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Primäre Ovarialinsuffizienz bei Jugendlichen – gibt es das überhaupt?

<p class="article-intro">Die primäre Ovarialinsuffizienz ist eine einschneidende Diagnose für jede Patientin. Ganz besonders schwerwiegend ist die Diagnose im Jugendalter, da sie unmittelbare Auswirkungen auf die Pubertätsentwicklung, auf die Ausbildung der Geschlechtsorgane und die psychosexuelle Entwicklung haben kann. Eine frühe und sorgfältige Diagnostik und die entwicklungsadaptierte Hormontherapie sind für die langfristige Gesundheit entscheidend.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <div> <ul> <li>Eine prim&auml;re Ovarialinsuffizienz kann bereits im Jugendalter eintreten.</li> <li>Jugendliche erleben keine Menopausensymptome.</li> <li>Die Zyklusst&ouml;rung ist der wichtigste Hinweis f&uuml;r eine prim&auml;re Ovarialinsuffizienz, es sollte keine hormonelle Zyklusregulation ohne vorangehende Diagnostik erfolgen.</li> <li>Eine Pille bzw. eine hormonelle Kontrazeption ist keine gen&uuml;gende Therapie der Ovarialinsuffizienz.</li> <li>Die Hormontherapie in der Jugendzeit muss der Pubert&auml;tsentwicklung entsprechend erfolgen und geh&ouml;rt in ge&uuml;bte H&auml;nde.</li> <li>Eine prim&auml;re Ovarialinsuffizienz hat weitreichende Folgen f&uuml;r die Gesundheit und muss langfristig begleitet und therapiert werden.</li> </ul> </div> </div> <h2>Definition und Inzidenz</h2> <p>Mit dem Begriff &laquo;prim&auml;re Ovarialinsuffizienz &raquo; wird die Ersch&ouml;pfung der ovariellen Funktion vor dem 40. Lj. bezeichnet, die zur Amenorrh&ouml; f&uuml;hrt.<sup>1</sup> Die prim&auml;re Ovarialinsuffizienz wird auch als prim&auml;res Ovarialversagen (&laquo;primary ovarian failure&raquo;, POF) oder als pr&auml;matures Ovarialversagen bzw. pr&auml;mature Ovarialinsuffizienz bezeichnet.<sup>2</sup> Die Begriffe &laquo;pr&auml;mature Menopause&raquo;, &laquo;vorzeitige Menopause &raquo; und &laquo;Klimakterium pr&auml;cox&raquo; sollten nicht mehr verwendet werden,<sup>3</sup> insbesondere nicht f&uuml;r Jugendliche. Weitere Synonyme sind &laquo;ovarielle Dysgenesie&raquo; oder &laquo;hypergonadotroper Hypogonadismus&raquo;, der eigentlich die Laborkonstellation beschreibt. Pathophysiologisch besteht eine beschleunigte Atresie der Follikel, eine kongenitale Abnahme der Primordialfollikel oder eine Unf&auml;higkeit, vorhandene Primordialfollikel zu rekrutieren.<sup>4</sup></p> <p><strong>Inzidenz</strong> <br />Die Inzidenz der Ovarialinsuffizienz ist altersabh&auml;ngig. W&auml;hrend es ab 45 Jahren physiologischerweise zu einer Ersch&ouml;pfung der ovariellen Reserve kommt, wird sie zwischen 40 und 45 Jahren als vorzeitige Menopause bezeichnet und davor, vor dem 40. Lebensalter, als &laquo;pr&auml;matur&raquo; oder &laquo;prim&auml;r&ldquo;. Dabei wird dieselbe Bezeichnung (POI oder POF) f&uuml;r eine 39-j&auml;hrige Frau mit erf&uuml;llter Familienplanung sowie f&uuml;r ein 14-j&auml;hriges M&auml;dchen mit fehlender Pubert&auml;tsentwicklung verwendet. Bei Jugendlichen handelt es sich um ein seltenes Ereignis, wobei die Inzidenz vermutlich untersch&auml;tzt wird. Sie wird mit 1 : 10 000 angegeben, fussend auf einer Studie von Coulam von 1986<sup>5</sup> (Abb. 1).