Adult-onset Still’s Disease (AOSD)

Morbus Still: ganz und gar nicht still in der Praxis!

Wieso ist der Morbus Still plötzlich wieder interessant? Bei Patienten mit rezidivierenden Fieberschüben, bei denen durch die eine oder andere antibiotische Therapie keine Besserung eintritt, kommt sicher jemand auf die Idee der Glukokortikoidtherapie. Keine Frage, dass ungezielte Glukokortikoidtherapien für Diskussion sorgen, aber es muss heute alles schnell gehen. Zeit und Geld sind nur begrenzt verfügbar, und es werden rasche Lösungen gefordert. In den letzten zwei Jahren etablierten sich neue Biologika, die für Morbus Still und AOSD (Adult-onset Still’s Disease) zugelassen sind bzw. erstattet werden und mit denen deutlich bessere Ergebnisse – mitunter ohne Glukokortikoide – erzielt werden können.

Keypoints

  • Fieber und Arthralgien oder Arthritis und Exanthem – die oft genannten Symptome des Morbus Still sind nicht immer als Trias gleichzeitig vorhanden.

  • Weitere Hinweise sind: ausgeprägte Leukozytose, Halsschmerzen, deutlich erhöhtes Ferritin, Lymphknotenschwellungen/ Milzvergrößerung.

  • Die „Routine“-Rheumalaborparameter, wie Rheumafaktor, ANA, ACCP, sind negativ.

  • Neben der Glukokortikoidtherapie und MTX sind IL-1-Antagonisten mit hoher Effektivität verfügbar.

AOSD steht für Adult-onset Still’s Disease. Die Erstbeschreibung erfolgte 1972 durch E.G.Bywaters. Der Krankheitsbeginn liegt meist zwischen dem 15. und 50. Lebensjahr, mit zwei Altersgipfeln: zwischen 15 und 25 Jahren sowie zwischen 36 und 46 Jahren. Weniger als 10% der Patienten sind bei Krankheitsbeginn älter als 50 Jahre. Der Morbus Still und die erwachsene Form AOSD sind dieselbe Erkrankung. Ursachen sind nicht bekannt.1,2

Wann daran denken?

Fieberschübe

Die Fieberschübe sind meist ausgeprägt, auch mit mehr als 39 Grad Fieber, sie treten bei 60–100 % der Patienten auf. Das Fieber nimmt gegen Nachmittag/Abend zu. Die Temperatur ist am nächsten Morgen oft wieder normal, wodurch falsche Rückschlüsse auf die am Tag zuvor eingeleitete antibiotische Therapie gezogen werden können. Gelegentlich können auch zwei Fieberschübe pro Tag vorkommen, bei 20% der Patienten bleibt die Temperatur erhöht. Fieberschübe können sich bereits Monate vor den anderen Beschwerden zeigen.3 Schon in den 1990er-Jahren wurde ein zirkadianes Zytokinsyndrom beschrieben, IL-1 und IL-6 waren deutlich nachweisbar, jedoch nicht TNF-α.4

Exanthem (Abb. 1)

Bei Dermatologen sind undifferenzierte Zuweisungen wie „flüchtiges Exanthem“ nicht wirklich beliebt. Noch dazu wird dieses Exanthem meist nur im Fieberschub manifest und vom Patienten selbst nicht angegeben. Die korrekte histologische Bezeichnung wäre: dermales Ödem mit weitgestellten Blut-und Lymphgefäßen, schütteres perivaskuläres Infiltrat aus neutrophilen Granulozyten, Lymphozyten und Makrophagen.5

Abb. 1: 21-jährige Patientin mit AOSD-Exanthem

Auch nicht alle Patienten (Angaben zwischen 60 und 100%) entwickeln gleichzeitig mit dem Fieberschub einen feinfleckigen, lachsfarbenen, teilweise leicht erhabenen Hautausschlag, meist am Rumpf, an Oberarmen und Oberschenkeln, manchmal auch nur im Gesicht. Nur bei einem Drittel der Patienten ist der Ausschlag mit leichtem Juckreiz verbunden und entsteht im Bereich von Reizungen/Verletzungen oder Druckstellen der Haut (Köbner-Phänomen). Auch hier der Hinweis: In Verbindung mit der am Vortag eingeleiteten antibiotischen Therapie könnte fälschlicherweise an eine allergische Reaktion gedacht werden.

Gelenksschmerzen

Ab jetzt kommt der Rheumatologe ins Spiel, in das bis zu diesem Zeitpunkt der praktische Arzt oder der Dermatologe bzw. eventuell der Infektiologe involviert waren. Die Arthralgien sind in 70–90% der Fälle vorhanden und gehen mit ausgeprägten Gelenkschmerzen (Schmerzskala der Patienten: „VAS 90“), aber ohne sichtbare Gelenkschwellungen einher. Dabei sind vorwiegend die Hand-, Ellbogen-, Sprung- und Kniegelenke, seltener die Fingerendgelenke schmerzhaft.

Zusätzliche Hinweise und Merkmale

Halsschmerzen (Pharyngitis) sind in rund 70% der Fälle ein Frühsymptom. Im Labor können Leukozytosen sehr ausgeprägt sein. Sie sind zwar unspezifisch, aber bei Werten über 12000–15000 schon als auffällig zu werten. Das Ferritin ist massiv erhöht, aber nicht in allen Klassifikationskriterien enthalten. Es muss daran gedacht werden, da es im Routinelabor nicht enthalten ist. Auch Vitamin B12 ist durch fehlregulierten Transcobolamin-II-Stoffwechsel erhöht.

Auch immer angeführt, aber wenig hilfreich sind Lymphknotenschwellungen, Bauchschmerzen, Gewichtsverlust und Muskelschmerzen. Damit wird der Kreis der Differenzialdiagnosen gerade bei unspezifischen Fiebersyndromen sehr groß.

