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Weizensensitivitäten: Zöliakie, Weizenallergie, ATI-Sensitivität

<p class="article-intro">Erst in jüngster Zeit konnte das Spektrum weizenbedingter Erkrankungen besser definiert werden. In Anbetracht einer großen Verunsicherung in der Öffentlichkeit, aber auch unter Fachleuten fehlte bislang eine klare klinische und evidenzbasierte Definition. Selbst unter Experten, die sich seit 2012 alle 1–2 Jahre treffen und die neuesten Erkenntnisse in Konsensus-Reports zusammenfassen, beginnen sich erst langsam die unterschiedlichen weizenbedingten Krankheiten zu konkretisieren.<sup>1–3</sup></p> <hr /> <p class="article-content"><p>Die enorme Tragweite von weizenassoziierten Erkrankungen f&uuml;r die Betroffenen und die Gesundheitspolitik in den weizenkonsumierenden Gesellschaften wird erst jetzt klar. Der Konsum von Weizen (und &auml;hnlichen, glutenhaltigen Getreidesorten) kann entz&uuml;ndliche Erkrankungen hervorrufen oder beg&uuml;nstigen:<sup>4</sup></p> <ol> <li>Z&ouml;liakie (Pr&auml;valenz ca. 1 % )</li> <li>(atypische) Weizenallergie (Pr&auml;valenz ca. 4 % )</li> <li>ATI-Sensitivit&auml;t (Pr&auml;valenz 5&ndash;10 % )</li> </ol> <p>Mit Ausnahme der Z&ouml;liakie sind endoskopisch- histologisch im (D&uuml;nn-)Darm der Patienten mit Weizenallergie oder ATISensitivit&auml;t bestenfalls nur geringe, unspezifische Entz&uuml;ndungszeichen zu sehen (insbesondere leicht vermehrte intraepitheliale Lymphozyten). Dagegen liegt der sogenannten FODMAP-Intoleranz, d.h. einer Unvertr&auml;glichkeit von fermentierbaren Oligo-, Di-, Monosacchariden und Polyolen, keine Entz&uuml;ndung zugrunde. FODMAPs werden nur unvollst&auml;ndig durch den Darm aufgenommen und f&uuml;hren zu bakterieller Verg&auml;rung im Darm, meist mit Bl&auml;hungen, z.T. mit Bauchschmerzen oder Durchf&auml;llen. Bestimmte pflanzliche Nahrungsmittel, z.B. Bohnen oder frische Kirschen, aber auch manche Weizensorten, enthalten gr&ouml;&szlig;ere Anteile an FODMAPs. Diese sind aber nicht sch&auml;dlich, sondern f&ouml;rdern im Gegenteil eine gesunde Darmflora. Sie sollten deshalb nicht radikal aus der Ern&auml;hrung gestrichen werden. <sup>2, 5</sup></p> <h2>Z&ouml;liakie</h2> <p>Die Z&ouml;liakie wird durch den Verzehr glutenhaltiger Getreide (Weizen, Dinkel, Einkorn, Emmer, Roggen, Gerste) hervorgerufen. Mit einer Pr&auml;valenz um 1 % ist sie die h&auml;ufigste und immunologisch am besten charakterisierte nicht infekti&ouml;se chronisch entz&uuml;ndliche Erkrankung des Darms weltweit.<sup>6&ndash;9</sup> Sie kann sich in jedem Alter manifestieren, klassisch mit Bauchschmerzen, Diarrh&ouml; oder Gewichtsverlust, &uuml;berwiegend jedoch mit indirekten Auswirkungen einer Malabsorption (An&auml;mie, Osteoporose) oder mit assoziierten Autoimmunerkrankungen, z.B. der Bauchspeicheldr&uuml;se (Typ-1-Diabetes), der Schilddr&uuml;se oder der Haut (Dermatitis herpetiformis).