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Der Darm in der Allgemeinmedizin
DAM
Autor:
Dr. Sepp Fegerl
Allgemeinmediziner Salzburg<br> E-Mail: sepp@praxisfegerl.at
30
Min. Lesezeit
25.05.2017
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<p class="article-intro">Über den Darm steht unser Inneres mit der Außenwelt in ständigem Austausch. So wie auch der Haut kommt dem Darm eine Barriere- und Schutzfunktion zu. Ist diese Barriere angegriffen, führt das zu einer erhöhten Sensibilität gegenüber vielen Krankheiten.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Lange Zeit ein ungeliebtes Stiefkind, tritt er jetzt dank seiner Bakterien ins Rampenlicht. Worum geht es beim Darm, der „eingestülpten Außenwelt“ mit riesiger Oberfläche? Es geht um die Konfrontation von „fremdem Außen“ mit unserem Inneren, ob wir uns mit Abwehr und Ausscheidung schützen wollen oder eine Immuntoleranz entwickeln und die Nahrungspartikel ohne Entzündungsreaktion aufnehmen und uns gut ernähren.</p> <h2>Zwei Knackpunkte: Bewusstsein und Darmschleimhaut</h2> <p>Wie in anderen Bereichen gelingt uns diese Differenzierung beim Essen nur, wenn die dazu benötigte Aufmerksamkeit und Konzentration vorhanden sind, und nicht schon beim nächsten oder übernächsten To-do. Wenn wir in einer sympathikogenen „Fight or flight“-Reaktionslage sind, egal ob die Stressoren von außen oder innen kommen, real oder vermeintlich sind, wird unser Körper entsprechend reagieren: Alles an Energie und Bereitschaft wird für Kampf- und Fluchtreaktionen bereitgestellt. Die Motilität, Sekretion und Durchblutung im Darm werden jedoch reduziert, die Sphinktere schließen zu. Der Verdauungstrakt muss auf entspanntere Zeiten warten. Im Magen entstehen ein Völlegefühl und Druck nach oben, die Entleerung wird verzögert, früher oder später kommt es zum Reflux. Unter diesen Umständen werden auch Protonenpumpeninhibitoren (PPI) das Problem höchst wahrscheinlich nicht verbessern können, eher propulsiv wirkende Phytotherapeutika – sowie eine Änderung der Esskultur. Ähnlich wird die Verdauungsaktivität im Dünndarm reduziert, nur die Bakterien fühlen sich ungestört und fördern Gärungs- und Fäulnisprozesse mit Autointoxikation und den entsprechenden Beschwerden. So trägt die zephale Phase („Essen mit allen Sinnen“) zu etwa 40 % zur Verdauungsleistung bei. Und wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass für eine funktionierende Aufspaltung und Aufnahme der Nahrung zuerst einmal freie Energie zur Verfügung stehen muss.<br /> Gut aufgespaltene Nahrung sollte von einer gesunden Darmschleimhaut auch gut resorbiert werden können. Probleme entstehen für uns, wenn die Mukosabarriere gestört ist. Egal ob durch Viren (Rotaviren, Coxsackieviren etc.), Bakterien (Clostridium diff., Salmonella spp. etc.), Parasiten, durch Medikamente (NSAR, Antibiotika, PPI, Hormone usw.) oder Stress, extremen Sport, Gluten, Übersäuerung oder andere Faktoren verursacht – eine erhöhte Permeabilität ermöglicht den vermehrten Übertritt von Pathogenen und Antigenen. Dadurch wird in der Submukosa eine Reaktionskaskade des Immunsystems ausgelöst: über den Th1-vermittelten Weg Entzündungen und Autoimmunreaktionen oder über den Th2-mediierten Weg Antikörperbildung und Entzündung sowie Kreuzreaktionen mit verschiedenen Gewebeantigenen und -rezeptoren. In der Folge kann ein palpables Ödem in der Radix mesenterii entstehen. Kurz gefasst lässt sich sagen: Eine Barrierestörung steht am Beginn vieler Krankheiten! Daher muss hier die Therapie ansetzen.