<p class="article-intro">Das Präexzitationssyndrom ist ein Sammelbegriff für Herzrhythmusstörungen, die mit einer vorzeitigen Erregung der Herzkammern einhergehen und (meist) charakteristische elektrokardiografische Merkmale aufweisen. Auslöser dafür sind in der Regel kongenitale zusätzliche oder alternative atrioventrikuläre Leitungsbahnen, die ausgeprägte Neigungen besitzen, rezidivierend paroxysmale supraventrikuläre Tachykardien (PSVT) zu entwickeln.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>KEYPOINTS</h2> <ul> <li>Die Diagnostik eines Präexzitationssyndroms ist eine Herausforderung, da ein 12-Kanal-EKG oft nicht ausreicht.</li> <li>Je nach Syndrom können Patienten asymptomatisch sein oder ein unangenehmes, belastendes und beängstigendes Herzklopfen aufweisen, als würde das Herz aus der Brust springen.</li> <li>Vorhofflimmernpatienten haben ein erhöhtes Risiko, eine lebensbedrohliche Tachyarrhythmie zu entwickeln.</li> <li>Terminieren AVRT weder spontan noch durch Vagusreizung, ist das Mittel der Wahl die intravenöse Verabreichung von Ajmalin 50 mg.</li> </ul> </div> <p>Im Vergleich zum AV-Knoten weist eine akzessorische Leitungsbahn (AL), ein muskuläres Rudiment des embryonalen AV-Schlauches im Bereich des späteren Mitral- und Trikuspidalanulus, eine deutlich schnellere elektrische Leitfähigkeit auf (Abb. 1). Folglich kommt es zur verfrühten Depolarisation der Kammern (=Präexzitation). Die Refraktärzeit der AL ist verhältnismäßig länger.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Kardio_1903_Weblinks_jatrois_kardio_1903_s9_abb1_eber.jpg" alt="" width="550" height="298" /></p> <h2>Wolff-Parkinson-White-Syndrom</h2> <p>Das häufigste (1–3/1000 Einwohner) und durch seine charakteristischen EKG-Veränderungen bekannteste Präexzitationssyndrom ist das Wolff-Parkinson-White- Syndrom (WPW-Syndrom). Der Manifestationsgipfel der Erkrankung liegt zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr, kann aber bereits im Säuglingsalter diagnostiziert werden. Studien belegen ein gehäuftes familiäres Vorkommen und eine Assoziation mit kardialen Erkrankungen, wie der Ebstein- Anomalie oder einer hypertrophen Kardiomyopathie. Beim WPW-Syndrom wird die AL „Kent-Bündel“ genannt. Diese umgeht den AV-Knoten und das angeschaltete physiologische Reizleitungssystem vollständig und steht somit in direktem Kontakt mit der ventrikulären Muskulatur. Im Sinusrhythmus verläuft die atrioventrikuläre Reizweiterleitung nun nicht mehr nur über den AV-Knoten, sondern auch über das Kent-Bündel (Abb. 2). Durch die deutlich geringere Leitungsverzögerung im Kent- Bündel kommt es zur vorzeitigen Depolarisation des ventrikulären Myokards, das sich im EKG als buckelförmiger träger R-Anstieg am Beginn des QRS-Komplexes, genannt Delta-Welle, abbildet. Charakteristisch ist zudem eine verkürzte PQ-Zeit (< 0,12 s) und der QRS-Komplex ist aufgrund der Präexzitation verbreitert. Anhand der Polarität und Konfiguration der Delta-Welle können ebenfalls die Lage der akzessorischen Leitungsbahn, die Leitungsgeschwindigkeit des AV-Knotens und der relative Anteil der bereits erregten Kammermuskulatur bestimmt werden. Bei meist linksventrikulärer Insertionsstelle ist die Delta-Welle in den Ableitungen I, aVL, negativ und in V1 positiv; inseriert das Kent-Bündel rechtsventrikulär, verhält sich die Polarität der Delta- Welle genau umgekehrt (positiv in I, aVL, negativ in V1; Abb. 3). Da die Präexzitation nicht nur permanent, sondern auch intermittierend auftreten kann, ist diese oftmals nicht gleich sichtbar und erschwert somit die Diagnostik.<sup>1, 2</sup> <br />Eine AL, die ausschließlich retrograd, also von der Kammer in den Vorhof, leitet, eine sogenannte verborgene AL, präsentiert sich elektrokardiografisch nahezu als ein Normalbefund. Orthodrome atrioventrikuläre Reentrytachykardien (AVRT) haben eine Frequenz von 180–200/min, die P-Wellen sind meist nicht sichtbar und die Konfiguration des QRS-Komplexes ist, sofern kein Schenkelblock vorliegt, schmal.