<sup>8, 10</sup> Die Pathogenese der Z&ouml;liakie ist gut untersucht. So wird das Speicherprotein Gluten nur unvollst&auml;ndig verdaut und aktiviert in der D&uuml;nndarmschleimhaut der Patienten entz&uuml;ndliche T-Zellen, die zu einer Atrophie der resorptiven Villi f&uuml;hren. Voraussetzung hierf&uuml;r ist das Vorliegen einer genetischen Pr&auml;disposition (HLA-DQ2 oder -DQ8) auf Antigen- pr&auml;sentierenden Immunzellen. Ferner verst&auml;rkt das im Darm freigesetzte Autoantigen und Enzym Gewebetransglutaminase (TG2) durch Deamidierung die Immunogenit&auml;t des Glutens. Der Antik&ouml;rpertest gegen TG2 ist einer der besten diagnostischen Tests in der Medizin und sichert gemeinsam mit der charakteristischen D&uuml;nndarmhistologie die Diagnose. Trotzdem bleibt die Erkrankung bei 80&ndash; 90 % der Betroffenen unerkannt. Die unbehandelte Z&ouml;liakie kann zu schweren Komplikationen f&uuml;hren. Hierzu geh&ouml;ren die Folgen der Malabsorption, Malignome (refrakt&auml;re Z&ouml;liakie Typ 2, intestinales T-Zell-Lymphom) und wahrscheinlich die Bahnung von Autoimmunerkrankungen. Die Therapie, eine strikt glutenfreie Di&auml;t, ist schwierig und nicht immer wirksam. Alternative, unterst&uuml;tzende pharmakologische Therapien werden dringend ben&ouml;tigt und sind derzeit in Entwicklung, so z.B. in einer 2018 beginnenden Phase-IIStudie mit einem oralen Hemmstoff der TG2.<sup>6, 8, 9</sup></p> <h2>Weizenallergie</h2> <p>Eine Nahrungsmittelallergie gegen Weizenproteine ist wesentlich verbreiteter als bisher vermutet, jedoch in einer atypischen Form (IgE- und Hauttest-negativ), mit verz&ouml;gerten gastrointestinalen Symptomen, aber einer Sofortreaktion im D&uuml;nndarm nach Weizenprovokation und konfokaler Endomikroskopie. Dies betrifft insbesondere Patienten mit der Diagnose Reizdarm, von denen ca. zwei Drittel nahrungsmittelabh&auml;ngige Beschwerden berichten. Nach unseren Befunden reagieren bis zu 50 % dieser Patienten auf Weizen und weitere 20&ndash;30 % auf Milch, Soja oder Hefe. Die Beschwerden bessern sich drastisch und langfristig unter Ausschluss der identifizierten allergenen (im Fall der Weizenallergie glutenhaltigen) Nahrungsmittel.<sup>11</sup> Wir konnten diese Daten k&uuml;rzlich an einer wesentlich gr&ouml;&szlig;eren Anzahl von Reizdarmpatienten best&auml;tigen.<sup>12</sup></p> <h2>ATI-Sensitivit&auml;t</h2> <p>Die dritte Kategorie der (f&auml;lschlicherweise als &bdquo;glutenbedingt&ldquo; bezeichneten) entz&uuml;ndlichen Erkrankungen durch Weizen und verwandte Getreide, die immer auch glutenhaltig sind, ist die ATI-Sensitivit&auml;t. ATI (Amylase-Trypsin-Inhibitoren) sind eine Familie von Nicht-Gluten-Weizenproteinen, die die Reifung des Getreidekorns regulieren. Sie sind resistent gegen den Abbau durch intestinale Proteasen und aktivieren den LPS-Rezeptor (TLR4) auf myeloiden Zellen des Darms (dendritische Zellen, Makrophagen). Die so aktivierten Zellen verlassen den Darm und wirken kostimulatorisch auf prim&auml;re periphere chronisch entz&uuml;ndliche Prozesse. Die Symptomatik ist, bis auf eine wahrscheinliche Verst&auml;rkung chronisch entz&uuml;ndlicher Darmerkrankungen, prim&auml;r extraintestinal, mit einer Verst&auml;rkung von autoimmunen und entz&uuml;ndlichen metabolischen Erkrankungen. Zu den Erkrankungen, f&uuml;r die wir eine derartige Verst&auml;rkung in Krankheitsmodellen bereits nachgewiesen haben, geh&ouml;ren chronisch entz&uuml;ndliche Darmerkrankungen, die multiple Sklerose, der systemische Lupus erythematodes, Typ-2-Diabetes, die Fettleberhepatitis, die entz&uuml;ndliche Leber- und Lungenfibrose sowie inhalative (Pollen-)Allergien und Nahrungsmittelallergien.