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Gyn_1903_Weblinks_lo_gyn_1903_abb1_s22_draths.png" alt="" width="620" height="436" /></p> <p><strong>Stimmen diese Zahlen?</strong><br /> In den letzten Jahren sind mehrere Fallstudien mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen publiziert worden,<sup>6 &ndash; 9</sup> die eine h&ouml;here Inzidenz vermuten lassen. Dies ist auch davon abh&auml;ngig, welche &Auml;tiologie in der Analyse ber&uuml;cksichtigt wird (vgl. Tab. 1). In der eigenen Sprechstunde wurden 31 Jugendliche mit prim&auml;rem Ovarialversagen untersucht (2012 bis 2018), davon 7 F&auml;lle mit idiopathischem POI (vgl. Abb. 2).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Gyn_1903_Weblinks_lo_gyn_1903_tab1_s23_draths.png" alt="" width="620" height="322" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Gyn_1903_Weblinks_lo_gyn_1903_abb2_s23_draths.png" alt="" width="640" height="533" /></p> <h2>Die Situation bei Jugendlichen</h2> <p>Kommt es in der Jugendzeit zu einer Ersch&ouml;pfung der ovariellen Reserve oder besteht bereits prim&auml;r eine St&ouml;rung der Follikelreifung, wird die Pubert&auml;t unterbrochen oder bleibt ganz aus. Neben der prim&auml;ren Amenorrh&ouml; fehlen dann die Brustentwicklung sowie die Reifung des inneren und &auml;usseren Genitales.</p> <p><strong>Diagnostik<br /></strong> Die fr&uuml;he Diagnosestellung der Ovarialinsuffizienz ist f&uuml;r die Patientinnen sehr wichtig, wird aber oft verpasst.<sup>10</sup> &Uuml;ber 50 % der Patientinnen sind hormonell unterversorgt.<sup>11</sup><br /> Leitsymptom ist die Zyklusst&ouml;rung, die prim&auml;re bzw. sekund&auml;re Amenorrh&ouml; oder auch eine Oligoamenorrh&ouml;.<sup>12, 13</sup> Jugendliche erleben keine typischen Menopausensymptome.</p> <p>Neben der Zyklusanamnese, der klinischen Untersuchung (Pubert&auml;tsentwicklung, &Ouml;strogenmangel) und der transabdominalen Sonografie (Nachweis des inneren Genitales, Uterusreife, Endometrium sowie ovarielle Aktivit&auml;t) ist die Labordiagnostik (vgl. Tab. 2) mit Nachweis von erh&ouml;hten Gonadotropinen bei niedrigem Estradiol (hypergonadotroper Hypogonadismus) entscheidend.<sup>14, 15</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Gyn_1903_Weblinks_lo_gyn_1903_tab2_s24_draths.png" alt="" width="640" height="412" /></p> <p><strong>Therapie</strong><br /> Die prim&auml;re Ovarialinsuffizienz ist an sich nicht heilbar, es gibt keine urs&auml;chliche Therapie. Wegen der weitreichenden Konsequenzen und der assoziierten Morbidit&auml;t sind aber die fr&uuml;he Diagnose und korrekte Hormontherapie entscheidend.