© magicmine iStockphoto

Eine neue Generation der Lipidmessung

Ceramide – neue Prädiktoren für das kardiovaskuläre Risiko

<p class="article-intro">Im Rahmen des letztjährigen ESC-Kongresses in Paris wurden die Vorteile der Bestimmung von Ceramiden vorgestellt. Zwei Arbeiten mit einer Vorarlberger Patientenkohorte konnten dabei die Bedeutung dieser Lipide für die Risikoanalyse bei Patienten mit kardiovaskulären Vorerkrankungen aufzeigen.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Ceramide sind wachsartige Lipidmolek&uuml;le und stehen in Verbindung mit der Entstehung koronarer Plaques.</li> <li>Die individuelle Absch&auml;tzung des Risikos f&uuml;r zuk&uuml;nftige kardiovaskul&auml;re Ereignisse ist schwierig und etablierte Marker sind in ihrer Aussagekraft oft limitiert.</li> <li>Im Blut zirkulierende Ceramide und der auf ihnen beruhende CERT(Coronary Event Risk Test)-Index eignen sich f&uuml;r die Vorhersage des kardiovaskul&auml;ren Risikos.</li> </ul> </div> <p>Ceramide sind, ihrem Namen entsprechend, wachsartige Lipidmolek&uuml;le, die sich aus Sphingosinen und Fetts&auml;uren zusammensetzen. Ihre biologische Bedeutung basiert vor allem auf zwei Aufgaben: Zum einen sind sie ein zentraler Baustein der Sphingomyelin-Lipid-Doppelschicht unserer Zellmembranen und damit ein wesentlicher struktureller Bestandteil eukaryotischer Zellen und modulieren ihre physikalischen Eigenschaften. Zum anderen fungieren sie als klassische bioaktive Molek&uuml;le in einer breiten Palette molekularer und physiologischer Prozesse. In Abh&auml;ngigkeit von ihrer Molek&uuml;lstruktur und L&auml;nge beeinflussen sie unterschiedliche Zellfunktionen, wie zum Beispiel Endo- und Exozytose, Proliferation, Apoptose und inflammatorische Prozesse.<br /> Gewisse Ceramide spielen eine Rolle bei der Aufnahme von Lipiden in die Endothelzelle und stehen in Verbindung mit der Entstehung koronarer Plaques. Man weiss mittlerweile, dass an Plaques anhaftende LDL-Partikel verglichen mit nicht aggregierten LDL-Partikeln eine 10- bis 50-fache Konzentration bestimmter Ceramide enthalten.<sup>1</sup> Diese Ceramide finden sich auch frei im Serum und k&ouml;nnen durch Fl&uuml;ssigchromatografie mit Massenspektrometrie- Kopplung (LC&ndash;MS/MS) bestimmt und genau unterschieden werden.<sup>2</sup> Einige Ceramide konnten in der Vergangenheit mit unterschiedlichen Erkrankungen in Verbindung gebracht werden, besonders mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und dem Auftreten kardiovaskul&auml;rer Ereignisse.<sup>3</sup><br /> Wichtig zu wissen ist, dass Ceramide nicht gleich Ceramide sind. Chemisch unterscheidet man anhand der Zahl ihrer Kohlenstoffatome (z.B. 16 C-Atome vs. 24 C-Atome) langkettige und sehr langkettigen Spezies sowie ges&auml;ttigte und unges&auml;ttigte Verbindungen. Biologisch lassen sich diese in sch&auml;dliche, mit einem erh&ouml;hten kardiovaskul&auml;ren Risiko behaftete Spezies und eher neutrale oder benigne Formen unterteilen. Gegenw&auml;rtig konzentriert sich die Forschung nur auf einen kleinen Satz risikoassoziierter Ceramide &ndash; Cer(d18:1/16:0), Cer(d18:1/18:0) und Cer(d18:1/24:1), die oft zusammen mit einer benignen Form &ndash; Cer(d18:1/24:0) &ndash; ins Verh&auml;ltnis gesetzt werden.<sup>4</sup><br /> In diesem Kontext ist festzustellen, dass Ceramide einen bekannten Risikomarker f&uuml;r kardiovaskul&auml;re Ereignisse &uuml;bertreffen, n&auml;mlich LDL-Cholesterin.<sup>5, 6</sup> LDL-C stellt einen entscheidenden Risikofaktor f&uuml;r die Entstehung der Atherosklerose dar, ist jedoch als Risikomarker f&uuml;r zuk&uuml;nftige Ereignisse und die Absch&auml;tzung des individuellen &laquo;Patientenrisikos&raquo; nicht immer optimal geeignet.