© T.Werfel

Atopische Dermatitis

Wie gehen Dermatologen in der Praxis vor?

Wir haben Prof. Thomas Werfel aus Hannover gefragt – er hat an der Leitlinie zur Behandlung der atopischen Dermatitis bei Erwachsenen und Kindern1, 2 mitgeschrieben.

Prof. Thomas Werfel forscht schwerpunktmäßig über die Immunologie und Provokationsfaktoren von Ekzemkrankheiten, zu Mechanismen der Hautentzündung und zur Pathophysiologie von entzündlichen Mediatoren und untersucht neue therapeutische Ansätze im Management von chronisch-entzündlichen Hautkrankheiten.

Prof. Werfel, meinen Sie, durch bessere Patientenedukation könnte man öfter systemische Therapien vermeiden?

T. Werfel: Kontrollierte Studien mit strukturierten Patientenschulungen haben gezeigt, dass der Hautzustand von geschulten Patienten auch ein Jahr nach derartigen Schulungen noch signifikant besser war als bei Patienten in den Kontrollgruppen.4, 5 Die meisten dieser Patienten hatten sich ausschließlich mit topischen Medikamenten behandelt, und ich denke, dass sie durch die Edukation einen besseren Umgang mit der topischen Selbstbehandlung lernten. Konkreter: In den Schulungen bauten die Patienten Ängste gegenüber topischen Kortikosteroiden und anderen Medikamenten ab und setzten die Mittel daher mehr so ein, wie es der Arzt empfohlen hatte. Insofern halte ich es durchaus für denkbar, dass durch eine bessere Adhärenz von Patienten nach einer Schulung die eine oder andere systemische Therapie vermieden werden könnte. Hierzu gibt es aber keine belastbaren Daten aus weitergehenden kontrollierten Studien.

Haben Patienten Angst vor einer systemischen Therapie?

T. Werfel: Viele Patienten stellen berechtigte Fragen zu potenziellen Nebenwirkungen systemischer Therapien, die abhängig von den eingesetzten Medikamenten ganz unterschiedlich zu bewerten sind und in jedem Falle ernst genommen werden müssen. Systemische Steroide haben zum Beispiel ein ganz anderes Nebenwirkungsspektrum als etwa der Antikörper Dupilumab. Diese Unterschiede und auch das individuelle Risiko für Nebenwirkungen muss man dem Patienten gut erklären.

Inwiefern haben Sie Ihr Vorgehen während der Corona-Krise geändert?

T. Werfel: In der Corona-Krise gilt es, Erkrankungen, bei denen die Indikation zur Systemtherapie aufgrund der Schwere eindeutig besteht, auch weiterhin ausreichend zu behandeln. Wir wissen, dass bei einer schwer ausgeprägten atopischen Dermatitis eher sekundäre Infekte der Haut mit Bakterien oder Viren entstehen. Das wollen wir natürlich auch in der Corona-Krise vermeiden. Bei der Wahl der Medikamente spielen Sicherheitsaspekte eine andere Rolle als zuvor. Es gibt mittlerweile Stellungnahmen zum Einsatz bestimmter Systemtherapeutika von der europäischen Task Force für atopische Dermatitis6, für die deutschsprachigen Kollegen haben auch wir von der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft eine herausgegeben.7

Kollegen aus Großbritannien kritisierten, in dem EAACI-Positionspapier wären nicht genügend Risikofaktoren aufgeschrieben, die auf einen schlechteren Verlauf weisen könnten.5 Was sagen Sie dazu?

T. Werfel: Die Kollegen weisen darauf hin, dass im Management von Patienten mit atopischer Dermatitis auch gleichzeitig bestehende psychische Erkrankungen oder andere Komorbiditäten berücksichtigt werden müssen, was ich natürlich voll unterstütze. Auf der anderen Seite ist es wichtig, schwer betroffenen Patienten mit atopischer Dermatitis die bestwirksame Therapie ihrer Hautkrankheit nicht zu lange vorzuenthalten, nachdem entsprechende Komorbiditäten sorgfältig abgeklärt und berücksichtigt wurden. Gerade psychische Probleme können sekundär wegen des Juckreizes und der hiermit verbundenen Folgeprobleme wie Schlaflosigkeit oder Kratzspuren auf der Haut enstanden oder verschlimmert worden sein und sich im Rahmen einer wirksamen Therapie ebenfalls bessern.

Kann jeder niedergelassene Dermatologe eine systemische Therapie starten?

