
Haarige Probleme
Autorin:
Ao. Univ.-Prof. Dr. Daisy Kopera
Medizinische Universität Graz
Univ.-Klinik für Dermatologie
Zentrum für Ästhetische Medizin
E-Mail: daisy.kopera@medunigraz.at
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Störungen des Haarwachstums am Kopf stellen eine Herausforderung in der täglichen Praxis für Allgemeinmediziner als erste Anlaufstelle, aber auch für Dermatologen dar. Haarerkrankungen, speziell der Haarverlust, sind nicht nur ein ästhetisch/kosmetisches Problem, sondern haben auch Einfluss auf die Lebensqualität der Betroffenen. Dies vor allem, weil eine volle Kopfbehaarung als erstrebenswertes Gesundheits- und Attraktivitätsmerkmal gilt.
Das Wachstum der Haare unterliegt verschiedenen Phasen, einer aktiven Wachstumsphase (Anagenphase) und einer inaktiven Ruhephase (Telogenphase). Am Kopf dauert die Wachtumsphase 3 bis 5 Jahre und die Ruhephase 2 bis 4 Monate. Das Haarwachstum verläuft asynchron, das heißt, es sind nicht alle Haarfollikel gleichzeitig in Wachstums- oder Ruhephase, sondern individuell verschieden. Aufgrund der asynchron verlaufenden Wachstumsphasen der Haare gemäß dem genetischen Programm jedes Haarfollikels fallen dem Menschen im Durchschnitt jeden Tag 70 bis 100 Haare aus, weil ständig Haarfollikel in die Ruhephase gehen und das bestehende Haar abgestoßen wird. Nach der Ruhephase tritt der Haarfollikel erneut in eine Wachstumsphase und das Haar wächst nach. Haarausfall an sich ist also ein physiologisches Phänomen! Von problematischem/krankhaftem Haarausfall spricht man daher nur dann, wenn jeden Tag diffus über den Kopf verteilt mehr als 100 Haare ausfallen oder die Kopfhaut an bestimmten Stellen völlig kahl wird und weniger oder gar keine Haare mehr nachwachsen.
Alopecia androgenetica (hormonell bedingter Haarausfall)
Die Alopecia androgenetica ist die häufigste Form von Haarausfall und beruht auf einer genetisch festgelegten, individuell unterschiedlich ausgeprägten Sensibilität der Haarfollikel gegenüber Androgenen, die letztlich zur Verkümmerung des Haarfollikels führt und sich durch verminderte Kopfbehaarung an typischer Lokalisation kennzeichnet. Maskuliner Typ: Geheimratsecken, Wirbelglatzen bzw. volle Scheitelglatzen, wobei temporale und okzipitale Behaarungszonen erhalten bleiben, bis hin zur haarlosen Glatze. Femininer Typ: Lichtung der Scheitelregion, wobei die Stirnhaargrenze erhalten bleibt und es nur selten zur vollkommenen Kahlheit kommt.Der vorzeitige Haarverlust beginnt bei Männern zwischen dem 20. und 25. Lebensjahr. Bei Frauen ist der androgenetische Haarausfall oft assoziiert mit hormoneller Dysregulation, polyzystischem Ovarialsyndrom (PCOS), Adipositas und dem Klimakterium. Die Haare fallen vermehrt aus, werden nicht mehr so lang, sind dünner und ohne Glanz. Es handelt sich um einen genetisch geprägten Prozess, bei dem es zu einer zunehmenden Verkürzung des Haarwachstumszyklus mit einer progressiven Haarfollikel-Miniaturisierung durch erhöhte Androgensensibilität kommt. (Die Androgenspiegel befinden sich zumeist im Normbereich, daher erübrigt sich deren Bestimmung.)
Bei Männern hat sich die systemische Gabe von Finasterid 1mg täglich über Monate bis Jahre als zielführend erwiesen. Unterstützt durch die topische Anwendung von Minoxidil können recht gute Erfolge erzielt werden. Bei Frauen ist die Herangehensweise komplexer. Prämenopausal kann topisches Minoxidil ggf. kombiniert mit systemischem Biotin und Aminosäurepräparaten helfen, postmenopausal werden ebenfalls gute Erfolge nach systemischer Gabe von Finasterid berichtet.