<sup>7</sup> Beinahe die H&auml;lfte der Patienten, die wegen einer koronaren Herzkrankheit (KHK) ins Spital &uuml;berwiesen werden, haben ein LDL-C von unter 100 mg/dl (2,59mmol/l), und nur weniger als ein Viertel haben ein LDL-C von &uuml;ber 130mg/dl (3,36mmol/l).<sup>8</sup> Generell gestaltet sich die individuelle Absch&auml;tzung des Risikos f&uuml;r zuk&uuml;nftige kardiovaskul&auml;re Ereignisse schwierig. Sie ist jedoch wichtig, um den einzelnen Patienten spezifisch behandeln zu k&ouml;nnen. Dies gilt insbesondere f&uuml;r Patienten mit einer bestehenden KHK, aber auch f&uuml;r diejenigen, bei denen das Ausmass der koronaren Atherosklerose unbekannt ist. Ein spezielles Augenmerk gilt auch Patienten mit einer besonderen Art der Atherosklerose, der peripheren arteriellen Verschlusserkrankung (PAVK). Man weiss, dass in dieser Kohorte ein ausgesprochen hohes Risiko f&uuml;r kardiovaskul&auml;re Ereignisse besteht, vor allem, wenn zus&auml;tzlich noch ein Diabetes mellitus vorliegt.</p> <h2>Forschung aus Finnland und Vorarlberg</h2> <p>Die Entwicklung der Ceramidbestimmung aus dem Blut und die kombinierte Verwendung von risikobehafteten und gutartigen Ceramid-Spezies werden massgeblich von der finnischen Firma ZORA Biosciences vorangetrieben.<sup>9</sup> Diese steht in enger Kooperation mit dem am Landeskrankenhaus Feldkirch und am Campus V in Dornbirn beheimateten Vorarlberg Institute for Vascular Investigation and Treatment (VIVIT), das sich seit 1997 intensiv mit der Erforschung und Therapie von Stoffwechsel- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen befasst. Entscheidend f&uuml;r den wissenschaftlichen Erfolg aufseiten des VIVIT ist ein gut funktionierendes und f&auml;cher&uuml;bergreifendes Team von ca. 20 Life-Science- Spezialisten, die ihr Wissen aus den Bereichen Medizin und Naturwissenschaft vernetzt haben und auf den Gebieten der Diabetologie, Kardiologie, Nephrologie, Onkologie, Genetik und Molekularbiologie t&auml;tig sind. Ann&auml;hernd 300 wissenschaftliche Publikationen des VIVIT haben bereits Eingang in Wissenschaftsjournale gefunden und belegen die Bandbreite der Aktivit&auml;ten, ausgehend von der Grundlagenforschung bis hin zur praktischen Anwendung in der Klinik. Mit &uuml;ber 1200 Beitr&auml;gen bei nationalen und internationalen Kongressen ist das VIVIT weit &uuml;ber die Grenzen &Ouml;sterreichs bekannt und seit vielen Jahren Teil des globalen Wissenschaftsgeschehens.</p> <h2>Ceramide &ndash; Pr&auml;diktoren f&uuml;r kardiovaskul&auml;re Ereignisse und Mortalit&auml;t</h2> <p>Ob Ceramide auch in Verbindung mit kardiovaskul&auml;ren Todesf&auml;llen als Pr&auml;diktor dienen k&ouml;nnen, wurde k&uuml;rzlich in einer Studie am VIVIT untersucht. In dieser am ESC(European Society of Cardiology)- Kongress in Paris pr&auml;sentierten Arbeit wurden Ceramid-Konzentrationen von &uuml;ber 1000 Patienten mit einer bereits bestehenden kardiovaskul&auml;ren Erkrankung gemessen und kardiovaskul&auml;re Todesf&auml;lle &uuml;ber einen Zeitraum von bis zu zw&ouml;lf Jahren erfasst. Aus den Ceramid-Daten wurde ein Risikoindex berechnet, der sich auf das Verh&auml;ltnis von vier bestimmten Ceramiden &ndash; Cer(d18:1/16:0), Cer(d18:1/18:0), Cer(d18:1/24:0) und Cer(d18:1/24:1) &ndash; st&uuml;tzt. Dieser Index, der als &laquo;ceramidebased coronary event risk test&raquo; (CERT) bezeichnet wird, erlaubt es, Patienten in vier Risikogruppen (von niedrig bis sehr hoch) einzuteilen. Das Ergebnis zeigt, dass diese Einteilung eine sehr pr&auml;zise Vorhersage f&uuml;r die kardiovaskul&auml;re Mortalit&auml;t dieser Hochrisikopatientengruppe liefert (Abb. 1).