T. Werfel: Die Gesundheitssysteme unterscheiden sich in den verschiedenen Ländern sehr stark. In Deutschland kann jeder niedergelassene Dermatologe eine systemische Therapie von Hautkrankheiten beginnen.

Wann starten Sie eine systemische Therapie und wie gehen Sie konkret vor?

T. Werfel: Eine wirksame Therapie bei atopischer Dermatitis zielt immer auf Verminderung des quälenden Pruritus und auf Verbesserung der Ekzeme ab. Das heißt, es werden primär antientzündliche Medikamente eingesetzt, die dann meist indirekt oder wie im Falle des monoklonalen Antikörpers Dupilumab auch direkt den Juckreiz reduzieren. Die bei anderen allergischen Entzündungen teilweise wirksamen juckreizstillenden Antihistaminika, gerichtet gegen den Histamin-1-Rezeptor, funktionieren bei atopischer Dermatitis leider fast gar nicht.

Wann beginnen Sie denn nun genau die systemische Therapie?

T. Werfel: Immer dann, wenn eine konsequent durchgeführte äußerliche Behandlung mit topischen Kortikosteroiden oder topischen Calcineurininhibitoren nicht ausreichend wirkt. Bei Kindern ist die Indikation grundsätzlich strenger zu stellen als bei Jugendlichen und Erwachsenen. Hier spielen sowohl Aspekte der Arzneimittelsicherheit in den unterschiedlichen Altersgruppen als auch die Tatsache eine Rolle, dass die atopische Dermatitis bei Kindern intraindividuell oft viel variabler, von sehr schwer ausgeprägt bis fast abgeheilt, verlaufen kann.

In der Leitlinie von 20181, 2 ist nicht genau erklärt, wann man welches Präparat starten sollte.

T. Werfel: Das ist richtig. In der aktualisierten deutschen AWMF-Leitlinie Neurodermitis 2020 haben wir beispielhaft eine Checkliste8 abgebildet, die helfen soll, die Indikation zur Systemtherapie bei Neurodermitis zu stellen. Diese hängt zum Beispiel ab von der Sicherung der Diagnose, von der Schwere der sichtbaren Symptome und den subjektiven Beschwerden, also verringerter Lebensqualität, Juckreiz oder Schlafstörungen. Eine Rolle spielt zudem, ob der Patient nicht ausreichend auf vorangegangene äußerliche Behandlungen angesprochen hat.

Bei welchem Patienten wählen Sie konkret welches Medikament?

T. Werfel: Nach Zulassung von Dupilumab Ende 2017 rangierte dieser Wirkstoff in Deutschland gemäß von uns kürzlich publizierten „Real life“-Daten aus dem deutschen Neurodermitisregister TREATgermany9 ganz oben auf der Liste der verordneten Systemtherapeutika.10, 11 Der Antikörper blockiert spezifisch auf Rezeptorebene die Aktion von zwei Schlüsselmolekülen der allergischen Entzündung, nämlich IL-4 und IL-13 und wirkt sehr gut, das heißt eine Reduktion der Ekzeme um 75% oder mehr (EASI75) bei rund zwei von drei Patienten. Hauptnebenwirkung ist eine bislang nicht gut verstandene Entzündung im Augenbereich. Die lässt sich allerdings häufig mit Basistherapeutika, kurzfristig eingesetzten topischen Steroiden oder gegebenenfalls etwas längerfristig eingesetzten Cyclosporin-haltigen Augentropfen gut behandeln. Die Nebenwirkung tritt bei etwa 10–15% der Patienten in unterschiedlicher Schwere auf, nur wenige brechen die Therapie mit Dupilumab jedoch deshalb ab. Hauptvorteil von Dupilumab in der jetzigen Krise ist, dass die Th2-dominierte allergische Entzündung nach bisherigem Kenntnisstand die Abwehr von Viren wahrscheinlich nicht stärkt, sondern wie im Falle der Abwehr gegen Herpesviren in der Haut sogar zu schwächen scheint. Eine spezifische Unterdrückung der allergischen, Th2-dominierten Entzündung dürfte theoretisch deshalb nicht zu einer Risikoerhöhung schwerer Verläufe bei Covid-19 führen. Selbstverständlich gibt es bislang noch nicht ausreichend belastbare Daten dazu, der theoretische Unterbau ist jedoch valide.

Was ist mit Cyclosporin?

