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Universimed 2020
Phytotherapie in der Behandlung von Harnwegsinfektionen
DAM
Autor:
Mag. pharm. Albert Botta i Orfila
Autor:
Dr. Valerie Leisser
Gesundheitszentrum Neustift, Wien<br> E-Mail: valerie.leisser@gz-neustift.at
30
Min. Lesezeit
19.10.2017
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<p class="article-intro">Bei Harnwegsinfektionen handelt es sich um eine heterogene Gruppe an Erkrankungen mit unterschiedlichen Symptomen und Schweregraden. Sie sind noch immer einer der Hauptgründe für Antibiotikaverschreibungen in der westlichen Welt. Doch auch die Phytotherapie bietet eine breite Palette an erfolgreichen, wissenschaftlich fundierten Behandlungsmöglichkeiten.</p>
<hr />
<p class="article-content"><h2>Definition und Epidemiologie</h2> <p>Unter einer Harnwegsinfektion versteht man die Ausbreitung und Vermehrung pathogener, meist aus Vaginal- oder Darmflora stammender Bakterien in den Harnwegen.<sup>1</sup> Diese Definition umfasst eine heterogene Gruppe an Erkrankungen mit unterschiedlichen Symptomen und unterschiedlicher Schwere, wie Pyelonephritis, renalen Abszessen, Zystitis, Prostatitis, Urethritis und katheterassozierten HWI.<sup>2</sup> Bei funktionellen, metabolischen oder strukturellen Abnormalitäten der Harnwege spricht man von komplizierten HWI, andernfalls handelt es sich um unkomplizierte HWI.<sup>1</sup><br /> Es sind mehrere Risikofaktoren bekannt, wobei Geschlecht, Alter und sexuelle Aktivität die größten Rollen spielen. Sexuell aktive junge Frauen haben im Durchschnitt 0,5 bis 0,7 HWI pro Jahr.<sup>3</sup> Dieser Unterschied wird langsam geringer, da postmenopausale Frauen ähnlich oft HWI erleiden wie Männer im gleichen Alter.<sup>4</sup> Anatomische und physiologische Faktoren, wie Anomalien der Harnwege, sowie medizinische Eingriffe im urogenitalen Bereich spielen eine wichtige Rolle.<sup>5–7</sup> Genetische Prädisposition, Antibiotikagabe, analer Geschlechtsverkehr und HIV-Infektionen sind weitere Risikofaktoren.<sup>4</sup></p> <h2>Phytotherapie in der Behandlung der HWI</h2> <p>Die Behandlung von HWI erfolgt meist im ambulanten Bereich. Unkomplizierte HWI sind einer der häufigsten Gründe für einen Hausarztbesuch von sonst gesunden Menschen und der zweithäufigste Grund für Antibiotikaverschreibungen in der westlichen Welt.<sup>1, 2</sup> Die Phytotherapie bietet eine breite Palette an Behandlungsmöglichkeiten, die erfolgreich eingesetzt werden können und wissenschaftlich fundiert sind. Die wichtigsten Wirkstoffe einzelner Drogen werden in Tabelle 1 angeführt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_DAM_Allgemeinm_1708_Weblinks_dam_1707+08_s28_tab1.jpg" alt="" width="917" height="838" /></p> <h2>Cranberry (Vaccinium macrocarpon, Aiton)</h2> <p>Cranberry (Fructus Vaccinii) und die eng verwandten Preiselbeeren gehören mit Sicherheit zu den am häufigsten verwendeten Phytotherapeutika bei HWI. Ihre antiadhärente, antibakterielle und antiphlogistische Wirkung in vivo gilt als nachgewiesen und es gibt zahlreiche Erfahrungen im Bereich der Prävention und Behandlung leichter HWI der unteren Harnwege.<sup>9</sup></p> <h2>Bärentraube (Arctostaphylos uva-ursi [L.] Spreng.)