Einsatz der Polypille in der Primär- und Sekundärprävention
Autor:
Prim. Univ.-Prof. Dr. Peter Siostrzonek
Abteilung für Innere Medizin II, Kardiologie
Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern, Linz
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Die Polypille stellt einen vielversprechenden Therapiansatz zur multifaktoriellen Behandlung von kardiovaskulären Risikofaktoren dar. Neben der gesteigerten Medikamentenadhärenz haben neue kontrollierte Studien nun die Vorteile der Polypille auch in Bezug auf harte kardiovaskuläre Endpunkte nachweisen können.
Keypoints
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Die Polypille ermöglicht eine effiziente und kostengünstige gleichzeitige Behandlung mehrerer kardiovaskulärer Risikofaktoren.
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Die Therapieform ist vor allem für Patienten mit erhöhtem Risiko in der Primärprophylaxe konzipiert, kann aber auch bei bereits stattgefundenem Ereignis sinnvoll sein.
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Vorteil der Polypille ist auch eine Reduktion der Tablettenzahl und damit einhergehend eine verbesserte Therapieadhärenz.
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Zwei zuletzt publizierte kontrollierte randomisierte Studien konnten eine signifikante Senkung kardiovaskulärer Endpunkte nachweisen.
Herzerkrankungen stellen nach wie vor weltweit aber auch in Österreich die häufigste Todesursache dar. Das kardiovaskuläre Risiko wird sowohl durch genetische als auch durch Lebensstilfaktoren determiniert. Etablierte Risikofaktoren für den Herzinfarkt sind Hypertonie, Erhöhung des LDL-Cholesterin, Diabetes, Rauchen, körperliche Inaktivität und ungesunde Ernährung, aber auch psychosoziale Faktoren wie Armut, fehlende Schulbildung, Depression und das Vorliegen von chronischen Erkrankungen spielen eine nicht zu unterschätzende Rolle.1
Wenig überraschend ist daher ein multifaktorieller Ansatz erforderlich, um eine maximale Reduktion des kardiovaskulären Risikos zu erzielen. Dazu gehört die Einschränkung schädlicher Umweltfaktoren, die Modifikation eines ungesunden Lebensstils und allenfalls auch die medikamentöse Behandlung einzelner Risikofaktoren. Die Etablierung, Umsetzung und längerfristige Beibehaltung der empfohlenen Maßnahmen stellt jedoch eine besondere Herausforderung dar.
Idee hinter der Polypille hat sich gewandelt
Das Konzept der Polypille erscheint vor diesem Hintergrund durchaus attraktiv, da damit 1. bei relativ geringem Aufwand weite Teile der Bevölkerung Zugang zu einem effektiven Risikomanagement erhalten können und 2. eine Verbesserung der Medikamentenadhärenz durch Reduktion der einzunehmenden Tablettenzahl erzielt werden kann. Das Konzept der Polypille wurde 2003 erstmals propagiert,2 wobei die ursprüngliche Idee einer allgemeinen Verabreichung der Polypille (etwa an alle Personen mit einem Lebensalter über 55 Jahre) später von einem gezielteren Einsatz bei Personen mit erhöhtem kardiovaskulären Risiko abgelöst wurde.
Gerade für ärmere Länder mit weniger entwickeltem Gesundheitssystem könnte dieser einfache Therapieansatz zur Primärprävention nützlich und kostengünstig sein, doch auch Patienten in der Sekundärprävention könnten von dem Adhärenz-fördernden Konzept der Polypille in besonderem Maße profitieren.