</p> <h2>Schnelle und einfache Diagnostik in der Praxis</h2> <p>Dr. Franz Xaver Mayr (1875–1965) verdanken wir eine feinsinnige, schnelle und sehr praxistaugliche Diagnostik des Darms, die uns wertvolle zusätzliche Informationen gibt, die weder von Labor, Ultraschall oder Röntgen/MRI zu erhalten sind und uns die Beschwerden unserer Patienten verständlich machen. Um den Bauch zu verstehen, muss man ihn ansehen und „begreifen“ (Abb. 1). Schon die Bauch- und Haltungsveränderungen geben deutliche Hinweise auf Funktionsstörungen und Überforderungszustände, wie das Enteropathie-Syndrom. Die Formveränderung wird vor allem durch eine muskuläre Tonusschwäche des Dünndarms verursacht, eine Darmträgheit, die oft durch den begleitenden Gasdruck und den daraus resultierenden normalen bis beschleunigten Stuhlgang maskiert wird. Wie bei jeder Überforderung ist die therapeutische Konsequenz zunächst Schonung im Sinne des Schutzes vor Überlastung, gleichzeitig der Versuch der Behebung der Ursachen und anschließendes Aufbautraining.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_DAM_Allgemeinm_1704_Weblinks_s31_abb1.jpg" alt="" width="1453" height="743" /></p> <h2>Behandlungsprinzipien nach F. X. Mayr</h2> <ul> <li>Schonung: durch leichte, gut verdauliche und bekömmliche Kost. Die Karenz von Intoleranz hervorrufenden Nahrungsmitteln ist gerade in dieser Phase sehr wichtig sowie die Einschränkung von häufig problematischen Nahrungsmitteln (z.B. Weizen bzw. Gluten, Kuhmilch, Hefe) gerade in dieser Zeit sinnvoll. Das Einhalten von Nüchternphasen unterstützt wesentlich die Selbstheilungsvorgänge und die Autophagie. Generell benötigt jede Regeneration freie Energie.</li> <li>Säuberung: Durch isotone Bittersalzlösungen oder Ähnliches wird eine regelmäßige und gründliche Darmentleerung über 2 bis 3 Wochen angestrebt, die man danach ausschleichen lässt. Die begleitende ärztliche manuelle Bauchbehandlung unterstützt die Darmregulation und gibt wichtige Hinweise zum Therapieverlauf.</li> <li>Schulung: Das Wiederentdecken einer sinnlichen Esskultur und das Kautraining spielen eine zentrale Rolle für die Nachhaltigkeit. Die Wahrnehmung von Stuhlreiz und eine regelmäßige Entleerung sind notwendig für eine optimale Darmmotilität. Insgesamt geht es um eine Wahrnehmungsschulung für die komplexen Zusammenhänge. Regelmäßige Bewegung ist ebenfalls von Bedeutung für eine gute Verdauungsfunktion.</li> <li>Substitution: Häufig ist der Ausgleich von Mangelzuständen in Bezug auf Magnesium, Kalium, Zink, Vitamin D und B12 sowie Folsäure sinnvoll sowie eine Basenzufuhr bei den häufigen Übersäuerungszuständen. Darmbakterien (idealerweise nach Bestimmung des Mikrobioms) sind oft hilfreich, eventuell Quellstoffe, um dem trägen Darm eine wahrnehmbare, sämige Stuhlmasse zu bieten.</li> </ul> <p>Diese Vorgehensweise, lange genug durchgeführt, ermöglicht praktisch immer eine deutliche Verbesserung der Beschwerden und es wird oft erst nach einer längeren Behandlungsphase erkennbar, welche Probleme funktioneller Natur sind und welche noch übrig bleiben und wirklich eine medikamentöse Therapie benötigen. Auch viele Unverträglichkeiten gehen deutlich zurück oder verschwinden sogar – eine gesunde Schleimhaut und Barriere ermöglichen eben auch eine bessere Darmfunktion und Schutz.<br /> Insgesamt möchte ich ein Plädoyer für ein sinnvolles therapeutisch genutztes „abwartendes Offenhalten“ aussprechen.</p></p>
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