15 Jahre minimal invasive Therapie bei Fersenbeinfrakturen

Seit ca. 2005 werden für die Versorgung von intraartikulären Fersenbeinfrakturen im UKH Linz der AUVA minimalinvasive Behandlungskonzepte entwickelt und klinisch umgesetzt. Ergänzend zu unserem Grundsatzartikel (JATROS Orthopädie & Traumatologie Rheumatologie 4/2018) wollen wir einige spezielle Themen sowie Tipps und Tricks aus unseren Nachuntersuchungen und Erfahrungen anhand von ca. 380 operativ versorgten Frakturen präsentieren.

Allgemeines

Indikation

Wir versorgen praktisch alle Frakturen mit dieser Technik, bis hin zu schwersten Trümmerfrakturen. Meist verwenden wir nur Stichinzisionen, bei Bedarf Sinus-tarsi-Zugang. Das erlaubt Operationen auch bei Rauchern, Diabetikern, Patienten mit zusätzlichen Erkrankungen und solchen in höherem Alter.

Ziele

Vollständige anatomische Reposition ist das Hauptziel. Die gedeckte Technik ist definitiv kein Argument, um eine ungenaue Einrichtung zu tolerieren. Bei Trümmersituationen mit teilweise deformierten Fragmenten müssen die wesentlichen Voraussetzungen für ein optimales Outcome geschaffen werden: Korrektur der Höhe, der Achsen und der Verbreiterung, Entfernen eines Impingements, Schaffen von Stabilität sowie Verhinderung eines Kompartments unter Vermeidung von zusätzlichen „iatrogenen Schäden“.

OP-Dauer

Bei vielen Kollegen und vor allem OP-Saal-Managern besteht die Meinung, dass „minimal“ gleich „ganz schnell fertig“ bedeutet. Verkürzte OP-Zeiten können möglich sein, sind aber definitiv kein Ziel. In den meisten Fällen arbeiten wir in Regionalanästhesie und mit Stichinzisionen oder Mini-open-Zugängen. Der Faktor Zeit ist damit für das Operationsrisiko gering, der Faktor perfektes Ergebnis für den Patienten aber ausschlaggebend.

Lernkurve

Eine vollständig gedeckte Operationstechnik wird aktuell nur bei Fersenbeinfrakturen durchgeführt und unterscheidet sich in Vorbereitung und Durchführung doch wesentlich von üblichen unfallchirurgischen Operationen. Es bestehen somit oft nur eine geringe Routine und niedrige Standards. Bei mangelnder Erfahrung ist es oft auch schwierig zu beurteilen, welche Ergebnisse möglich sind.

Zukunft

Aufgrund der doch relativ niedrigen Fallanzahl wären intensiver Erfahrungsaustausch und Schulungen erforderlich. Eine gewisse Spezialisierung bzw. Versorgung in Zentren wäre sinnvoll. Erforderlich sind auch die Weiterentwicklung von Repositionstools und neue Osteosynthesemöglichkeiten inklusive wissenschaftlicher Aufarbeitung sowie standardmäßig die Möglichkeit einer intraoperativen 3D-Kontrolle.

Operationsvorbereitung und -planung

Da eine direkte Sicht auf die Fraktur nicht möglich ist, ist für eine erfolgreiche gedeckte Reposition und Stabilisierung neben sehr guten Anatomiekenntnissen auch eine genaue Analyse der Fraktur erforderlich. Präoperativ sollte man mindestens 15 Minuten einberechnen, um sich Lage und Dimensionen der Fragmente einzuprägen, die Technik der Reposition festzulegen und die Schraubenlage zu planen.

Verwenden und verlangen Sie immer gute 3D-Rekonstruktionen zusätzlich zu den Standard-CT-Schnitten. Man bekommt damit einen wesentlich besseren Überblick über die Größe und Lage der Hauptfragmente. Manche Informationen, wie z.B. zum Vorliegen von Rotationsfehlstellungen, sind praktisch nur so zu bekommen. Ich erstelle die 3D-Bilder immer persönlich; es ist die beste Möglichkeit, die Fraktur genau kennenzulernen. Mit den aktuellen Systemen ist dies in sehr kurzer Zeit und ohne wesentlichen Einschulungsaufwand möglich – versuchen Sie es in Ihrem Haus!

