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Jahresversammlung der SGED 2019

Chrononutrition: Essen mit Blick auf die Uhr

<p class="article-intro">Zu den aktuell populärsten Diäten gehört das intermittierende oder alterniernde Fasten. Mehr oder weniger berühmte Leute schwören darauf und preisen in sozialen Medien und in der Laienpresse die Vorteile dieser Ernährungsform an. Doch gibt es auch wissenschaftliche Belege für diese Vorteile, kann der Stoffwechsel durch Essen mit Blick auf die Uhr wirklich günstig beeinflusst und das Gewicht reduziert werden? Einen Einblick in den Stand des aktuellen Wissens zu diesen Fragen gab an der Jahresversammlung der SGED Dr. med. Tinh-Hai Collet, Oberarzt an der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel am Universitätsspital Lausanne (CHUV), der sich in den letzten Jahren intensiv mit dem Einfluss der Ernährung und des Tag-Nacht-Rhythmus auf die Gesundheit beschäftigt hat.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Der Chrononutrition liegt die Hypothese zugrunde, dass unsere modernen Essgewohnheiten zu einer Desynchronisierung von Ern&auml;hrungsrhythmus und innerem zirkadianem Rhythmus f&uuml;hrt. Es wird angenommen, dass diese Desynchronisierung einen negativen Einfluss auf den Stoffwechsel hat und zu &Uuml;bergewicht und der Entwicklung eines metabolischen Syndroms f&uuml;hren kann. Dies soll, so die Verfechter der Chronodi&auml;t, durch das Einhalten von unterschiedlich langen Fastenperioden verhindert werden k&ouml;nnen. Zu den h&auml;ufig propagierten Formen geh&ouml;ren das intermittierende Fasten, bei dem w&auml;hrend 12&ndash;16 Stunden pro Tag gefastet wird (z.B. 16:8-Fasten), das alternierende Fasten, bei dem abwechslungsweise ein Tag gefastet und ein Tag normal gegessen wird, sowie das periodische Fasten mit zwei Fastentagen pro Woche (z.B. 5:2-Fasten).<sup>1</sup><br /> F&uuml;r die verschiedenen Di&auml;tformen gibt es jedoch keine einheitliche Definition. Unterschiede gibt es auch in Bezug auf die Kalorienrestriktion, die bei einigen Teil des Konzepts ist, w&auml;hrend es bei anderen Formen indirekt zu einer geringeren Kalorienzufuhr kommen kann. Weitere Punkte, welche die Beurteilung und die Vergleichbarkeit von Studien erschweren, sind die oft kurze Studiendauer, unterschiedliche Populationen sowie die schlechte Reproduzierbarkeit.</p> <h2>Chrononutrition bei Typ-2-Diabetes: m&ouml;glicher Nutzen, aber auch Risiken</h2> <p>Zu einer positiven Einsch&auml;tzung der Chrononutrition kommen Furmli et al. in einer Kasuistik mit drei Patienten mit langj&auml;hrigem Typ-2-Diabetes.<sup>2</sup> Die antidiabetische Therapie umfasste Metformin und Insulin, ein Patient erhielt Canagliflozin. Die Patienten wurden instruiert, w&auml;hrend 7&ndash;11 Monaten, jeden 2. Tag zu fasten. Bei allen sank das HbA<sub>1c</sub> unter 7 % , sodass Insulin und Metformin abgesetzt werden konnten, und es war eine Reduktion des Gewichts um 10&ndash;18 % und des Taillenumfangs um 10&ndash;22 % zu verzeichnen.<br /> Corley et al. haben in ihrer Studie hingegen beobachtet, dass alternierendes Fasten bei Typ-2-Diabetikern mit einem erh&ouml;hten Hypoglyk&auml;mierisiko an den Fastentagen einhergeht, sogar dann, wenn die Dosis der antidiabetischen Therapie reduziert wird.<sup>3</sup></p> <p>Einen etwas anderen Ansatz verfolgte eine israelische Gruppe: Sie verglich bei Typ-2-Diabetikern die Einnahme von drei Mahlzeiten pro Tag (3M-Di&auml;t) mit der Einnahme von sechs Mahlzeiten pro Tag (6M-Di&auml;t), wobei die Gesamtkalorienzufuhr in beiden Gruppen identisch war.<sup>4</sup> Nach 12 Wochen war es unter der 3M-, nicht aber der 6M-Di&auml;t zu einer signifikanten Abnahme von Gewicht (&ndash;5,4&plusmn;0,9 kg; p&lt;0,01), HbA<sub>1c</sub> (&ndash;1,2 % ; p&lt;0,0001), N&uuml;chtern-, Tages- und Nacht-Blutzucker sowie der Zeit in Hyperglyk&auml;mie gekommen. Dies f&uuml;hrte zu einer Reduktion der Insulindosis um 26&plusmn;7 Einheiten. Gleichzeitig beobachteten die Autoren eine Hochregulation der mit dem zirkadianen Rhythmus assoziierten <em>Clock</em>-Gene. F&uuml;r Diabetiker scheint es also von Vorteil zu sein, nur drei, statt sechs Mahlzeiten pro Tag zu sich zu nehmen.