<sup>16</sup> Die &auml;rztliche Behandlung von Jugendlichen mit prim&auml;rem Ovarialversagen unterscheidet sich grunds&auml;tzlich von der Betreuung von erwachsenen Frauen mit fr&uuml;her Menopause, wie in Tabelle 3 gezeigt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Gyn_1903_Weblinks_lo_gyn_1903_tab3_s24_draths.png" alt="" width="620" height="432" /></p> <h2>Assoziierte Morbidit&auml;t</h2> <p><strong>1. Knochenstoffwechsel</strong> <br />Bei jungen Frauen mit POI ist die Knochendichte signifikant erniedrigt<sup>16</sup> und das Osteoporoserisiko drei- bis vierfach erh&ouml;ht; unabh&auml;ngig von der &Auml;tiologie der Ovarialinsuffizienz.<sup>17</sup> Bis heute existieren noch keine einheitlichen Empfehlungen bez&uuml;glich einer DEXA-Messung bei Jugendlichen, anders als beim Turner- Syndrom (Empfehlung gem&auml;ss ESHRE- Guidelines: DEXA-Messung alle 5 Jahre<sup>18</sup>).<br /> Die physiologische Hormonersatztherapie senkt die Frakturrate und ist der Gabe von hormonellen Kontrazeptiva f&uuml;r die Knochendichte &uuml;berlegen.<sup>19, 20</sup> Zur Osteoporosepr&auml;vention werden die Substitution mit Vitamin D3 und Kalzium sowie gen&uuml;gend k&ouml;rperliches Training empfohlen, hingegen sollten in der Jugendzeit keine Bisphosphonate verabreicht werden.</p> <p><strong>2. Herz-Kreislauf</strong> <br />Frauen mit prim&auml;rer Ovarialinsuffizienz zeigen eine erh&ouml;hte Mortalit&auml;t an kardiovaskul&auml;ren Erkrankungen.<sup>21, 22</sup> Eine Anpassung des Lifestyles, Verzicht auf Nikotin, Gewichtsreduktion bei &Uuml;bergewicht und die regelm&auml;ssige Kontrolle von Blutdruck und Lipidstoffwechsel werden empfohlen. Die physiologische Hormonersatztherapie wirkt sich g&uuml;nstiger auf die kardiovaskul&auml;re Gesundheit aus als hormonelle Kontrazeptiva.<sup>23 &ndash;25</sup></p> <p><strong>3. Endokrine Pathologie</strong> <br />Die vorzeitige Ovarialinsuffizienz ist mit verschiedenen endokrinen St&ouml;rungen assoziiert, vor allem Schilddr&uuml;senfunktionsst&ouml;rungen (ca. 20 %), Nebennierenunterfunktion (bei Vorliegen von adrenalen Antik&ouml;rpern) sowie seltener mit Diabetes mellitus, pernizi&ouml;ser An&auml;mie, Myasthenia gravis, rheumatoider Arthritis und systemischem Lupus erythematodes. Die Bedeutung von Anti-Ovar-Antik&ouml;rpern ist bis heute unklar.<sup>1, 2, 4</sup></p> <p><strong>4. Infertilit&auml;t</strong> <br />Die Infertilit&auml;t ist f&uuml;r viele junge Frauen mit POI das wichtigste Thema. Obwohl bei einigen Frauen mit POI noch Follikel im Ovar nachweisbar sind, liegt die spontane Schwangerschaftsrate nur bei 5&ndash;10 %, und dies ausschliesslich bei erwachsenen Frauen mit sekund&auml;rer Amenorrh&ouml; und intermittierend noch vorhandener Ovaraktivit&auml;t. F&uuml;r Jugendliche mit fr&uuml;hem komplettem Ovarversagen, vor allem bei fehlender spontaner Pubert&auml;tsentwicklung und prim&auml;rer Amenorrh&ouml;, muss von einer definitiven Infertilit&auml;t ausgegangen werden. Als therapeutische Optionen bestehen aktuell nur die M&ouml;glichkeit der Eizellspende f&uuml;r IVF/ICSI oder die Embryonenspende (beides bisher nur im Ausland m&ouml;glich) oder dann die Adoption. Bei fr&uuml;her Diagnose und noch vorhandener Follikelaktivit&auml;t, z. B. bei einer Patientin mit Turner-Mosaik, kann eine Kryokonservierung (Ovargewebe oder reife Oozyten) diskutiert werden.