
Behandlung von periprothetischen Gelenkinfektionen einer Hüft- oder Knie-Totalendoprothese
Autor:innen:
Priv.-Doz. DDr. Irene Sigmund
Prof. Dr. Reinhard Windhager
Univ.-Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, AKH Wien
E-Mail: irene.sigmund@meduniwien.ac.at
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Der Wechsel der mobilen Teile, im Englischen als DAIR (Debridement, Antimicrobial Therapy, and Implant Retention) bezeichnet, stellt eine etablierte Option zur Behandlung periprothetischer Gelenkinfektionen nach Hüft- bzw. Knie-Totalendoprothese dar. Aktuelle Literatur weist darauf hin, dass sowohl eine sorgfältige Patientenselektion als auch die präzise und standardisierte Durchführung des Verfahrens entscheidend für eine erfolgreiche Eradikation der Infektion sind.
Keypoints
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Die strukturierte Auswahl geeigneter Patienten, die enge interdisziplinäre Zusammenarbeit eines engagierten Teams sowie die konsequente Umsetzung eines standardisierten und technisch adäquaten operativen Vorgehens sind entscheidend für den Behandlungserfolg.
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Das enge Indikationsspektrum erfordert eine besonders präzise Patientenselektion, da eine inadäquate Anwendung mit deutlich erhöhten Versagensraten und einem signifikanten Rückgang der Behandlungserfolge einhergeht.
Periprothetische Gelenkinfektionen (PPI) zählen weiterhin zu den herausforderndsten Komplikationen nach Implantation einer Hüft- bzw. Knie-Totalendoprothese. Die Inzidenz liegt nach Primärimplantation bei 1–3% und nach Revisionsoperationen bei 3–10%.1–4 Aufgrund der exzellenten Ergebnisse einer Totalendoprothese (langfristige Schmerzlinderung, Wiederherstellung der Gelenkfunktion, verbesserte Mobilität und Lebensqualität) sowie des demografischen Wandels mit steigendem Patientenalter nimmt die Zahl der implantierten Prothesen weltweit zu. Parallel führt dies jedoch ebenso zu einem Anstieg der Revisionsoperationen. Trotz verbesserter präventiver Maßnahmen stellen periprothetische Infektionen die häufigste Ursache für Revisionsoperationen dar. Bei inadäquater Behandlung sind multiple Folgeeingriffe, vermehrte und verlängerte Krankenhausaufenthalte und wiederholte antimikrobielle Therapien notwendig. Dies kann zu einer erhöhten Morbidität und Mortalität, einer eingeschränkten Funktion sowie zu einer erheblichen physischen, psychischen und ökonomischen Belastung für Patienten und das Gesundheitssystem führen. Die präzise Diagnostik, kombiniert mit einer adäquaten chirurgischen Strategie und einer zielgerichteten antimikrobiellen Therapie, ist daher für eine erfolgreiche Behandlung essenziell.1
Der Wechsel der mobilen Teile – im Englischen als DAIR (Debridement, Antimicrobial Therapy, and Implant Retention) bezeichnet – stellt eine gelenkerhaltende chirurgische Behandlungsoption dar. Dieses Verfahren ist im Vergleich zu einem einzeitigen oder zweizeitigen Wechsel technisch weniger anspruchsvoll, da nur die mobilen Teile (Hüfte: Liner und Kopf; Knie: Inlay) und nicht die gesamte – möglicherweise gut osteointegrierte – Prothese explantiert werden müssen. Dies ermöglicht den Erhalt von Knochen, reduziert intraoperative Komplikationen (z.B. Frakturen) sowie anästhesiologische Risiken und erleichtert die frühzeitige Mobilisation der Patienten. Zudem sind kürzere Operationszeiten, verkürzte Krankenhausaufenthalte, eine geringere Morbidität, eine bessere postoperative Mobilität und geringere gesundheitsökonomische Kosten mit diesem Verfahren assoziiert.1
