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Pro und kontra Pille bei Jugendlichen

Hormonelle Ovulationshemmer sind dafür konzipiert, das hormonelle Regelwerk der Frau temporär ruhigzustellen. Der Wirkungsmechanismus ist sehr effizient und Kontrazeption ist dadurch sicher gewährleistet. Die ovulationssuppressiv unabhängigen Wirkungen an den Hautanhangsgebilden sind besonders bei jungen Frauen sehr erwünscht.

Keypoints

  • Fertile Frauen profitieren von den kontrazeptiven und nicht kontrazeptiven Wirkungen von Ovulationshemmern.

  • In der Pubertät und bei jungen Frauen mit noch nicht entwickeltem Hormonsystem, bei denen noch keine Ovulation stattfindet, kann sich die frühzeitige Unterdrückung der ovariellen und uterinen Entwicklung mit Ovulationshemmern aller Art langfristig als nachteilig für den späteren Kinderwunsch herausstellen.

Die Pille (= hormoneller Ovulationshemmer) ist seit dem Ersteinsatz im Jahr 1960 aus dem gynäkologischen Alltag nicht mehr wegzudenken und ihre Entwicklung stellt eine Erfolgsgeschichte für die Gynäkologie dar. Die Datenlage für Studien zur hormonellen Kontrazeption ist bibliotheksfüllend und es gibt scheinbar kaum eine Fragestellung, die nicht untersucht wurde. Man weiß alles über Pille & Co. Aber wirklich alles? Es gibt Informationslücken in der riesigen „Pillen-Bibliothek“, und diese Lücken betreffen vor allem Fragestellungen bei jungen Mädchen und Jugendlichen unter 18 Jahren.

Die Mehrheit der Studien mit Ovulationshemmern umfasst Frauen ab einem Alter von 18 Jahren, schließt ein großes Kollektiv von jungen, gesunden, meist nichtrauchenden und normalgewichtigen Frauen ein. Die Studienergebnisse sind detailliert, vielversprechend und bilden die Wirklichkeit unter idealen Bedingungen ab. Die Daten erfassen alle wichtigen Parameter des weiblichen Zyklus; Fragen zu Dysmenorrhö, Migräne und Gewichtszunahme werden diskutiert, die Auswirkungen auf Haut und Haare werden ausführlich beschrieben. Dass hormonelle Ovulationshemmer aller Art eine Schwangerschaft verhindern, ist selbstverständlich, was in umfangreichen Studienprogrammen sehr gewissenhaft nachgewiesen wurde. Der Pearl-Index ist niedrig – die Pille wirkt! Demzufolge sieht die Welt für Frauen, die mit hormonellen Ovulationshemmern verhüten, sehr rosig aus. Es lag und liegt nahe – wenn man auf die umfassenden Daten zurückgreift –, diese Medikamentengruppe auch unter 18-Jährigen zu verordnen, ohne den guten wissenschaftlichen Gepflogenheiten zu folgen, wonach zuerst Studiendaten zu einem Medikament in einer entsprechenden Altersgruppe vorzuliegen haben und erst dann mit der Verordnung begonnen werden sollte.

Was können hormonelle Ovulationshemmer?

Der Name ist Programm: Sie hemmen die Ovulation. Die Wirkungsweise kombinierter hormoneller Ovulationshemmer im weiblichen Organismus erfolgt hauptsächlich auf zwei Ebenen: einerseits durch die zentrale Hemmung der ovariellen Steuerungshormone; andererseits durch die periphere Beeinflussung von Funktionseinheiten im weiblichen Genitaltrakt, welche für die Tubenmotilität, die Befruchtung und Nidation (Myometriumdicke/Endometriumdicke) notwendig sind.

Aus der Wirkungsweise auf diesen beiden Ebenen sind sowohl die therapeutischen Erfolge (in erster Linie die kontrazeptive Wirkung) als auch die Nebenwirkungen und Langzeitfolgewirkungen zu erklären.

Hormonelle Ovulationshemmer regulieren den Zyklus, verringern Dysmenorrhö, schwächen die Menstruationsblutung ab und lindern sehr effizient menstruationsassoziierte Beschwerden. Sie stellen die Hormonproduktion bei Endometrioseschmerzen ruhig und beseitigen PMS-Beschwerden. Sie unterdrücken die Androgene und bessern dadurch die klinischen Auswirkungen der männlichen Hormone auf die Haut, wie Akne, Seborrhö und Haarausfall.

Die Indikationen für Pille & Co. bei Zyklusstörung, Dysmenorrhö und Akne mit Hyperandrogenämie betreffen sehr häufig junge Frauen, wodurch der Einsatz auch rasch erfolgt. Zumal auch die sexuelle Aktivität – unabhängig davon, ob nun schon die volle Fruchtbarkeit eingesetzt hat oder nicht – in der Pubertät zügig aufgenommen wird. Selbst dann, wenn sich die Frage nach Verhütung (noch) gar nicht stellt, wird wegen der oben genannten Beschwerden oft aus „therapeutischen Gründen“ zu Ovulationshemmern gegriffen.

