
Off-label, aber nicht off-limits
Bericht:
Hanna Gabriel, MSc
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Dass sich Medikamente auch in Anwendungen als effektiv erweisen, die nicht in ihren Zulassungen stehen, befeuert medizinische, rechtliche und ethische Debatten. Welche Antworten die Tagung der Österreichischen Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie (ÖGDV) dazu lieferte, erfahren Sie hier anhand zweier Beispiele.
Beispiel 1: granulomatöse und lichenoide Hauterkrankungen
Ein Streifzug durch die Zulassungen für in der Dermatologie eingesetzten medikamentösen Therapien veranschaulicht, wie weit der „off-label use“ tatsächlich reicht. So zeigt sich bei granulomatösen und lichenoiden Hauterkrankungen, dass das zugelassene Medikamentenrepertoire keineswegs themendeckend ist. Bei Kindern, Schwangeren und alten Menschen sowie bei vielen dermatologischen Indikationen gibt es keine spezifische zugelassene Therapie.
In der Durchsicht verschiedener Fachinformationen findet sich kaum ein einheitliches Muster. So sprechen diejenigen zu topischen Kortikosteroiden oft von „auf Kortikosteroidtherapie ansprechenden Hauterkrankungen“. Dagegen wird bei topischem Tacrolimus mit dem Ekzem eine spezifische Indikation namentlich genannt. Bei den lichenoiden Hauterkrankungen fallen ebenfalls Ambivalenzen auf: Lichen ruber planus wird bei den topischen Kortikosteroiden gelistet; beim Ciclosporin dagegen sucht man ihn vergeblich.
Beginnt die Suche andersherum – also von der Indikation aus –, „fehlen“ ebenfalls Zulassungen. Beim Fremdkörpergranulom bieten sich laut Lehrmeinung u.a. intraläsionale Kortikosteroide an. Beim intraläsionalen Triamcinolon ist das Fremdkörpergranulom allerdings nicht gelistet. Auch bei der Sarkoidose ist die geläufige Therapie mit systemischen Kortikosteroiden oder Retinoiden wie Acitretin nicht angeführt.
Daraus lassen sich zwei Schlüsse ziehen: Erstens ist beim Lesen von Labels Genauigkeit gefragt. Und zweitens ist es denkbar, dass Mediziner*innen Therapien off-label verschreiben, ohne es zu merken. Erkannt wird das unter Umständen dann erst, wenn die Krankenkasse rückmeldet, dass sie die Kosten nicht übernimmt. Zudem wirkt sich ein langwieriger Einreichungsprozess negativ aus. Eine kürzlich von Werner et al. veröffentlichte Studie zeigt, dass in Deutschland im Schnitt zwei Monate ab der Verschreibung einer Therapie bis zu ihrer Initiation vergehen.1 Daraus könne ein erheblicher Nachteil für die Patienten entstehen.
Was bei der Verschreibung von Off-label-Therapien jeweils klar abgewogen werden sollte: Was ist der internationale Standard? Und wo liegen bekannte Risiken? Zur Beantwortung dient die internationale Fachliteratur. Sie ist bei Off-Label-Therapien unteranderem deshalb heranzuziehen, weil eine Verschreibung ohne entsprechende Evidenz nicht in diesen Bereich fällt, sondern bereits einen Forschungsaspekt aufweist.
Was lässt sich am Beispiel der granulomatösen und lichenoiden Hauterkrankungen also festmachen? Erstens, dass der „off-label use“ nicht gleichzusetzen ist mit einer klinischen Studie oder einem Experiment. Zweitens, dass er dennoch „unmet medical needs“ aufzeigt, die wiederum klinische Studien inspirieren können. Und drittens – so realistisch wird man bleiben müssen –,dass es nicht möglich sein wird, für sämtliche Indikationen klinische Studien durchzuführen. Dort, wo das der Fall ist, sollten sich Mediziner*innen auf ihr Recht berufen, zum Wohle ihrer Patient*innen zu entscheiden.
