
Arthrose – Mythen und Fakten
Autorin:
Prim. Dr. Judith Sautner
Leiterin der 2. Med. Abteilung mit Schwerpunkt Rheumatologie
NÖ Zentrum für Rheumatologie
Karl Landsteiner Institut für klinische Rheumatologie
LK Korneuburg-Stockerau
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Die Arthrose ist mit einer Lebenszeitprävalenz von über 50% die häufigste chronische Gelenkerkrankung weltweit. Die Krankheit ist eindeutig mit höherem Alter und BMI assoziiert, genetische Veranlagung und allenfalls erlittene Traumata sind weitere Risikofaktoren. Besonders im Bereich der pharmakologischen Therapie wird intensiv geforscht. Die aktuellen Therapieempfehlungen der EULAR beschreiben einen individualisierten Zugang inklusive Patientenschulungen und operativer Intervention, falls notwendig.
Der erste Schritt in der rheumatologischen Diagnostik ist oft die Unterscheidung zwischen entzündlichen und nichtentzündlichen degenerativen Erkrankungen; unter Letzteren stellt die Arthrose einen Hauptanteil dar.
Mit dem Begriff Arthrose werden die degenerativen, abnutzungsbedingten Veränderungen an peripheren Gelenken und dem Stammskelett beschrieben. Die Bezeichnung „Osteoarthritis“ (OA) im Englischen ist treffender, weil sie den geringen, aber doch vorhandenen entzündlichen Aspekt dieser chronischen Erkrankung benennt. Laut Osteoarthritis Research Society International (OARSI) lässt sich die korrekte Definition deutsch folgendermaßen formulieren: „Störung beweglicher Gelenke, gekennzeichnet durch Zellstress und extrazelluläre Matrixdegeneration“.1
Ätiologie und Symptomatik
Über 50% der über 65-Jährigen zeigen Zeichen oder Veränderungen im Sinne einer Arthrose; Arthrose ist somit die häufigste chronische Gelenkerkrankung weltweit – mit steigender Tendenz in einer stetig älter werdenden Gesellschaft. Arthrose zeigt eine klare Assoziation mit Alter und BMI. Die am häufigsten betroffenen Gelenke sind Hand- und kleine Fingergelenke, Knie, Hüft- und Schultergelenke. Wir können heute Risikofaktoren für die Entstehung einer Arthrose benennen: genetische Veranlagung, Fehlstellungen (z.B. Genu valgum oder varum), Traumata, OPs etc. Wenn dadurch Schmerzen auftreten, wird das Gelenk meist weniger bis gar nicht bewegt, was zum Abbau der gelenkstabilisierenden Muskulatur und auch zur Minderdurchblutung des Knorpels führt. Knorpel ist prinzipiell ein regenerationsfähiges Gewebe; diese Fähigkeit nimmt allerdings mit dem Alter ab bzw. fördern (repetitive) mechanische Belastungen, Mikrotraumen und entzündliche Prozesse den „Abrieb“ im Gelenk. Die Arthrose-assoziierten Schmerzen entwickeln sich schleichend und bessern sich nach längeren Ruhephasen. Typisch ist der sogenannte „Anlaufcharakter“ des Schmerzes nach dem Aufstehen oder nach längerer Inaktivität. Dass Arthrose weniger Schmerzen verursacht als entzündliche Gelenkerkrankungen, ist ein Mythos. In einer Publikation aus der eigenen Arbeitsgruppe konnten wir bereits Anfang der 2000er-Jahre zeigen, dass sich z.B. das Schmerzniveau bei Fingerpolyarthrosen von dem bei rheumatoider Arthritis kaum unterscheidet (Abb. 1).2 Schmerzen im Bewegungsapparat, im Speziellen bei Hüft- oder Kniearthrose, stellen jedenfalls einen Risikofaktor für Stürze dar.3 Zunehmende funktionelle Beeinträchtigungen bis hin zur Immobilität mit deutlich eingeschränkter Lebensqualität sind die Folge.
