
„UBA 1 ist ein spannendes Gen“
Unser Gesprächspartner:
Ass.-Prof. PD Dr. David Haschka, PhD
Universitätsklinik für Innere Medizin II
Medizinische Universität Innsbruck
Das Interview führte Dr. Felicitas Witte
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2020 wurde das schwere autoinflammatorische VEXAS-Syndrom erstmals beschrieben. Eine Studie aus Frankreich liefert nun neue Erkenntnisse zur Pathophysiologie.1 Prof. David Haschka kommentiert die Ergebnisse und erklärt, wie er seine Patienten behandelt.
Die Abkürzung VEXAS steht für „Vacuoles, E1 enzyme, X-linked, Autoinflammatory, Somatic“. Verantwortlich sind Mutationen im UBA1-Gen. Eine Forschergruppe hat nun herausgefunden, dass es zu einer Aktivierung des Inflammasoms und zu einer Dysregulation der Monozyten kommt.1
Sind die Erkenntnisse der Studie1 neu für Sie?
D. Haschka: Überrascht war ich nicht, es war naheliegend, dass wir bald mehr Erkenntnisse über die Pathophysiologie von VEXAS bekommen werden. Seit der Erstbeschreibung Ende 20202 hat sich diesbezüglich zunächst nicht so viel getan. Wir lernten zuerst vor allem von retrospektiven Patientendaten und einigen Übersichtsarbeiten. Die erste Arbeit von Beck et al. von 2020 hat grundlagenwissenschaftlich schon einige Dinge inkludiert – z.B., dass UBA1-Mutationen vor allem in Zellen der angeborenen Immunität auftreten und dass die initial beschriebenen Mutationen von UBA1 zur Expression einer UBA1c-Protein-Isoform führen, die weniger enzymatisch wirksam ist als das normale Protein.2 Insofern habe ich mich gefreut, dass wieder etwas Neues dazugekommen ist, nämlich eine Single-Cell-RNA-Sequencing(scRNAseq)-Charakterisierung. Das bedeutet, dass wir auf Einzelzellebene das Transkriptom der Patienten nun besser verstehen. Der Ansatz in dieser nun publizierten Arbeit ist in gewissen Teilen ähnlich dem, was wir auch bei uns an der Klinik machen. Hätte ich wetten müssen, hätte ich darauf gesetzt, dass die Arbeitsgruppe von Beck rascher Neuigkeiten zu VEXAS publiziert. Die Franzosen um Kosmider waren aber schneller. Auch das ist keine große Überraschung, da die französischen Kollegen seit Anbeginn mit ihrer Datenbank sehr aktiv sind und vieles an relevanter Forschung schnell geliefert haben, z.B. eine klinische und laborchemische Charakterisierung von 116 VEXAS-Patienten.3
Welche Stärken und Schwächen hat die Studie?
D. Haschka: Die Kollegen haben mit State-of-the-art-Methodik die typischen Zellen bei VEXAS charaktisiert. Das ist etwas Neues, wenn auch für Experten, die sich mit VEXAS beschäftigen, nicht wirklich überraschend. Methodisch ist die Arbeit sehr gut aufgebaut, die Kontrollgruppen sind gut ausgewählt. Doch die Ätiologie der Hyperinflammation durch die UBA1-Mutation bleibt weiterhin unklar. Es ist dieser Tage naheliegend, den scRNAseq-Ansatz anzuwenden. Noch interessanter wäre es jedoch zu untersuchen, wie sich Zellen im selben Patienten mit und ohne Mutation unterscheiden. Schlussendlich werden wir Zellkulturen und Mausmodelle benötigen, um den Mechanismus besser zu verstehen. Zudem wurden hier vor allem Monozyten und Makrophgagen untersucht. Das ist zwar eine sehr spannende Zellpopulation bei VEXAS, die Kollegen haben aber Neutrophile weitestgehend ausgespart, die mit Sicherheit auch eine wichtige Rolle bei VEXAS spielen. Sie sind in ihrer Handhabung nur etwas fragiler. Vermutlich haben sich die Kollegen deshalb erst auf Monozyten und Makrophagen konzentriert.
Teilen Sie die Meinung der Autoren, das Syndrom sei unterdiagnostiziert?
