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Ein Kontaktallergen mit vielen Gesichtern
Allergieambulanz der<br>Universitätsklinik für Dermatologie<br>AKH und MedUni Wien<br>E-Mail: tamar.kinaciyan@meduniwien.ac.at
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Methylisothiazolinon (MI) gehört zur Gruppe der Isothiazolinone, die gerne als Konservierungsmittel oder Biozide verwendet werden. Das Anwendungsgebiet für MI ist breit gefächert und reicht von Kosmetika über die Textilindustrie bis hin zu Wandfarben. Es zählt noch immer zu den häufigsten 15 Kontaktallergenen und kann sich sehr unterschiedlich präsentieren, wie der vorliegende Fall deutlich veranschaulicht.
Keypoints
Eine Kontaktsensibilisierung kann über mehr als 10 Jahre trotz Meidens des Allergens persistieren.
Die Kenntnis über das Vorkommen der Allergene im
Alltag ist unabdingbar.Abhängig von der Allergenquelle können allergische Kontaktdermatitis, konnubiale Kontaktdermatitis oder „airborne“ Kontaktdermatitis durch MI bei ein und demselben Patienten auftreten und unterschiedliche Behandlungs-/Managementstrategien erforderlich machen.
Isothiazolinone wie Benzisothiazolinon (BIT) und Octylisothiazolinon (OIT) wurden erstmals 1960 auf den Markt eingeführt, und zwar in Lederprodukten, Klebstoffen, Industriechemikalien, Farben und Reinigungsprodukten.1,2 Der erste Bericht einer allergischen Kontaktdermatitis (AKD) auf BIT wurde erst 1976 veröffentlicht.3 Es handelte sich um zwei Mitarbeiter, die Polyacrylatemulsionen für Farben und Wachse herstellten und Proxel CRL, einem industriellen Biozid, Pestizid und Konservierungsmittel (Imperial Chemical Industries, Slough, UK), ausgesetzt waren, welches BIT (10–20%) enthielt.1
MI ist ein häufig verwendetes Konservierungsmittel, das gegen Bakterien, Schimmel- und Hefepilze wirksam ist. Es wurde zuallererst in industriellen Produkten wie Wasserkühlsystemen, Kühlschmierstoffen, Klebstoffen, Latexemulsionen und Papiermühlen als hypoallergenes Konservierungsmittel eingeführt.4, 5
Seit den frühen 1980er-Jahren wird Kathon CG (Cosmetic Grade), eine Kombination aus Methylchlorisothiazolinon (MCI) und MI (MCI/MI) von Rohm und Haas, Philadelphia, Pennsylvania, USA, für die Verwendung in Kosmetika vermarktet.1
Die ersten Fälle von Kontaktdermatitis durch Kathon CG im Zusammenhang mit Kosmetika wurden bereits 1984 veröffentlicht. Da MCI nie ohne MI verwendet wurde und MI länger ohne nennenswerte Probleme am Markt war, sah man MCI als das Hauptallergen in Kathon CG an. 2005 erlaubte daher auch die EU die Verwendung von MI in Kosmetika, in einer Konzentration von maximal 100ppm.1
Der erste Fallbericht einer beruflich bedingten allergischen Kontaktdermatitis im Zusammenhang mit isoliert MI-haltigen Industrieprodukten – der Betroffene war beruflich MI in Wandverkleidungsklebstoffen ausgesetzt6 – erschien erst im Jahr 2004, zu spät, um seine Anwendung in Körperpflegemitteln erst gar nicht zuzulassen.