Alopecia areata (kreisrunder Haarausfall)
Der „kreisrunde Haarausfall“, die Alopecia areata (AA), ist eine relativ häufig auftretende, autoimmunologisch bedingte, entzündliche Erkrankung der Kopfhaut und kann in jedem Lebensalter auftreten, ohne Geschlechtsprävalenz. Da es sich nicht um eine infektiöse Entzündung handelt, besteht auch keine Ansteckungsgefahr. Die Inzidenz in der Normalbevölkerung ist mit etwa 1–2% anzugeben. Etwa ein Drittel der Betroffenen sind Atopiker, oft sind in der Anamnese psychosomatische Belastungsszenarien zu erheben, die ursächlich durch psychoneuroendokrine Mechanismen wirksam sein können.
Initial zeigen sich meist kreisrunde, münzgroße kahle Areale am behaarten Kopf, wobei diese auch isoliert an anderen Körperstellen, wie an den Brauen oder Wimpern sowie im Bartbereich auftreten können. Verläuft die Krankheit progredient, so treten immer mehr kahle Stellen auf, die miteinander konfluieren, was schließlich zum totalen Haarverlust am Kopf (Alopecia areata totalis) oder am ganzen Körper (Alopecia areata universalis) führen kann. Historisch gesehen, handelt es sich um ein Symptom, das bereits Hippokrates erwähnte. Aus dem Altgriechischen stammt daher auch die Bezeichnung „Alopecia“, nämlich von Alopex (altgriechisch), dem Fuchs. Abgeleitet wird der Name von den kahlen Körperstellen, die im Rahmen der Fuchsräude auftreten.
Spontanremissionen ohne Therapie sind häufig, vor allem bei einzelnen Krankheitsherden. Die Behandlungsoptionen umfassen topische Immuntherapie mit Kortikosteroiden, PUVA, Cyclosporin, Dapson und neuerdings Januskinaseinhibitoren. Psychosomatische Therapie einerseits zur Ausschaltung möglicher psychoneuroendokriner Zusammenhänge, andererseits zum Erlernen von Coping-Strategien könnte in manchen Fällen hilfreich sein. Wichtig ist es jedenfalls, darauf hinzuweisen, dass die Haarwurzeln bei dieser Art von Haarausfall nicht zugrunde gehen, sondern dass sich diese eben in einer verlängerten Ruhephase befinden und nach Behebung der Ursache wieder eine Anagenphase (aktive Wachstumsphase) beginnen kann.
Alopecia diffusa (diffuser Haarausfall, telogenes Effluvium)
Für diffusen Haarausfall gibt es zahlreiche Ursachen. Resorptionsstörungen, Vitaminmangel, Anorexie, Bulimie und drastische Gewichtsabnahme lassen Haarwurzeln in der Telogenphase (Ruhephase) verharren. Entzündliche Kopfhauterkrankungen, Stoffwechselerkrankungen (Diabetes mellitus, Schilddrüsenfunktionsstörungen), hormonelle Störungen, Eisenmangel, Anämie können ebenso zum diffusen Haarausfall führen wie Infektionserkrankungen (z.B. Typhus), hochfieberhafte Infekte (z.B. Influenza, Covid-19), psychische Alterationen (Stress, Depression), Arzneimittel (Antikoagulanzien, Retinoide, Betablocker, manche Gestagene, Statine) oder Gifte (Thallium, Rattengift).
Grundsätzlich ist in Fällen vordergründig unerklärlichen Haarausfalls eine exakte Exploration durchzuführen, um die kausale Erkrankung zu finden. Die Behandlung der Grundkrankheit ist dann gleichzeitig Behandlung des Haarausfalls, indem die Ursache damit beseitigt/gelindert wird. Pharmakologisch haben sich wenige wirksame Mittel etabliert. Ihre Wirkung ist in klinischen Studien nachgewiesen, z.B. topisch anwendbare Minoxidil-Zubereitungen in 2%iger oder 5%iger Konzentration oder systemische Vitamin-H(Biotin)-Präparate. Ist die ursächliche Krankheit bereits abgeklungen (z.B. Infekt), dann ist keine Behandlung des Haarausfalls erforderlich.
