
„Man hat die Klientel, die man sich erarbeitet“
Unser Gesprächspartner:
OA Dr. Thomas Rappl
Klinische Abteilung für plastische, ästhetische und rekonstruktive Chirurgie
Medizinische Universität Graz
Ärztlicher Leiter von MA-RA (Medical Aesthetic Research Academy), Graz/Wien/Aigen im Ennstal
E-Mail: info@ma-ra.at
Das Interview führte
Dr. Christine Dominkus
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Einige Inhalte sind aufgrund rechtlicher Bestimmungen nur für registrierte Nutzer bzw. medizinisches Fachpersonal zugänglich.
Sie sind bereits registriert?
Loggen Sie sich mit Ihrem Universimed-Benutzerkonto ein:
Sie sind noch nicht registriert?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos auf universimed.com und erhalten Sie Zugang zu allen Artikeln, bewerten Sie Inhalte und speichern Sie interessante Beiträge in Ihrem persönlichen Bereich
zum späteren Lesen. Ihre Registrierung ist für alle Unversimed-Portale gültig. (inkl. allgemeineplus.at & med-Diplom.at)
Der ästhetische Markt boomt, laufend erscheinen neue Schlagzeilen. Als einziger Österreicher Mitglied im wissenschaftlichen Komitee von IMCAS (International Master Course on Aging Skin) ist Dr. Thomas Rappl, Graz, weltweit gefragter Ausbilder, Referent, Behandler und Operateur. Wir erkundigten uns beim Facharzt für plastische, rekonstruktive und ästhetische Chirurgie nach seinen Impressionen vom diesjährigen Kongress in Paris.
Welches waren die Highlights des heurigen Kongresses?
T. Rappl: Es wurden alle Bereiche der ästhetischen Medizin abgedeckt: von State-of-the-Art-Behandlungen über neue Entwicklungen bis hin zum Komplikationsmanagement. Der IMCAS ist mittlerweile der weltweit größte Kongress in der Ästhetik mit über 20000 Teilnehmern. Der AMWC in Monaco, vergleichsweise ähnlich gut besucht, verzeichnete letztes Jahr etwa 13000 Teilnehmer.
Wer besucht den Kongress?
T. Rappl: Bei den Teilnehmern handelt es sich größtenteils um Dermatologen und etwa ein Fünftel plastische Chirurgen sowie Ärzte andere Fachrichtungen. An den Vorlesungen und Workshops dürfen ausschließlich Mediziner teilnehmen, nichtärztliches Personal hat lediglich Zugang zur Industrieausstellung. Interessanterweise zählt Frankreich gemeinsam mit Spanien, Italien, Österreich und den Beneluxländern zu jenen Nationen innerhalb Europas, in denen nur Ärzte ästhetische Behandlungen durchführen dürfen. Im Gegensatz dazu sind beispielsweise in Deutschland auch Heilpraktiker zugelassen. In Russland, Polen, Ungarn und Slowenien um nur einige zu nennen, dürfen auch Krankenpflegepersonen/Kosmetiker:innen Botox und Filler spritzen.
Wohin geht der Trend? Minimalinvasive Ästhetik oder zurück zum chirurgischen Facelifting?
T. Rappl: Der Trend geht eindeutig in die minimalinvasive Richtung und zurück zur Natürlichkeit. Wir sehen aber auch eine Zunahme bei Facelifts insgesamt: Patienten, die viel Geld in frustrane Outcomes investiert haben, entscheiden sich letztendlich für ein Facelift. Ästhetik wird leider oft im Rahmen von Wochenendkursen erlernt und damit verfügen Kollegen nicht über die ausreichende Erfahrung, um aus dem riesigen Portfolio das maßgeschneiderte, individualisierte Behandlungskonzept anbieten zu können. Oft klafft die Schere zwischen Versprechen und Erwartungshaltung weit auseinander. Viele Patienten sind enttäuscht, weil der sichtbare Erfolg ausbleibt, jedoch Tausende Euros ausgegeben wurden. Unter dem Motto: „Jetzt reichts, jetzt machen wir den Schnitt“ kommen dann wir plastisch-ästhetischen Chirurgen zum Einsatz. Ein weiterer deutlicher Trend geht in Richtung „energy-based devices“ mit Radiofrequenz, Laser, Ultraschall, PRP („platelet-rich plasma“) etc. und auch Toxine kommen vermehrt auf den Markt. Der Fillermarkt ist gesättigt.
Welchen Stellenwert werden Exosomen und Hybridfiller bekommen?
