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Auswirkungen der Sarkopenie auf das Frakturrisiko
Leading Opinions
30
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20.10.2016
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<p class="article-intro">Die Sarkopenie wird gegenwärtig im Rahmen der grossen europäischen Altersstudie DO-HEALTH unter der Leitung der Universität Zürich intensiv erforscht. Ziel der in DO-HEALTH verankerten Arbeitsgruppe von internationalen Wissenschaftlern ist unter anderem, einen internationalen Standard in der Definition der Sarkopenie voranzubringen, um dringend notwendige Therapiemassnahmen in der Primär- und Sekundärprävention der Sarkopenie zu ermöglichen, wie Prof. Dr. med. Heike Bischoff-Ferrari, Studienleiterin DO-HEALTH und Direktorin der Klinik für Geriatrie am Universitätsspital in Zürich, an der SVGO-Jahrestagung ausführte. </p>
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<p class="article-content"><p>Zwischen dem 20. und dem 80. Lebensjahr schrumpft die Muskelmasse um etwa 40 % , wobei die Anzahl sowie der Durchmesser der Muskelfasern abnehmen. Auch die Anzahl an Neuronen, die das Muskelgewebe innervieren, reduziert sich und die Myosteatose, die Infiltration von Fett in das skelettale Muskelgewebe, nimmt zu.<sup>1</sup> Ab dem 25. Lebensjahr gehen jährlich durchschnittlich 0,5–1 % der Muskelmasse verloren, nach dem 50. Lebensjahr 1–2 % .<sup>2, 3</sup> Die klinischen Konsequenzen sind gut untersucht.<sup>4–6</sup> «Der Verlust an Muskelmasse und -qualität hat einen direkten Zusammenhang mit Muskelschwäche, funktionellen Einschränkungen, Stürzen, Gebrechlichkeit, Frakturen und damit verbunden mit dem Verlust an Autonomie», erläuterte Bischoff-Ferrari. «Um diese Kettenreaktion (Abb. 1) aufzuhalten, müssen wir die Muskelmasse frühzeitig durch wirksame Massnahmen erhalten oder wenigstens den weiteren Verlust aufhalten», so die Referentin.<sup>6</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Innere_1605_Weblinks_seite52.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Definitionen der Sarkopenie im Prüfstand</h2> <p>Sarkopenie ist weitverbreitet. Die Prävalenz beträgt bei Senioren zwischen 60 und 70 Jahren 5–13 % und bei über 80-Jährigen 11–50 % . «Die grossen Schwankungen der Häufigkeitsangaben sind unter anderem auf die vielen unterschiedlichen Definitionen der Sarkopenie zurückzuführen», führte Bischoff-Ferrari aus. International werden in Expertenkreisen neun Definitionen vorgeschlagen. Die meisten berücksichtigen die appendikuläre Skelettmuskelmasse oder «lean mass» (ALM), die sich wie die Knochendichte einfach mittels DXA messen lässt. Einige Wissenschaftler schlagen für die Sarkopeniedefinition eine Kombination aus abnehmender Muskelmasse und -funktion, wie die Gehgeschwindigkeit oder Greifkraft, vor. «Gegenwärtig versuchen verschiedene Gruppen die neun verschiedenen Definitionen zu validieren», sagte Bischoff-Ferrari. Das grosse Interesse belegt die Bedeutung der Sarkopenie als Risikofaktor. Ziel der laufenden Forschung ist es, eine Definition zu entwickeln, die eine gute Prädiktion des Krankheitsverlaufes ermöglicht. «Solange wir keine international anerkannte griffige Definition der Sarkopenie haben, verläuft die Entwicklung möglicher Therapien schleppend», betonte die Professorin. Immerhin besteht schon einmal unter internationalen Experten ein Konsens darüber, dass sowohl Stürze als auch Frakturen wichtige Endpunkte sind.