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Operative Behandlungsmöglichkeiten bei Fazialisparese
Jatros
Autor:
Ass. Dr. Petra Brinskelle
Autor:
Univ.-Prof. Dr. med. univ. Stephan Spendel
Klinische Abteilung für Plastische, Ästhetische<br> und Rekonstruktive Chirurgie, Universitätsklinik<br> für Chirurgie, Medizinische Universität Graz<br> Auenbruggerplatz 29, 8036 Graz<br> E-Mail: stephan.spendel@medunigraz.at
30
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20.09.2018
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<p class="article-intro">Die idiopathische Fazialisparese ist die häufigste Hirnnervenläsion. In 70 % bilden sich die Symptome vollständig zurück. Bleiben Störungen der motorischen Funktion mit funktioneller und ästhetischer Einschränkung zurück, kann dem Patienten mit operativen Behandlungsmöglichkeiten geholfen werden.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die häufigste Form der peripheren Fazialisparese ist die idiopathische Fazialisparese, deren Entstehungsmechanismus nicht eindeutig geklärt ist.</li> <li>Die idiopathische Fazialisparese heilt in 70 % innerhalb von 3–6 Monaten vollständig aus.</li> <li>Zur Gesichtsreanimation ist ein zweizeitiges Verfahren mit „Cross-face“-Nerventransplantation und Temporalistransfer für den Lidschluss und einer freien funktionellen mikrochirurgischen Muskeltransplantation (z.B. freier M.-gracilis-Lappen) möglich.</li> </ul> </div> <h2>Anatomie</h2> <p>Der Nervus facialis entspringt als VIII. Hirnnerv und versorgt als motorischer Gesichtsnerv die mimische Muskulatur. Im inneren Gehörgang vereinigt er sich mit dem N. intermedius, der parasympathische Fasern für die Speicheldrüsen außer der Glandula parotis, Geschmacksfasern für die vorderen zwei Drittel der Zunge und sensible Fasern enthält, zum N. intermediofacialis. Gemeinsam mit dem N. vestibulocochlearis ziehen sie durch den Meatus acusticus internus in das Felsenbein, und treten danach in den Fazialiskanal ein. Er verläuft sodann im tympanalen und mastoidalen Abschnitt, bevor er im Foramen stylomastoideum aus dem Schädel austritt. Der N. intermedius strahlt in die Chorda tympani ein und versorgt die Glandula sublingualis und submandibularis sekretorisch und die Zunge sensibel.<br /> In der Glandula parotis teilt sich der N. facialis in zwei Hauptstammäste auf, die sich weiter in seine Endäste verzweigen:</p> <ul> <li>Rami temporales: präaurikuläre Muskeln, M. frontalis, M. orbicularis oculi und Muskulatur der Glabella;</li> <li>Rami zygomatici: M. orbicularis oculi, M. zygomaticus major und minor;</li> <li>Rami buccales: M. buccinator, M. levator labii superioris, Muskeln der seitlichen Nasenwand und der Oberlippe;</li> <li>Ramus marginalis mandibulae: am Unterkieferrand entlang zur Muskulatur des Mundwinkels;</li> <li>Ramus colli: motorische Fasern für das Platysma.<sup>1</sup></li> </ul> <h2>Klinische Symptomatik</h2> <p>Man unterscheidet die zentrale von der peripheren Fazialisparese. Bei der zentralen Fazialisparese ist ein Stirnrunzeln und selten auch ein Lidschluss möglich, da die Stirnmuskeln supranukleär von beiden Hemisphären versorgt werden. Dadurch tritt die Parese kontralateral ohne Beteiligung des Stirnastes auf. Hingegen ist bei der peripheren Fazialisparese die komplette mimische Muskulatur auf der homolateralen Seite, abhängig von der Höhe der Schädigung, betroffen. Ein Stirnrunzeln ist nicht möglich, beim Versuch, das Auge zu schließen, verdreht sich der Augapfel nach oben (Bell-Phänomen).