<sup>10</sup><br /> Circa 30 % dieser Patienten litten zus&auml;tzlich an einem Diabetes mellitus Typ 2. Die Studie zeigte, dass die Vorhersage der Mortalit&auml;t sowohl bei den Diabetespatienten als auch bei Patienten ohne Diabetes hoch signifikant war. Erw&auml;hnenswert ist dar&uuml;ber hinaus, dass die &laquo;pr&auml;diktive Kraft&raquo; der Ceramidmessung ebenfalls unabh&auml;ngig war von anderen etablierten Risikofaktoren wie Alter, m&auml;nnlichem Geschlecht, BMI, Rauchen, LDL-C, HDL-C oder Bluthochdruck. Auch unter Ber&uuml;cksichtigung der individuellen medikament&ouml;sen Therapie, wie etwa der Einnahme von Statinen, war das Ergebnis der Studie robust und hoch signifikant.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Leading Opinions_Innere_2001_Weblinks_lo_innere_2001_s43_abb1_leihrer.jpg" alt="" width="550" height="463" /></p> <h2>Ceramide als Diabetes&auml;quivalente f&uuml;r die Risikoanalyse bei PAVKPatienten</h2> <p>Eine weitere, ebenfalls am ESC-Kongress pr&auml;sentierte Arbeit r&uuml;ckte Patienten mit PAVK in den Mittelpunkt. Einschlusskriterien f&uuml;r diese Studie waren eine prim&auml;re Manifestation von isch&auml;mischen Schmerzen in den unteren Extremit&auml;ten und die Dokumentation einer PAVK durch Doppler-Ultraschall. Charakteristisch f&uuml;r diese 380 PAVK-Patienten, haupts&auml;chlich in Vorarlberg, aber auch in der angrenzenden Schweiz wohnhaft, war zum einen der hohe Anteil an Rauchern bzw. Ex-Rauchern (83 % ), zum anderen eine hohe Pr&auml;valenz von Bluthochdruck (85 % ) und Diabetes mellitus Typ 2 (42 % ). Hier zeigte sich, dass Ceramide und Diabetes mellitus Typ 2 zwei voneinander unabh&auml;ngige Risikofaktoren waren, wenn es um die Vorhersage der kardiovaskul&auml;ren Ereignisse &ndash; fatale wie nicht fatale &ndash; ging.<sup>11</sup></p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Zusammenfassend l&auml;sst sich feststellen, dass Ceramide eine neue Klasse von Risikopr&auml;diktoren sind. Mittels Ceramidbestimmung im Blut lassen sich bereits heute Patienten mit einem erh&ouml;hten kardiovaskul&auml;ren Risiko zuverl&auml;ssig identifizieren. Die Kombination aus verschiedenen Ceramiden, wie sie im CERT-Index Anwendung findet, eignet sich f&uuml;r die Vorhersage von kardiovaskul&auml;ren Ereignissen und der kardiovaskul&auml;ren Mortalit&auml;t von Patienten unabh&auml;ngig von anderen Risikofaktoren und unabh&auml;ngig davon, ob sie gleichzeitig an Diabetes erkrankt sind.</p> </div></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Schissel SL et al.: J Clin Invest 1996; 98(6): 1455-64 <strong>2</strong> Kauhanen D et al.: Anal Bioanal Chem 2016; 408(13): 3475-483 <strong>3</strong> Cheng JM et al.: Atherosclerosis 2015; 243(2): 560-66 <strong>4</strong> Tippetts TS et al.: J Lipid Res 2018; 59(9): 1549 <strong>5</strong> Olsson AG et al.: Eur Heart J 2005; 26(9): 890-6 <strong>6</strong> Puri R et al.: Circulation 2013; 128(22): 2395-403 <strong>7</strong> Laaksonen R et al.: Eur Heart J 2016; 37(25): 1967-76 <strong>8</strong> Sachdeva A et al.: Am Heart J 2009; 157(1): 111-7.e2 <strong>9</strong> Zora Biosciences Oy: https://www.zora.fi/ <strong>10</strong> Leiherer A et al.: Eur Heart J 2019; 40(Supplement_1). doi:10.1093/eurheartj/ehz746. 0170 <strong>11</strong> Leiherer A et al.: Eur Heart J 2019; 40(Supplement_ 1). doi:10.1093/eurheartj/ehz745.0890</p> </div> </p>
Back to top