Beispiel 2: Pädiatrie
„Bei Off-Label-Verschreibungen stehen Mediziner mit einem Fuß im Kriminal.“ So beschreibt die Situation Univ.-Prof. Dr. Zsolt Szépfalusi, Leiter der Atem- und Allergieambulanz der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde in Wien. „Wir Pädiater stehen sogar mit beiden Beinen im Kriminal. Aber wir haben gelernt, gut damit zu leben. Ich werde Ihnen erklären, wie.“
Obwohl zugelassene Therapien immer zu bevorzugen sind, muss bei Kindern häufig auf Arzneimittel außerhalb ihres zugelassenen Anwendungsgebietes zurückgegriffen werden. Meist, weil die klinische Evidenz für den Gebrauch an Kindern und somit die entsprechende Zulassung fehlt, der mögliche Nutzen aber überwiegt.
Umgekehrt werden viele Interventionen entgegen den Empfehlungen weiterhin off-label gesetzt: Antibiotika bei einer obstruktiven Bronchitis oder viralen Bronchiolitis, ausschließliche inhalative Steroide bei einem Asthmaanfall oder die Vermeidung von MMR-, Influenza- oder FSME-Impfungen bei Hühnerallergie. „Bei solchen Interventionen sollte man sich als Arzt fragen, ob man damit nicht sogar Schäden anrichten kann. In der Praxis tun das aber leider zu viele Ärzte nicht“, gibt Szépfalusi zu bedenken.
Auch aus anderen Ländern wissen wir vom häufigen „off-label use“ bei Kindern. So beschreibt eine US-amerikanische Studie die Off-Label-Verschreibungspraxis von topischen Steroiden. Demnach erhielten (von 2006 bis 2015) 10,4 Mio. Kinder mit atopischer Dermatitis starke topische Steroide (Desoximetason wurde in 52% der Fälle off-label verschrieben, danach folgte Hydrocortison mit 43% an zweiter Stelle).2
„Hinter diesen Zahlen steht ein Bedarf, Medikamente auch für Kinder zu verwenden, obwohl sie das vorgeschriebene Alter nicht erreichen“, unterstreicht der Experte. 50% der Medikamente in der Pädiatrie seien für das Alter nicht zugelassen, auf pädiatrischen Intensivstationen 70% und im neonatologischen Intensivbereich 90%.
Deshalb stehe die Evidenz in der Pädiatrie besonders im Vordergrund. Sie festigt im Wesentlichen den Grundsatz, Kinder seien keine kleinen Erwachsenen. Das bestätigt auch eine Untersuchung von 108 Medikamenten auf notwendige Veränderungen für eine Anwendung in der Pädiatrie. Das Ergebnis: 23 Dosisanpassungen, 34 neue Sicherheitsinformationen, 19 Fälle fehlender Effizienz, 12 neue Formulierungen und 77 Ausweitungen von Altersgrenzen.3
Mittlerweile wurden gesetzliche Grundlagen geschaffen, um pädiatrische Studien einzufordern. „Hersteller müssen bei allen neuen Produkten hinterfragen, ob es potenziell eine Notwendigkeit oder Möglichkeit gibt, das Präparat auch Kindern zu verabreichen. Lautet die Antwort ja, dann muss eine pädiatrische Studie durchgeführt werden.“ Das habe mit dazu beigetragen, dass heute eine Palette an Biologika in der pädiatrischen Allergologie zugelassen oder im Zulassungsprozess ist.
Um Off-Label-Therapien bei Kindern auf deren Evidenz- und Empfehlungslage zu prüfen, legt Szépfalusi zum Schluss die neue österreichische Plattform „ Kindermedika.at “ ans Herz. Hier werden unabhängige, evidenzbasierte Informationen zur Arzneimittelanwendung bei Kindern angeführt.
Auf einen Klick
Wer die Zulassungsdaten von Medikamenten nachschlagen möchte, wird im Arzneispezialitäten-register fündig:
https://aspregister.basg.gv.at/aspregister/faces/aspregister.jspx
Außerdem listet die EMA in der EU zugelassene Medikamente, wobei auch diejenigen enthalten sind, die nicht im österreichischen Arzneispezialitätenregister aufscheinen: https://www.ema.europa.eu/en/human-regulatory/post-authorisation/data-medicines-iso-idmp-standards/public-data-article-57-database
Quelle:
Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie (ÖGDV), 1.–3. Dezember 2022, Wien
Literatur:
1 Werner RN et al.: J Eur Acad Dermatol Venereol 2022; 36(11): 2241-9 2 Freeze ME et al.: Pediatr Dermatol 2021; 38(1): 115-8 3 Rodriguez W et al.: Pediatrics 2008; 121(3): 530-9
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