T. Rappl: Exosomen sind ein neues Thema, wobei es unterschiedliche Quellen gibt: einerseits pflanzliche Exosomen, andererseits solche animalen Ursprungs, z.B. aus der Nabelschnur von Kälbern. Die Wissenschaft hinkt wie immer in der ästhetischen Medizin hinten nach, leider stehen uns wenig evidenzbasierte Daten zur Verfügung. Man muss den Firmen glauben oder seine eigenen Erfahrungen machen, eine kritische Zugangsweise und ein wacher Geist sind hier gefragt. Wie bei PRP und der Anwendung von Eigenblut stellt sich die Frage: Was sollen Stammzellen des älteren Menschen bewirken? Ideal wären embryonale Stammzellen und da sind wir wieder beim Thema Ethik angelangt …
Meine Frau, mit der ich die Ordination teile, setzt Botox, Filler, Biostimulatoren und Skinbooster, ein wenig PRP und nun vermehrt auch Exosomen ein. Ich vergleiche die Nachfrage nach den bestimmten Behandlungen gerne mit einer Sinuskurve. Wollten noch vor einiger Zeit viele Patienten das „Vampirlift“, sind aktuell die Exosomen „hip“. Meine Frau Simone kümmert sich um die rein ästhetischen Behandlungen, ich übernehme den chirurgischen Part. Ein Facelift kombinieren wir immer mit 5% PRP und Eigenfett.
Biostimulatoren auf Basis von Hyaluronsäure und langkettigen Polynukleotiden werden nun als neuer Trend vermarktet – was steckt dahinter?
T. Rappl: Polynukleotide in verdünnter Form kamen vor etwas mehr als einem Jahr auf den Markt. Es ist so wie mit der Fabel vom Rattenfänger von Hameln … Ein neuer Trend taucht plötzlich auf, und alle rennen hinterher. Begünstigt wurde dieser neue Trend dadurch, dass überspritzte Gesichter völlig out sind und man etwas Natürlicheres anbieten wollte. Prinzipiell sind Polynukleotide eine gute Therapie, sie stimulieren Fibroblasten und die Kollagensynthese. Werden sie oberflächlich eingespritzt, wird der Reparaturmechanismus der Haut angekurbelt. Meiner Meinung nach ist das ein interessanter Ansatz, und es ist noch viel in dieser Richtung zu erwarten.
Worin sehen Sie die größte Herausforderung des ästhetisch tätigen Mediziners?
T. Rappl: Den komplexen Markt zu überblicken, ist sehr schwierig. Ich sehe die große Kunst, das vielfältige Angebot zu beurteilen und die passenden Anwendungen auszuwählen, sich eine Expertise anzueignen und dann individuell zu entscheiden.
Ein starkes Team: Dr. Thomas Rappl und Ehefrau Dr. Simone May bieten in der gemeinsamen Praxis induvidualisierte Behandlungen für ihre Patienten an
Ist das Fadenlifting out? Tiefes oder oberflächliches Fadenlifting? Haltbarkeit, richtige Indikation? Nebenwirkungen?
T. Rappl: Fäden sind eine spannende Sache und für mich persönlich ein super Thema. Ich persönlich setze viele Fäden. Besonders gern arbeite ich mit permanenten Fäden und ich verfüge über ausreichend Erfahrung damit. Die Indikation muss allerdings stimmen. Es gibt die oberflächlichen PDO(Polydioxanon)-Fäden ohne Widerhaken. Sie haben einen begrenzten Einsatzbereich und die Ergebnisse sind nicht berauschend, diese Fäden sind jedoch in Asien sehr populär.
Fäden mit Widerhaken sind sehr interessant für jene, bei denen das Facelift noch nicht sinnvoll ist, oder wenn die/der Betreffende dem chirurgischen Eingriff gegenüber skeptisch eingestellt ist. Überall dort, wo ich etwas repositionieren möchte, kommt diese Art der Fäden zum Einsatz, z.B. Silhouette doppelt armiert (mit Cones), Sinclair, Croma, Menarini. Die Haltbarkeit beläuft sich auf circa 1,5 Jahre, wir kombinieren diese Fäden mit Ultherapy und Fillern.
Permanente Fäden mit Widerhaken verhindern ein stärkeres Absinken des Gesichts oder sind bei tiefen Nasolabialfalten und Hängebäckchen indiziert. Damit ist ein Repositionieren des Gewebes sehr gut möglich. Ich muss aber betonen, dass es eine flache Lernkurve gibt und einige Kollegen scheitern. Permanenten Fäden wird eine längere Haltbarkeit zugeschrieben, ich verwende sie seit vorigem Jahr. Die ersten permanenten Fäden, nämlich Goldfäden, kamen schon in den 1980er-Jahren auf. Gold wurde mittlerweile von Silikon abgelöst.
Als Kontraindikationen für das Fadenlifting sehe ich eine zu dünne Haut wegen des Risikos, dass die Fäden an der Oberfläche durchscheinen, und ein schweres Gewebe. Wie gesagt, die Indikation muss passen!
Die Ausfallszeit beträgt ein verlängertes Wochenende, Hämatome sehe ich wenige, manchmal kommt es zu Asymmetrien oder der Nerv ist gereizt. Fäden können auch wandern und sich durch die Haut durchspießen. All das kann man korrigieren. Für mich hat das Fadenlifting durchaus einen Stellenwert, den ich als gerechtfertigt betrachte.
Welche Lippenform ist im Trend? Wie sieht Ihrer Meinung nach die ästhetisch schöne Lippe aus?