Trotz dieser potenziellen Vorteile ist eine sorgfältige Patientenselektion von zentraler Bedeutung. Die Entscheidung zur Durchführung einer DAIR sollte durch ein interdisziplinäres Team (Orthopäde, Infektiologe, Mikrobiologe) getroffen werden. Studien belegen, dass ein signifikanter Anteil, der mit DAIR behandelten PPI-Patienten, ein Therapieversagen erleidet – wobei die Indikationsstellung einen entscheidenden Einflussfaktor darstellt. Ziel ist es daher, jene Patienten zu identifizieren, die tatsächlich von diesem Verfahren profitieren können.1
Indikation, Kontraindikation und Risikofaktoren
Wenn die Eradikation der PPI das primäre Ziel darstellt, sind eine präzise Patientenselektion sowie eine adäquate chirurgische und antimikrobielle Behandlung entscheidend. In den vergangenen Jahren konnte gezeigt werden, dass eine Vielzahl von klinischen Faktoren den Therapieerfolg maßgeblich beeinflusst. Der Wechsel der mobilen Teile unter Erhalt der verankerten (osteointegrierten bzw. zementierten) Prothesenteile war in früheren Studien mit hohen Reinfektionsraten von 30–48% assoziiert.2–5 Durch eine verbesserte Patientenselektion berichten neuere Arbeiten über deutlich geringere Reinfektionsraten von 4–16%.6–9 Dies unterstreicht die Relevanz einer präzisen Indikationsstellung für den Erfolg dieses Operationsverfahrens. Die aktuelle evidenzbasierte Leitlinie des Executive Committee der European Bone and Joint Infection Society (EBJIS) definiert klare Indikationen und Kontraindikationen für die Durchführung eines Wechsels der mobilen Teile im Rahmen einer PPI-Behandlung:1 Gelockerte Prothesen müssen zweifelsfrei vollständig explantiert und gewechselt werden. Chronische Infektionen – per Definiton Infektionen mit einer Dauer von >4 Wochen nach Primärimplantation oder aseptischer Revisionsoperation bzw. eine über dreiwöchige Symptomatik – sind mit sehr hohen Reinfektionsraten (>50%) verbunden, weshalb in diesen Fällen von diesem Verfahren abgeraten wird. Dagegen zeigten akute Infektionen in der Literatur deutlich bessere Ergebnisse.1 Akute PPIs werden hierbei in Frühinfektionen (<4 Wochen nach Primärimplantation oder aseptischer Revisionsoperation) und akut hämatogene PPI (<3 Wochen Symptome nach einer ereignislosen postoperativen Phase und >4 Wochen nach Indexoperation) unterteilt. Die Erfolgsraten liegen bei Frühinfektionen bei 65–88%,10,11 bei akut hämatogenen Infektionen zwischen 40 und 72%.1,10,11 Ein Wechsel der mobilen Teile sollte zudem nur bei unauffälliger Weichteilsituation mit Möglichkeit eines primären Wundverschlusses erfolgen (Tab. 1). Im Idealfall ist der Erreger inklusive Resistenzprofil präoperativ bekannt. Eine Verzögerung des Eingriffs bis zum Vorliegen mikrobiologischer Ergebnisse ist jedoch nicht in allen Fällen gerechtfertigt, da das zur Verfügung stehende Zeitfenster (<4 Wochen nach Operation bzw. <3 Wochen Symptome) eingehalten werden muss.1
Tab. 1: Indikationen, Risikofaktoren und Kontraindikationen für den Wechsel der mobilen Teile (DAIR) zur Behandlung periprothetischer Infektionen nach Hüft- und Knie-Totalendoprothese mit dem primären Ziel der Infektionseradikation – basierend auf den EBJIS-Guidelines1