<sup>3</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Kardio_1903_Weblinks_jatrois_kardio_1903_s9_abb2_eber.jpg" alt="" width="275" height="303" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Kardio_1903_Weblinks_jatrois_kardio_1903_s10_abb3_eber.jpg" alt="" width="550" height="261" /></p> <h2>Mahaim-Syndrom</h2> <p>Eine weitere Form eines Präexzitationssyndroms ist das Mahaim-Syndrom, das mehrere verschiedene Fasern unterschiedlichen Ursprungs und unterschiedlicher Insertionsstelle zusammenfasst. Der Ausgangspunkt dieser AL befindet sich ausschließlich im Bereich des Trikuspidalklappenrings und verläuft zu den rechten Faszikeln des spezifischen Reizleitungssystems oder zum rechtsventrikulären Myokard. Somit gibt es atriofaszikuläre, atrioventrikuläre, nodofaszikuläre und nodoventrikuläre Mahaim-Fasern. Da es sich um abgesprengtes Gewebe des tatsächlichen Reizleitungssystems handelt, haben all diese Leitungsbündel nicht nur die gleiche Faserstruktur, sondern auch die gleiche Leiteigenschaft. Diese ist langsam, antegrade und verzögert. Im EKG zeigt sich beim Mahaim-Syndrom eine normale PQ-Zeit, selten eine Delta-Welle und eventuell ein Linksschenkelblockbild. Bei Patienten mit rezidivierenden anamnestischen Palpitationen beschreiben Sternick et al. eine im Sinusrhythmus typische rS-Konfiguration in Ableitung III.<sup>4</sup></p> <h2>Reentrytachykardie</h2> <p>Bei der seltenen permanenten junktionalen Reentrytachykardie (PJRT) befindet sich die AL meist inferoseptal am Trikuspidal- oder Mitralklappenanulus. Diese leitet langsam und ausschließlich retrograd. Aufgrund der verzögerten Reizleitung ist die Tachykardiefrequenz niedriger als die der verborgenen AL. Elektrokardiografisch zeigt sich ein schmaler QRS-Komplex mit einem langen RP-Intervall, die P-Wellen in II, III, aVF sind negativ. Die Patienten sind oft asymptomatisch, haben aber ein erhöhtes Risiko, eine Tachykardiomyopathie zu entwickeln.<sup>3 </sup></p> <h2>Lown-Ganong-Levine-Syndrom</h2> <p>Zu den Präexzitationssyndromen wird auch das Lown-Ganong-Levine-Syndrom (LGL-Syndrom) gezählt. Pathophysiologisch liegt hier eine Verbindung zwischen dem posterioren, internodalen, interatrialen Reizleitungssystem und den tiefen Anteilen des AV-Knotens oder dem His-Bündel vor, das sogenannte „James-Bündel“. Folglich kommt es auch beim LGL-Syndrom zu einer vorzeitigen Kammererregung mit verkürzter PQ-Zeit (< 0,12 s), jedoch ohne Hinweis einer vorzeitigen Präexzitation (Delta-Welle). Der anschließende QRS-Komplex ist schmal. Zudem sind für das LGL-Syndrom ein verkürztes RRIntervall im Sinusrhythmus sowie ebenfalls rezidivierende paroxysmale Tachykardien charakteristisch. Bei der Entstehung eines Präexzitationssyndroms wird dem „James-Bündel“ zwar eine Bedeutung zugeschrieben, jedoch erhält das LGL-Syndrom, aufgrund der umstrittenen Existenz dieses Bündels, bislang keinen Krankheitswert.<sup>5</sup></p> <h2>Die Klinik der Patienten</h2> <p>Die Klinik des Betroffenen wird in drei Gruppen unterteilt. In der ersten Gruppe finden sich asymptomatische Patienten mit einem elektrokardiografischen Zufallsbefund einer Präexzitation. Zur zweiten Gruppe zählen jene, bei der sich auf Basis der akzessorischen Leitungsbahn rezidivierende PSVT entwickeln. Diese Patienten sind während der tachykarden Episoden immer symptomatisch. Meist handelt es sich um eine orthodrome atrioventrikuläre Tachykardie (AVRT), bei der die kreisende Erregung antegrad über den AV-Knoten und retrograd über die akzessorische Leitungsbahn verläuft. Die Delta-Welle ist somit während der Tachykardie nicht sichtbar, der QRS-Komplex ist schmal. Bei der selteneren antidromen AVRT verläuft die Erregung antegrad über die AL und retrograd über den AV-Knoten, im EKG zeigt sich ein verbreiterter QRS-Komplex. Zur dritten Gruppe werden jene Patienten gezählt, deren AL eine sehr kurze Refraktärzeit aufweist. Vor allem Vorhofflimmernpatienten haben ein erhöhtes Risiko, eine mitunter lebensbedrohliche Tachyarrhythmie zu entwickeln, und es kann mit seiner schwersten Komplikation, dem plötzlichen Herztod, einhergehen.