In Tabelle 1 sind die Haupt- und Nebenkriterien zusammengefasst, mit dem besonderen Vermerk der notwendigen Ausschlussdiagnostik.6

© Thiet Hung TU

Tab. 1: Die Diagnose erfordert mindestens 5 Kriterien, davon zumindest 2 Hauptkriterien, sowie den Ausschluss von Infektionen, Malignomen und anderen rheumatischen Erkrankungen

Wie war das ...?

Ein junger Patient, bisher gesund, mit Halsschmerzen und Fieber, fühlt sich müde, matt, abgeschlagen. Im Labor sind die Entzündungsparameter erhöht, klinisch finden sich Lymphknotenschwellung und im Fieberschub ein Hautausschlag. Wenn der Patient jetzt auch noch im Ausland auf Urlaub war, fallen mir schon einige Differenzialdiagnosen ein (Tab.2). Bis dahin schreib ich einmal ein Antibiotikum auf!7

© Thiet Hung TU

Tab. 2: Häufige Differenzialdiagnosen des AOSD

Dieser gesamte Symptomkomplex stellt besonders die Kinderärzte vor eine Herausforderung.

Kann der Mb. Still (AOSD) zu Problemen führen?

Es handelt sich um einen autoinflammatorischen Prozess, eine systemische Entzündungsreaktion, und somit können sämtliche Organsysteme betroffen sein. Die Erhöhung der Lebertransaminasen bzw. der alkalischen Phosphatase kann bis zum fulminanten Leberversagen inklusive portaler Venenthrombose führen. Beschrieben sind auch kardiale und pulmonale Beteiligungen bis zur pulmonalen Hypertension, weiters Glomerulopathien sowie auch Augenmanifestationen (Uveitis, orbitaler Pseudotumor). Schwere Komplikationen sind durch Übergänge zum Makrophagenaktivierungssyndrom (MAS) gekennzeichnet.8, 9

Was ist für die Praxis relevant?

In den letzten 2–3 Jahren wurden in der Literatur, auch aufgrund der effektiven Biologika, Parameter beschrieben, die bei 90% der AOSD-Patienten vorhanden waren: Fieber, Arthralgien, Exanthem („rash“) sowie Leukozytose und ein deutlich erhöhtes Ferritin. Bezüglich der Glukokortikoidtherapie zeigte sich, dass die Dosen deutlich höher sein müssen als die sonst übliche Prednislon-„Startdosis“ von 15–20mg, nämlich 1mg/kg Prednisolonäquivalent. Das mittlere Alter bei AOSD-Manifestation wird mit 38 Jahren angegeben.10, 11

Therapie-Update

Da die Glukokortikoiddosen doch sehr hoch sind, werden Methotrexat oder alternativ Azathioprin bzw. Ciclosporin empfohlen. Aber auch damit sind die Patienten nicht immer in Remission. Seit 2005 wird in der Literatur das hervorragende Ansprechen auf die IL-1-Inhibitoren Anakinra und Canakinumab beschrieben. Die Daten aus den Morbus-Still-Studien bei Kindern deuten auf ein besseres Ansprechen bei einer frühen Behandlung mit den IL-1-Inhibitoren hin.12 Die Berichte zu TNF-Blockern vermerken die geringere Effizienz bei AOSD. Nach schwierigen und aufwendigen Studien konnten Anakinra (Kineret®) und Canakinumab (Ilaris®) zugelassen werden, wobei Anakinra jeden Tag subkutan appliziert werden muss, Canakinumab nur alle 4 Wochen. Die Autorin der letzten großen Übersichtsarbeit fasst wie folgt zusammen: „Die Effektivität und Wirksamkeit bei vergleichsweise extrem geringem Nebenwirkungspotenzial von Canakinumab bei AOSD ist beeindruckend.“

1 Cozzi A et al.: Cutaneous manifestations of adult-onset Still’s disease: a case report and review of literature. Clin Rheumatol 2016; 35: 1377-82 2 Baerlecken NT: Adulter Morbus Still, Fieber, Diagnose und Therapie. Z Rheumatol 2012; 71: 174-80 3 Gerfaud-Valentin M et al.: Adult-onset Still’s disease. Autoimmun Rev 2014; 13(7): 708-22 4 Cush JJ: Adult-onset Still‘s disease. A circadian cytokine syndrome? Bull Rheum Dis 2000; 49(6): 1-4 5 Altmeyers Enzyklopädie. www.enzyklopaedie-dermatologie.de 6 Röther E et al.: Kriterien zur Diagnose und Klassifikation rheumatischer Erkrankungen. Freiburg 2012 7 Kedor C, Feist E: Adulter Morbus Still. Akt Rheumatol 2017; 42: 37-45 8 Mert A et al.: Fever of unknown origin: a review of 20 patients with Adult-onset Still‘s disease. Clin Rheumatol 2003; 22(2): 89-93 9 Kontzias A: Adult-onset Still‘s disease: pathogenesis, clinical manifestations and therapeutic advances. Drugs 2008; 68(3): 319-37 10 Hu QY et al.: Clinical features and current treatments of adult-onset Still’s disease: a multicentre survey of 517 patients in China. Clin Exp Rheumatol 2019; 37 Suppl 121(6): 52-7 11 Lenert A et al.: Clinical characteristics and comorbidities in adult-onset Still‘s disease using a large US administrative claims database. Rheumatology 2020 [Epub ahead of print] 12 Colafrancesco S et al.: Management of adult-onset Still’s disease with interleukin-1 inhibitors: evidence- and consensus-based statements by a panel of Italian experts. Arthritis Res Ther 2019; 21(1): 275

Back to top