Mädchen in der Pubertät

Junge Frauen unter 18 Jahren stellen hormonell betrachtet eine sehr inhomogene Gruppe dar, in der einige schon ein ausgereiftes Hormonsystem haben und somit auch schwanger werden können, andere aber noch lange nicht. MancheMädchenhaben mit 16 bis 18 Jahren noch nicht einmal die Menarche.

Genau das ist das Entscheidende: Wie weit ist der Menstruationszyklus etabliert? Ist das Hormonsystem bei einem jungen Mädchen mit 14 bis 16 Jahren schon bis zum Eisprung entwickelt oder nicht? Wenn es vollständig ausgereift ist und der Zyklus regelmäßig ist, mit nachgewiesener Ovulation, so besteht selbstverständlich die Möglichkeit, schwanger zu werden. Dementsprechend ist eine Verhütung angebracht. Eine solche junge Frau ist fruchtbar und kann mit hormonellen Ovulationshemmern effizient verhüten. Das bringt auch mit sich, dass der Zyklus „Pillen-gesteuert“ regelmäßig und verlässlich eintritt, die menstruationsassoziierten Beschwerden meist vollständig behoben werden undHaut sowie Haare besonders schön imponieren.

Was passiert aber mit all jenen Mädchen, die diese hormonelle Entwicklung noch nicht vollständig abgeschlossen haben? Im historischen Beipacktext der „Pille“ wurde das Indikationsgebiet auch „temporäres Unfruchtbarmachen“ genannt. Dieser Satz trifft es sehr genau, denn er impliziert, dass Fruchtbarkeit gegeben sein sollte, welche die „Frau“ für eine gewisse Zeitspanne ruhigstellen möchte. Alle hormonellen Verhütungsmittel unterdrücken die Fruchtbarkeit für die Zeit der Einnahme und sie stellt sich nach Absetzen der hormonellen Methode auch wieder ein, so sie vorher gegeben war. Die zentrale Frage ist nun: Was wird mit hormonellen Ovulationshemmern unterdrückt, wenn bei jungen Mädchen ab 14 Jahren noch kein hormonelles Regelwerk etabliert ist, das „stillgelegt“ werden kann? Wird womöglich all das, was gerade im Entstehen, in Entwicklung, in Ausreifung ist, unterdrückt? Wir wissen es leider zu wenig und auch Studien zu diesen entscheidenden Fragen sind rar. Aber: Wir wissen vieles aus der klinischen Praxis.

Ovulationshemmer und Ovar

Die klinische Empirie der letzten Jahrzehnte lässt die Vermutung wachsen, dass die frühzeitige (pubertäre) Unterdrückung der Eierstockaktivität mit hormonellen Ovulationshemmern aller Art als eine der Ursachen für das gehäufte Auftreten verschiedener Varianten des polyzystischen Ovar-SyndromsPCO(S) anzunehmen ist. So verständlich der Wunsch eines pubertierenden Mädchens nach einem schönen, ebenmäßigen Hautbild ist, so schlecht sind die Auswirkungen der Unterdrückung der männlichen Hormone (und in weiterer Folge der weiblichen) zu diesem Zeitpunkt für die Etablierung der hormonellen Achsen zwischen Hypothalamus, Hypophyse, Eierstock, Gebärmutter und Fettgewebe. Je nachdem, wo die hormonelle Entwicklung bei der jungen Frau gerade „angekommen“ ist und durch die Gabe eines Ovulationshemmers unterbrochen wird, ergeben sich das eine oder andere – klinisch sehr vielschichtige – Bild des PCO(-S) und vielleicht noch viele weitere feinste individuelle endokrinpathologische Schattierungen. So unerfreulich die Auswirkung der männlichen Hormone auf das Hautbild des jungen Mädchens auch ist, ihre Wirkung am Eierstock ist wichtig und ihre Unterdrückung in diesem Zeitraum ist langfristig von Nachteil. Nicht nur, dass der Eierstock in seiner Aktivität gestört wird, es wird auch die Gebärmutter im Wachstum behindert, wenn Hormone zur Blockierung der Eierstockaktivität verabreicht werden. Im Englischen würde man sagen: Es kommt zum „Freezing“ oder es entsteht ein „Screenshot“ (Ultraschall), wenn Ovulationshemmer zur Anwendung kommen. Die Eierstöcke (und auch der Uterus) verharren bei hormoneller Ruhigstellung in dem Zustand, in dem sie gerade sind. Meist ist es eben das polyzystische, multifollikuläre Stadium mitten in der Pubertät. Die Ovarien verbleiben in diesem Stadium so lange, bis die hormonelle Unterdrückung wieder wegfällt, und setzen dann ihre Aktivität fort – oder auch nicht!

