Update: immunmediierte Lebererkrankungen 2021
Autor:
Univ.-Prof. Dr. Peter Fickert
Klinische Abteilung fürGastroenterologie und Hepatologie
Universitätsklinik für Innere Medizin
Medizinische Universität Graz
E-Mail: peter.fickert@medunigraz.at
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Auch wegen der überaus erfolgreichen Therapieentwicklungen im Bereich der Virushepatitis lenkt sich die Aufmerksamkeit in der Leberforschung zunehmend auf die immunmediierten Hepatopathien, obwohl es relativ seltene Erkrankungen sind. Ziel dieses Artikels ist es, ein Blitzlicht auf aktuelle Entwicklungen der Therapie von immunmediierten Lebererkrankungen zu werfen.
Keypoints
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Patient*innen mit autoimmuner Hepatitis (AIH) sind meist lebenslang auf eine immunsuppressive Therapie angewiesen.
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Zur Erhaltungstherapie bei AIH wird Azathioprin (1–2mg/kg/d) empfohlen.
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Es gibt derzeit keine Empfehlung mit starker Evidenz für die Therapie der primär sklerosierenden Cholangitis (PSC).
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Bezafibrat stellte eine gute Therapieoption bei PSC-Patient*innen mit Juckreiz dar.
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Die primär biliäre Cholangitis (PBC) wird seit Jahrzehnten mit Ursodeoxycholsäure (UDCA) behandelt, nun stehen auch Kombinationstherapien zur Verfügung.
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Die Gabe von UDCA mit Bezafibrat erwies sich in Studien als effektivste Kombinationstherapie der PBC.
Autoimmune Hepatitis
Der Goldstandard im klinischen Management der autoimmunen Hepatitis (AIH) wurde von Pape und Kolleg*innen praxisnah zusammengefasst.1 In stark verkürzter Form kann hier gesagt werden, dass praktisch jede*r Patient*in meist eine lebenslange Therapie mit Immunsuppressiva benötigt, wobei die Remissionsinduktion mit Steroiden durchgeführt wird und als erste Wahl zur Erhaltungstherapie Azathioprin in einer Dosierung von 1–2mg/kg/d empfohlen wird. Wie anhand einer rezenten retrospektiven, multizentrischen Analyse mit 900 Patient*innen gezeigt werden konnte, ist die biochemische Remissionsrate mit 57% vs. 54% vergleichbar, unabhängig davon, ob bereits früh (innerhalb von zwei Wochen) oder später (länger als zwei Wochen) mit einer Azathioprin-Therapie begonnen wird. Auch ist die Häufigkeit des Wechselns auf eine Zweitlinientherapie mit 13% vs. 11% vergleichbar.2 Jedoch müssen diese Daten als eingeschränkt beurteilbar bzw. die Gruppen eingeschränkt vergleichbar beurteilt werden, da die Gruppe mit frühem Einleiten von Azathioprin deutlich kleiner war. Ob eine frühe oder verzögerte Einleitung von Azathioprin in der Kombinationstherapie bei ikterischen Patient*innen mit AIH einen Vorteil bringt, wird weiter zu analysieren und zu untersuchen sein. Insgesamt scheint es aber wenige Argumente für eine frühe Einleitung einer Kombinationstherapie bei AIH zu geben.
Die Bestimmung von 6-Thioguanin-Nukleotid(6-TGN)-Spiegeln ist in vielen Regionen Europas verbreitet, aber technisch und logistisch schwierig. Von vielen Zentren und Experten wird daher auch die Orientierung am mittleren zellulären Volumen der Erythrozyten (MCV) empfohlen, da bei Erreichen von therapeutischen 6-TGN-Spiegeln häufig eine Makrozytose vorliegt. Ein solches Vorgehen wurde bisher nicht in kontrollierten Studien validiert.