D. Haschka: Davon geht man aktuell aus. Auch von Beck gab es eine Studie zur Prävalenz, wo diese bei Männern über 50 Jahren – also der Hauptgruppe an Patienten – auf 1:4000 geschätzt wurde.4 Soweit man es mitverfolgen kann, hat dennoch jedes Zentrum in der Regel nicht mehr als eine Handvoll Patienten. Ich denke, das werden mit der Zeit mehr werden, da wir in unklaren Fällen öfter testen werden. Zusätzlich gibt es eine deutliche Überlappung zwischen VEXAS und myelodysplastischem Syndrom (MDS). Bei MDS wissen wir schon seit Längerem, dass somatische Mutationen eine Rolle spielen. Ob wirklich jede bisher bekannte und mit VEXAS in Zusammenhang gebrachte UBA1-Mutation automatisch zu einem Autoinflammationssyndrom führt, ist meiner Meinung nach noch nicht abschließend geklärt. Das wird sich aber sicherlich anhand von mehr Daten und Anwendung im klinischen Alltag bald zeigen. UBA1 halte ich für ein sehr spannendes Gen. Mutationen in diesem Gen wurden auch bei anderen Erkrankungen beschrieben, zum Beispiel bei der seltenen X-chromosomalen spinalen Muskelatrophie – hier allerdings als Keimbahnmutation5 – oder als Treibermutation bei Patientinnen mit Lungenkrebs, die nie geraucht haben.6 Kollegen aus der Arbeitsgruppe um David Beck haben kürzlich unterschiedliche und gemeinsame Mechanismen der UBA1-Inaktivität bei verschiedenen Krankheiten beschrieben.7
Sehen Sie das Inflammasom als mögliches Ziel für die Therapie?
D. Haschka: Das Inflammasom ist ein sehr naheliegendes Target, weil es bei vielen Autoinflammationserkrankungen eine zentrale Rolle einnimmt. Das wurde empirisch schon vor 2020 versucht, wenn ein Autoinflammationsyndrom vermutet wurde. Man muss aber festhalten, dass die Ansprechraten nicht überzeugend sind und alle bisherigen Daten darauf hinweisen – so auch diese Studie –, dass es zu einer breiteren Immunaktivierung kommt. Es gibt zwar eine Chance, dass die Hemmung des Inflammasoms hilft, aber bei vielen Patienten wirkt es nicht. In Übersichtsarbeiten sieht man sehr schön, dass viele Ansätze teilweise helfen können, dass es aber genauso oft auch zu keinem klinischen Benefit kommt und der größte Teil der Patienten trotzdem weiterhin eine Kortisontherapie benötigt.8 Insofern macht der Einsatz von JAK-Inhibitoren (JAKi) Sinn, weil sie breiter in die Inflammationskaskade eingreifen. Letztendlich kann dadurch auch die gute Wirksamkeit von Cortison erklärt werden. Zu den JAKi gibt es vor allem zu Ruxolitinib gute Daten, wobei der Einsatz oftmals durch begleitende Zytopenien limitiert sein kann.9 Perspektivisch wird es aus meiner Sicht interessant sein, auch verschiedene antiinflammatorische Therapien zu kombinieren, etwa IL-1-Blocker mit JAK-Inhibitoren, um eine breite Wirkung zu erzielen. Eine wichtige Frage wird aber sein, ob der rheumatologische Ansatz mit Unterdrückung der Inflammation überhaupt der richtige ist. In bestimmten Fällen sicherlich schon, aber womöglich bringt ein hämatologischer Ansatz mit Unterdrückung des UBA1-Klons mehr Benefit, etwa mit hypomethylierenden Substanzen wie Azacitidin. Das wurde bisher nur bei Patienten mit MDS versucht,10 könnte aber auch bei VEXAS-Patienten ohne MDS eine geeignete Therapieform sein.
Haben Sie 2020 schon geglaubt, dass VEXAS eine neue Krankheit ist?