</p> <h2>Zeitlich begrenzte Nahrungsaufnahme: potenziell g&uuml;nstiger Einfluss auf Stoffwechsel</h2> <p>Ein Problem des alternierenden Fastens ist die Adh&auml;renz. Die Drop-out-Rate ist in den meisten Studien recht hoch. Intermittierendes Fasten oder zeitlich begrenzte Nahrungsaufnahme (&laquo;time restricted feeding &raquo;, TRF), wie diese Ern&auml;hrungsform in wissenschaftlichen Arbeiten genannt wird, ist weniger einschneidend und deshalb leichter einzuhalten.<br /> &laquo;Eine der wichtigsten und wegweisenden Studien zur TRF ist diejenige von Hatori et al. aus dem Jahr 2012&raquo;, so Collet. Ziel der Studie war es herauszufinden, ob Adipositas und metabolische Erkrankungen allein auf eine fettreiche Ern&auml;hrung zur&uuml;ckzuf&uuml;hren sind oder ob auch die St&ouml;rung des metabolischen Rhythmus (Desynchronisierung) einen Einfluss hat.<sup>5</sup> Stellt man M&auml;usen fettreiches Futter ad libitum zur Verf&uuml;gung, fressen sie h&auml;ufig rund um die Uhr und st&ouml;ren damit den nat&uuml;rlichen Fressrhythmus. Die Forscher teilten die M&auml;use in vier Gruppen ein und boten ihnen entweder ausgewogene Nahrung ad libitum oder nur w&auml;hrend 8 Stunden pro Tag (TRF) resp. fettreiches Futter ad libitum oder als TRF an. Die Gesamtkalorienzufuhr war in allen vier Gruppen gleich hoch. Trotzdem legten nur die Tiere, die ad libitum fettreiche Nahrung zu Verf&uuml;gung hatten, deutlich an Gewicht zu. Anders die M&auml;use, die das fettreiche Futter nur w&auml;hrend 8 Stunden erhielten: Sie waren gesch&uuml;tzt gegen Gewichtszunahme, Hyperinsulin&auml;mie, Leberverfettung und Inflammation. &laquo;Diese Studie st&ouml;sst das alte Dogma um, das besagt &lsaquo;eine Kalorie ist eine Kalorie&rsaquo;&raquo;, stellte Collet fest.<br /> Forscher aus der gleichen Gruppe f&uuml;hrten anschliessend eine Pilotstudie mit acht erwachsenen Probanden durch und forderten sie auf, die Nahrungsaufnahme auf eine Zeitspanne von 10 Stunden pro Tag zu beschr&auml;nken (zuvor betrug die Zeitspanne im Schnitt 14,5 Stunden).<sup>6</sup> Anweisungen hinsichtlich der Menge und der Zusammensetzung der Nahrung oder der Kalorien wurden keine gegeben. Anl&auml;sslich der Kontrolle nach 16 Wochen hatten die Probanden durchschnittlich 3,27 kg (3,4 % des K&ouml;rpergewichts) abgenommen und konnten das Gewicht bis zur 1-Jahres-Kontrolle halten.<br /> Zu einem &auml;hnlichen Resultat kam eine Studie mit 23 &uuml;bergewichtigen Erwachsenen, die allein durch Begrenzung der Nahrungsaufnahme auf 8 Stunden (zwischen 10:00 und 18:00 h) innerhalb von 12 Wochen eine Abnahme des Gewichts um durchschnittlich 2,6 % und des systolischen Blutdrucks um 7 mmHg verzeichnen konnten.<sup>7</sup><br /> Noch einen Schritt weiter gingen Sutton et al. in ihrer Studie mit &uuml;bergewichtigen M&auml;nnern mit Pr&auml;diabetes. Es stellte sich heraus, dass die Beschr&auml;nkung der Nahrungsaufnahme auf 6 Stunden mit der sp&auml;testen Mahlzeit vor 15 Uhr (early TRF) im Vergleich zu einer Verteilung der Mahlzeiten &uuml;ber eine Zeitspanne von 12 Stunden zwar zu keinem Gewichtsverlust, aber zu einer Verbesserung der Insulinsensitivit&auml;t und einer Abnahme von Blutdruck, oxidativem Stress und Appetit am Abend f&uuml;hrte.<sup>8</sup> &laquo;M&ouml;glicherweise kommt es also auch darauf an, zu welcher Tageszeit das Fenster, in dem gegessen wird, angesetzt wird. Dabei scheint es g&uuml;nstiger zu sein, das Fenster fr&uuml;h oder in der Mitte des Tages anzusetzen, als am Abend oder gar in der Nacht&raquo;, so Collet.</p> <h2>Metabolisches Syndrom = zirkadianes Syndrom?</h2> <p>Man geht heute davon aus, dass das zirkadiane System (innere Uhr) einen Einfluss auf die meisten Abl&auml;ufe im K&ouml;rper hat. Der Tagesrhythmus wird von der inneren Uhr (&laquo;master clock&raquo;) im Nucleus suprachiasmaticus im Hypothalamus geregelt.<sup>9</sup> Zus&auml;tzlich haben aber auch alle peripheren Gewebe eine eigene innere Uhr, die von der &laquo;master clock&raquo; kontrolliert und synchronisiert wird.