<sup>1 </sup></p> <h2>Diagnostik</h2> <p>Eine ausführliche Anamnese hinsichtlich Zeitpunkt des Auftretens, Dauer und Terminierung der Episoden ist unerlässlich. Ebenfalls wird die Symptomatik des Patienten erhoben. Betroffene verspüren während der Dauer der Episode ein unangenehmes, belastendes und beängstigendes Herzklopfen, es fühle sich an, „als würde das Herz aus der Brust springen“. Ebenfalls charakteristisch sind unregelmäßige spür- und sichtbare Halsvenenpulsationen, genannt „Froschzeichen“. Diese entstehen durch Kontraktionen der Vorhöfe gegen die geschlossenen AV-Klappen.<br />Die Diagnostik eines Präexzitationssyndroms gestaltet sich aufgrund der kurzen und meist selbstlimitierenden tachykarden Episoden (150–220/min) schwierig, da diese, wie bereits erwähnt, oftmals nicht mehr mit einem 12-Kanal-EKG erfasst werden könnten (Tab. 1). Hier werden bei typischer Anamnese Langzeit-EKG und Event-Recorder erforderlich. Bei diagnostizierter Präexzitation ist in weiterer Folge die Detektion einer AL mit kurzer Refraktärzeit essenziell. Zur ersten Einschätzung kann primär eine Ergometrie durchgeführt werden. Verschwinden Delta-Wellen unter Belastung nicht, ist dies hinweisend für AL mit kurzer Refraktärzeit und stellt somit ein erhöhtes Risiko, eine schwerwiegende Rhythmusstörung zu entwickeln, dar. Invasiv erfolgt die Diagnostik mit intrakardialem EKG und soll vor allem bei Vorhofflimmernpatienten durchgeführt werden. Dabei wird der Fokus auf das RR-Intervall gelegt. Dieses soll nicht < 250 ms liegen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Kardio_1903_Weblinks_jatrois_kardio_1903_s10_tab1_eber.jpg" alt="" width="800" height="326" /></p> <h2>Therapieoptionen</h2> <p>Terminieren AVRT weder spontan noch durch Vagusreizung, ist das Mittel der Wahl die intravenöse Verabreichung von Ajmalin 50 mg langsam i.v. (Gilurytmal 50 mg). Bei Patienten mit Vorhofflimmern und Präexzitationssyndrom sind Verapamil, Digitalis und Adenosin aufgrund der Refraktärzeitverkürzung und folglich der Gefahr der Entwicklung eines Kammerflimmerns streng kontraindiziert. Die Elektrokardioversion wird bei instabilen Patienten erforderlich. Bei Betroffenen mit rezidivierenden tachykarden Episoden und hohem Leidensdruck empfiehlt sich, angesichts der 95 %igen Erfolgsrate, die Durchführung einer Hochfrequenz-Katheterablation.<sup>3</sup></p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Schuster HP, Trappe HJ: EKG-Kurs für Isabel. Stuttgart: Thieme, 2005 <strong>2</strong> Knight BP: Anatomy, pathophysiology, and localization of accessory pathways in the preexcitation syndrome. 2019 <strong>3</strong> Herold G: Innere Medizin. Eine vorlesungsorientierte Darstellung unter Berücksichtigung des Gegenstandskataloges für die Ärztliche Prüfung. Mit ICD 10-Schlüssel im Text und im Stichwortverzeichnis. Köln: Gerd Herold, 2018 <strong>4</strong> Sternick EB et al.: The electrocardiogram during sinus rhythm and tachycardia in patients with Mahaim fibers: the importance of an „rS“ pattern in lead III. J Am Coll Cardiol 2004; 44(8): 1626-35 <strong>5</strong> Podrid PJ: Lown-Ganong-Levine syndrome and enhanced atrioventricular nodal conduction. UpToDate 2018 <strong>6</strong> Anderson RH et al.: Ventricular preexcitation. A proposed nomenclature for its substrates. Eur J Cardiol 1975; 3(1): 27-36</p>
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