Wir kennen sehr genau das klinische Phänomen der Post-Pillen-Amenorrhö. Diese dauert oft um vieles länger an, je früher mit der Pille begonnen wurde und je länger sie eingenommen wurde. Es kommt unter Pilleneinnahme gewollt zur Unterdrückung eines funktionsfähigen Endometriums. Fällt die Ruhigstellung durch das Absetzen der Pille nach Jahren weg, so fällt es den inneren Geschlechtsorganen oft schwer, von selbst wieder aktiv zu werden. Myometrium und Endometrium haben in der Zeit der Ruhigstellung pseudoatrophisiertund an Volumen deutlich verloren. Das Warten auf die körpereigene Menstruationsblutung kann somit länger dauern.

Ovulationshemmer und Schilddrüse

Eine weitere klinische Beobachtung legt einen Zusammenhang zwischen Ovulationshemmern und Schilddrüse nahe. Bei vielen Frauen wird nach Absetzen von Ovulationshemmern eine Unterfunktion der Schilddrüse diagnostiziert – oft im Zuge der Kinderwunschabklärung. Auch junge Mädchen entwickeln häufig in der Pubertät eine Schilddrüsenunterfunktion, während sie zeitgleich Ovulationshemmer nehmen.

Die Ergebnisse bei der Literatursuche zum Thema Schilddrüse und Ovulationshemmer sind nicht sehr ergiebig und die wenigen Sätze, die in den Publikationen zu diesem Thema zu finden sind, negieren einen Zusammenhang zwischen Pilleneinnahme und Schilddrüsenfunktionsstörung. Diese Tatsache steht einerseits im Kontrast zur klinischen Beobachtung, dass Schilddrüsenerkrankungen bei Frauen häufiger vorkommen als bei Männern, und andererseits zur Tatsache, dass durch die Ethinylöstradiol-vermittelten Veränderungen der Bindungsproteine und die Unterdrückung der Hypophyse ein endokriner Zusammenhang zwischen Pille und Schilddrüse besteht. Auch zu dieser interessanten Fragestellung findet sich bedauerlicherweise keine wissenschaftliche Literatur. Ein Hauptgrund wird wohl ebenfalls die Tatsache sein, dass es sich um unter 18-Jährige handelt und diese nicht in Studien eingeschlossen werden, wohl aber hormonelle Ovulationshemmer im großen Stil – weltweit – in den Jahren der Pubertät angewendet werden.

Ovulationshemmer, depressive Verstimmung und PMS/PMDD

Bei vielen Frauen verbessert die Gabe der „Pille“ durch die Verhinderung von Hormonschwankungen die psychische Stabilität, aber auch das Gegenteil kann eintreten. Die Beeinflussung von Neurotransmittern durch Steroide gilt als gesichert und es scheint einen engen Zusammenhang mit dem GABA-Rezeptor zu geben. Da Progesteron am GABA-Rezeptor bindet und die Wirkung der Gamma-Aminobuttersäure verändern kann, hatdas physiologische Progesteron einen zentral sedierenden Effekt. Kommen bei Anwendung von OvulationshemmernGestagene zum Einsatz, werden oft Müdigkeit, Reizbarkeit, Depression und Nervosität beobachtet. Aber auch die Unterdrückung der Androgenspiegel durch Ovulationshemmer macht sich bei manchen Frauen in Form eines Stimmungstiefs bemerkbar. Man kann das Auftreten dieser unangenehmen Nebenwirkungen durch Verordnung eines östrogenbetonten Ovulationshemmers in manchen Fällen verhindern.

Es gibt nur wenige Mädchen und Frauen, die nicht schon mit dem prämenstruellen Syndrom (PMS) Bekanntschaft gemacht haben. Eine pathophysiologische Erklärung dafür liegt im endokrinen Geschehen während der zweiten Zyklushälfte. Das Beschwerdebild kann monosymptomatisch oder polysymptomatisch sein. Bei stark die Lebensqualität beeinträchtigendem PMS, das bis zur schweren prämenstruellen Dysphorie gehen kann („premenstrual dysphoric disorder“, PMDD), und gleichzeitig erforderlichem Empfängnisschutz stellt die Anwendung von Ovulationshemmern, besonders jenen mit verkürzten einnahmefreien Intervallen, eine gute therapeutische Option dar. Die Anwendung in der Pubertät scheint allerdings wieder problematisch zu sein, wie eine aktuelle Studie zeigt: Jene Mädchen, die schon sehr früh Ovulationshemmer eingenommen hatten, neigten als Erwachsene vermehrt zu Depressionen und zu suizidalenTendenzen.

Fazit

In diesem Beitrag konnten nur einige Fragestellungen aus dem weiten Feld der Argumente pro und kontra hormonelle Ovulationshemmer besprochen werden. Es sind wichtige und häufige klinische Fragestellungen, die jeder Gynäkologe aus der Praxis kennt. Um so wünschenswerter wäre es, besonders bei jungen Mädchen über den differenzierten Einsatz von Pille & Co. nachzudenken.

Autorin:
Prof. Dr. Doris Maria Gruber
Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe Wien
E-Mail: doris.gruber@meduniwien.ac.at

bei der Verfasserin

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