Mehrere Risikofaktoren wurden mit erhöhten Versagensraten nach DAIR assoziiert: (i) eine Frühinfektion zwischen 4 und 12 Wochen nach Indexoperation, (ii) vorausgegangene Revisionsoperationen (septisch oder aseptisch), (iii) rheumatoide Arthritis, COPD und/oder immunsuppressive Therapie, (iv) Infektionen mit Staphylococcus aureus – insbesondere bei hämatogener PPI, (v) schwer behandelbare Erreger (z.B. ohne biofilmaktive Therapieoption) oder Pilzinfektionen sowie (vi) eine bestehende Bakteriämie (Tab. 1).1 Diese Risikofaktoren stellen keine absoluten Kontraindikationen dar, sollten aber in einer interdisziplinären Fallbesprechung (Orthopädie, Infektiologie, Mikrobiologie) individuell bewertet werden. Bei Vorliegen multipler Risikofaktoren sollte ein kompletter Prothesenwechsel in Betracht gezogen werden.1 Demografische Parameter wie Alter, Geschlecht, BMI, Diabetes mellitus, chronisches Nierenversagen, Nikotinabusus oder ein erhöhter ASA-Score zeigten keinen signifikanten Einfluss auf die Erfolgsrate.1 Absolute Kontraindikationen für den Wechsel der mobilen Teile sind: (a) gelockerte Prothesenkomponenten, (b) ein Intervall von >12 Wochen seit Prothesenimplantation, (c) eine Symptomdauer von mehr als 3 Wochen, (d) insuffiziente Weichteilverhältnisse ohne Möglichkeit eines primären Verschlusses und (e) das Vorliegen einer Fistel als Zeichen einer chronischen Infektion.1 In diesen Fällen ist die Erfolgsaussicht einer Infektionseradikation mittels DAIR gering, sodass ein einzeitiger oder zweizeitiger Prothesenwechsel zu bevorzugen ist.1
In der Regel stellt der Wechsel der mobilen Teile keine Notfalloperation dar, die innerhalb von 24 Stunden durchgeführt werden muss. Der Eingriff sollte jedoch zeitnah – idealerweise innerhalb der ersten sieben Tage, spätestens jedoch innerhalb von drei Wochen nach Symptombeginn – erfolgen. Voraussetzung hierfür sind eine ausreichende Patientenvorbereitung, die Verfügbarkeit der modularen Komponenten sowie die Durchführung durch ein erfahrenes septisches Operationsteam (durch einen in septischen Revisionsoperationen ausgebildeten Chirurgen).1
Durchführung
Für den Erfolg eines Wechsels der mobilen Komponenten ist die Einhaltung mehrerer operativer Schritte essenziell. Die offene Arthrotomie ist gegenüber der Arthroskopie aufgrund höherer Erfolgsraten klar zu bevorzugen.1 Nach Eröffnung der Gelenkskapsel wird empfohlen, standardisiert vier bis sechs Gewebeproben zur akkuraten mikrobiologischen und histologischen Analyse/Diagnostik zu entnehmen.12,13 Es folgen ein ausgedehntes und adäquates Debridement und die Entfernung der mobilen Teile (Hüfte: Kopf und Liner; Knie: Inlay). Anschließend ist die Stabilität und Verankerung der verbleibenden osteointegrierten Prothesenkomponenten zu prüfen. Bei Anzeichen einer Lockerung muss das operative Vorgehen angepasst und ein einzeitiger oder zwei-zeitiger Prothesenwechsel angestrebt werden. Nach Entfernung der modularen Teile wird ein weiteres Debridement empfohlen, das durch die verbesserte Visualisierung zuvor schwer zugänglicher Areale erleichtert wird. Es folgt eine ausgiebige Spülung mit physiologischer Kochsalzlösung und einem Antiseptikum nach Wahl. Aufgrund der derzeit limitierten Evidenzlage kann keine Empfehlung hinsichtlich des optimalen Antiseptikums oder des erforderlichen Spülvolumens ausgesprochen werden.1 Optional können lokal wirksame Antibiotika (z.B. Kalziumsulfatbeads mit Vancomycin und Gentamicin) sowie Redondrainagen appliziert werden. Der Eingriff wird mit einem sorgfältigen und schichtweisen Wundverschluss abgeschlossen.