Nach einer guten Reposition sind Frakturlinien im Bildwandler oft schwer zu erkennen, vor allem im Verlauf von lateral nach medial. Anhand der präoperativen Planung muss man genau wissen, wo sie verlaufen, damit Schrauben nicht in einem Frakturspalt liegen und dadurch funktionslos sind. Spezielle Regionen sind der Bereich unterhalb des Außenknöchels bei dem Versuch, eine Sustentaculumschraube zu platzieren. Dort findet man fast immer Frakturzonen und Defekte, häufig auch dorsal bei Horizontalfrakturen des Tubers oder medial bei Bruch des Sustentaculums. Diese Fehllagen sind immer Folge nicht ausreichender präoperativer Planung!

Im Operationssaal sollten die wesentlichen Frakturbilder am Monitor vorbereitet sein (Abb.1). Das Mitnehmen eines knöchernen Fußskelettes ist ebenfalls sehr empfehlenswert. Perfekte Lagerung und Einstellung aller Bildwandleransichten (siehe JATROS Orthopädie & Traumtologie Rheumatologie 4/18) vor (!) dem Abdecken sind unbedingt zu empfehlen. Die Lagerungs- und BW-Technik sollte schon vor dem ersten Patienten geübt, dokumentiert und standardisiert werden.

Abb. 1: Operationsvorbereitung sowie Bildpräsentation im Operationssaal

Sustentaculumschraube

Für die Sustentaculumschraube gibt es mehrere Arbeiten mit technischen Vorschlägen zur Positionierung bis hin zu 3D-Navigation. Sie wurde auch in unserem letzten Artikel beschrieben. Nach Versuchen im WetLab und klinischer Testung möchten wir ein Verfahren zeigen, wie man sie sicher und einfach einbringt. Vorraussetzungen sind eine sehr gute Reposition und stabiler Halt mit z.B. Extension, Raspatorium oder Schanzschraube.

Wir beginnen in der lateralen Bildwandereinstellung. Die Ebene des Zentralstrahls ist dabei genau in der Ebene der oberen Talusgelenksfläche. Durch die Kippung der subtalaren Gelenksebene zur horizontalen zeigen sich die lateralen und medialen Ränder der Gelenksflächen des Fersenbeins gegeneinander verschoben, das Sustentaculum wird schräg projiziert und ist somit nicht genau beurteilbar. Nach Stichinzision und stumpfer Präparation (Suralisast!) wird der Führungsdraht an der Kortikalis des lateralen Hauptfragmentes angesetzt. Der Operateur muss aufgrund der Operationsplanung ihre Lage genau kennen, um eine gute zentrale Position im Gelenksfragment zu wählen. Ist man zu nahe am Rand des Fragmentes, kommt es häufig beim Anziehen der Schraubezu zusätzlichen Brüchen. In fast allen regelhaften Fraktursituationen findet sich damit der Eintrittspunkt dorsal der Außenknöchelspitze und nicht unterhalb. Das Ziel für den Führungsdraht findet sich direkt unterhalb des Innenknöchels. Durch den Ansatzpunkt ergibt sich damit ein Winkel von ca. 45Grad zur Längsachse des Fersenbeins, das bedeutet für diePraxis: deutliches Senken der Bohrmaschine nach dorsal. Um genau in den Gelenksspalt einzusehen, muss der C-Bogen nun um ca. 15–30 Grad zum Operateur geschwenkt werden – diese Einstellung habe ich Sustentaculum-View genannt (Abb.2). Man sieht nun die knöcherne Umrandung des Sustentaculums. Der Bohrdraht kann nun in das Zentrum vorgetrieben werden, ohne in Gefahr zu geraten, im Gelenk oder unterhalb des Sustentaculums zu sein. Die Länge des Bohrdrahtes wird in der axialen Ansicht bestimmt. Danach bohre ich den Draht medial durch die Haut und fixiere ihn mit einer Klemme. Dann erfolgen Aufbohren und Setzen der Schraube.