Bezüglich des sehr seltenen Krankheitsbildes der akuten schweren AIH scheint es wichtig, anzumerken, dass auch die niedrig dosierte Steroidgabe mit 0,5mg/kg/d vergleichbar effektiv zu höheren Dosierungen war. Die höhere Dosierung war jedoch mit einem deutlich erhöhten Infektionsrisiko verbunden. In vielen Fällen werden daher bei Patient*innen mit schwerer AIH und einem Durchschnittsgewicht von 75–80kg 30mg/d Prednisolon genügen. Kommt es zwei Wochen nach Therapieeinleitung zu einem weiteren Anstieg des Bilirubins und der INR, kann dies als Entscheidungshilfe bei schwerer AIH bezüglich der Transplantationsindikation dienen. Bei solchen Patient*innen sollte man frühzeitig ein Transplantationszentrum kontaktieren.
In einer rezenten Arbeit von Lohse und Kolleg*innen sind die Empfehlungen zur Zweit- und Drittlinientherapie bei AIH zusammengefasst.3 Therapieentscheidungen sollten hier bevorzugt mit erfahrenen Behandlungsteams diskutiert werden.
Primär sklerosierende Cholangitis
Zur Therapie der primär sklerosierenden Cholangitis (PSC) liegt weiterhin keine starke Evidenz zur Empfehlung einer Standardtherapie vor. Viele Kolleg*innen versuchen die vorsichtige Einleitung einer Ursodeoxycholsäuretherapie, und bei guter Verträglichkeit und sinkenden Cholestaseparametern sollte diese nach der derzeitigen Datenlage beibehalten werden. Aufgrund der Seltenheit der Erkrankung und des steigenden Angebots von Therapiestudien, sollten PSC-Patient*innen immer in Studienzentren vorgestellt werden. Ein quälendes Symptom bei PSC ist Juckreiz, der sehr schwer erfolgreich zu therapieren ist. Die Ergebnisse der FITCH-Studie, die von de Vries und Kolleg*innen in diesem Jahr in „Gastroenterology“ publiziert wurden, lässt hoffen.4 Dort kam es bei zwei Drittelnder behandelten PSC-Patient*innen unter Bezafibrat-Therapie zu einer 50%igen Reduktion der Juckreizaktivität bei sehr gutem Nebenwirkungsprofil, sodass die Autor*innen zu dem Schluss kamen, dass Bezafibrat eine gute Therapie bei Juckreiz bei PSC-Patient*innen darstellt. Auch kam es bei einem Teil der Fälle zu einer Reduktion der AP als wichtigen Surrogatparameter des klinischen Verlaufs bei PSC.
Van Erp und Kolleg*innen konnten in einer retrospektiven Kohortenstudie zeigen, dass die Indikationsstellung zur Cholezystektomie bei Gallenblasenpolypen bei PSC-Patient*innen sehr genau und kritisch überlegt werden muss, da das Risiko für ein Gallenblasenkarzinom möglicherweise nicht so hoch ist, wie wir bisher annahmen.5 Das ist wichtig, da diese Patient*innen eine erhöhte Komplikationsrate für diesen Eingriff aufweisen.
Es gibt bisher keinen Hinweis auf eine Wirksamkeit von CED-Biologika bei PSC. Weder Vedolizumab- noch Adalimumab-Therapien konnten hier bisher einen therapeutischen Effekt zeigen. Eine rezente Kohortenanalyse von Kulkarni et al. fand bei 228 Patient*innen unter TNF-Antikörpertherapie mit PSC-IBD in 31% (n=72) der Fälle mindestens eine Cholangitisepisode, was deutlich über der Rate jener Patient*innen unter Immunmodulatorentherapie lag (11%).6 Daraus folgerten die Autor*innen, dass eine sehr sorgfältige und vorsichtige Indikationsstellung zur TNF-Antikörpertherapie bei PSC-IBD-Patient*innen geboten ist, weil sie das Cholangitisrisiko erhöht.
