
Klimawandel geht unter die Haut
Bericht:
Dr. Christine Dominkus
Österreichische Klimaexpert:innen und Dermatolog:innen widmen sich anlässlich des Monats der Hautgesundheit im Mai der Frage, welche Folgen der Klimawandel auf die Gesundheit und im Speziellen auf die Haut hat. Gesundheitsvorsorge und Klimaschutz werden in den nächsten Jahren weiterhin von zentraler Bedeutung sein.
Hitze gilt als das größte durch den Klimawandel bedingte Gesundheitsrisiko in Europa – und es trifft eine zunehmend vulnerable Bevölkerung. Hitzewellen gefährden nicht nur ältere und chronisch kranke Menschen, sie belasten das Gesundheitssystem und können sich zu Katastrophenlagen mit großflächigen Versorgungsengpässen entwickeln. Das Spektrum reicht von den Auswirkungen extremer Wetterbedingungen wie hoher Temperaturen und hoher Luftfeuchtigkeit über verstärkte dermatologische Allergiesymptome und Stiche oder Bisse von bisher nicht heimischen Insekten bis hin zu UV-Schäden. Hitze ist eine Stresssituation für den Körper. Besonders gefährdet sind Kinder, Senioren und Menschen mit Vorerkrankungen, die Temperatur und UV-Stress schlechter kompensieren können. Zum Beispiel haben Kinder eine dünnere oberste Hautschicht, weniger schützendes Melanin, die Ausreifung ihrer Schweißdrüsen ist noch unvollständig und sie haben ein geringeres Durstgefühl. Ältere Menschen verlieren mit zunehmendem Alter die Fähigkeit zur effektiven Thermoregulation bei hohen Umgebungstemperaturen.
Früher war Hitze eine Ausnahme, heute ist sie die Regel
„2024 war das wärmste Jahr seit Aufzeichnungsbeginn des Kopernikus-Instituts und der Klimawandel beschleunigt sich. Es kann schlagartig 45 Grad bekommen und wir erleben heute Temperaturen, die wir erst in 10 Jahren erwartet hätten. Klimawandel ist eine konkrete Realität geworden“, erklärt die Klimaforscherin em. Univ.-Prof. Dr. Helga Kromp-Kolb, Wien. „Die Auswirkungen auf die Hautgesundheit sind vielfältig und dennoch unterschätzt.“
Besonders in Städten verschärfen sich die Effekte, weil Betonflächen Hitze speichern und so „Hitzeinseln“ entstehen – mit klaren sozialen Mustern: In den meist wohlhabenden Gegenden mit Parks und Gärten bleibt es kühler, dicht verbaute und verkehrsreiche Bezirke erhitzen sich hingegen stärker. „Es sind oft die wirtschaftlich Schwächsten, die am meisten leiden, obwohl sie am wenigsten zum Problem beigetragen haben“, so Kromp-Kolb. Ihr Appell: „Maßnahmen gegen den Klimawandel wirken doppelt – sie reduzieren Treibhausgase und schaffen gesündere Lebensbedingungen. Der Schlüssel liegt im Zusammenspiel von individuellem Handeln und politischen Weichenstellungen.“ Die Wissenschaft liefert seit Jahrzehnten konsistente Daten und Prognosen, die der Politik als Orientierungshilfe dienen können. Kromp-Kolb: „Wir brauchen nicht nur mehr natürliche Abkühlung, wir müssen vor allem Emissionen reduzieren, es kommt auf jedes Zehntel Grad an.“
Prim. Univ.-Doz. Dr. Robert Müllegger, em. Univ.-Prof. Dr. Helga Kromp-Kolb, Priv.-Doz. Dipl.-Ing. Dr. Hans-Peter Hutter, Prim. Univ.-Prof. Priv.-Doz. Mag. Dr. Stefan Wöhrl (v.l.n.r.) bei der Pressekonferenz zum Monat der Hautgesundheit
Folgen des Klimawandels werden nicht genug ernst genommen
Priv.-Doz. Dipl.-Ing. Dr. Hans-Peter Hutter, Umweltmediziner an der MedUni Wien, erklärt, dass alle betroffen seien, auch wenn in einer aktuellen Umfrage 44% der befragten Österreicher:innen (n=1058) angaben, sie seien nicht eingeschränkt.1 Denn nicht nur die körperliche, auch die mentale Stärke und die kognitive Leistungsfähigkeit sinken durch Hitzeepisoden. „Die Effekte sind am Anfang subtil, kaum spürbar, doch wir sind von Kopf bis Fuß beeinträchtigt und auch in einer gewissen Schattierung geschädigt“, so Hutter. Menschen, die alleine leben oder an beginnender Demenz leiden, werden verstärkt in Mitleidenschaft gezogen. Zudem erhöhen kognitive Einschränkungen, Immobilität und soziale Isolation das Risiko, eine Hitzewelle nicht rechtzeitig wahrzunehmen oder nicht angemessen darauf zu reagieren. Für diese Betroffenen ist Hitze keine Unannehmlichkeit, sondern ein potenziell lebensbedrohlicher Stressor. Die Beeinträchtigung durch Hitze wirkt sich auch psychisch aus – in Form von potenziellen Ängsten und depressiven Verstimmungen.