Abb. 2: BW-Einstellung zur Positionierung der Sustentaculumschraube, Schraubenlage

Bei einigen Frakturen sehen wir zusätzlich noch eine unverschobene frontale Frakturlinie im Sustentaculum, dann muss man sehr darauf achten, nicht in den Frakturspalt zu geraten, und eventuell zwei Schrauben verwenden.

MIS bei älteren Menschen

In der wissenschaftlichen Literatur wird bei Patienten ab ca. 60 Jahren fast immer von operativer Versorgung abgeraten, vor allem vom klassischen lateralen Zugang. Eine etwas erweiterte Indikation finden wir bei der Sinus-tarsi-Inzision. In den letzten 13 Jahren haben wir 49 Patienten zwischen 60 und 90 Jahren mit intraartikulären Frakturen minimal invasiv in unserer Technik versorgt. Wir sehen bei dieser Patientengruppe fast ausschließlich einfachere Frakturformen nach „Lowenergy“-Trauma, die technisch gut und einfach zu versorgen sind. Eine Reposition ist wichtig, da verbleibende Stufen und Dislokationen im unteren Sprunggelenk meist zu anhaltenden therapieresistenten Beschwerden mit deutlicher Einschränkung der Gehstrecke führen. Eine spätere Arthrodese ist mit hohem Risiko verbunden oder nicht möglich.

Für ältere Patienten ist der Erhalt der Mobilität sehr wichtig, vor allem wenn auch zusätzliche Erkrankungen bestehen. Gehen mit Krücken bei kompletter Entlastung des Beins ist häufig nur sehr eingeschränkt möglich und wird zusätzlich erschwert durch das Gewicht des Gipsverbandes oder der Orthese. Bei ungewollter axialer Belastung kann die Fraktur damit auch nicht geschützt werden, sodass eine sekundäre Dislokation erfolgen kann (Böhler-Winkel). Eine gut dimensionierte intraossäre Schraubenosteosynthese (mind. zwei 7,3mm-Schrauben, durchgehendes Gewinde) kann dies verhindern. Das Operationsrisiko ist gering. Die Osteosynthese wird in Regionalanästhesie durchgeführt, der Blutverlust und der zusätzliche Weichteilschaden sind minimal, es besteht kaum Infektionsrisiko. Auch bei vorliegender Osteoporose ist die Fraktur anschließend übungsstabil, die Nachbehandlung erfolgt im Standardschema.

Fallbeispiel A

Männlicher Patient, 87 Jahre, völlig gesund und fit, ging vor dem Unfall täglich ca. 2 Stunden spazieren. Therapie konservativ mit USG ohne Belastung für 6 Wochen, sekundäre Dislokation bereits im Gips, Outcome mit starken anhaltenden Beschwerden (Abb.3).

Abb. 3: Patient A – konservative Behandlung mit Gipsruhigstellung, Patienten B und C – minimal invasive Operation

Zur Diskussion: gedeckte Verschraubung in Regionalanästhesie, OP-Dauer ca. 15 Min., übungsstabile Fixation mit sofortiger Bewegungstherapie, kein Gips. Fast sichere anatomische Ausheilung zu erwarten. Vollbelastung nach 6 Wochen.

Fallbeispiel B

Weiblich, 85 Jahre, gesund, gedeckte Reposition und Verschraubung (Abb.3), frühfunktionelle Behandlung, Gips frei. Sehr gutes Outcome. CT-Kontrolle nach 12 Wochen.

Fallbeispiel C

Männlich, 70 Jahre, beidseitige Fraktur, MIS (Abb.3), Bodenkontakt, Aufstützen im Sitzen nach 3 Wochen, Vollbelastung ohne Beschwerden nach 6 Wochen, CT-Kontrolle nach 12 Wochen.