Der Aktualität von Covid-19 geschuldet erlaube ich mir, hier kasuistische Berichte zu Ketamin-induzierter sklerosierender Cholangitis in Erinnerung zu rufen. Insbesondere in Japan wurde über solche Fälle bei Ketamin-Abuser*innen berichtet,7 aber auch über rezente Fälle Ketamin-induzierter sekundär sklerosierender Cholangitis kritisch kranker Patient*innen (SSC-CIP) bei kompliziert zu beatmender Covid-19-Pneumonie. Bei solchen Patient*innen sollte auf Ketamin in der Sedierung verzichtet werden, um hier nicht das Risiko für SSC-CIP zu erhöhen. Zudem ist anzuführen, dass das SSC-CIP-Risiko bei Covid-19-ICU-Patient*innen möglicherweise generell hoch ist.8
Primär biliäre Cholangitis
Über Jahrzehnte wurde die primär biliäre Cholangitis (PBC) ausschließlich mit Ursodeoxycholsäure (UDCA) therapiert. Nun stehen Kombinationstherapien zur Verfügung. Eine retrospektive Kohortenanalyse von 763 PBC-Patient*innen aus Deutschland gibt uns ein Bild vom „wirklichen Therapiealltag“.9 Von 480 Patient*innen lagen komplette Follow-up-Daten vor und diese konnten hinsichtlich der Wirksamkeit der Erstlinientherapie mit Ursodeoxycholsäure analysiert werden. 116 wurden als partielle Non-Responder identifiziert, wobei bei 39 keine Änderung des Therapieregimes erfolgte, bei 35 erfolgte die Erhöhung der UDCA-Dosis, 6 erhielten zusätzlich Glukokortikoide, 28 Bezafibrat und nur 8 Patient*innen Obeticholsäure (OCA). 83% der Patient*innen erreichten unter der alleinigen UDCA-Therapie einen ALP-Wert, der unter dem 1,67-Fachen der Norm lag, was aktuell als wichtiger Parameter für das Ansprechen betrachtet wird. Die Zugabe von Bezafibrat hatte den stärksten positiven Effekt bei unzureichendem UDCA-Ansprechen, während eine Dosissteigerung von UDCA sehr wenig Effekt zeigte. Daraus folgern die Autor*innen, dass eine Dosissteigerung von UDCA sehr wenig bringt, aber die Zugabe von Bezafibrat die effektivste Kombinationstherapie war. Zudem wurde in einer japanischenretrospektiven Kohortenanalyse gezeigt, dass Bezafibrat tatsächlich das Lebertransplantations-freie Überleben verlängert.10 Diese Daten gibt es zum Bespiel für die offizielle Zweitlinientherapie mit OCA nicht.
Eine prospektive, randomisierte, kontrollierte Studie zur Kombinationstherapie von Ursodeoxycholsäure plus Budesonid zeigte keinen signifikanten Unterschied im gewählten Endpunkt der Leberhistologie zwischen den Behandlungsgruppen, aber der Prozentsatz der Patient*innen unter Budesonid-Ursodeoxycholsäure-Therapie, der einen ALP-Wert unter dem 1,67-Fachen der Norm erreichte, war signifikant höher.11 Eine Vergleichbarkeit der bisher vorliegenden Studien zu Kombinationstherapien ist aufgrund der unterschiedlichen Studiendesigns nur sehr gering gegeben.
Eine retrospektive Kohortenstudie von Corpechot und Kolleg*innen mit über 780 Patient*innen aus 60 Zentren aus 9 Ländern zeigt, dass bei den 190 Patient*innen, die nach einer Lebertransplantation wegen PBC UDCA präventiv erhielten, die Inzidenz der wiederkehrenden PBC nach Transplantation signifikant niedriger war.13 Daraus folgern die Autor*innen, dass eine präventive UDCA-Gabe nach Lebertransplantation bei PBC sinnvoll ist.