Abb. 1: SACRAH scores for RA patients on NSAIDs only compared with OA patients on NSAIDs only. Values are median and interquartile range
Komorbiditäten: Frailty und Sarkopenie
Hand in Hand mit der Arthrose großer Gelenke und assoziierten körperlichen Einschränkungen geht oft die Entwicklung von Gebrechlichkeit (Frailty). Unter den Hauptaspekten der Frailty sind neben mangelnder Ausdauer und rascher Ermüdbarkeit die reduzierte Muskelkraft zu nennen, was klinisch den Bogen zur Arthrose spannt; oft kommt es zu einem Verlust an Muskelmasse, zur sogenannten Sarkopenie. Ein Screening auf Sarkopenie bei älteren Menschen ist mittels des Chair-Rising-Tests möglich (5x aus einem Sessel aufstehen: Als pathologisch gelten der Fehlversuch bzw. eine Zeit >15 Sekunden) und z.B. mittels des SARC-F-Screening-Fragebogens.4 Ziele bei Frailty und Sarkopenie sind der Erhalt bzw. die Wiedererlangung von Muskelmasse durch regelmäßiges Krafttraining (2–3 Trainingseinheiten/Woche) und eine ausreichende Zufuhr von Eiweiß (1,0–1,2g Protein/kg Körpergewicht/Tag) sowie ausreichende Vitamin-D-Substitution (12000–15000IE/Woche).
Therapie: DMOADs, Gelenkersatz und mehr
Therapeutisch wurde und wird auf dem Gebiet der Arthrose viel geforscht; allein aufgrund der Häufigkeit der Erkrankung wäre eine kausale Therapie definitiv eine wohl nie versiegende Goldgrube.
Die Liste an Studien zu Disease-Modifying Osteoarthritis Drugs (DMOADs) ist lang und reicht von Knochen-aktiven Substanzen (wie z.B. Strontiumranelat, Zoledronsäure, Risedronat) über Enzyminhibitoren (Nanobodies, Doxycyclin, „small molecules“ u.a.) und Wachstumsfaktoren (TGF-beta, „fibroblast growth factor“, insbesondere FGF-18 u.a.) bis zu Nukleinsäuren (Mikro-RNAs und Antisense-Oligonukleotide) und anderen Wirkprinzipien wie Wnt-Inhibitoren, TPCA-a-Inhibitor und Tofacitinib, einem Januskinase-Inhibitor.5 Fakt ist also, dass sich bis dato noch kein Präparat als definitiv Struktur-modifizierend bei der Arthrose erwiesen hat. Der Fokus liegt somit nach wie vor auf der symptomatischen Therapie:
NSAR sollten bei älteren Patienten längerfristig aufgrund von Komorbiditäten nur mit Vorsicht angewendet werden: GI-Blutungsrisiko, Nierenfunktionseinschränkungen, Hypertonus, Herzinsuffizienz etc. Alternativen sind Paracetamol und Metamizol. Opioide sollten aufgrund des NW-Profils mit erhöhtem Sturzrisiko, vermehrten kognitiven Einschränkungen und der im Alter oft subjektiv vom Patienten überbewerteten Obstipation nur mit Vorsicht verwendet werden.
Es gab etliche Studien zum Einsatz von entzündungshemmenden Medikamenten bei Arthrose inkl. NSAR und mehrerer Biologika (TNF-alpha-Blocker, IL-1- und IL-6-Blocker), die im Rahmen einer Netzwerk-Metaanalyse bewertet wurden.6 Von diesen erwies sich lediglich Infliximab als gut wirksam in der Schmerzreduktion. In den Bereichen Steifigkeit und Funktionsfähigkeit zeigte sich für keine der untersuchten Substanzen ein Unterschied zu Placebo.
In Anbetracht ihrer Häufigkeit wurde ebenfalls im Rahmen einer Netzwerk-Metaanalyse ein ähnliches Spektrum von Studien zu Präparaten für die Hand-OA, die Fingerpolyarthrosen, getestet.7 Für den Bereich Schmerzreduktion erwies sich hier GCSB-5 als bestes Präparat, für die Reduktion der Steifigkeit CRx-102. Beide Substanzen sind noch nicht in der klinischen Routine verfügbar. Im Bereich Verbesserung der Funktionalität bei Fingerpolyarthrosen stellte sich keine der getesteten Substanzen als signifikant wirksam heraus.