</p> <h2>Symptomatik<sup>1, 2</sup></h2> <ul> <li>Gesichtsasymmetrie</li> <li>Bell-Phänomen</li> <li>einseitige schlaffe Lähmung der mimischen Muskulatur</li> <li>verstrichene Nasolabial- und/oder Stirnfalten</li> <li>unvollständiger Lidschluss: Bell-Phänomen; Hornhautschäden</li> <li>ipsilaterale retroaurikuläre Schmerzen</li> <li>Dysästhesien an der ipsilateralen Wange</li> <li>Mundtrockenheit durch Abnahme der Speichelsekretion</li> <li>Hyperakusis: Funktionsstörung des M. stapedius</li> <li>Abnahme der Tränensekretion</li> <li>Geschmackstörung: vordere zwei Drittel der Zunge</li> <li>Artikulationsstörungen: Atrophie der Wangenmuskulatur</li> </ul> <p>Folgen einer Störung der motorischen Funktion sind somit eine fehlende Schutzwirkung für das Auge, Behinderung der Nasenatmung, orale Inkontinenz und Fehlen der emotionalen mimischen Steuerung.</p> <h2>Diagnostik</h2> <p><strong>Differenzialdiagnosen</strong><br /> Die zentrale Fazialisparese wird am häufigsten durch Schlaganfälle oder Gehirntumoren verursacht.<br /> Von erworbenen peripheren Fazialisparesen sind 60–75 % idiopathischer Genese, 20–45 % können einer Ursache zugeordnet werden. Am häufigsten davon ist die entzündliche Genese, wie zum Beispiel durch Neuroborreliose, Herpes zoster/oticus, Herpes simplex, Guillain-Barré-Syndrom (beidseitige Fazialisparese möglich) oder akute und chronische Mittelohrentzündungen. Weitere Ursachen können traumatisch (z.B. Felsenbeinfraktur), neoplastisch (Schwannome, Meningeome, Cholesteatome, maligne Tumoren der Schädelbasis, Parotis) oder auch durch Schwangerschaft, Diabetes mellitus und arterielle Hypertonie bedingt sein.<sup>2</sup><br /> Die Basisuntersuchung umfasst die gründliche klinische neurologische Untersuchung sowie die Otoskopie zum Ausschluss eines Zoster oticus. Laborchemisch soll zumindest eine Borrelioseserologie, bei klinischem Verdacht auch eine Varicella- Zoster-Serologie erfolgen (Zoster sine herpete). Die Liquorpunktion ist bei Kindern obligat, für Erwachsene wird sie empfohlen.<sup>2</sup><br /> Die idiopathische Fazialisparese ist die häufigste Hirnnervenläsion. Sie tritt bei Männern und Frauen gleich häufig, innerhalb von Stunden und fast immer einseitig auf. Begleitsymptome, die auf andere Ursachen wie eine entzündliche, autogene oder neurogene Genese hinweisen, fehlen.<sup>1, 2</sup></p> <h2>Prognose</h2> <p>In 85 % der Fälle kommt es zu einer Rückbildung innerhalb von 3 Wochen, bei 10 % zu einer partiellen Rückbildung innerhalb von 3–6 Monaten. In 70 % ist die Remission vollständig, bei 30 % können nicht beeinträchtigende oder wesentlich beeinträchtigende Symptome bestehen bleiben.<sup>2</sup></p> <h2>Therapie</h2> <p><strong>Konservative Therapie</strong><br /> Laut neuesten Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie 2017<sup>2</sup> soll die idiopathische Fazialisparese mit Glukokortikoiden behandelt werden, da die vollständige Rückbildung begünstigt und das Risiko von Synkinesien, autonomen Störungen sowie Kontrakturen verringert wird. Bei Schwangeren gelten die gleichen diagnostischen und therapeutischen Prinzipien. Die Glukokortikoidtherapie sollte allerdings unter stationären Bedingungen in einer spezialisierten geburtshilflichen Klinik vorgenommen werden.<sup>2</sup><br /> Eine symptomatische Therapie kann mit Tränenersatzstoffen, Dexpanthenol- Salbe und nächtlichem Uhrglasverband zum Hornhautschutz und aufklebbaren Gewichten für das Oberlid erfolgen. Bei störenden Synkinesien wie störendem Lidschluss beim Sprechen können Botulinum- Toxin-A-Injektionen indiziert sein.