<sup>13&ndash;18</sup><br /><br /> Der Effekt ist dosisabh&auml;ngig und Patienten m&uuml;ssen den Konsum ATI-haltiger (= glutenhaltiger) Produkte auf 5&ndash;10 % der Norm reduzieren. Mehrere klinische Studien an Patienten mit definierten chronischen und autoimmunen Erkrankungen laufen derzeit.</p> <h2>Fazit</h2> <p>Die Differenzierung der weizenbedingten Erkrankungen ist bis auf die eindeutige Diagnostik der aktiven Z&ouml;liakie durch positive Autoantik&ouml;rper gegen Transglutaminase 2 und eine wegweisende Histologie schwierig. Die Tabelle gibt jedoch Hinweise auf prim&auml;r klinische Zeichen und Symptome, welche die Diagnose nahelegen. Letztlich erfordert die korrekte Diagnose nicht nur das je aktuelle Fachwissen, sondern auch ausreichend Zeit f&uuml;r eine exakte Anamnese und F&uuml;hrung des Patienten, verbunden mit einer l&auml;nger dauernden Kommunikation. Jedoch sind Serumtests und endoskopische Verfahren in Entwicklung, die eine Diagnosestellung in Zukunft erleichtern sollen.<br /><br /><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Infekt_1801_Weblinks_s33_tab.jpg" alt="" width="1419" height="1234" /></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Catassi C et al.: Nutrients 2013; 5: 3839-53 <strong>2</strong> Catassi C et al.: Nutrients 2015; 7: 4966-77 <strong>3</strong> Catassi C et al: Nutrients 2017; 9 (11): E1268 <strong>4</strong> Schuppan D, Gisbert-Schuppan K: Heidelberg: Springer Medizin, 2018 <strong>5</strong> Schuppan D et al.: Dig Dis 2015; 33: 260-3 <strong>6</strong> Schuppan D et al.: Gastroenterology 2009; 137: 1912-33 <strong>7</strong> Lundin KE, Sollid LM: Curr Opin Gastroenterol 2014; 30: 154-62 <strong>8</strong> Schuppan D: [Celiac disease: Pathogenesis, clinics, epidemiology, diagnostics, therapy.] Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 2016; 59: 827-35 <strong>9</strong> Stein J et al.: Z Gastroenterol 2018; 56: 151-64 <strong>10</strong> Kahaly GJ, Schuppan D: Dig Dis 2015; 33: 155-61 <strong>11</strong> Fritscher-Ravens A et al.: Gastroenterology 2014; 147: 1012-20 <strong>12</strong> Moesinger M et al.: Gastroenterology 2017; 152: S641 (Abstract) <strong>13</strong> Ashfaq-Khan M et al.: J Hepatol 2017; 66; S600-01 (Abstract) <strong>14</strong> Bellinghausen I et al.: J Allergy Clin Immunol 2018 [in print] <strong>15</strong> Zevallos VF et al.: Gastroenterology 2015; 148: S388 (Abstract) <strong>16</strong> Zevallos VF et al.: Gastroenterology 2016; 150: S900 (Abstract) <strong>17</strong> Zevallos VF et al.: Gastroenterology 2017; 152: 1100-3 <strong>18</strong> Zevallos VF et al.: Eur J Clin Nutr 2018 [in print]</p> </div> </p>
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