<sup>26</sup></p> <p><strong>5. Emotionale und kognitive Gesundheit bei POI</strong><br /> In verschiedenen Studien wurde ein erh&ouml;htes Risiko f&uuml;r Depression und &Auml;ngstlichkeit gezeigt, wobei die Estradiolsubstitution die emotionale Gesundheit verbessert.<sup>27</sup> Geforscht wird &uuml;ber den neuroprotektiven Effekt des Estradiols. Die Wirkung einer Androgen- und DHEA-Substitution ist noch nicht gekl&auml;rt. Frauen mit vorzeitiger Ovarialinsuffizienz soll in jedem Fall psychologische Unterst&uuml;tzung und Beratung angeboten werden. Leider gibt es bisher noch keine Selbsthilfegruppe.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Primary ovarian insufficiency in idolescents and young women. Committe Opinion Nr 605, ACOG 2014; Obstet Gynecol 2014; 124(1): 193-7 <strong>2</strong> ESHRE Guideline: management of women with premature ovarian insufficiency. European Society for Human Reproduction and Embryology (ESHRE) Guideline Group on POI. Hum Reprod 2016; 31(5): 926-37 <strong>3</strong> Welt CK: Clin Endocrinol (Oxf) 2008; 68(4): 499- 509 <strong>4</strong> Cox L, Liu J: Int J Womens Health 2014; 20; 6: 235- 43 <strong>5</strong> Coulam CB et al.: Obstet Gynecol 1986; 67: 604-6 <strong>6</strong> Chaloutsou K et al.: J Pediatr Adolesc Gynecol 2017; 30(6): 615-619 <strong>7</strong> Brauner R et al.: Eur J Pediatr 2015; 174(6): 767-73 <strong>8</strong> Kanner L: J Pediatr Adolesc Gynecol 2018; 31(6): 597-604 <strong>9</strong> Cameron M et al.: J Pediatr Adolesc Gynecol 2008; 21(1): 3-8 <strong>10</strong> Kanj RV et al.: J Pediatr Adolesc Gynecol 2018; 31: 13-18 <strong>11</strong> Hipp HS et al.: Menopause 2016; 23: 993-9 <strong>12</strong> Moreira A, Spritzer P: Endocrinol Diabetes Metab Case Rep 2016; 2016: 160026 <strong>13</strong> Alzubaidi NH et al.: Obstet Gynecol 2002; 99(5 Pt 1): 720-5 <strong>14</strong> Rafique S et al.: Obstet Gynecol Clin North Am 2012; 39: 567-86 <strong>15</strong> Rudnicka E et al.: Prz Menopauzalny 2018; 17(3): 105&ndash;108 <strong>16</strong> Sullivan SD et al.: Fertil Steril 2016; 106: 1588-1599 <strong>17</strong> Popat VB et al.: J Clin Endocrinol Metab 2009; 94(7): 2277- 2283 <strong>18</strong> ESHRE-Guideline, International Turner Syndrome Consensus Group: Clinical practice guidelines for the care of girls and women with Turner syndrome: proceedings from the 2016 Cincinnati International Turner Syndrome Meeting. Eur J Endocrinol 2017; 177(3): G1-G70 <strong>19</strong> Crofton PM et al.: Clin Endocrinol 2010; 73: 707-14 <strong>20</strong> Cartwright B et al.: J Clin Endocrinol Metab 2016; 101: 3497-505 21 Hu FB et al.: Arch Intern Med 1999; 159: 1061-6 <strong>22</strong> Rivera CM et al.: Menopause 2009; 16: 15-23 <strong>23</strong> Muka T et al.: JAMA Cardiol 2016; 1: 767-776 <strong>24</strong> L&oslash;kkegaard E et al.: Maturitas 2006; 53: 226-33 <strong>25</strong> Langrish JP et al.: Hypertension 2009; 53: 805-11 <strong>26</strong> Oktay K et al.: J Pediatr Adolesc Gynecol 2016; 29(5): 409-416<strong> 27</strong> Rivera CM et al.: Neuroepidemiology 2009; 33: 32-40</p> </div> </p>
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