Bislang kaum im Visier hatte man laut Hutter die chronischen Langzeitfolgen für die Gesundheit – wie Schimmel durch Feuchtigkeit, Hautkrebs durch UV-Einstrahlung und Ozon oder auch „neue“ Infektionserreger. So tritt das West-Nil-Virus u.a. bereits in Italien und am Balkan auf. Das Gesundheitswesen steht laut dem Umweltmediziner vor immensen Herausforderungen, es benötige dringend Ressourcen, denn die massiven Auswirkungen des Klimawandels würden leider noch nicht genügend ernst genommen. Die WHO definiert den Klimawandel laut Hutter zu Recht als größte Gesundheitsbedrohung der Menschheit.
Vermehrtes Schwitzen, vermehrte Hautkrankheiten
Die österreichischen Dermatolog:innen weisen im Rahmen der Kampagne „Meine Hautgesundheit“ ( www.meinehautgesundheit.at ) auf den Zusammenhang zwischen Klimaveränderungen und Hauterkrankungen hin: „Die Haut ist unser größtes Organ und spielt eine zentrale Rolle beim Schutz vor Umwelteinflüssen und bei der Regulierung der Körpertemperatur“, betont Prim. Univ.-Doz. Dr. Robert Müllegger, Klinische Abteilung für Dermatologie und Venerologie, Universitätsklinikum Wiener Neustadt, und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie (ÖGDV). Der Klimawandel mit steigenden Durchschnittstemperaturen, häufigeren Hitzewellen und höherer Luftfeuchtigkeit übt einen signifikanten Einfluss auf die Temperaturregulation aus und führt damit zu einer Reihe von Hautveränderungen und -erkrankungen, so Müllegger: „Hauterkrankungen wie Hitzebläschen, Akne, Intertrigo und Pilzinfektionen werden durch Hitze und/oder vermehrtes Schwitzen ausgelöst und verstärkt. Besonders betroffen sind Kinder, Senioren und Menschen mit Vorerkrankungen.“ Die Zahl der wolkenlosen Tage mit hoher UV-Belastung steigt, das Hautkrebsrisiko ebenso, so der ÖGDV-Präsident: „Sonnenbrände, Hautkrebs und beschleunigte Hautalterung sowie Pigmentverschiebungen sind die Folge.“
Die Haut merkt sich jede Belastung durch UV-Licht
Man weiß, dass UV-Licht der wichtigste krebserregende Faktor ist. Mehr als 50% der über 70-Jährigen sind von aktinischen Schäden bzw. weißem Hautkrebs betroffen. Die UV-Strahlung habe abgesehen von Vit.-D-Bildung und den positiven Auswirkungen auf die Stimmungslage nur nachteilige Wirkungen, betont Müllegger. Prävention sei daher wichtiger denn je. Früherkennung von weißem Hautkrebs und Muttermalkontrolle sind hierzulande keine Kassenleistung (mehr). Eine Taskforce der ÖGDV arbeitet derzeit an einem Schema, weißen Hautkrebs wie aktinische Keratosen, Plattenepithelkarzinom und Basaliom wie in Deutschland als Berufsdermatose anzuerkennen, so Müllegger. Denn weißer Hautkrebs ist mittlerweile zur Volkskrankheit geworden. Prävention und Kontrolle von benignen und malignen Hautveränderungen – nicht nur für Risikopatienten – sieht Müllegger als eine enorme Herausforderung in der Diskussion zwischen Krankenkassen und Dermatologen. Einmal mehr ginge es auch um Aufklärung der Bevölkerung, wie Vorsorge angeboten und vermittelt wird. Die tägliche Anwendung einer Sonnencreme mit hohem Lichtschutzfaktor (LSF 30 – 50) und textiler Sonnenschutz in Form von entsprechender Bekleidung wie Hüten mit breiten Krempen und Kappen sind mittlerweile essenziell.