Bereits 2020 wurde von Eaton in „Hepatology“ eine Fallserie von Patient*innen mit portaler Dekompensation oder sogar akutem Leberversagen unter Obeticholsäure berichtet.13 Diese Fallberichte wiesen bereits auf eine mögliche erhöhte Dekompensations- und Toxizitätsrate bei Patient*innen mit Leberzirrhose durch Obeticholsäuretherapie hin. In einer rezenten retrospektiven Kohortenstudie mit einem Propensity-Score-Modell wurden insgesamt 509 PBC-Patient*innen mit Zirrhose untersucht und 21 mit Obeticholsäure behandelte Patient*innen zu 84 ohne Obeticholsäure gematcht.14 Die Ergebnisse dieses Verfahrens ergaben, dass ein erhöhtes Risiko für Dekompensation mit einer Hazard-Ratio von 3,9 vorlag. Aus diesen Daten schlussfolgerten die Autor*innen, dass Obeticholsäure bei PBC mit Leberzirrhose mit einem erhöhten Risiko für eine Dekompensation verbunden ist. Eine Erhöhung der leberabhängigen Mortalität fanden die Autor*innen nicht.
Fazit
Das gesteigerte wissenschaftliche und klinische Interesse an immunmediierten Lebererkrankungen ist erfreulich. Die neuen Therapieentwicklungen sind spannend und hoffnungsvoll. Eine stadienadaptierte, maßgeschneiderte Therapie sollte das Ziel sein, wozu weitere wissenschaftliche Anstrengungen notwendig sind.
Literatur:
1 Pape S et al.: Clinical management of autoimmune hepatitis. United European Gastroenterol J 2019; 7(9): 1156-63 2 Pape S et al.: High discontinuation rate of azathioprine in autoimmune hepatitis, independent of time of treatment initiation. Liver Int 2020; 40(9): 2164-71 3 Lohse AW et al.: Second-line and third-line therapy for autoimmune hepatitis: a position statement from the European Reference Network on Hepatological Diseases and the International Autoimmune Hepatitis Group. J Hepatol 2020; 73(6): 1496-506 4 de Vries E et al.: A double-blind, randomized, placebo-controlled trial. Gastroenterology 2021; 160(3): 734-43 5 van Erp LW et al.: Risk of gallbladder cancer in patients with primary sclerosing cholangitis and radiographically detected gallbladder polyps. Liver Int 2020; 40(2): 382-92 6 Kulkarni C et al.: Association of anti-TNF therapy with increased risk of acute cholangitis in patients with primary sclerosing cholangitis. Inflamm Bowel Dis 2020; izaa317 7 Knooihuizen SAI et al.: Ketamine-induced sclerosing cholangitis (KISC) in a critically Ill patient with COVID-19. Hepatology 2020; 10.1002/hep.31650 8 Bütikofer S et al.: Secondary sclerosing cholangitis as cause of persistent jaundice in patients with severe COVID-19. Liver Int 2021; doi: 10.1111/liv.14971 9 Wilde ACB et al.: Real-world clinical management of patients with primary biliary cholangitis— aretrospective multicenter study from Germany. J Clin Med 2021; 10(5): 106 10 Tanaka A et al.: Association of bezafibrate with transplant-free survival in patients with primary biliary cholangitis. J Hepatol 2021; S0168-8278(21)00245-2 11 Hirschfield GM et al.: A placebo-controlled randomised trial of budesonide for PBC following an insufficient response to UDCA. J Hepatol 2021; 74(2): 321-9 12 Corpechot C et al.: Long-term impact of preventive UDCA therapy after transplantation for primary biliary cholangitis. J Hepatol 2020; 73(3): 559-65 13 Eaton JE et al.: Liver injury in patients with cholestatic liver disease treated with obeticholic acid. Hepatology 2020; 71(4): 1511-4 14 John BV et al.: Impact of obeticholic acid exposure on decompensation and mortality in primary biliary cholangitis and cirrhosis. Hepatol Commun 2021; doi.org/10.1002/hep4.1720
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