Nachbehandlung

Aufgrund unserer Erfahrungen und Nachuntersuchungen haben wir unser Nachbehandlungsregime in den letzten Jahren deutlich verändert. Üblich waren 12 Wochen Entlastung sowie 6 Wochen Gips, Walker oder Fersenbeinentlastungsschuh. Es hat sich gezeigt, dass bei korrekter Schraubenlage und guter Reposition eine sofortige Übungsstabilität besteht. Der erste Verbandwechsel erfolgt am Tag nach der Operation, bei sehr lockerem Wundverschluss ist das Abfließen eines Resthämatoms erwünscht, soll aber nicht zur Verhärtung des durchgebluteten Verbandes führen. Die ersten Übungen werden mit dem Patienten am Bett durchgeführt, auch um ihm zu zeigen, dass er bewegen darf und soll (Abb.4). Bei Stichinzisionen erfolgt keinerlei weitere Fixierung, bei Sinus-tarsi-Zugang eventuell Lagerungsschiene bis zur Wundheilung. Bodenkontakt und Training mit weichen Bällen ab der 3. Woche. Nach stabiler Versorgung zeigt das Fersenbein aufgrund der guten Spongiosasituation eine sehr gute knöcherne Heilung und ist nach 6 Wochen belastungsstabil, auch wenn größere zentrale Defekte bestanden haben. Dadurch können wir ab diesem Zeitpunkt mit Mobilisierung bis Vollbelastung beginnen. Die frühzeitige Übungstherapie sollte eine Verminderung der regelhaften posttraumatischen Osteopenie der umliegenden Knochen bewirken sowie die Knorpelheilung verbessern. Natürlich sehen wir auch wesentliche Vorteile in der Beweglichkeit, Weichteildurchblutung und Muskulatur.

Abb. 4: Beweglichkeit und Weichteilsituation am Tag nach der Operation

Transfixierende Bohrdrähte

Bei der Versorgung von Fersenbeinfrakturen sieht man immer wieder transfixierende, gelenksübergreifende Bohrdrähte. Diese Technik wurde früher von Lorenz Böhler und anderen Autoren empfohlen und wurde auch von uns immer wieder angewandt. Bei unseren Patienten konnten wir sehen, dass bei guter Reposition und korrekter Schraubenlage eine sehr hohe Stabilität besteht und es zu keinen sekundären Dislokationen kommt, auch nicht bei Trümmerfrakturen oder Osteoporose. Wir legen großen Wert auf eine sofortige Übungsbehandlung, dies ist bei transfixierenden Bohrdrähten nicht möglich. Abgesehen davon schließen wir aus theoretischen Überlegungen, dass die Stabilisierung der Frakturfragmente zum Nachbarknochen zu erhöhtem Stress im eigentlichen Frakturbereich führt.

Wir wissen, dass subkapitale Oberarmbrüche sehr bald beübt werden können, ohne dass es zu Problemen mit der Frakturheilung kommt. Der Grund liegt sicher auch darin, dass der geringste Bewegungswiderstand im Gelenksbereich liegt. Würde man den Oberarmkopf zum Schulterblatt fixieren, käme es wahrscheinlich zur Pseudarthrose. Eine ähnliche Situation, wenn auch mit wesentlich geringerem Bewegungsausmaß, finden wir beim Fersenbeinbruch. Im Heilungszeitraum werden wir immer einen geringen Bewegungsstress durch Muskelzug oder versehentliches Abstützen finden, auch bei externer Fixierung. Kann sich das Fersenbein nun als Ganzes in seinen Gelenken bewegen (Abb.5), ist anzunehmen, dass wesentlich weniger Kräfte, vor allem Scherkräfte, auf den Frakturbereich einwirken. Dies sollte positiv für die knöcherne Heilung sein. Bohrdrahtfixierung führt auch zu deutlichen Defekten im Gelenksknorpel.

Abb. 5: Erhalt der Gelenksbeweglichkeit ohne Bohrdrähte

Der wissenschaftliche Beweis für diese Theorie ist sicher noch nicht erbracht, unserer Erfahrung und unseren Überlegungen zufolge würden wir von transfixierenden Bohrdrähten abraten.

Weiterführende Informationen und Fallberichte finden Sie auf unserer Homepage:
www.calcaneal-fracture.com

Autoren:
Dr. Christian Rodemund
AUVA-Unfallkrankenhaus Linz

Priv.-Doz. Dr. Georg Mattiassich
AUVA-Unfallkrankenhaus Steiermark,
Standort Graz

Korrespondierender Autor:
Dr. Christian Rodemund
E-Mail: christian.rodemund@auva.at

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