Der Klimawandel begünstigt zudem die Ausbreitung gebietsfremder Pflanzen wie Ragweed und neuer Vektoren wie der Asiatischen Tigermücke (Aedes albopictus). Zecken sind mittlerweile auf über 1200m Seehöhe zu finden, sie benötigen nur 6–8 Grad, um Krankheiten wie FSME und Borreliose zu übertragen. Hitze fördert weiters spezifische Hauterkrankungen wie u.a. Psoriasis, Neurodermitis, Follikulitiden, Lupus, Rosacea. Hohe Luftfeuchtigkeit und Schwitzen begünstigen die Vermehrung von Pilzen und Bakterien an der Hautoberfläche (Zehenzwischenräume!) bis hin zu Rotlauf.
Allergien im Wandel
Prim. Univ.-Prof. Priv.-Doz. Mag. Dr. Stefan Wöhrl, Leiter des Floridsdorfer Allergiezentrums, sieht dramatische Veränderungen für Allergiker: „Verlängerte Pollenflugzeiten, neue Allergene und steigende Belastungen treffen rund 20% der Bevölkerung. Höhere CO2-Werte wirken auf Pflanzen wie Dünger, die Pollenmenge steigt und neue Pflanzenarten breiten sich aus.“ Extremwetterereignisse fördern zudem die Produktion von Schimmelpilzsporen, die häufig Asthma auslösen. „Phänomene wie das ‚Thunderstorm-Asthma‘ bei Gewittern zeigen, wie dramatisch die Folgen sein können“, so Wöhrl.
Atopische Erkrankungen, zu denen atopische Dermatitis, allergische Rhinokonjunktivitis, allergisches Asthma und Nahrungsmittelallergien zählen, treten unabhängig voneinander, aber auch häufig gemeinsam auf (atopischer Marsch). Es besteht ein deutlich erhöhtes Risiko, nach einer atopischen Erkrankung weitere zu entwickeln. Die gemeinsame Grundlage dieser Krankheiten ist die Typ-2-Entzündung. „Eine frühzeitige Behandlung, insbesondere durch eine allergenspezifische Immuntherapie, kann den Übergang von Heuschnupfen zu Asthma bei Kindern in bis zu 80% der Fälle verhindern. Digitale Tools wie die Apps des Österreichischen Polleninformationsdienstes und des Wiener Pollenservice unterstützen Betroffene dabei, ihren Alltag individuell an die aktuelle Pollenbelastung anzupassen.
Gesundheitsgefahr durch Hitze gehört längst zum Alltag – und es braucht dringend Strategien. Berücksichtigt man die globalen Auswirkungen des Klimawandels, wird ohne Intervention über kurz oder lang auch die Wirtschaftsleistung zurückgehen. „Klimaschutz ist die beste Investition in unsere Gesundheit – heute und für kommende Generationen“, so das Fazit von Kromp-Kolb.
Quelle:
Auftaktpressekonferenz zum Monat der Hautgesundheit „Haut im Klimawandel“ am 24.April 2025 in Wien
Literatur:
1 Österreichweite Umfrage von Marketagent im Auftrag von big5health 2025; https://www.meinehautgesundheit.at/ ; zuletzt aufgerufen am 28.4.2025
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