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Der Darm in der Allgemeinmedizin

<p class="article-intro">Über den Darm steht unser Inneres mit der Außenwelt in ständigem Austausch. So wie auch der Haut kommt dem Darm eine Barriere- und Schutzfunktion zu. Ist diese Barriere angegriffen, führt das zu einer erhöhten Sensibilität gegenüber vielen Krankheiten.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Lange Zeit ein ungeliebtes Stiefkind, tritt er jetzt dank seiner Bakterien ins Rampenlicht. Worum geht es beim Darm, der &bdquo;eingest&uuml;lpten Au&szlig;enwelt&ldquo; mit riesiger Oberfl&auml;che? Es geht um die Konfrontation von &bdquo;fremdem Au&szlig;en&ldquo; mit unserem Inneren, ob wir uns mit Abwehr und Ausscheidung sch&uuml;tzen wollen oder eine Immuntoleranz entwickeln und die Nahrungspartikel ohne Entz&uuml;ndungsreaktion aufnehmen und uns gut ern&auml;hren.</p> <h2>Zwei Knackpunkte: Bewusstsein und Darmschleimhaut</h2> <p>Wie in anderen Bereichen gelingt uns diese Differenzierung beim Essen nur, wenn die dazu ben&ouml;tigte Aufmerksamkeit und Konzentration vorhanden sind, und nicht schon beim n&auml;chsten oder &uuml;bern&auml;chsten To-do. Wenn wir in einer sympathikogenen &bdquo;Fight or flight&ldquo;-Reaktionslage sind, egal ob die Stressoren von au&szlig;en oder innen kommen, real oder vermeintlich sind, wird unser K&ouml;rper entsprechend reagieren: Alles an Energie und Bereitschaft wird f&uuml;r Kampf- und Fluchtreaktionen bereitgestellt. Die Motilit&auml;t, Sekretion und Durchblutung im Darm werden jedoch reduziert, die Sphinktere schlie&szlig;en zu. Der Verdauungstrakt muss auf entspanntere Zeiten warten. Im Magen entstehen ein V&ouml;llegef&uuml;hl und Druck nach oben, die Entleerung wird verz&ouml;gert, fr&uuml;her oder sp&auml;ter kommt es zum Reflux. Unter diesen Umst&auml;nden werden auch Protonenpumpeninhibitoren (PPI) das Problem h&ouml;chst wahrscheinlich nicht verbessern k&ouml;nnen, eher propulsiv wirkende Phytotherapeutika &ndash; sowie eine &Auml;nderung der Esskultur. &Auml;hnlich wird die Verdauungsaktivit&auml;t im D&uuml;nndarm reduziert, nur die Bakterien f&uuml;hlen sich ungest&ouml;rt und f&ouml;rdern G&auml;rungs- und F&auml;ulnisprozesse mit Autointoxikation und den entsprechenden Beschwerden. So tr&auml;gt die zephale Phase (&bdquo;Essen mit allen Sinnen&ldquo;) zu etwa 40 % zur Verdauungsleistung bei. Und wir m&uuml;ssen zur Kenntnis nehmen, dass f&uuml;r eine funktionierende Aufspaltung und Aufnahme der Nahrung zuerst einmal freie Energie zur Verf&uuml;gung stehen muss.<br /> Gut aufgespaltene Nahrung sollte von einer gesunden Darmschleimhaut auch gut resorbiert werden k&ouml;nnen. Probleme entstehen f&uuml;r uns, wenn die Mukosabarriere gest&ouml;rt ist. Egal ob durch Viren (Rotaviren, Coxsackieviren etc.), Bakterien (Clostridium diff., Salmonella spp. etc.), Parasiten, durch Medikamente (NSAR, Antibiotika, PPI, Hormone usw.) oder Stress, extremen Sport, Gluten, &Uuml;bers&auml;uerung oder andere Faktoren verursacht &ndash; eine erh&ouml;hte Permeabilit&auml;t erm&ouml;glicht den vermehrten &Uuml;bertritt von Pathogenen und Antigenen. Dadurch wird in der Submukosa eine Reaktionskaskade des Immunsystems ausgel&ouml;st: &uuml;ber den Th1-vermittelten Weg Entz&uuml;ndungen und Autoimmunreaktionen oder &uuml;ber den Th2-mediierten Weg Antik&ouml;rperbildung und Entz&uuml;ndung sowie Kreuzreaktionen mit verschiedenen Gewebeantigenen und -rezeptoren. In der Folge kann ein palpables &Ouml;dem in der Radix mesenterii entstehen. Kurz gefasst l&auml;sst sich sagen: Eine Barrierest&ouml;rung steht am Beginn vieler Krankheiten! Daher muss hier die Therapie ansetzen.