</h2> <p>Die getrockneten Blätter der Bärentraube (Folium uvae ursi) wirken uroantiseptisch und diuretisch. Der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) zufolge sind die Indikationen dieser Droge die Therapie leichter rezidivierender Infektionen der unteren Harnwege, die des brennenden Gefühls während des Wasserlassens sowie die gesteigerte Häufigkeit der Miktion bei Frauen.<sup>8</sup> Obwohl es bezüglich der Sicherheit Bedenken gab, ist der medizinische Gebrauch bei therapeutischer Dosierung (420mg Arbutin) nach heutigem Wissensstand unbedenklich.<sup>9</sup><br /> Die Blätter der Bärentraube können als Tee oder Mazerat (1,5–4g in 150ml Wasser, 2–4x täglich) beziehungsweise als Extrakt verabreicht werden (100–210mg Arbutin, 2–4x täglich).<sup>8</sup> Mehrere Präparate im deutschsprachigen Raum entsprechen dieser Dosierung, allerdings wird die Bärentraube in diesen mit anderen Phytoextrakten kombiniert.<br /> In der Schwangerschaft und Stillzeit sind Bärentraubenblätter kontraindiziert, da bei der Verstoffwechselung von Arbutin Hydrochinon entsteht, dessen Unbedenklichkeit nicht nachgewiesen ist.<sup>12</sup> Der Gerbstoffgehalt kann je nach Zubereitungsart (Mazerat, Extrakt, Tee) stark variieren. Präparate mit hohem Tanningehalt sind bei renaler Insuffizienz und gastrointestinalen Problemen kontraindiziert. Wechselwirkungen mit Harn-pHsenkenden Arzneien sind bekannt: Die pharmakologisch wirksamen Inhaltsstoffe können nur im alkalischen Milieu ihre Wirkung entfalten.</p> <h2>Schachtelhalm (Equisetum arvense L.)</h2> <p>Verwendet werden die getrockneten oberirdischen Teile der Pflanze (Herba Equiseti). Die traditionelle Anwendung als Diuretikum und Adjuvans bei leichten Harnwegsbeschwerden wurde von der EMA bestätigt.<sup>10</sup> Schachtelhalm kann als Tee oder als Extrakt verabreicht werden, oftmals in Kombination mit anderen Phytotherapeutika.<br /> Aufgrund der diuretischen Wirkung ist bei Blutdruckschwankungen und Kardiopathien Vorsicht geboten.<sup>10</sup> Eine Wechselwirkung mit antiretroviralen Arzneimitteln ist nicht auszuschließen,<sup>11</sup> weshalb Schachtelhalm bei HIV-Patienten nicht Droge der Wahl ist.</p> <h2>Goldrute (Solidago virgaurea L.)</h2> <p>Die oberirdischen Teile der Goldrute (Herba Solidaginis) werden traditionell und aufgrund zahlreicher klinischer Erfahrungen bei HWI zur Steigerung der Diurese eingesetzt.<sup>15, 16</sup> Weiters gibt es Hinweise auf spasmolytische und analgetische Wirkungen.<sup>17</sup> Die EMA erwähnt in der Monografie eine traditionelle Anwendung als Adjuvans bei leichten HWI.<sup>18</sup> Als Tee werden bis zu 4g pro Tag verabreicht, bis zu 4 Wochen lang; auch Extrakte und Tinkturen sind verfügbar. Eine Korbblütlerallergie stellt eine oft klinisch wichtige Kontraindikation dar.</p> <h2>Quecke (Agropyron repens [L.] P. Beauv.)</h2> <p>Der Wurzelstock der Quecke (Rhizoma Graminis) wird volksmedizinisch als Diuretikum eingesetzt und weist in vitro eine antiadhärente Wirkung gegenüber E. coli auf.<sup>19</sup> Die EMA beschreibt die traditionelle Anwendung zur Erhöhung der Harnmenge bei leichten Harnwegsbeschwerden.<sup>20</sup> Queckenwurzelstock kann als Tee verabreicht werden (bis 20g pro Tag), als Tinktur oder als Liquidextrakt. Ihre Anwendung ist im deutschsprachigen Raum aber eher eine Seltenheit.