Alopecia cicatricia (Haarverlust durch vernarbende Kopfhauterkrankungen)
Relativ selten auftretende vernarbende Prozesse an der Kopfhaut führen zum irreversiblen Haarverlust, da die Haarfollikel in den betroffenen Arealen zugrunde gehen und keine Haare mehr nachwachsen können. Mechanische Traumata, Pilzinfektionen, chronisch-entzündliche Hauterkrankungen wie Psoriasis oder Lichen planopilaris können zur Vernarbung der Kopfhaut beitragen. Autoimmunologisch bedingt, aber nicht erklärbar ist auch die sog. Folliculitis decalvans, eine pustulierend-verkrustende Entzündung der Kopfhaut. Eine spezielle Spielart des Lichen planopilaris ist das Zurückweichen der frontalen oder frontotemporalen Haarlinie bei Frauen nach der Menopause einhergehend mit perfollikulären Erythemen und Hyperkeratosen. Diese Form wurde als postmenopausale frontal-fibrosierende Alopezie (PFFA) von Kossard 1994 erstmals beschrieben.
Durch wochenlange systemische Kortikosteroidtherapie kombiniert mit Antibiose lässt sich der Vernarbungsprozess manchmal stoppen und die Krankheit kommt zum Stillstand, dann spricht man von Mb. Brocq, dem „ausgebrannten“, nicht mehr progredienten Stadium des Vernarbungsprozesses in Form einer „Pseudopelade“ (Pseudoglatze). Berichten zufolge können bei „ausgebranntem“ Lichen planopilaris, das heißt, wenn die Entzündung zum Stillstand gekommen ist, Haartransplantationen durchaus zu einem kosmetisch einigermaßen zufriedenstellenden Ergebnis führen.
„Tinea“ amiantacea (Asbestkruste)
Bei seborrhoischem Hauttyp und stressbedingt erhöhter Talgproduktion kann es zur Ausbildung primär nicht beherrschbarer asbestartiger Krusten im Bereich der Kopfhaut kommen.
Primär empfiehlt sich ein Selbstbehandlungsversuch mit Salizylölpackungen zur Schuppenlösung und topischer Anwendung von Kortikoidlösungen. Oft sind stationäre Aufenthalte zur forcierten Lokaltherapie unumgänglich, um die dicken Schuppenbeläge erfolgreich und nachhaltig zu entfernen.
Trichotillomanie
Trichotillomanie beschreibt die „Sucht des Haareausreißens“. Es handelt sich um ein durch komplexe Impulsstörung ausgelöstes Verhalten, das vor allem bei kleinen oder pubertierenden Kindern auftritt. Auslösend sind zumeist traumatische Erlebnisse wie der Tod einer Bezugsperson, Trennung der Eltern oder sexueller Missbrauch, die eine innere Anspannung auslösen. Am häufigsten werden Kopfhaare, Wimpern, Augenbrauen, Bart- und/oder Schamhaare ausgerissen. Manchmal betrifft die Ausdehnung der ausgezupften Areale den gesamten Kopf, meist aber umschriebene Areale im Bereich der dominierenden Hand (= rechts bei Rechtshändern, links bei Linkshändern). Manchmal werden die ausgezupften Haare gegessen, um sie zu verbergen, dann spricht man von Trichotillophagie.
Die Behandlung der Trichotillomanie/phagie kann zwar im dermatologischen Bereich begonnen werden, in komplexen Fällen ist aber psychosomatische oder psychiatrische Expertise gefragt. Probate Erstmaßnahmen, um das habituelle Zupfen/Rupfen zu unterbinden, sind das Anziehen von Söckchen nachts an den Händen oder die „Rotkäppchentherapie“ mit Tragen eines verschnürten Häubchens nachts, um den Zugang zu den Haaren zu unterbinden.
Literatur:
bei der Verfasserin