T. Werfel: Seit es Dupilumab gibt, wird viel weniger Cyclosporin verordnet. Das war bis dahin das einzige Medikament, das für die Behandlung der schweren Neurodermitis als Systemtherapeutikum ab dem 16. Lebensjahr zugelassen war. Es ist aber wegen der Nebenwirkungen – etwa Hypertonie oder Nierenfunktionsstörungen – ein schwierig zu handhabendes Präparat. In den meisten Bundesländern in Deutschland dürfen Ärzte gleich Dupilumab verschreiben und müssen nicht erst Cyclosporin versuchen.

Wann geben Sie Kortikoide systemisch?

T. Werfel: Kurzzeittherapien mit Kortikosteroiden sollten bei Kindern nur ausnahmsweise und bei Jugendlichen und Erwachsenen auf 2–3 Wochen wegen des ungünstigen Nebenwirkungsspektrums bei Dauertherapie beschränkt werden; eine längere Therapie entspricht nicht den Empfehlungen nationaler und internationaler Leitlinien.

Was ist mit anderen Immunsuppressiva?

T. Werfel: Mycophenolat-Mofetil, Methotrexat und Azathioprin wirken bei manchen Patienten, sind gegen atopische Dermatitis jedoch nicht zugelassen. Wenn wir diese anwenden, ist das ein Off-Label-Einsatz. Dieser ist nur dann begründet, wenn die zugelassenen Systemtherapeutika nicht mehr wirken oder wir sie wegen Nebenwirkungen nicht einsetzen können. Die Präparate verursachen jeweils unterschiedliche Nebenwirkungen, die man bei der Anwendung berücksichtigen muss. Bei erwachsenen Patienten kann man versuchsweise Alitretinoin einsetzen, wenn chronische Handekzeme klinisch im Vordergrund stehen. Zur Wirksamkeit bei Neurodermitis gibt es allerdings keine kontrollierten Studien, sondern nur eine offene Fallserie.12

Wann empfehlen Sie UV-Behandlungen?

T. Werfel: Bei Erwachsenen können Schmalband-UVB und langwelliges UVA1 in mittlerer Dosierung als Interventionstherapie und etwa drei Wochen lang eingesetzt werden. PUVA wie auch andere UV-Therapien sollten bei Kindern überhaupt nicht und bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen aufgrund potenzieller Langzeitnebenwirkungen nur mit Vorbehalt eingesetzt werden. Grundsätzlich ist insbesondere bei PUVA das Risiko erhöht, dass später – oft nach vielen Jahren – nicht melanozytäre Hautkrebse entstehen. Das Gleiche gilt auch für die demnächst für die Behandlung der Neurodermitis in Deutschland erstattungsfähige BadePUVA-Therapie, deren Einsatz ich bei jüngeren Patienten mit Neurodermitis daher kritisch sehe.

Bisher ist nur das Biologikum Dupilumab zugelassen. Wann setzen Sie off-label andere Biologika ein?

T. Werfel: Kleinere Fallserien mit Omalizumab und Rituximab weisen darauf hin, dass sie in Einzelfällen wirken können. Die Leitlinien inklusive unseres deutschen Updates von 2020 empfehlen diese Substanzen zur Therapie der Neurodermitis aber nicht. Das ist damit begründet, dass es hierzu keine größeren, kontrollierten Studien gibt. Die zunächst beschriebenen Erfolge konnten nicht immer reproduziert werden. Das gilt insbesondere für den Anti-IgE-Antikörper Omalizumab.

Wie gehen Sie bezüglich der systemischen Therapie bei Kindern vor?

T. Werfel: Für Kinder ist derzeit keine Systemtherapie zugelassen. Die Indikation muss man deshalb streng stellen. Aktuelle Studienergebnisse einer Phase-III-Studie mit Dupilumab14 sprechen dafür, dass der Antikörper bei Kindern über sechs Jahre genauso gut wirkt wie bei Erwachsenen. Das Medikament wurde Ende Mai 2020 für 6- bis 11-Jährige von der FDA in den USA zugelassen. Nach der Zulassung in Europa wird Dupilumab bei uns Mittel der ersten Wahl für schwer betroffene Kinder in dieser Altersgruppe werden, da bin ich mir recht sicher. Studien mit jüngeren Kindern laufen noch.

Was halten Sie von neuen Medikamenten in der Pipeline?