Die Therapieempfehlungen der European Alliance of Associations for Rheumatology (EULAR) sprechen sich bei Fingerpolyarthrosen für eine Kombination von pharmakologischen und nichtpharmakologischen Interventionen aus und für einen individualisierten Zugang, jedenfalls mit Patientenschulung und unter Einbeziehung von Physiotherapie, Ergotherapie und z.B. von Handchirurgie, falls nötig.8
Die Krankheitsaktivitätsmessung ist – so wie sonst in der Rheumatologie – bei der Arthrose ebenfalls ein wichtiges Thema, gerade auch für die objektivierbare longitudinale Beurteilung von Patienten. Für Fingerpolyarthrosen existieren mehrere Pat-ient-Reported Outcome Measures (PROMs) wie z.B. der FIHOA, der AUSCAN, aber auch der SACRAH, M-SACRAH und SF-SACRAH aus unserem Zentrum.2,9–12
Was die Hüft- und Kniearthrose anlangt, ist der Gelenkersatz mittels Endoprothetik eine Erfolgsgeschichte mit steigender Tendenz. Laut letztem Bericht des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz (BASG) und der Österreichischen Gesellschaft für Orthopädie (ÖGO) wurden in Österreich z.B. im Jahr 2018 36000 endoprothetische Eingriffe und ca. 4000 Prothesenwechsel durchgeführt.13 Die sorgfältige Rehabilitation und Remobilisierung nach einem endoprothetischen Eingriff trägt zum langfristigen Therapieerfolg bei, wofür spezialisierte interdisziplinäre Einheiten wie Abteilungen für Akutgeriatrie und Remobilisierung (AG/R) optimal geeignet sind.
Wenn Patienten fragen, was sie zur Therapie ihrer Arthrose beitragen können, so ist es in erster Linie das Erlangen und Halten von Normalgewicht, ist doch die Adipositas neben dem Alter ein wesentlicher Risikofaktor für Arthrose.
Literatur:
1 Tang S et al.: Osteoarthritis. Nat Rev Dis Primers 2025; 11(1): 10 2 Leeb BF et al.: SACRAH: a score for assessment and quantification of chronic rheumatic affections of the hands. Rheumatology 2003; 42(10): 1173-8 3 Iijima H et al.: Low back pain as a risk factor for recurrent falls in people with knee osteoarthritis. Arthritis Care Res 2021; 73(3): 328-35 4 Morley JE et al.: Frailty consensus: a call to action. J Am Med Dir Assoc 2013; 14(6): 392-7 5 Rodriguez-Merchan EC et al.: Elbow arthroplasty: a concise literature update. Arch Bone Jt Surg 2023; 11(7) 465-72 6 Stensson N et al.: J Clin Med 2022; 11(5) 1291 7 Wu R et al.: Systematic review and network meta-analysis on the efficacy and safety of parmacotherapy for hand osteoarthritis. PLoS ONE 2024; 19(5): e0298774 8 Roddy E et al.: Are joints affected by gout also affected by osteoarthritis? Ann Rheum Dis 2007; 66(10): 1374-7 9 Dreiser L et al.: Sensitivity to change of the functional index for hand osteoarthritis. Osteoarthritis Cartilage 2000; doi: 10.1053/joca.2000.0332 10 Bellamy N et al.: Clinimetric properties of the AUSCAN Osteoarthritis Hand Index: an evaluation of reliability, validity and responsiveness. Osteoarthritis Cartilage 2002; 10(11): 863-9 11 Sautner J et al.: Development of the M-SACRAH, a modified, shortened version of SACRAH (Score for the Assessment and Quantification of Chronic Rheumatoid Affections of the Hands). Rheumatology (Oxford) 2004; 43(11): 1409-13 12 Rintelen B et al.: A tool for the assessment of hand involvement in rheumatic disorders in daily routine--the SF-SACRAH (short form score for the assessment and quantification of chronic rheumatic affections of the hands). Osteoarthritis Cartilage 2009; 17(1): 59-63 13 BASG-Bericht über Hüft- und Knie-Endoprothetik in Österreich, 2018
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