Covid-19 – Schnee von gestern? Was kann Covid-19 für Kinder in Zukunft bedeuten?

Die mRNA-Impfungen gegen SARS-CoV-2 wurden bereits Tausenden von Kindern verabreicht. Symptome nach einer SARS-CoV-2-mRNA-Impfung mit Comirnaty® traten in der CoVacU5-Studie mit 7806 Kindern unter 5 Jahren ähnlich häufig auf wie nach den Standardimpfungen gemäss Impfplan.¹

Warum Kinder gegen SARS-CoV-2 impfen?

Die ärztlichen Fachgesellschaften und Behörden verschiedener Länder empfehlen keine SARS-CoV-2-Impfung bei Kindern unter 5 Jahren. Schweden krebste nach initialer Empfehlung zurück und empfiehlt keine SARS-CoV-2-Impfungen mehr bei unter 18-Jährigen. Die Schweiz empfiehlt seit dem 31. März 2023 sogar überhaupt keine weiteren SARS-CoV-2-Impfungen mehr für die Allgemeinbevölkerung.² In Deutschland empfiehlt die Ständige Impfkommission Kindern unter 12 Jahren nur eine SARS-CoV-2-Impfung und bei gesunden unter 5-Jährigen gar keine,³ obwohl die European Medicines Agency zwei Dosen von Spikevax® (Moderna) oder drei Dosen Comirnaty® (BioNTech/Pfizer) im Alter von 6 Monaten bis 4 Jahren zur Zulassung empfiehlt.

Tab. 1: Vergleich der absoluten Kindersterblichkeit pro Jahr in den USA (alle Zahlen jeweils vor Beginn des Impfprogramms) (adaptiert nach Flaxman et al., 2023)⁴

Demgegenüber ist Covid-19 mit mindestens 821 Todesfällen in einem Jahr eine der häufigsten Todesursachen von Kindern in den USA:⁴ die achthäufigste kindliche Todesursache überhaupt und die häufigste Todesursache bei den Infektionen und Atemwegserkrankungen. Dahingegen sind die Todesfälle von Kindern aufgrund anderer Infektionskrankheiten, gegen die mehrheitlich routinemässig geimpft wird, deutlich seltener (Tab. 1; Zahlen jeweils vor Beginn des Impfprogramms).

Die SARS-CoV-2 Impfung kann jedoch nicht nur Todesfälle bei akuter Covid-19-Erkrankung verhindern, sondern ist auch mit seltenerem Auftreten eines multisystemischen inflammatorischen Syndroms⁵ und möglicherweise auch weiterer Folgekomplikationen von Covid-19 assoziiert – so zumindest nachweislich bei Erwachsenen.⁶

Als Folgekomplikation von Covid-19 wurde bei Kindern beispielsweise eine eingeschränkte Nierenfunktion beschrieben^7,8 und ein deutlich erhöhtes Risiko für Typ-1-Diabetes.⁹ Weiter betrifft Long Covid resp. das postakute Covid-Syndrom Kinder genauso wie Erwachsene:^10–12 Eine Metaanalyse von über 80000 Kindern und Jugendlichen zeigte eine Prävalenz von entsprechenden Symptomen bei 25% der Kinder nach einer SARS-CoV-2-Infektion.¹³

Ferner zeigten Studien bei Erwachsenen, dass Covid-19 auch oxidativen Stress,¹⁴ endotheliale Dysfunktion,¹⁵ Fibrose und Unterfunktion von parenchymatösen Organen wie Herz oder Niere verursachen kann.^6,16–18 Die amerikanischen «Veterans Affairs»-Studien lassen nichts Gutes erwarten: Nach mehreren durchgemachten Covid-19-Erkrankungen zeigten sich kumulative Komplikationen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Niereninsuffizienz.⁶ Zudem bestehen nach Covid-19 Anzeichen einer Dysfunktion des Immunsystems: Bereits nach einer asymptomatischen oder milden Infektion bestehen bei Erwachsenen über viele Monate eine Dysfunktion von dendritischen Zellen, eine Lymphopenie und eine Erschöpfung der CD8+ T-Zellen.^19–21 So besteht eine Assoziation mit vermehrten respiratorischen Erkrankungen bereits nach einer milden Covid-19-Erkrankung.²² Bei Erwachsenen mit Long Covid wurden zusätzlich zu der T-Zell-Erschöpfung auch Zeichen einer Reaktivierung von latenten Herpesviren wie EBV gefunden.²³ Diese Daten erinnern insgesamt an eine postvirale Dysfunktion des Immunsystem, wie sie beispielsweise nach einer Masern- oder Ebola-Erkrankung auftreten und über Jahre bestehen kann.^24–26 Bei Kindern und Covid-19 gibt es diesbezüglich jedoch kaum klare Daten. Es zeigten sich allerdings seit dem Pandemiebeginn ungewöhnlich schwere Scharlachinfektionen bei Kindern und mehrere hohe RSV-Wellen (auch in Ländern wie Schweden, die weder Lockdowns noch Maskenpflicht hatten) sowie pädiatrische Fälle von schwerer Hepatitis kurz nach der Durchseuchung mit Omicron. Dies alles könnte ein Hinweis auf ein geschwächtes Immunsystem bei Kindern nach Covid-19 sein. Experten betonen, dass dies nur eine Hypothese ist und dass bei Covid-19 im Gegensatz zu HIV kein zugrunde liegender Mechanismus einer Immundysfunktion geklärt ist. Gewissen Fachexperten zufolge hätten eher die Lockdown-Wochen im Jahr 2020 eine «Immunlücke» verursacht, weil aufgrund fehlender Exposition eine Mangel an Immunität gegenüber anderen Erregern bestand.²⁷ Die Lockdown-Wochen von 2020 sind jedoch keine plausible Ursache, da die von RSV oder Hepatitis betroffenen Kinder zum Zeitpunkt der Lockdowns teils gar noch nicht geboren waren oder in einem Land leben, wo es keine Lockdowns gab. Besteht nicht auch die Möglichkeit eines Zusammenhangs zwischen Covid-19 und gehäuften anderweitigen Infektionen aufgrund einer Immundysfunktion? Wäre es nach dem Vorsichts-Prinzip deshalb nicht zentral, Infektionen zu vermeiden, während weiter nach Ursache und Mechanismus geforscht wird?

