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Aufmerksamkeit statt „nur Pillen“?

Bei der zwischenmenschlichen Kommunikation mangelt es nicht selten an effektivem Zuhören. Berufsbedingt neigen insbesondere Ärzte dazu, innerhalb von Sekunden die Kontrolle über das Gespräch zu übernehmen – und das bleibt beim individuellen Informationsaustausch mit den Patienten nicht ohne Folgen.

Zum durchschnittlichen Ablauf einer Arzt-Patienten-Kommunikation gehört es, die gestellten Fragen zu beantworten und auf Patientenberichte über körperliche Symptome zu reagieren. Dabei kann es aber durchaus passieren, dass man Gelegenheiten verpasst, die Ängste und Emotionen der Patienten anzuerkennen, stigmatisierte, aber wichtige Themen (z.B. im Rahmen der Sexualanamnese) vermeidet und ein implizites Urteil darüber fällt, was relevant ist und was nicht. In diesem Kontext ist eine Studie interessant, die jüngst in der Fachzeitschrift Current Opinion in Psychology veröffentlicht wurde.1

„I don’t need a pill …“

Die Autoren Ronald M. Epstein und Mary Catherine Strand untersuchten die internen und externen Herausforderungen und die Komplexität des Zuhörens, insbesondere in chaotischen und unter Zeitdruck stehenden Umgebungen, wie sie im medizinischen Umfeld häufig sind. Darauf aufbauend schlagen sie u.a. vor, dass sich Ärzte der Entwicklung von Fähigkeiten des „tiefen Zuhörens“ zuwenden, welche die Kultivierung von Neugier, Offenheit, reflektierender Selbstbefragung und epistemischer Reziprozität beinhalten. Außerdem sei es wichtig, dass Patienten wissen, dass ihnen zugehört wird. Gute klinische Praxis beinhalte das Zuhören mit einem diagnostischen Ohr, das sich auf das Krankheitsmanagement konzentriert, einem emotional bewussten Beziehungsohr, das sich auf die Krankheitserfahrung des Patienten konzentriert, und einem kontextuellen Ohr, das sich auf die einzigartigen Lebensumstände jedes Patienten konzentriert, so die Autoren. Das Ausbalancieren dieser Aufmerksamkeitsschwerpunktewiederum beinhaltet die Einsicht in das, was am wichtigsten ist, worauf man hört und was unserer Aufmerksamkeit tendenziell entgeht.

Zuhören, um zu verstehen

Der promovierte Betriebswirt und Universitätsprofessor Steven Covey brachte es dereinst so auf den Punkt:2 „Die meisten Menschen hören nicht zu, um zu verstehen, sie hören zu, um zu antworten.“ Menschen seien zu oft gezwungen, sofort und schnell Ergebnisse zu liefern – und das kann zulasten der Substanz gehen (der inhaltlichen, aber auch der menschlich-persönlichen). Im Zentrum des Handelns sollte seiner Ansicht nach unsere einzigartige Fähigkeit zur Kooperation stehen, die Menschen von anderen Lebewesen unterscheide. Gelungene Kooperation bezeichnet Covey als „öffentlichen Erfolg“. Bevor wir in der Lage seien, effektiv zu kooperieren, müssen wir erst eine bestimmte Entwicklungsstufe erreichen, was er als „privaten Erfolg“ tituliert. Entscheidend sei dabei, proaktiv zu leben und zu handeln. Proaktiv sein bedeutet in diesem Kontext, anzuerkennen, dass jeder Mensch für sein Leben selbst verantwortlich ist. Mit eigener Tatkraft lassen sich erst Dinge und Entwicklungen gestalten. Proaktive Menschen wenden den Großteil ihrer verfügbaren Zeit und Energie für Dinge auf, die sich in ihrem Einflussbereich befinden. Reaktive Personen wiederum vergeuden viel Zeit und Energie mit Dingen, die sie nicht beeinflussen können: Schwächen anderer, wie z.B. mangelnder Compliance von Patienten, äußeren Umständen usw. Um das persönliche Verhalten zu verändern, bedarf es laut Covey eines Paradigmenwechsels.Es gelte dabei zu verstehen, dass jeder Mensch ein Zentrum hat. Typische Zentren sind der Partner/die Familie, Geld/Besitz und Arbeit, Vergnügen, Freundschaft usw., aber auch man selbst (Ichzentriertheit). Da wir stark von unserem Zentrum bzw. unseren Zentren beeinflusst werden, lohnt es sich, in ein gutes und gesundes Zentrum zu „investieren“, diese Beziehungen auch mit Blick auf den beruflichen Erfolg zu pflegen. Denn hieraus beziehen wir auch Antrieb (Motivation) für Proaktivität im Umgang mit Patienten, Kollegen etc.

Inspiration sein für andere

Ein weiterer Ratschlag von Corvey:3 „Finde deine Stimme und inspiriere andere, ihre zu finden.“ „Quiet quitting“ und Fachkräftemangel stellen Organisationen und Einrichtungen vor immer neue Herausforderungen. In Österreich lagen laut dem BMAW-AMS-Fachkräftebarometer im 3. Quartal 2023 „Diplomierte Krankenschwestern/-pfleger“ auf Platz 4 der „5 Engpassberufe“.4 Im Vorteil sind Arbeitgeber, die auf dem Arbeitsmarkt positiv in Erscheinung treten können. Dazu gehören Führungskräfte, die andere inspirieren – z.B. die vielversprechenden „Talente von morgen“ wie Assistenzärzte, Praxismanager oder Stationsleitungen. (red)

1 EpsteinRM, BeachMC: „I don’t need your pills, I need your attention.“ Steps toward deep listening in medical encounters. Curr Opin Psychol 2023; 53:101685. doi: 10.1016/j.copsyc.2023.101685. 2 Corvey SR: The 7 Habits of Highly Effective People.Free Press,1989 3 Corvey SR: The 8th Habit: From Effectiveness to Greatness,Free Press, 2004 4 Bundesministerium für Arbeit, Wirtschaft und mIteinander, BMAW-AMS-Fachkräftebarometer: Top 5 Engpassberufe im 3. Quartal 2023

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