T. Rappl: Ich bin ein Verfechter der alten, herkömmlichen Proportionen, die 3800 Jahre lang Maler, Bildhauer, Künstler jeder Art inspiriert haben. Gesichter wie Nofretete im Verhältnis Oberlippe zu Unterlippe 1:1,3, aber keinesfalls gleich groß. Dann kreiert Kim Kardashian über Nacht einen Trend und alles ändert sich schlagartig. Meist wollen jüngere Patientinnen eine gleich große Unter- wie Oberlippe oder die Herzform oder die Oberlippe soll größer sein. Es ist extrem mühsam, die Internet-Pestilenz aus den Köpfen der Patientinnen wegzudiskutieren – die Generation Z, die Millennials sind so gepoolt. Und die Trends ändern sich ständig, nächstes Jahr kommt wahrscheinlich wieder ein neuer Trend auf. Wenn es im Rahmen bleibt, versuche ich auf die Wünsche der Patientin einzugehen, die Lippe dabei aber möglichst natürlich zu halten. Man hat die Klientel, die man verdient oder sich erarbeitet hat.
Ihr Vortragstitel bei der IMCAS lautete „The indication for toxin treatments in lip beautification“ Was versteht man darunter?
T. Rappl: Mit Toxin kann man viel an Asymmetrien der Lippe, des Lächelns und in der Anatomie der unteren Gesichtshälfte ausbalancieren. Wenn man sich mit der Animation des Lächelns auskennt, ist es möglich, die Symmetrie der mimischen Muskulatur wiederherzustellen; Stichwort Lip-Flip-Technik. Dabei wird das Toxin so in die Oberlippe injiziert, dass sie auch im entspannten Zustand nach außen evertiert. Mit geringsten Dosen ist enorm viel an Veränderung zu erzielen. Die Haltbarkeit beträgt nur 2 Monate, spritzt man zu viel, bekommt die Patientin Probleme beim Trinken.
Welcher Laser ist derzeit „in“ für Anti-Aging?
T. Rappl: Laser sind ein weites Feld. Man muss sich sehr gut auskennen. Der fraktionierte CO2-Laser ist für mich nach wie vor das Maß aller Dinge, wenn es um Glättung und Regenerierung der Haut geht. Der Laser ist als Zusatzbehandlungsmethode im Portfolio des ästhetisch tätigen Arztes unverzichtbar.
Wo passieren die meisten schweren Komplikationen nach Fillern?
T. Rappl: In Asien, weil dort sehr viel unterspritzt wird, danach kommt auch schon die USA, Europa liegt weiter hinten. Jeder, der Filler einsetzt, sollte auch über ein Ultraschallgerät in der Ordination verfügen, womit man gezielt mittels Hyaluronidase auflösen kann. Ich rede nicht von Asymmetrien und Knotenbildung, sondern vielmehr geht es um Hautnekrosen, Granulome und Erblindung. IMCAS hat eine eigene Taskforce-Gruppe gegründet, die sich nur mit Komplikationsmanagement beschäftigt
Stichwort „Monster“ durch ästhetische Chirurgie: Wer sollte entstellte Gesichter reparieren? Der Operateur selbst? Ein Kollege?
T. Rappl: Viele Komplikationen entstehen im benachbarten Ausland und wir in Österreich sind gefordert, sie zu reparieren, ohne auch nur Regress verlangen zu dürfen. Der Erstoperateur sollte sich seiner Komplikation annehmen, einen Kommentar dazu abgeben und Verantwortung übernehmen. Vor allem geht es aber darum, aus den gemachten Fehlern zu lernen und dem Patienten aus der Misere zu helfen. Im nächsten Schritt sollte ein anderer Kollege hinzugezogen werden, um die Entstellung zu korrigieren. Leider wird viel zu viel operiert, ohne dass die Basis gelernt wurde. Man erlebt wirkliche Horrorszenarien. Es war noch nie so schlimm wie jetzt, wir sind oft konfrontiert mit Monsterentstellungen, sei es als Folge von chirurgischen Eingriffen oder Überspritzen des Gesichts.
Als Koordinator der IMCAS-Alert-Gruppe kümmere ich mich um diese Komplikationen im ästhetischen Bereich. Diese Alert-Gruppe ist für jeden Arzt kostenlos nutzbar, man kann auf www.imcas.com/en/academy/alert einsteigen, Expertenrat bekommen oder nur die Podiumsdiskussionen mitverfolgen. Letztlich geht es um die Zufriedenheit unserer Patienten.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das könnte Sie auch interessieren:
Raynaud-Phänomen bei Kindern und Jugendlichen
Das Raynaud-Phänomen (RP) ist durch ein symmetrisches Erblassen der Finger oder Zehen gekennzeichnet – es wird zwischen primärer und sekundärer Form unterschieden. Vom sekundären RP ...
Neurosyphilis – State of the Art
Nicht nur aufgrund der steigenden Syphiliszahlen in Europa bleibt die Neurosyphilis eine wichtige Differenzialdiagnose bei neurologischen und psychiatrischen Krankheitsbildern. ...
Klimawandel geht unter die Haut
Österreichische Klimaexpert:innen und Dermatolog:innen widmen sich anlässlich des Monats der Hautgesundheit im Mai der Frage, welche Folgen der Klimawandel auf die Gesundheit und im ...