Therapieadhärenz und Substanzen in Polypillen
Mehrere Untersuchungen haben die rasch abnehmende und letztlich unzureichende Medikamentenadhärenz etwa nach Myokardinfarkt gezeigt. Die unzureichende Therapieadhärenz betrifft auch hier nach einem Jahr je nach Substanzklasse 20-75% aller Patienten und ist mit einem schlechteren Outcome einschließlich einer höheren Gesamtsterblichkeit assoziiert.3,4 Die Medikamentenadhärenz korreliert zudem negativ mit der Zahl der täglich einzunehmenden Medikamente und wird deutlich von der Komplexität der Medikamenteneinnahme beeinflusst.5
Während das ursprüngliche Konzept der Polypille bis zu 6 verschiedene Substanzen beinhaltete, wurden in den rezenteren Studien meist Kombinationen mit 3 oder 4 verschiedenen Komponenten (ACE-Inhibitor, ß-Blocker, Aspirin und Statin) verwendet. Probleme der Inkompatibilität der zudem unterschiedlich konzentrierten Substanzen konnten erfolgreich durch spezielle technologische Entwicklungen umgangen werden.6 Mehrere klinische Studien konnten durch Einsatz der Polypille gegenüber einer Vergleichsgruppe mit Verschreibung der Einzelkomponenten eine Verbesserung der Medikamentenadhärenz um etwa 10-40% dokumentieren.7-10
Studien mit Polypillen zeigen positive Outcomes
In einer Metaanalyse konnte eine verbesserte Blutdruckeinstellung sowie ein verbessertes Lipidprofil nachgewiesen werden.11 Zuletzt konnte in 2 kontrollierten Studien der Vorteil der Polypille gegenüber der kombinierten Verschreibung von Einzelsubstanzen auch hinsichtlich harter kardiovaskulärer Endpunkte nachgewiesen werden.
Die PolyIran-Studie schloss 6838 Teilnehmer zwischen 40 und 75 Jahren aus einer ländlichen Region des Iran ein.12 Sie verwendete eine Cluster Randomisierung, d.h. es wurden einige Gemeinden zur Polypill-Verabreichung (Enalapril 5mg, HCT 12,5mg, Aspirin 81mg und Atorvastatin 20mg) und andere Gemeinden zu einer rein nicht-pharmakologischen Strategie randomisiert. Die Adhärenz zur Polypille betrug 80,5%, unerwünschte Ereignisse waren in den beiden Gruppen nicht signifikant unterschiedlich. Nach 60 Monaten zeigte sich ein signifikant reduziertes Auftreten von kardiovaskulären Ereignissen (Myokardinfarkt, Schlaganfall, plötzlicher Herztod, akutes Koronarsyndrom, Revaskularisation) in der mit der Polypille behandelten Gruppe (5,9 vs. 8,8%, HR 0,61; CI 95%: 0,55-0,80). Das Vorliegen einer vorbestehenden Gefäßerkrankung hatte keinen Einfluss auf die Ergebnisse.
Die bislang letzte Studie TIPS-3wurde erst kürzlich publiziert und schloss 5713 Teilnehmer ohne bekannte kardiovaskuläre Erkrankung, jedoch mit zumindest moderat erhöhtem kardiovaskulärem Risiko ein.13, 14 Es erfolgte eine Randomisierung zu einer aus 4 Komponenten (Atenolol 100mg, Ramipril 10mg, HCT 25mg, Simvastatin 40mg) bestehenden Polypille oder Placebo. Außerdem wurde in einem 2x2x2 faktoriellen Design die zusätzliche Einnahme von Aspirin 75mg und Vitamin D untersucht.13
Nach einer Beobachtungsdauer von 4,6 Jahren lag die Therapieadhärenz in beiden Gruppen knapp unter 70%. Es zeigte sich, dass mit der Polypille der kombinierte primäre Endpunkt bestehend aus kardiovaskulärem Tod, Myokardinfarkt, Schlaganfall, plötzlicher Herztod, Revaskularisation und Herzinsuffizienz um 21% gerade signifikant verringert wurde (4,4 vs. 5,5%, p=0,05). Auch verschiedene Komponenten des primären Endpunkts und weitere sekundäre Endpunkte wurden zwar numerisch, aber meist nicht signifikant in eine günstige Richtung beeinflusst.14
Diskussion möglicher Nachteile der Polypille
Ein möglicher Nachteil der Polypille betrifft das nicht flexible Verhältnis der enthaltenen Komponenten, obwohl von mehreren Herstellern nun auch Formulierungen mit unterschiedlichen Mengen an Inhaltssubstanzen angeboten werden.
