Eine Konferenz zwischen Leitlinien, Studien und gesellschaftlichen Aspekten
Unser Gesprächspartner:
Dr. Michael Skoll
Dermatologe und HIV-Mediziner in der ÖAG
E-Mail: info@aidsgesellschaft.at
Das Interview führte Mag. Birgit Leichsenring
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Mitte Oktober 2025 feierte die Konferenz der European AIDS Clinical Society (EACS) ihr 20-Jahre-Jubiläum. Etwa 3000 HIV-Mediziner:innen unterschiedlichster Fachrichtungen kamen nach Paris, um die aktuellen Daten und Entwicklungen zu HIV und anderen sexuell übertragbaren Infektionen (STI) zu diskutieren.
Herr Dr. Skoll, als HIV-Experte nehmen Sie seit vielen Jahren an HIV-Konferenzen teil. Was hat Sie 2025 auf dem EACS-Kongress besonders interessiert?
M. Skoll: Ein Highlight der EACS-Konferenz ist zweifelsfrei die Präsentation der aktualisierten europäischen Behandlungsleitlinien. Für mich als Mediziner ist dies ein wichtiger Anhaltspunkt, um neueste Daten in den klinischen Alltag einbinden und damit den Patient:innen die bestmögliche HIV-Betreuung anbieten zu können.
Was haben Sie sich von den neuen Leitlinien mitgenommen?
M. Skoll: Interessant war z.B. ein neues Kapitel zum Thema Stillen. Hier wird etwa empfohlen, dass Mütter mit HIV, die sich für das Stillen entscheiden, auch aktiv darin unterstützt werden sollen, sofern eine konstante supprimierte Viruslast vorliegt. Allerdings sollte die Stillzeit, wenn möglich, auf 6 Monate beschränkt werden. Bei dem Thema hat sich einiges in den letzten Jahren verändert, die Leitlinien bilden diese Entwicklung schön ab.
Relevant für meine Patient:innen fand ich auch, dass die Leitlinien nochmals einen stärkeren Fokus auf Lifestyle-Faktoren legen. So wird neu empfohlen, das Schlafverhalten proaktiv anzusprechen und als Thema in die Langzeitbetreuung aufzunehmen. Das ist spannend, denn das zeigt anschaulich die Verschiebung der HIV-Medizin, nachdem die moderne HIV-Therapie so ausgezeichneten Erfolg hat. HIV gilt heute als chronische Erkrankung, daher können wir anderen Gesundheitsaspekten mehr Aufmerksamkeit schenken.
Haben alle Menschen mit HIV in Europa Zugang zu dieser ausgezeichneten Therapie?
M. Skoll: Leider nein. Viele Menschen erhalten eine späte Diagnose mit bereits eingeschränktem Immunsystem, was mit einer schlechteren Gesundheitsprognose einhergeht. Die EACS-Konferenz präsentierte Daten der Schweizer Kohorte: Hier haben etwa 52% der Patient:innen einen Migrationshintergrund. Davon haben 62,1% ihre Diagnose nach der Immigration erhalten. Und in dieser Gruppe lag die CD4-Zellzahl bei Diagnose signifikant unter derjenigen von Patient:innen mit Schweizer Staatsbürgerschaft.
Wir sehen also deutliche Lücken. Es braucht für Personen mit Migrationshintergrund mehr Angebote zur Therapie von HIV und anderen sexuell übertragbaren Infektionen. Nicht nur für die Menschen individuell, sondern auch aus Sicht der Public Health. Denn unter wirksamer HIV-Therapie können sexuelle Übertragungen ausgeschlossen werden. D.h., eine frühe Diagnose und Therapieeinleitung unterbrechen Infektionsketten.
Wie könnten Mediziner:innen einen Beitrag dazu leisten, frühere Diagnosen zu ermöglichen?
M. Skoll: Wir haben die Option, unseren Patient:innen einen sicheren Ort in der Ordination anzubieten und dadurch auch z.B. Aspekte der sexuellen Gesundheit anzusprechen. Wie besagte Studie der EACS gezeigt hat, lohnt es sich in manchen Personengruppen besonders. Man darf nicht vergessen: Viele Menschen kommen aus Regionen oder Bevölkerungsgruppen, in denen HIV und andere STI ein absolutes Tabu sind.
Selbstverständlich sollten wir aber allen unseren Patient:innen ganz unabhängig von individuellen Merkmalen ein diskriminierungsfreies Setting ermöglichen, um sexuelle Gesundheit fördern zu können. Medizinische Konferenzen, wie jetzt der EACS-Kongress, präsentieren zwar vor allem Forschungsergebnisse, Leitlinien und Studiendaten – aber sie veranschaulichen gleichzeitig immer die gesellschaftliche Komponente der HIV-Medizin.
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