Aufgrund der breiten Verwendung von MI in Kosmetika, Körperpflegeprodukten, Haarfärbemitteln, sogar in Wandfarben und der Textilindustrie stiegen die MI-Sensibilisierungen in der Konservierungsmittelreihe der Epikutantest-Substanzen zwischen 2009 und 2011 rasant an, und zwar von 1,9% auf 4,4% aller damit getesteten Personen.7, 8 Laut einem aktuellen IVDK-Bericht ist MI immer noch unter den häufigsten 15 Kontaktallergenen.8 Tabelle 1 illustriert die häufigsten und Tabelle 2 die seltenen, außergewöhnlichen MI-Quellen, auf die Kontaktallergien berichtet wurden. Viele Veröffentlichungen zeigten Fälle, in denen MI in kommerziellen Produkten den erlaubten Maximalwert von 100ppm überschritt bzw. falsch gekennzeichnet oder gar nicht deklariert war.2, 9

Tab. 1: Beispiele für die häufigsten Sensibilisierungsquellen von MI

Tab. 2: Beispiele für selten berichtete Sensibilisierungsquellen von MI und MCI/MI (Kathon CG®)
Im Dezember 2015 schätzte die Europäische Kommission, Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz, dass eine Konzentration von 15ppm MI in Rinse-off-Produkten (z.B. Duschgels, flüssigen Seifen) als sicher angesehen werden kann. Die höchstzulässige MI-Konzentration in Leave-on-Produkten (z.B. Cremen, Lotionen) einschließlich Feuchttüchern (SCCS/1557/15) wurde jedoch nicht diskutiert. Es sollte noch 3 Jahre dauern, bis die Europäische Kommission im Jänner 2018 die Verwendung von MI in Kosmetika für Rinse-off-Produkte per Erlass (EU 2017/1224) auf maximal 15ppm begrenzte.10
Seit Anfang 2000 erschienen auch immer mehr Berichte über aerogene Kontaktdermatitis, die durch Verdunstung des MI aus MI-haltigen Wandfarben auf Wasserbasis auftreten. Dennoch ist MI in Europa noch immer relativ hoch konzentriert in Farben weit verbreitet, oft sogar ohne Warnhinweise auf den Produkten.11 Aus diesen Gründen läuft die MI-Epidemie in Europa und den Vereinigten ungehindert weiter.12,13 In einer Studie aus 2012 wurden etwa 80% der positiven MI-Epikutantest-Reaktionen als sicher oder höchstwahrscheinlich klinisch relevant für die aktuelle allergische Kontaktdermatitis eingestuft und auf MI in Kosmetika und Pflegeprodukten zurückgeführt.14
Die Behandlung aerogener Kontaktdermatitis kann aufgrund lang anhaltender Verdunstung und kontinuierlicher Exposition eine Herausforderung darstellen. Eine Lösung, neben Abtragung und Neustreichen der Wände, ist laut Literatur die Behandlung der mit MI-haltigen Farben gestrichenen Wände mit anorganischem Schwefelsalz, das zur Inaktivierung der allergenen Eigenschaften von MI führt.4 Alternativ wird die Verwendung einer Hautcreme mit 2%igem Glutathion, einem Antioxidans, empfohlen, welches die N-S-Bindung aufzulösen und eine Neutralisierung der allergenen Struktur von MI zu bewirken vermag.15
Der klinische Fall
Als Beispiel für MI als ein Kontaktallergen mit vielen Gesichtern führen wir hier einen Patienten aus unserer Allergieambulanz an, der als Bauarbeiter, Maler und Anstreicher auf MI sensibilisiert wurde und hauptsächlich an klassischer berufsbedingter allergischer Kontaktdermatitis an den Händen litt. Jahre später nach Berufswechsel entwickelte er bei 2 unabhängigen Anlässen im Privatleben eine Gesichtsdermatitis.
Der 34-jährige Mann entwickelte ein massives, therapieresistentes Ekzem an Gesicht, Ohren, Hals und Händen (Abb. 1a–b). Unzufrieden mit der mangelnden Wirksamkeit topischer Steroide und Feuchtigkeitscremen, stellte er sich in unserer Allergie-Ambulanz vor.

Abb. 1: a–b) Allergische Kontaktdermatitis durch Methylisothiazolinon-Exposition aufgrund der Verdunstung aus frisch gestrichenen Wänden, c–d) Überblick über den Epikutantest: STD = Europäische Standardreihe, Kühl + Schm = Kühlschmierstoffe, Bio = Biozide. Die einzig positive Reaktion auf Position 13 in der STD-Reihe entspricht Methylchlorisothiazolinon 0,05%, während beide positiven Reaktionen auf Position 9 in der Kühlschmierstoff- und der Biozidreihe jeweils Octylisothiazolinon 0,025% entsprechen
Epikutantestungen mit der europäischen Standardreihe, Kunststoff- (Lack, Plastik, Klebstoffen) und Friseurreihe wurden durchgeführt. Aufgrund der positiven Reaktion auf MI wurde er mit Kühlschmierstoffen und industriellen Bioziden nachgetestet. Der Patient zeigte weiterhin eine positive Reaktion nur auf MI 0,05% und auf Octylisothiazolinon 0,025% in den beiden anderen Reihen (Abb. 1c–d). Wir gehen in seinem Fall davon aus, dass die Reaktion auf OIT eine Kreuzreaktionen zwischen OIT und MI darstellt, obgleich eine Minderheit der Patienten mit MI und BIT kosensibilisiert sein können.
