer P et al.: Bariatric surgery vs. intensive medical therapy for diabetes – 5-year outcomes. N Engl J Med 2017; 376: 641-51 5 Buchwald H et al.: Bariatric surgery – a systemic review and meta analysis. JAMA 2004; 292: 1724-37 6 Sjöström L et al.: SOS (Swedish Obesity Study) – effects of bariatric surgery on mortality on swedish obese subjects. N Engl J Med 2007; 357: 741-527 Walter E et al.: Impact of metabolic surgery on cost and long-term health outcome: a cost-effectiveness approach. Surg Obes Relat Dis 2022; 18(2): 260-70 8 The International Federation for the Surgery of Obesity: 5th IFSO Global Registry Report 2019. https://www.ifso.com/pdf/5th-ifso-global-registry-report-september-2019.pdf; zuletzt aufgerufen am 1.7.2022 9 Felsenreich D et al.: Fifteen years after sleeve gastrectomy: weight loss, remission of associated medical problems, quality of life and conversions to Roux-Y-gastric bypass – long-term follow-up in a multicenter study. Obes Surg 2021; 31(8): 3453-61 10 Buchwald H et al.: Evolution of operative procedures for the management of morbid obesity 1950–2000. Obes Surg 2002 ; 12(5): 705-17 11 Rutledge R et al.: The mini-gastric bypass original technique. Int J Surg 2019; 61: 38-41 12 Meyer G et al.: Postoperative Komplikationen beim laparoskopischen Roux-Y-Magenbypass in der Adipositaschirurgie. Obes Facts 2009; 2(Suppl 1): 41-8 13 Davies DJ: Nutritional deficiencies after bariatric surgery. Obes Surg 2007; 17: 1150-8
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