© Universitätsklinikum Heidelberg

Gesundheit und Forschung

Drei Löffel Spezialzucker täglich als Therapie…

Heidelberg/Magdeburg/Salzburg - Biochemiker und Mediziner der Universitätsklinika Heidelberg und Salzburg sowie dem Max-Planck-Institut Magdeburg beschreiben eine bislang unbekannte Störung im Zuckerstoffwechsel – und liefern eine passende Therapie.

Proteine brauchen Zucker: Mehr als die Hälfte der im menschlichen Körper vorhandenen Proteine funktionieren nur dann richtig, wenn sie mit bestimmten Zuckern bestückt sind. Störungen in den Abläufen dieser „Zucker-Anheftung“, der Glykosylierung, haben oftmals gravierende Auswirkungen auf die körperliche und geistige Entwicklung betroffener Kinder. Einen bis dato noch unbekannten Glykosylierungsdefekt haben Biochemiker und Mediziner der Universitätsklinika Heidelberg und Salzburg sowie des Max-Planck-Instituts Magdeburg entdeckt: Es handelt sich dabei um eine vierjährige Patientin mit Entwicklungsstörungen. Der Fall wird im Fachjournal „EMBO Molecular Medicine“ beschrieben.

Das Besondere an dieser angeborenen Erkrankung: Sie ist gut behandelbar, wie die Heidelberger Experten bei ihren Analysen erkannten. Seit das Mädchen dreimal täglich einen Löffel des Spezialzuckers L-Fucose zu sich nimmt, hat sich ihr Zustand deutlich gebessert und sie hat in ihrer Entwicklung aufgeholt.

Auf Spurensuche

Schon bald nach der Geburt des Kindes 2014 traten erste Auffälligkeiten in Entwicklung und Verhalten auf. Das Mädchen verweigerte die Nahrungsaufnahme, musste zeitweise über eine Sonde ernährt werden, blieb zu klein und leicht, lernte erst kurz vor dem vierten Geburtstag laufen und lag auch in ihrer geistigen Entwicklung erheblich zurück. Eine erste Genanalyse an der Stoffwechselambulanz des Universitätsklinikums Salzburg ergab eine genetische Veränderung mit mutmaßlichen Auswirkungen auf die Glykosylierung. Das dortige Team um Dr. Saskia Wortmann wandte sich an den Spezialisten Dr. Christian Thiel vom Dietmar-Hopp-Stoffwechselzentrum am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin Heidelberg. Anhand von Hautzellen und Blutproben des Kindes fahndeten die Experten nach der Abweichung im System und wurden fündig bei einem Enzym (GDP-L-Fucose Synthase, GFUS), das für die Herstellung einer bestimmten Form des Zuckers Fucose (GDP-Fucose) zuständig ist. „Bei der Patientin funktionierte das GFUS-Enzym nur sehr eingeschränkt, so dass nicht genügend Fucose für die Anbindung an Proteine zur Verfügung stand“, erklärt Doktorand und Erstautor der Studie Andreas Hüllen. „Bei gesunden Menschen wird 90 Prozent der vom Körper gebildeten GDP-Fucose mit Hilfe des GFUS-Enzyms aus dem Zucker GDP-Mannose bereitgestellt. Die übrigen 10 Prozent stammen aus einem alternativen Stoffwechselweg, der bei der Patientin noch funktioniert und für den L-Fucose als Ausgangsstoff benötigt wird. Wir haben daher getestet, wie Zellen auf die Gabe von L-Fucose reagieren“, ergänzt Thiel.

Patientin macht Fortschritte

In den Experimenten normalisierten sich die gestörten Abläufe in den Zellen innerhalb kurzer Zeit. Diese Erfolge traten auch bei der Patientin ein, nachdem sie zusätzlich zu ihrer normalen Nahrung täglich drei Löffel des Zuckers erhielt. Im Laufe der folgenden zwei Jahre machte das Mädchen in seiner Entwicklung zum Teil rasante Fortschritte: Sie holte im Wachstum auf, ihre Motorik verbesserte sich deutlich, sie wurde selbstständiger in ihren täglichen Routinen und lernte innerhalb kurzer Zeit sprechen. Wie der Fucosemangel diese Entwicklungsschritte beeinflusst, ist noch unzureichend erforscht. Bekannt ist, dass Signalmoleküle und Proteine mit Fucose-Anhängen essentielle Rollen bei der Entwicklung von Nervengewebe und Gehirn, bei Zellkommunikation, Krankheitsabwehr, Entzündungsprozessen und Fruchtbarkeit spielen.

Europaweit haben nach Schätzungen der Heidelberger Experten rund 2500 Menschen eine entsprechende Diagnose erhalten, die Dunkelziffer der bislang nicht erkannten Patienten dürfte aber weit höher liegen. Thiel: „Insbesondere bei Kindern mit Störungen mehrerer Organe und unklarer Erkrankungsursache sollte grundsätzlich auch ein Glykosylierungsdefekt in Betracht gezogen werden.“ (red)

Weitere Infos: Originalpublikation

Back to top