Eine Reevaluation der Anamnese ergab, dass der Patient 10 Jahre zuvor wiederholt Ekzeme an den Händen und im Gesicht hatte, als er als Bauarbeiter arbeitete und in Kontakt mit Zement, Klebstoffen und Wandfarben stand. Er musste daher den Beruf wechseln und war anschließend 6 Jahre als Eisenbinder tätig. Während dieser Zeit hatte er nur einmal ein mildes Ekzem im Gesicht nach Kontakt mit den frisch gefärbten Haaren seiner Freundin. Fünf Tage vor der Überweisung an unsere Abteilung zog der Patient in eine neue Wohnung ein, die vor Kurzem frisch gestrichen war. Am nächsten Morgen erwachte er mit Juckreiz und Rötung am Gesicht, Hals und an den Ohren, die sich schnell verschlechterten. Wir kontaktierten sowohl die Freundin als auch den Wohnungseigentümer, um die Produktnamen zu eruieren. Die Freundin verwendete Belle Color of Garnier, in der MI ein deklarierter Inhaltsstoff war. Die Wandfarbe hieß „Alpinaweiß, das Original“ und enthielt auch MI, somit war die klinische Relevanz der alten MI-Sensibilisierung für die jetzigen Beschwerden gesichert.
Da topische Steroide nicht zu einer anhaltenden Heilung des Ekzems führten, empfahlen wir die Behandlung der Wohnungswände mit anorganischem Schwefelsalz.4 Der Patient bevorzugte jedoch einen Umzug und blieb seitdem beschwerdefrei.
Zusammenfassung
Basierend auf der Anamnese, den Epikutantestergebnissen und der Überprüfung von MI in den Produkten, denen der Patient ausgesetzt war, schließen wir zusammenfassend, dass der Patient in erster Linie durch seinen Beruf als Bauarbeiter auf MI sensibilisiert wurde und damals an allergischem Kontaktekzem litt. Nach Jahren folgte eine Episode konnubialer Kontaktdermatitis16 im Gesicht nach Hautkontakt mit den frisch gefärbten Haaren der Freundin über Nacht und schließlich entwickelte er eine aerogene („airborne“) Kontaktdermatitis nach dem Umzug in eine Wohnung, die kurz davor mit MI-haltiger Wandfarbe frisch gestrichen worden war.
Literatur:
1 Herman A et al.: Isothiazolinone derivatives and allergic contact dermatitis: a review and update. J Eur Acad Dermatol Venereol 2019; 33(2): 267-76 2 Vauhkala AR et al.: Occupational contact allergy to methylchloroisothiazolinone/methylisothiazolinone and methylisothiazolinone. Contact Derm 2015; 73(3): 150-6 3 Pedersen NB: Occupational allergy from 1,2-benzisothiazolin-3-one and other preservatives in plastic emulsions. Contact Derm 1976; 2(6): 340-42 4 Bohn S et al.: Airborne contact dermatitis from methylchloroisothiazolinone in wall paint. Abolition of symptoms by chemical allergen inactivation. Contact Dermatitis 2000; 42(4): 196-201 5 Aerts O et al.: Contact allergy caused by isothiazolinone derivatives: an overview of non-cosmetic and unusual cosmetic sources. Eur J Dermatol 2017; 27(2): 115-22 6 Isaksson M et al.: Occupational contact allergy and dermatitis from methylisothiazolinone after contact with wallcovering glue and after a chemical burn from a biocide. Dermatitis 2004; 15(4): 201-5 7 Urwin R et al.: Methylchloroisothiazolinone and methylisothiazolinone contact allergy: an occupational perspective. Contact Dermatitis 2015; 72(6):381-6 8 Geier J et al.: Die häufigsten Kontaktallergene der Jahre 2015 – 2017: Daten des Informationsverbundes Dermatologischer Kliniken. DB 2019; 67(01): 3-11 9 Gruvberger B et al.: Preservatives in moisturizers on the Swedish market. Acta Derm Venereol 1998; 78(1): 52-6 10 Council on Cosmetic Products. Opinion on methylisothiazolinone (EC. No 1223/2009), adopted on 6 July 2017. European Commission. 2017. http://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/PDF/?uri=CELEX: 32017R1224&from=EN 11 Schwensen JF et al.: Methylisothiazolinone and benzisothiazolinone are widely used in paint: a multicentre study of paints from five European countries. Contact Derm 2015; 72(3): 127-38 12 Reeder M, Atwater AR: Methylisothiazolinone and isothiazolinone allergy. Cutis 2019; 104(2): 94-6 13 Aerts O et al.: Octylisothiazolinone, an additional cause of allergic contact dermatitis caused by leather: case series and potential implications for the study of cross-reactivity with methylisothiazolinone. Contact Derm 2016; 75(5): 276-84 14 Aerts O et al.: Contact allergy caused by methylisothiazolinone: the Belgian-French experience. Eur J Dermatol 2015; 25(3): 228-33 15 Isaksson M: Successful inhibition of allergic contact dermatitis caused by methylchloroisothiazolinone/methylisothiazolinone with topical glutathione: Inhibition of contact dermatitis. Contact Dermatitis 2015; 73(2): 126-8 16 Ferreira C et al.: Allergic contact connubial dermatitis caused by hair products. Contact Dermatitis 2019; 80(3): 186-7
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