<sup>9</sup> Neben dem Licht haben m&ouml;glicherweise auch die Temperatur, Ern&auml;hrungsgewohnheiten, das Mikrobiom und anderes mehr einen Einfluss auf die innere Uhr und damit auf den zirkadianen Rhythmus.<sup>9</sup> Man nimmt an, dass St&ouml;rungen des zirkadianen Rhythmus bei chronischen Krankheiten wie Diabetes mellitus und kardiovaskul&auml;ren Erkrankungen eine Rolle spielen. &laquo;Zimmet und Alberti, zwei Vorv&auml;ter des metabolischen Syndroms, pl&auml;dieren in einem im Mai 2019 erschienenen Artikel sogar daf&uuml;r, das metabolische Syndrom neu als zirkadianes Syndrom zu bezeichnen &raquo;, so Collet.<sup>10</sup></p> <h2>Studie SwissChronoFood</h2> <p>Zum Schluss stellte Collet noch kurz die Studie SwissChronoFood vor, die derzeit an der Klinik f&uuml;r Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel am CHUV in Lausanne und an der Universit&auml;tsklinik und Poliklinik f&uuml;r Allgemeine Innere Medizin am Inselspital Bern durchgef&uuml;hrt wird.<sup>11</sup> &laquo;Die Ziele unserer Studie sind, einerseits die Essgewohnheiten der Schweizer Bev&ouml;lkerung zu erfassen und andererseits zu untersuchen, ob das metabolische Syndrom durch zeitlich limitierte Nahrungsaufnahme positiv beeinflusst werden kann&raquo;, erkl&auml;rte Collet. W&auml;hrend der 4-w&ouml;chigen Beobachtungsphase dokumentierten die Teilnehmer (203 Erwachsene und 17 Teenager) mithilfe einer Smartphone-App ihre Ern&auml;hrung. Danach wurde entschieden, welche Probanden f&uuml;r die Interventionsphase mit TRF, die momentan in Gang ist, infrage kommen. Voraussetzung daf&uuml;r war, dass die Probanden normalerweise w&auml;hrend mehr als 14 Stunden pro Tag Nahrung zu sich nahmen und mindestens eine Komponente des metabolischen Syndroms aufwiesen. Anschliessend an die 6-monatige Interventionsphase ist ein Langzeit-Follow-up geplant.</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: Jahresversammlung der Schweizerischen Gesellschaft für Endokrinologie und Diabetologie, 14. und 15. November 2019, Bern </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Anton SD et al.: Flipping the metabolic switch: understanding and applying the health benefits of fasting. Obesity 2018; 26: 254-68 <strong>2</strong> Furmli et al: Therapeutic use of intermittent fasting for people with type 2 diabetes as an alternative to insulin. BMJ Case Rep 2018 [epub ahead of print] <strong>3</strong> Corley BT et al.: Intermittent fasting in type 2 diabetes mellitus and the risk of hypoglycaemia: a randomized controlled trial Diabetic Med 2018; 35: 588-94 <strong>4</strong> Jakubowicz D et al.: Reduction in glycated hemoglobin and daily insulin dose alongside circadian clock upregulation in patients with type 2 diabetes consuming a three-meal diet: a randomized clinical trial. Diab Care 2019; 42: 2171-80 <strong>5</strong> Hatori M et al: Time-restricted feeding without reducing caloric intake prevents metabolic diseases in mice fed a high-fat diet. Cell Metab 2012; 15: 848-60 <strong>6</strong> Gill S, Panda S: A smartphone app reveals erratic diurnal eating patterns in humans that can be modulated for health benefits. Cell Metab 2015; 22: 789-98 <strong>7</strong> Gabel K et al.: Effects of 8-hour time restricted feeding on body weight and metabolic disease risk factors in obese adults: a pilot study. Nutr Health Aging 2018; 4: 345-53 <strong>8</strong> Sutton EF: Early time-restricted feeding improves insulin sensitivity, blood pressure, and oxidative stress even without weight loss in men with prediabetes. Cell Metab 2018; 27: 1212-21.e3 <strong>9</strong> Saini C et al.: Human peripheral clocks: applications for studying circadian phenotypes in physiology and pathophysiology. Front Neurol 2015; 6: 95 <strong>10</strong> Zimmet P et al.: The circadian syndrome: is the metabolic syndrome and much more! J Intern Med 2019; 286: 181-91 <strong>11</strong> https://swisschronofood.ch</p> </div> </p>
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