Gerade in der Primärprävention müssen die Komponenten einer Polypille zudem kritisch bedacht werden, da in dieser Indikation Aspirin aufgrund der aktuellen Studienlage kaum mehr indiziert ist. Allerdings zeigte Aspirin in der aktuellen TIPS-3 Studie einen nicht-signifikanten Zusatznutzen von weiteren 14% Risikoreduktion ohne Zunahme von Blutungsereignissen.14
Bemerkenswerterweise wurde in der PolyIran-Studie Studie eine recht gute Verträglichkeit der Polypille beschrieben.12 In der TIPS-3 Studie wurden Schwindel und Hypotension zwar häufiger festgestellt, schwere Nebenwirkungen wurden jedoch berichtet, was angesichts der verwendeten hohen Wirkdosen (Antihypertensive Dreifachkombination) sehr erstaunlich ist. Vermutlich ist das durch die in dieser Studie vorgesehenen 3-4 wöchige Run-in-Phase zu erklären, in der Patienten mit Unverträglichkeiten (ca. 15% aller in Frage kommenden Patienten) von vorne herein ausgeschlossen wurden.14
Generell könnte aber auch das eigenmächtige Absetzen der Polypille durch den Patienten eine potentielle Gefahr darstellen. Allfällig auftretende Nebenwirkungen können nicht einem bestimmten Inhaltsstoff zugeordnet werden, jedoch zu einem abrupten Absetzten der Polypille mit gleichzeitigem Absetzten mehrerer protektiver Inhaltsstoffe Anlass geben. Auch hier gilt daher wieder der Grundsatz, dass eine umfassende Information des Patienten sowie ein gutes Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt wichtige Voraussetzungen für eine erfolgreiche Behandlung darstellen.
Literatur:
1 Yusuf S et al.: Effect of potentially modifiable risk factors associated with myocardial infarction in 52 countries (the INTERHEART study): case control study. Lancet 2004; 364: 937-52 2 Wald NJ, Law MR: A Strategy to reduce cardiovascular disease by more than 80% BMJ 2003; 326: 1419-23 3 Huber CA et al.: Post-myocardial Infarction (MI) care: Medication Adherence for secondary Prevention after MI in a large Real-world Population. Clin Ther 2019; 41: 107-17 4 Shang P et al.: Association between medication adherence and 1-Year Major Cardiovascular Adverse Events after Acute Myocardial Infarction in China. J Am Heart Assoc 2019; 8: 1-10 5 Colantonio LD et al.: Adherence to high Intensity Statins Following a Myocardial Infarction Hospitalisation Among medicare Beneficiaries. JAMA Cardiol 2017; 2: 890-5 6 Tamargo J et al.: The Fuster-CNIC-Ferrer Cardiovascular Polypill: a polypill for secondary cardiovascular prevention. Int J Cardiol 2015; S1: S15-22 7 Thom S et al.: Effect of a fixed-dose combination strategy on adherence and risk factors in patients with o rat high risk of CVD: the UMPIRE randomized clinical study. JAMA 2013; 310: 918-29 8 Selak V et al.: Effect of fixed dose combination treatment on adherence and risk factor control among patients at high risk of cardiovascular disease: randomized controlled trial in primary care. BMJ 2014; 348: 1-15 9 Castellano JM et al.: A Polypill Strategy to Improve Adherence. Results from the FOCUS Project. JACC 2014; 64: 2072-82 10 Patel A et al.: A pragmatic randomized trial of a polypill strategy to improve use of indicated preventive treatments in people at high cardiovsacular disease risk. Eur J Prev cardiol 2015; 22: 920-30 11 Webster R et al.: Effectiveness of fixed dose combination medication compared with usual care in patients with cardiovascular disease or high risk: A prospective, individual patient data meta-analysis of 3140 patients in six countries. Int J Cardiol 2016; 205: 147-56 12 Roshandel G et al.: Effectiveness of polypill for primary and secondary prevention of cardiovascularular diseases (PolyIran): A pragmatic, cluster-randomized trial. Lancet 2019; 394: 672-83 13 Joseph P et al.: The International Polycap Study-3 (TIPS-3): Design, baseline characteristics and challenges in conduct. Am Heart J 2018; 206: 72-9 14 Yusuf S et al.: Polypill with or without Aspirin in persons without cardiovascular disease. NEJM 2020 DOI:10.1056/NEJMoa2028220
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