D. Haschka: Ich wurde erst etwa ein Jahr später das erste Mal mit VEXAS konfrontiert und habe es sofort als sehr spannend empfunden. Das Konzept, dass eine somatische Mutation im Laufe des Lebens eine Autoinflammationserkrankung auslösen kann, war absolut neu. In anderen Fachbereichen wie der Hämatologie ist das tägliche Klinik, dass somatische Mutationen gewisse Erkrankungen auslösen, wie wir das z.B. bei der paroxysmalen nächtlichen Hämoglobinurie oder bei der klonalen Hämatopoese sehen. Zunächst bin ich davon ausgegangen, dass VEXAS eine „Kolibri-Erkrankung“ bleiben wird. Die Erstbeschreibung von Beck et al. hat überzeugend gezeigt, dass das ein eigenes Krankheitsbild ist. Die Kollegen haben damals schon versucht zu zeigen, dass die UBA1-Mutation nicht nur Zufall ist, sondern kausal.
Wie viele Patienten mit VEXAS-Syndrom haben Sie in Ihrer Klinik?
D. Haschka: Wir haben einige wenige Patienten und sprechen uns eng mit den Kollegen der Hämatologie ab – darin liegt meiner Meinung nach auch die Zukunft. Die Krankheit äußert sich sehr unspezifisch und sehr unterschiedlich. Es hat einen Grund, dass die Erstbeschreibung nicht wie sonst üblich über eine phänotypische Korrelation, sondern über einen „Genotype-first“-Approach entdeckt wurde. VEXAS hat kein Leitsymptom, das klinische Bild ist bunt und viele Symptome können in verschiedenen Fachrichtungen im Vordergrund stehen.
Bei welchen Symptomen sollte man an ein VEXAS-Syndrom denken?
D. Haschka: Patienten mit Zeichen einer Immunaktivierung im Sinne von erhöhten Entzündungszeichen und/oder Fieber mit weiteren Symptomen kommen prinzipiell infrage. Dabei scheint es wohl nur Patienten über 50 Jahre zu betreffen. Wegweisend kann die makrozytäre Anämie nach Ausschluss von Folsäure- und Vitamin-B12-Mangel sein. Das kennen wir auch von MDS, sie tritt aber bei den allermeisten Patienten mit VEXAS auf. Den typischen VEXAS-Patienten gibt es nicht, allerdings hat man zumindest bei einem Patienten mit relapsierender Polychondritis sowie makrozytärer Anämie und Thrombopenie eine fast hundertprozentige Trefferquote im Sinne einer hohen Vortestwahrscheinlichkeit für VEXAS festgestellt.11 Im Falle einer solchen Konstellation sollte man sehr hellhörig werden. Wir werden auch zunehmend mehr Patienten genauer untersuchen, die unter Diagnosen wie Polymyalgia rheumatica oder Polyarteriitis nodosa therapiert werden und bei denen wir keine guten Therapieerfolge erzielen – womöglich haben diese ein VEXAS-Syndrom. Die Hämatologen kennen Vakuolen in Vorläuferzellen im Knochenmark natürlich schon viel länger – und dies ist keinesfalls spezifisch für VEXAS; aber auch hier haben wir bei uns in der Klinik die Kollegen darauf aufmerksam gemacht. Falls sie so etwas sehen, sollte eine entsprechende molekulargenetische Diagnostik überlegt werden.
Wann halten Sie einen Gentest auf das VEXAS-Syndrom für indiziert?
D. Haschka: Wir sollten die Molekulargenetik auf UBA1-Mutationen in der Praxis natürlich nicht unreflektiert als Screeningverfahren einsetzen. Aber bei unklaren Fällen mit erhöhter Vortestwahrscheinlichkeit – und das können alle möglichen Manifestationen inklusive Lymphadenopathie, unklaren Lungenveränderungen oder Nervenbeteiligung sein – sollte die Molekulargenetik großzügig eingesetzt werden. Da zunehmend neue Mutationen beschrieben werden, ist ein Next-Generation-Sequencing hilfreich.
Warum wirken konventionelle DMARDs nicht und Biologika nur begrenzt?