</p> <h2>Geeignete Kriterien für die Prädiktion</h2> <p>Die Bedeutung einer praxistauglichen Sarkopeniedefinition konnte die Forscherin mit einer eigenen kürzlich publizierten Studie zeigen. In der Arbeit hatte sie mit ihren Kollegen aus dem DO-HEALTH-Forschungsnetzwerk für jede der neun vorgeschlagenen Definitionen untersucht, inwieweit sie die Sturzinzidenz bei 445 Senioren (Alter 65+) über drei Jahre vorhersagen können.<sup>7</sup> «Wir stellten fest, dass nur zwei der neun Definitionen eine signifikante Vorhersage der Stürze ermöglichen. Eine basiert auf ALM (Muskelmasse) allein, die andere auf ALM in Kombination mit Funktionsabnahme», führte Bischoff-Ferrari aus. Auch ergab die Studie, dass die erfolgreiche Definition, die auf ALM alleine beruht, eine frühere Krankheitsphase erfassen kann als die erfolgreiche Definition ALM plus Funktionsabnahme. «Dies ist für die Praxis relevant, da mit einer frühen Diagnose auch früh eine Therapie eingeleitet werden kann.» Eine Definition basierend auf der Muskelmasse ohne Einschätzung der Funktion hat zudem den Vorteil, dass sie unabhängig von der Testperson und der Motivation ist.</p> <h2>Geschlechtsspezifische Unterschiede?</h2> <p>Erste Studien haben den Zusammenhang zwischen Muskelmasse und Hüftfrakturrisiko untersucht. Eine Arbeit zeigt, dass eine grössere Muskelmasse nur bei Männern das Hüftfrakturrisiko reduziert, eine andere, grössere Studie zeigt diesen Zusammenhang auch für Frauen. «Wir werden nun die geschlechtsspezifische Validierung der verschiedenen Definitionen weiter ausdehnen», sagte Prof. Bischoff-Ferrari. Zudem werden weitere Parameter überprüft, um die Komponenten der Sarkopenie (Masse und Qualität) möglichst früh erfassen und verbessern zu können. «Denkbar ist beispielweise, dass auch die Menge des subkutanen Fettgewebes und/oder der Anteil des Fettgewebes in den Muskeln das Frakturrisiko beeinflussen», so die Referentin. Im Rahmen der grossen europäischen DO-HEALTH-Studie, an der Zentren in Zürich, Basel, Genf, Berlin, Innsbruck, Toulouse und Coimbra beteiligt sind, werden derzeit drei gesundheitsfördernde Interventionen (Vitamin D, Omega-3-Fettsäuren und ein Trainingsprogramm) für die Prävention der Sarkopenie und deren Folgen bei mehr als 2000 über 70-jährigen Personen getestet. Die Ergebnisse werden für 2017 erwartet.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Verdijk LB1 et al: Satellite cell content is specifically reduced in type II skeletal muscle fibers in the elderly. Am J Physiol Endocrinol Metab 2007; 292: E151-7 <strong>2</strong> Lexell J et al: What is the cause of the ageing atrophy? Total number, size and proportion of different fiber types studied in whole vastus lateralis muscle from 15- to 83-year-old men. J Neurol Sci 1988; 84: 275-94 <strong>3</strong> Koopman R1, van Loon LJ: Aging, exercise, and muscle protein metabolism. J Appl Physiol 2009; 106: 2040-8 <strong>4</strong> Goodpaster BH et al: The loss of skeletal muscle strength, mass, and quality in older adults: the health, aging and body composition study. J Gerontol A Biol Sci Med Sci 2006; 61: 1059-64 <strong>5</strong> Bischoff-Ferrari HA: Relevance of vitamin D in muscle health. Rev Endocr Metab Disord 2012; 13: 71-7 <strong>6</strong> Cesari M et al: Pharmacological interventions in frailty and sarcopenia: report by the international conference on frailty and sarcopenia research task force. J Frailty Aging 2015; 4: 114-20 <strong>7</strong> Bischoff-Ferrari HA et al: Comparative performance of current definitions of sarcopenia against the prospective incidence of falls among community-dwelling seniors age 65 and older. Osteoporos Int 2015; 26: 2793-802</p>
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