Antimikrobielle Therapie
Zur Erhöhung der Identifikationsrate des verursachenden Mikroorganismus sollte – sofern klinisch vertretbar – vor der Probenentnahme auf eine antimikrobielle Therapie verzichtet werden. Eine Ausnahme stellen hier Patienten mit einer Sepsis oder einem septischen Schock dar. Die antimikrobielle Therapie wird im Normalfall (kein schwer zu behandelndes Pathogen und zufriedenstellendes Debridement) für 12 Wochen empfohlen, beginnend mit einer einwöchigen intravenösen Induktionsphase. Nach Erhalt der mikrobiologischen Ergebnisse erfolgt die Anpassung der empirischen Therapie entsprechend dem Antibiogramm. Bei Infektionen mit Staphylococcus spp. wird eine Kombinationstherapie bestehend aus einem Fluorchinolon und Rifampicin empfohlen, bei gramnegativen Bakterien ein Fluorchinolon. Der Beginn einer Rifampicin-Therapie sollte erst erfolgen, wenn die Wunde trocken ist und alle Drainagen entfernt wurden (in der Regel nach 3–5 Tagen).1
Fazit
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Wechsel der mobilen Teile bei sorgfältig ausgewählten Patienten eine vielversprechende Behandlungsoption mit guten Erfolgsaussichten darstellt. Für ein zufriedenstellendes Ergebnis sind insbesondere die strukturierte Patientenselektion, die enge Zusammenarbeit eines erfahrenen multidisziplinären Teams sowie die konsequente Umsetzung eines standardisierten und technisch adäquaten operativen Vorgehens entscheidend. Dabei ist zu betonen, dass das enge Indikationsspektrum eine besonders präzise Auswahl der Patienten erfordert, da eine inadäquate Anwendung mit deutlich erhöhten Versagensraten und einem signifikanten Rückgang der Behandlungserfolge assoziiert ist.
Literatur:
1 Sigmund IK et al.: Debridement, antimicrobial therapy, and implant retention (DAIR) as curative strategy for acute periprosthetic hip and knee infections. J. Bone Joint Infect 2025; 10(2): 101-38 2 Buller LT et al.: The preoperative prediction of success following irrigation and debridement with polyethylene exchange for hip and knee prosthetic joint infections. J Arthroplasty 2012; 27(6): 857-64 3 Kuiper JW et al.: Prosthetic joint-associated infections treated with DAIR (debridement, antibiotics, irrigation, and retention): analysis of risk factors and local antibiotic carriers in 91 patients. Acta Orthop 2013; 84(4): 380-6 4 Lora-Tamayo J et al.: A large multicenter study of methicillin-susceptible and methicillin-resistant Staphylococcus aureus prosthetic joint infections managed with implant retention. Clin Infect Dis 2013; 56(2): 182-94 5 Grammatopoulos G et al.: Functional outcome of debridement, antibiotics and implant retention in periprosthetic joint infection involving the hip: a case-control study. Bone Joint J 2017; 99-b(5): 614-22 6 Jacobs AME et al.: Evaluation one year after DAIR treatment in 91 suspected early prosthetic joint infections in primary knee and hip arthroplasty. J Bone Jt Infect 2019; 4(5): 238-44 7 Barros LH et al.: Early debridement, antibiotics and implant retention (DAIR) in patients with suspected acute infection after hip or knee arthroplasty - safe, effective and without negative functional impact. J Bone Jt Infect 2019; 4(6): 300-5 8 Clauss M et al.: Debridement, antibiotics and implant retention for hip periprosthetic joint infection: analysis of implant survival after cure of infection. J Bone Jt Infect 2020; 5(1): 35-42 9 Ottesen CS et al.: Acceptable success rate in patients with periprosthetic knee joint infection treated with debridement, antibiotics, and implant retention. J Arthroplasty 2019; 34(2): 365-8 10 Chang MJ et al.: Worse outcome of debridement, antibiotics, and implant retention in acute hematogenous infections than in postsurgical infections after total knee arthroplasty: amulticenter study. Knee Surg Relat Res 2022; 34(1): 38 11 Zhu MF et al.: Success rates of debridement, antibiotics, and implant retention in 230 infected total knee arthroplasties: implications for classification of periprosthetic joint infection. J Arthroplasty 2021; 36(1): 305-10 12 Sigmund IK et al.: Three to six tissue specimens for histopathological analysis are most accurate for diagnosing periprosthetic joint infection. Bone Joint J 2023; 105-b(2): 158-65 13 Dudareva M et al.: Sonication versus tissue sampling for diagnosis of prosthetic joint and other orthopaedic device-related infections. J Clin Microbiol 2018; 56(12): e00688-18
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