<br /><br /> <strong>Operative Therapie</strong><br /> Bleiben Störungen der motorischen Funktion wie die o.g. fehlende Schutzwirkung für das Auge, orale Inkontinenz und Fehlen der emotionalen mimischen Steuerung bestehen oder sind Folgen der Fazialisparese mittels symptomatischer Therapie nicht ausreichend therapierbar, können operative Methoden angeboten werden. Diese sollten, wenn möglich, nach 12 Monaten durchgeführt werden, um eine Muskelatrophie zu vermeiden. Ist bereits eine Muskelatrophie eingetreten, so ist eine Gesichtsreanimation als zweizeitiges Verfahren, welches unten beschrieben wird, möglich.<br /><br /> Nervenrekonstruktion<br /><br /> <em>Primäre Nervennaht:</em><br /> Nach kompletter Nervenverletzung durch Trauma wird der Nerv aufgesucht und eine primäre Nervennaht durch Endzu- End-Anastomose durchgeführt.<sup>1, 3</sup><br /><br /> <em>Sekundäre Nervennaht:</em> Nerveninterponate: Defekte und Schäden im Verlauf des N. facialis können durch Verwendung von sensiblen Hautnerven (z.B. Entnahme des N. suralis oder N. auriculo magnus) erfolgreich überbrückt werden.<sup>2</sup><br /><br /> Hypoglossus-Fazialisanastomose:<br /> Der N. hypoglossus der gleichen Seite wird teilweise oder ganz durchtrennt und mit peripheren Enden des N. facialis verbunden, um eine Reinnervation der gelähmten Muskulatur zu erzielen. Durch eine Zungenbewegung wird eine Kontraktion der jeweiligen mimischen Muskulatur aktiviert. Ein einseitiger Ausfall des N. hypoglossus bleibt meist ohne gravierende Folgen.<sup>1</sup><br /><br /> „Cross-face nerve graft“ (CFNG):<br /> Ist kein geeigneter zentraler N.-facialis- Stumpf vorhanden, kann ein Nerventransplantat (z.B. N. suralis) an den N. facialis der Gegenseite anastomosiert werden und somit eine Innervation der gelähmten Muskulatur von der gesunden Seite erreicht werden. Die „Cross-face“-Nerventransplantation wird unter anderem vor der freien funktionellen Muskeltransplantation durchgeführt.<sup>1, 3–5</sup><br /><br /> Neuromuskuläre Transposition<br /> In die gelähmte atrophe mimische Gesichtsmuskulatur wird ein innerviertes Muskeltransplantat eingebracht. Dafür eignet sich insbesondere der M. temporalis oder der M. masseter. Faszienzügel werden in den Lidern oder auch im Mundwinkel verankert, was einen Augenschluss oder ein Anheben des Mundwinkels ermöglicht. Bei der freien neurovaskulären funktionellen Muskeltransplantation wird ein Muskel-Nerv-Gefäß-Transplantat, z.B. aus einem Oberschenkelmuskel (M. gracilis), als Ersatz für die gelähmte Gesichtsmuskulatur verwendet.<sup>1, 4, 5</sup><br /> In einem zweizeitigen Verfahren erfolgen im ersten Schritt eine „Cross-face“- Nerventransplantation und ein Temporalistransfer für den Lidschluss, im zweiten Schritt nach ca. 1 Jahr wird die freie funktionelle mikrochirurgische Muskeltransplantation (z.B. freier M.-gracilis-Lappen) zur funktionellen Hebung des Mundwinkels durchgeführt. Diesbezügliche modifizierte Verfahren sind ebenso möglich. Voraussetzung für diese Methode ist unter anderem eine gute Compliance des Patienten.<br /><br /> Begleitende operative Verfahren<br /> Eine Keratitis oder Konjunktivitis als Folge des fehlenden Lidschlusses ist für den Patienten sehr unangenehm. Durch eine Tarsorrafie mit Vernähung der Lidkanten kann die Lidspalte verkleinert werden, ein optisch ästhetischeres Ergebnis kann durch eine Blepharoplastik mit Kanthopexie erzielt werden.<br /> Durch das Einbringen eines Goldimplantates oder einer Platinkette in das Oberlid wird dieses nach unten gezogen. Das Anheben des Oberlides wird nicht beeinträchtigt, da die Innervierung des Lidmuskels (N. levator palpebrae) durch den N. oculomotorius (III. Hirnnerv) erfolgt.<sup>1</sup><br /> Zur Beurteilung der Reinnervation können das klinische Hoffmann-Tinel-Zeichen wie auch standardisierte Video- und Fotodokumentationen verwendet werden.<sup>2</sup></p></p>