D. Haschka: Es scheint eine sehr breite Immunaktivierung zu geben und nicht nur eine Aktivierung des Inflammasoms. Die Hypothese ist, dass die beeinträchtigte Ubiquitinilierung zu zellulärem Stress über die „unfolded protein response“ (UPR) führt. Und das scheint eine eher breite Immunantwort hervorzurufen. Cortison in höheren Dosen kann die Krankheitsmanifestationen gut unter Kontrolle halten, birgt aber natürlich das Risiko für Nebenwirkungen. Die Grundfrage wird sein, ob fitte Patienten nach Versagen von IL1-/IL6-/JAK-Inhibitoren oder sogar primär von einer Strategie profitieren, die den Klon angreift, also etwa von der erwähnten Therapie mit Azacitidin.
Wie behandeln Sie VEXAS-Patienten?
D. Haschka: Bei unseren VEXAS-Patienten haben wir meistens schon einige Therapien versucht. Ruxolitinib stellt in der Regel für uns eine Option dar, aber die Zytopenien machen uns beim Aufdosieren oft Probleme. Die allogene Stammzelltransplantation ist die Endstrecke der „Target the clon“-Strategie und sicher relevant. Die Patienten sind nur leider oft schon älter und teilweise von der Dauercortisontherapie gezeichnet. Wir wollten einen Patienten diesbezüglich evaluieren, aber aufgrund zwischenzeitlich aufgetretenen Komplikationen hat er sich nicht mehr für eine Stammzelltransplantation qualifiziert. Studien zur allogenen Stammzelltransplantation laufen,12 wobei man klar sieht, dass eher jüngere Patienten infrage kommen. Die allogene Stammzelltransplantation wird sicher relevant, wenn andere Therapien versagen und die Patienten in gutem Allgemeinzustand sind – immerhin ist es die aktuell einzige kurative Therapie mit jedoch den bekannten Risiken.
Werden wir das VEXAS-Syndrom irgendwann mit Gentherapie heilen können?
D. Haschka: Ich glaube, davon sind wir noch relativ weit entfernt, es ist aber prinzipiell denkbar. Im Gegensatz z.B. zur Hämophilie, wo wir nur einen sezernierten Faktor ersetzen müssen und diesen einfach in Leberzellen überexprimieren können, wäre bei VEXAS eine intrazelluläre Überexpression vorzugsweise nur in der hämatopoetischen Stammzelle notwendig.
Literatur:
1 Kosmider O et al.: VEXAS syndrome is characterized by inflammasome activation and monocyte dysregulation. Nat Commun 2024; 15: 910 2 Beck DB et al.: Somatic mutations in UBA1 and severe adult-onset autoinflammatory disease. N Engl J Med 2020; 383: 2628-38 3 Georgin-Lavialle S et al.: Further characterization of clinical and laboratory features in VEXAS syndrome: large-scale analysis of a multicentre case series of 116 French patients. Br J Dermatol 2022; 186: 564-74 4 Beck DB et al.: Estimated prevalence and clinical manifestations of UBA1 variants associated with VEXAS syndrome in a clinical population. JAMA 2023; 329(4): 318-24 5 Lambert-Smith IA et al.: The pivotal role of ubiquitin-activating enzyme E1 (UBA1) in neuronal health and neurodegeneration. Int J Biochem Cell Biol 2020; 123: 105746 6 Zhang T et al.: Genomic and evolutionary classification of lung cancer in never smokers. Nat Genet 2021; 53: 1348-59 7 Collins JC et al.: Shared and distinct mechanisms of UBA1 inactivation across different diseases. EMBO J 2024, online ahead of print 8 Sujobert P et al.: VEXAS: where do we stand 2 years later? Curr Opin Hematol 2023; 30(2): 64-9 9 Heiblig M et al.: Heiblig M et al.: Blood 2022; 140: 927-31. Blood 2022; 140(8): 927-31 10 Comont T et al.: Azacitidine for patients with Vacuoles, E1 Enzyme, X-linked, Autoinflammatory, Somatic syndrome (VEXAS) and myelodysplastic syndrome: data from the French VEXAS registry Br J Haematol 2022; 196(4): 969-74 11 Ferrada MA et al.: Somatic mutations in UBA1 define a distinct subset of relapsing polychondritis patients with VEXAS. Arthritis Rheumatol 2021; 73: 1886-95 12 Gurnari C et al.: Allogeneic hematopoietic cell transplantation for VEXAS syndrome: results of a multicenter study of the EBMT. Blood Adv 2024; online ahead of print
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