Kurz gesagt: Covid-19 kann aufgrund potenzieller Folgeerscheinungen oder -erkrankungen für Kinder weitreichende Folgen haben (Abb. 1). Impfungen gegen SARS-CoV-2 sind verfügbar. Diese sind gemäss den Zulassungsstudien wirksam, auch im Alter unter 5 Jahren.^28,29 Bezüglich Sicherheit sind sie vergleichbar mit den Standardimpfungen für Kinder, wie die CoVacU5-Studie zeigt.¹ Weitere prospektive Studien sind jedoch nötig. Ungenügend geklärt ist weiterhin die Effizienz dieser Impfungen, auch der Varianten-angepassten Impfstoffe, hinsichtlich der aktuell zirkulierenden Virusvarianten.

Abb. 1: Mögliche Folgen von Covid-19 für Kinder

Weitere Option zur Minimierung von SARS-CoV-2-Infektionen: eine gute Luftqualität sicherstellen!

Die SARS-CoV-2-Impfung alleine reicht nicht aus, um als einzige Massnahme die Virustransmission deutlich zu reduzieren. Vielversprechend sind in dieser Hinsicht auch Massnahmen zur Verbesserung der Luftqualität: Eine italienische retrospektive Studie zeigte in einer Analyse von über 10000 Klassenzimmern, dass mit mechanischer Belüftungsanlage die SARS-CoV-2-Transmissionen um 74% geringer waren im Vergleich zu nicht belüfteten Klassenzimmern.³⁰ HEPA(«high-efficiency particulate absorbing»)-Filteranlagen sind zusätzlich eine wichtige Massnahme, um die aerosolierten SARS-CoV-2-Viren zu entfernen.^31,32 Die Luftqualität selbst kann anhand der CO₂-Konzentration in der Raumluft abgeschätzt werden. In Frankreich ist an Arbeitsplätzen seit Dezember 2022 eine CO₂-Konzentration von unter 800ppm vorgeschrieben.³³ In Italien gibt es Bestrebungen, in Schulen die CO₂-Konzentrationen systematisch zu messen und im Falle von erhöhten CO₂-Werten zu handeln, mit Hinblick auf SARS-CoV-2.³⁴ Im deutschsprachigen Raum gibt es nur vereinzelt solche Bestrebungen.³⁵ Die «International Air Care Advocats» empfehlen 6 bis 12 Raumluftwechsel pro Stunde und/oder den Einsatz von HEPA-Filtern.³⁶

Zusätzlich zu Raumbelüftung und Filteranlagen bleibt auch das Masketragen als individueller Schutz und als Schutz des Gegenübers eine wichtige Möglichkeit, ebenso wie das Zuhausebleiben im Falle von Krankheit und das rasche Identifizieren und Isolieren von asymptomatischen Fällen mittels Contact Tracing.

Fazit

Die Covid-19-Inzidenzen scheinen anhand der durch PCR- oder Antigen-Schnelltests festgestellten Fälle niedrig zu sein. Dahingegen zeigt das systematische SARS-CoV-2-Abwassermonitoring beispielsweise in der Schweiz³⁷, in Deutschland³⁸ und in Schweden³⁹, dass SARS-CoV-2 weiterhin viel stärker zirkuliert, als man es aufgrund der Testdaten erwartet würde. Der naheliegendste Grund für diese Diskrepanz ist, dass schlicht kaum mehr auf SARS-CoV-2 getestet wird.

Angesichts der multiplen und weitreichenden möglichen Langzeitfolgen von Covid-19 – auch bei Kindern – muss man sich fragen: Ist Covid-19 wirklich Schnee von gestern? Oder ist es nur unsere Pandemiemüdigkeit, die uns Vorsichtsmassnahmen vergessen lässt?