</p> <h2>Schnelle und einfache Diagnostik in der Praxis</h2> <p>Dr. Franz Xaver Mayr (1875&ndash;1965) verdanken wir eine feinsinnige, schnelle und sehr praxistaugliche Diagnostik des Darms, die uns wertvolle zus&auml;tzliche Informationen gibt, die weder von Labor, Ultraschall oder R&ouml;ntgen/MRI zu erhalten sind und uns die Beschwerden unserer Patienten verst&auml;ndlich machen. Um den Bauch zu verstehen, muss man ihn ansehen und &bdquo;begreifen&ldquo; (Abb. 1). Schon die Bauch- und Haltungsver&auml;nderungen geben deutliche Hinweise auf Funktionsst&ouml;rungen und &Uuml;berforderungszust&auml;nde, wie das Enteropathie-Syndrom. Die Formver&auml;nderung wird vor allem durch eine muskul&auml;re Tonusschw&auml;che des D&uuml;nndarms verursacht, eine Darmtr&auml;gheit, die oft durch den begleitenden Gasdruck und den daraus resultierenden normalen bis beschleunigten Stuhlgang maskiert wird. Wie bei jeder &Uuml;berforderung ist die therapeutische Konsequenz zun&auml;chst Schonung im Sinne des Schutzes vor &Uuml;berlastung, gleichzeitig der Versuch der Behebung der Ursachen und anschlie&szlig;endes Aufbautraining.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_DAM_Allgemeinm_1704_Weblinks_s31_abb1.jpg" alt="" width="1453" height="743" /></p> <h2>Behandlungsprinzipien nach F. X. Mayr</h2> <ul> <li>Schonung: durch leichte, gut verdauliche und bek&ouml;mmliche Kost. Die Karenz von Intoleranz hervorrufenden Nahrungsmitteln ist gerade in dieser Phase sehr wichtig sowie die Einschr&auml;nkung von h&auml;ufig problematischen Nahrungsmitteln (z.B. Weizen bzw. Gluten, Kuhmilch, Hefe) gerade in dieser Zeit sinnvoll. Das Einhalten von N&uuml;chternphasen unterst&uuml;tzt wesentlich die Selbstheilungsvorg&auml;nge und die Autophagie. Generell ben&ouml;tigt jede Regeneration freie Energie.</li> <li>S&auml;uberung: Durch isotone Bittersalzl&ouml;sungen oder &Auml;hnliches wird eine regelm&auml;&szlig;ige und gr&uuml;ndliche Darmentleerung &uuml;ber 2 bis 3 Wochen angestrebt, die man danach ausschleichen l&auml;sst. Die begleitende &auml;rztliche manuelle Bauchbehandlung unterst&uuml;tzt die Darmregulation und gibt wichtige Hinweise zum Therapieverlauf.</li> <li>Schulung: Das Wiederentdecken einer sinnlichen Esskultur und das Kautraining spielen eine zentrale Rolle f&uuml;r die Nachhaltigkeit. Die Wahrnehmung von Stuhlreiz und eine regelm&auml;&szlig;ige Entleerung sind notwendig f&uuml;r eine optimale Darmmotilit&auml;t. Insgesamt geht es um eine Wahrnehmungsschulung f&uuml;r die komplexen Zusammenh&auml;nge. Regelm&auml;&szlig;ige Bewegung ist ebenfalls von Bedeutung f&uuml;r eine gute Verdauungsfunktion.</li> <li>Substitution: H&auml;ufig ist der Ausgleich von Mangelzust&auml;nden in Bezug auf Magnesium, Kalium, Zink, Vitamin D und B12 sowie Fols&auml;ure sinnvoll sowie eine Basenzufuhr bei den h&auml;ufigen &Uuml;bers&auml;uerungszust&auml;nden. Darmbakterien (idealerweise nach Bestimmung des Mikrobioms) sind oft hilfreich, eventuell Quellstoffe, um dem tr&auml;gen Darm eine wahrnehmbare, s&auml;mige Stuhlmasse zu bieten.</li> </ul> <p>Diese Vorgehensweise, lange genug durchgef&uuml;hrt, erm&ouml;glicht praktisch immer eine deutliche Verbesserung der Beschwerden und es wird oft erst nach einer l&auml;ngeren Behandlungsphase erkennbar, welche Probleme funktioneller Natur sind und welche noch &uuml;brig bleiben und wirklich eine medikament&ouml;se Therapie ben&ouml;tigen. Auch viele Unvertr&auml;glichkeiten gehen deutlich zur&uuml;ck oder verschwinden sogar &ndash; eine gesunde Schleimhaut und Barriere erm&ouml;glichen eben auch eine bessere Darmfunktion und Schutz.<br /> Insgesamt m&ouml;chte ich ein Pl&auml;doyer f&uuml;r ein sinnvolles therapeutisch genutztes &bdquo;abwartendes Offenhalten&ldquo; aussprechen.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>beim Verfasser</p> </div> </p>
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