</p> <h2>Liebstöckel (Levisticum officinale, Koch)</h2> <p>Die Wurzel des Liebstöckels (Radix levistici) wird traditionell bei leichten Miktionsbeschwerden eingesetzt. Die EMA beschreibt auch die Anwendung als adjuvante Therapie bei leichten HWI.<sup>21</sup><br /> In der Praxis werden oft Mischpräparate verwendet. Laut EMA kann die Tagesdosis als Tee bis zu 6g betragen, aufgeteilt auf 2 Einzeleinnahmen.</p> <h2>Andere Phytotherapeutika bei HWI</h2> <p>Neben den bereits erwähnten stehen bei HWI viele andere Phytotherapeutika zur Verfügung. Meist handelt es sich dabei um leichte Diuretika. Wacholderbeeren, Orthosiphonblätter, Eschenblätter, Fenchelfrüchte und Birkenblätter sind nur einige Beispiele dafür.<sup>12, 15, 16, 22, 23</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_DAM_Allgemeinm_1708_Weblinks_dam_1707+08_s29_abb1.jpg" alt="" width="1454" height="563" /></p></p>
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<p><strong>1</strong> Schollum JB et al.: Br J Hosp Med (Lond) 2012; 73(4): 218- 23 <strong>2</strong> Mawatari M et al.: BMC Res Notes 2017; 10: 336 <strong>3</strong> Harrington RD et al.: J Gend Specif Med 2000; 3(8): 27-34 <strong>4</strong> Rasmussen M et al.: Acta Paediatr 2017; [Epub ahead of print] <strong>5</strong> Malhotra NR et al.: J Pediatr Urol 2017; [Epub ahead of print] <strong>6</strong> Piechota H: Urologe 2017; 56: 734-45 <strong>7</strong> Foxman B et al.: Ann Epidemol 2000; 10(8): 509-15 <strong>8</strong> Canadian Agency for Drugs and Technologies in Health: Cranberry products or topical estrogen-based therapy for the prevention of urinary tract infections: a review of clinical effectiveness and guidelines. 2016 <strong>9</strong> ANSES: Avis de l’Agence nationale de sécurité sanitaire de l’alimentation, de l’environnement et du travail relatif à l’évaluation des effets potentiels de la canneberge dans le champ des infections urinaires communautaires. 2011. <strong>10</strong> EMA: Community herbal monograph on Arctostaphylos uva-ursi (L.) Spreng, folium. EMA/HMPC/573460/2009 Rev.1; 2012 <strong>11</strong> de Arriba SG et al.: Int J Toxicol 2013; 32(6): 442-53 <strong>12</strong> Dietz BM et al.: Pharmacol Rev 2016; 68(4): 1026-73 <strong>13</strong> EMA: European Union herbal monograph on Equisetum arvense L. herba. EMA/HMPC/278091/2015; 2015 <strong>14</strong> Cordova E et al.: J Int Assoc Provid AIDS Care 2017; 16(1): 11-13 <strong>15</strong> Yarnell E: World J Urol 2002; 20(5): 285-93 <strong>16</strong> Cai T et al.: World J Urol 2014; 32(4): 1007-14 <strong>17</strong> Leuschner J: Anti-inflammatory, spasmolytic and diuretic effects of a commercially available Solidago gigantean herb extract. Arzneim Forsch 1995; 45(2): 165-8 <strong>18</strong> EMA: Final community herbal monograph on Solidago virgurea L., herba. EMEA/HMPC/285758/2007; 2008 <strong>19</strong> Beydokthi SS et al.: Fitoterapia 2017; 117: 22-27 <strong>20</strong> EMA: Community herbal monograph on Agropyron repens ( L.) P. B eauv., r hizoma. E MA/HMPC/563408/2010; 2011 <strong>21</strong> EMA: Community herbal monograph on Levisticum officinale Koch, radix. EMA/HMPC/524621/2011; 2012 <strong>22</strong> Stamm WE: Am J Med 2002; 113 (Suppl 1A): 1S-4S <strong>23</strong> Wright CI et al.: J Ethnopharmacol 2007; 114(1): 1-31</p>
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