T. Werfel: Der PDE-4-Hemmer Crisaborol ist ein topisch einzusetzendes Medikament. Es wirkt mäßig, hat aber auch wenige Nebenwirkungen, in erster Linie ein leichtes Brennen auf der Haut. Es ist aber sehr teuer – 60g 690 Dollar!14 – und bisher nur in den Vereinigten Staaten zugelassen. Würde der Hersteller das Präparat hierzulande preiswerter anbieten, würde ich mir eine Zulassung durchaus wünschen. Andere PDE-4-Hemmer, insbesondere Apremilast, wirkten in bisherigen Studien so schwach, dass der Hersteller den Ansatz nicht weiter verfolgt. Nemolizumab (anti-IL-31r), Tralokinumab (anti-IL-13) und Lebrikizumab (anti-IL-13) werden – sofern nichts dazwischenkommt – wegen der positiven Phase-II-Studien in Folgestudien weiter untersucht und möglicherweise zugelassen werden. Ich schätze allerdings, dass das erst in den kommenden Jahren der Fall sein wird. Tezepelumab (anti-TSLP) wird erst in frühen klinischen Studien getestet, hier müssen wir abwarten. Der Januskinaseinhibitor Baricitinib, der oral verabreicht werden kann und bereits für die rheumatoide Arthritis zugelassen ist, wird eine Indikationserweiterung für die atopische Dermatitis vielleicht noch in diesem Jahr in Europa bekommen. Andere Januskinaseinhibitoren wie Upadacitinib oder Abrocitinib haben ebenfalls sehr gute Studienergebnisse geliefert, allerdings wird die Entwicklung zur Zulassung für die atopische Dermatitis erst später abgeschlossen sein.

Wem empfehlen Sie eine allergenspezifische Immuntherapie?

T. Werfel: Den Patienten, die neben der Neurodermitis eine schwere Rhinitis allergica oder mildes Asthma bronchiale haben. Die Neurodermitis wird hierunter in aller Regel nicht schlechter, sondern hin und wieder deutlich besser.

Es hat ziemlich lange gedauert, bis wir mit Dupilumab das erste gezielt wirkende Medikament bekommen haben. Frustriert Sie das nicht, dass das so lange gedauert hat?

T. Werfel: Nein. Ich habe das Gefühl, dass sich 25 Jahre Grundlagenforschung gelohnt haben, da wir jetzt wirksamere Medikamente haben. Ich finde es angesichts der vielen positiven Neuentwicklungen zurzeit sehr motivierend, als klinischer Forscher auf diesem Gebiet zu arbeiten. Was ich immer wieder merke: Man sollte nie die Krankheitslast bei schwerer atopischer Dermatitis unterschätzen. Insbesondere chronischer Pruritus, verbunden mit Schlafstörungen, führt zu vielen weiteren Problemen. Das kann zu einer traumatischen Einschränkung der Lebensqualität des Betroffenen und auch seiner Mitmenschen führen bis hin zu psychischen Erkrankungen. Daher mein Rat: Die atopische Dermatitis sollte man konsequent behandeln und wir sollten alles tun, um unsere Patienten dabei zu unterstützen.

Wir danken für das Gespräch!

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Unser Gesprächspartner:
Prof. Dr. Thomas Werfel
Stellvertretender Direktor
Klinik für Dermatologie
Medizinische Hochschule Hannover

Das Interview führte
Dr. Felicitas Witte

1 Wollenberg A et al.: J Eur Acad Dermatol Venereol 2018; 32: 657-82 2 Wollenberg A et al.: J Eur Acad Dermatol Venereol 2018; 32: 850-78 3 Honstein T, Werfel T: Curr Opin Allergy Clin Immunol 2020 [published online ahead of print, May 20, 2020] 4 Heratizadeh A et al.: J Allergy Clin Immunol 2017; 140: 845-853 5 Staab D et al.: BMJ 2006; 332: 933-938 6 Wollenberg A et al.: J Eur Acad Dermatol Venereol 2020, online 29. 3. 2020 7 https://derma.de/news/uebersicht/detail/news/empfehlungen-zur-behandlung-der-atopischen-dermatitis-in-zeiten-der-covid-19-pandemie/?tx_news_pi1%5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Baction%5D=detail&cHash=2c6e263101607c216d45c1538aa50e1b 8 https://www.teledermatologikum.de/wp-content/uploads/AtopiTool-Checkliste-AM-Therapie-Neurodermitis.pdf 9 http://www.treatgermany.org/ 10 Heratizadeh A et al.: J Eur Acad Dermatol Venereol, online 13. 11. 2019 11 Abraham S et al.: Br J Dermatol, online 18. 2. 2020 12 Grahovac M et al.: Br J Dermatol 2010; 162: 217-218 13 https://www.sanofi.com/en/media-room/press-releases/2020/
2020-05-26-17-40-00 14 https://www.drugs.com/price-guide/eucrisa

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